DIE GEFÄHRLICHE FREITE

Seit Aslaug erwachsen war, hatte man auf Huseby nicht mehr viel Frieden: denn dort rauften und prügelten sich Nacht für Nacht die stattlichsten Burschen des Dorfs. Am schlimmsten war's in der Samstagnacht; aber dann legte sich der alte Knut Huseby auch nie ins Bett ohne seine Lederhosen und ohne einen Birkenknüttel.—"Hab' ich nun schon mal eine Tochter, so will ich sie auch behüten", sagte der Husebyer.

Tore Naesset war nur ein Häuslersohn; und doch gab es Leute, die behaupteten, er komme am häufigsten zu der Bauerntochter von Huseby. Dem alten Knut paßte das nicht; er sagte auch, es sei nicht wahr, "denn er habe ihn noch nie dort gesehen". Aber die andern lachten sich ins Fäustchen und meinten, hätte er nur alle Ecken gut abgesucht, statt sich mit den Kerlen zu beschäftigen, die auf dem Hof und auf der Diele herumkrakeelten, so hätte er Tore schon gefunden.

Der Frühling ging ins Land, und Aslaug zog mit dem Vieh auf die Alm. Wenn dann der Tag heiß auf dem Tal lastete, und die Berge sich kühl über dem Sonnendunst erhoben, wenn die Glocken klangen und der Schäferhund bellte, und Aslaug oben auf den Halden jodelte und das Alphorn blies,—dann wurde den Burschen, die unten auf den Feldern arbeiteten, das Herz schwer. Und den nächsten Samstagabend liefen sie um die Wette hinauf. Aber noch schneller kamen sie wieder herunter; denn oben auf der Alm stand ein Bursch hinter der Tür und nahm alle Besucher in Empfang und verwichste sie so gründlich, daß sie nachher immer an die Worte dachten, womit er sie begrüßt hatte: "Wenn Du 'n andermal wiederkommst—kriegst Du noch mehr."

Soviel sie wußten, war im ganzen Gau nur einer, der solche Fäuste hatte, und das mußte Tore Naesset sein. Und die reichen Bauernsöhne fanden, es gehe doch über den Spaß, daß solch ein Häuslerbock dort oben auf der Huseby-Alm so um sich stoßen dürfe.

Dasselbe fand auch der alte Knut, als er hiervon hörte, und er fügte hinzu: wenn kein anderer den Kerl unterkriegen könnte, dann wollten er und seine Söhne es versuchen. Knut kam freilich schon in die Jahre, aber trotz seiner sechzig wagte er doch mit seinem ältesten Sohn bisweilen eine kleine Boxerei, wenn es bei einem fröhlichen Gelage gar zu still wurde.

Zur Huseby-Alm hinauf führte nur ein Weg, und der ging direkt über den Hof. Am nächsten Samstagabend wollte Tore zur Alm hinauf und schlich über den Hof; leichten Fußes und ahnungslos war er schon glücklich bis zur Scheune gekommen, als ihm ein Kerl an die Gurgel fuhr. "Was willst Du von mir?" sagte Tore und schlug ihn zu Boden, daß es nur so krachte. "Das wirst Du schon merken", sagte ein anderer hinter ihm und packte ihn am Nacken, das war der Bruder. "Hier kommt der dritte", sagte Knut und ging ihm zu Leibe.

Tores Kraft wuchs in der Gefahr; er war geschmeidig wie eine Weidengerte und teilte Hiebe aus, daß es nur so sauste; er duckte sich und wand sich; wo die Schläge fielen, war er nicht; wenn sie keine erwarteten, kriegten sie welche. Seine Prügel freilich bekam er schließlich auch, und das gründlich, aber der alte Knut sagte später oft, mit einem handfesteren Kerl sei er nie aneinandergeraten. Sie hielten stand, bis Blut floß; da aber sagte der Husebyer: "Halt!" und fügte hinzu: "Kommst Du nächsten Samstag dem Husebyer Wolf und seinen Jungens aus, dann soll das Mädchen Dein sein!"

Tore schleppte sich, so gut er konnte, heimwärts, und als er zu Hause war, legte er sich zu Bett. Es wurde viel über die Prügelei auf Huseby gesprochen, aber jeder fragte: "Was wollte er da?"—Eine gab's, die das nicht sagte, das war Aslaug. Sie hatte jenen Samstagabend ihn so sehnlich erwartet, und als sie jetzt erfuhr, was für eine Geschichte sich zwischen ihm und ihrem Vater zugetragen hatte, da setzte sie sich hin und weinte und sprach zu sich selbst: "Kriege ich Tore nicht, dann habe ich keinen frohen Tag mehr auf der Welt."

Tore blieb den Sonntag über liegen, und am Montag merkte er, daß er noch länger liegen müsse. Der Dienstag kam, und das war ein gar herrlicher Tag. Es hatte in der Nacht geregnet, die Berge waren feucht und grün, das Fenster stand offen, Laubduft zog herein, die Glocken klangen von den Bergen hernieder und irgendwer jodelte dort oben;—hätte die Mutter nicht in der Stube gesessen, er hätte heulen können vor Ungeduld.

