Vorwort

Nicht erst Björnstjerne Björnsons Heimgang hat den Plan geformt und gereift, sein Werk in gedrungener Ausgabe dem deutschen Volke vorzulegen: vielmehr ist das Unternehmen einem seiner letzten und eigensten Wünsche entsprungen. Am Entwurf noch hat er so eifrig und entschieden mitgearbeitet, wie er alles ergriff, was der Bestätigung seiner feurigen Persönlichkeit dienen konnte. Björnsons Todestag (26. April 1910) jährt sich, da dieses Gegenstück der volksmäßigen Ibsenausgabe ans Licht tritt, und der Herausgeber kann ein Gefühl der Wehmut nicht unterdrücken, daß der Dichter die Verwirklichung dessen nicht mehr gesehen hat, was wir gemeinsam ersonnen haben.

Die "Gesammelten Werke" sollen nichts anderes als eine Auswahl, allerdings im weitesten Wortsinne, bieten, eine Auswahl, die Björnsons Lebensarbeit in ihren wesentlichen und bleibenden Bestandteilen erschöpfend zusammenfaßt. Hierdurch unterscheidet sie sich von der bekannten Unternehmung des Langenschen Verlages, die, ohne sich als eine eigentliche Gesamtausgabe zu charakterisieren, Dichtung an Dichtung, Buch an Buch in Einzelbänden reiht. Der von Björnson befürwortete Gesichtspunkt war: in eine Volksausgabe aus dem gewaltigen Korpus seiner literarischen Wirksamkeit das aufzunehmen, was im künstlerischen und geistigen Dasein seiner Nation wie der modernen Völker überhaupt Epoche gemacht hat, mit besonderer Berücksichtigung der Arbeiten, die in seinem eigenen Leben Epoche machten, d.h. als Dokumente seiner menschlichen und dichterischen Entwicklung gelten können. Ein zwiefacher Maßstab also: der kulturgeschichtliche und der autobiographische. So ergaben sich auf natürliche Art drei Gruppen: die Sammlung der "Gedichte", die aus seinem Gesamtwirken geschöpften, unmittelbaren lyrischen Zeugnisse eines Persönlichkeitswachstums; die großen und kleinen Erzählungen, sowie die beiden weltumspannenden Romane; zehn Schauspiele, die als die wichtigsten Leistungen sowohl seiner romantisch-nationalen Dichtung als auch seiner Gesellschaftsdramatik gelten können: sie füllen zwei Bände aus, während die Gedichte und Prosastücke in drei Bänden vereinigt werden. Innerhalb dieser einzelnen Abteilungen herrscht eine chronologische Ordnung, die nur einmal unterbrochen wird, um den dritten Band, durch die Verkoppelung der voluminösen Romane, zum Schaden des stofflichen Gleichgewichts, nicht allzusehr anschwellen zu lassen.

Die künstlerische Aufgabe, die dieses Werk darbot, hätte ohne das verständnisvolle Entgegenkommen des Verlages A. Langen kaum erfüllt werden können; wir schulden seinen Vertretern nicht geringen Dank: sie haben uns alles zur Verfügung gestellt, was den Wert und die Fülle dieser Ausgabe steigern konnte. Die Texte selbst waren den Grundsätzen der Interpretation unterworfen, die das Ibsenwerk als Maßstab gesetzt hat: einen ebenso formkräftigen, wie sprachlich reinen und alles Charakteristische treu und doch frei wiedergebenden deutschen Ausdruck anzustreben. Ob dies Ziel erreicht ist, unterliegt nicht unserer Entscheidung. Die "Gedichte" gingen ohne wesentliche Änderungen aus der Langenschen Sammlung in unsere Ausgabe über, nur mit dem Unterschied, daß einerseits eine, übrigens kurze Reihe von Poesien ausgelassen ist, die in engstem Sinne "Gelegenheitsdichtungen" sind, und andrerseits—um doppelten Abdruck zu vermeiden—28 Lieder in der Sammlung selbst unterdrückt wurden, weil sie später in den Prosastücken und Dramen als lyrische Intermezzi wiederkehren: nach dem übersichtlichen Tableau des Inhaltsverzeichnisses zum ersten Bande sind sie unschwer aufzufinden.

Als maßgebender Originaltext wurde die elfbändige Volksausgabe "Samlede Vaerker" (Kopenhagen, Gyldendal) bestimmt. Die Übersetzungen der Prosawerke sind durch eine grundlegende Revision und vielfache stilistische Umformung der älteren Ausgaben entstanden; hier ist, unter der rührigen Mitwirkung von Elsa Glawe, Gertrud J. Klett und Max Bamberger eine Arbeit geleistet worden, die als neu und selbständig anzusprechen ist. Damit wird das Verdienst zumal Cläre Mjöens, unserer lyrischen Mitarbeiterin, die besonders für die vier reichen Bände der "Gesammelten Erzählungen" auf der ersten Etappe der deutschen Björnsonpropaganda Wesentliches geleistet hat, durchaus nicht beeinträchtigt. Von besonderer Bedeutung wurde es für die Neugestaltung der Texte, daß Ludwig Fulda seine feine und starke Verskunst in den Dienst unserer Sache stellte. Von ihm stammen die lyrischen Nachdichtungen in den Erzählungen "Arne" und "Das Fischermädel", soweit die Fassungen nicht durch die Sammlung der "Gedichte" vorgeschrieben waren. Er hat hier und in vielen anderen Winkeln unseres verzweigten Baus ein Interesse bezeugt, so hilfreich und tatkräftig, daß wir uns ihm zu dauernder Dankbarkeit verpflichtet fühlen.