Der Mittwoch kam, und noch immer lag er zu Bett; Donnerstag war er wirklich neugierig, ob er nicht doch Samstag wieder gesund sein werde; am Freitag stand er auf. Er hatte die Worte, die der Vater gesagt hatte, gut in Erinnerung: "Kommst Du nächsten Samstag dem Husebyer Wolf und seinen Jungens aus, so ist das Mädel Dein." Er schaute einmal ums andere nach Huseby hinüber.—"Ich bekomme da doch bloß meine Prügel", dachte Tore.

Zur Huseby-Alm hinauf führte, wie schon gesagt, nur ein Weg; aber ein tüchtiger Kerl mußte doch da hinaufkommen, wenn er auch nicht gerade den richtigen Weg ging. Wenn er hinausruderte, um die Landzunge herum, und dann an der andern Seite des Bergs anlegte, konnte er auf jeden Fall hinaufkraxeln; freilich war es dort so steil, daß die Geiß nur mit knapper Not weiden konnte, und die pflegt doch im Gebirge nicht gerade ängstlich zu sein.

Der Samstag erschien, und Tore lief den ganzen Tag draußen herum;—die Sonne lachte, daß es in den Büschen sproßte, und in einem fort jodelte und lockte es von den Bergen her. Er saß noch vor der Tür, als es auf den Abend ging und ein dampfender Nebel an den Hängen emporkroch. Er blickte nach oben,—dort war es still; er blickte nach Huseby hinüber,—und dann stieß er sein Boot ab und ruderte um die Landzunge herum.

Auf der Alm saß Aslaug, fertig mit ihrem Tagewerk. Sie dachte, Tore könne diesen Abend gewiß nicht kommen; statt seiner werde aber wohl manch anderer sich einfinden. Da machte sie den Schäferhund los und sagte niemand, wohin sie gehe. Sie setzte sich so, daß sie das Tal überschauen konnte, doch da stieg der Nebel auf; und sie getraute sich auch nicht, hinunterzusehen; denn alles rief Erinnerungen in ihr wach. Sie ging also weiter, und ehe sie sich's versah, war sie auf der andern Seite des Bergs. Dort setzte sie sich nieder und blickte auf die See hinaus. Der senkte ihr Frieden ins Herz, dieser weite Blick auf die See hinaus. Da kam ihr die Lust, zu singen; sie wählte ein Lied mit lang schwingenden Tönen, und der Klang ging weit in die stille Nacht hinaus. Es machte ihr selbst Vergnügen, und deshalb sang sie noch einen Vers. Aber da war's ihr, als antworte jemand aus der Tiefe her. "Herrjeh, was kann das sein?" dachte Aslaug; sie ging bis an den Abhang und schlang die Arme um eine schwanke Birke, die sich zitternd nach unten neigte. Sie blickte hinunter, aber sie sah nichts. Der Fjord lag still da und ruhte; kein Vogel strich darüber hin. Aslaug setzte sich wieder und sang weiter; da kam wirklich eine Antwort, in demselben Ton, näher als das erstemal. "Da muß doch was los sein"! Aslaug sprang auf und beugte sich hinüber. Und da sah sie unten an der Bergwand ein Boot, das hier angelegt hatte; und so tief unten lag es, daß es aussah wie eine kleine Muschel. Ihre Augen suchten die Stelle ab und erspähten eine rote Mütze und darunter einen Burschen, der die fast senkrechte Bergwand hinaufklomm. "Herrjeh, wer kann das sein?" dachte Aslaug, ließ die Birke los und lief weit nach hinten. Sie wagte nicht, die eigene Frage zu beantworten, denn sie wußte ja, wer es war. Sie warf sich nieder auf die Halde und packte das Gras mit beiden Händen, als sei sie Tore und dürfe nicht loslassen. Aber die Graswurzeln lösten sich aus dem Erdboden,—sie schrie laut auf und flehte zu Gott dem Allmächtigen, Tore zu helfen. Aber da schoß ihr der Gedanke durch den Kopf, Tore versuche Gott mit seinem Tun, und deshalb könne er keine Hilfe erwarten. "Nur dies eine Mal", betete sie, und sie faßte den Hund um, als sei es Tore, den sie festhalten müsse; sie rollte mit ihm über die Halde hin, und die Zeit schien ihr endlos. Aber da riß sich der Hund los. "Wau, wau!" kläffte er den Berg hinunter und wedelte mit dem Schwanz. "Wau, wau!" sagte er zu Aslaug und sprang mit den Vorderpfoten an ihr hinauf. "Wau, wau!" wieder den Berg hinunter—und da tauchte eine rote Mütze über dem Bergrand auf, und Tore lag an ihrer Brust. Da blieb er viele Minuten liegen, ohne ein Wort über seine Lippen zu bringen, und das, was er schließlich sagte, hatte nicht Sinn noch Verstand.

Doch als der alte Knut Huseby dies hörte, da sagte er etwas, das Sinn und Verstand hatte; er sagte nämlich: "Der Bursch hat sie verdient; der soll das Mädel haben."

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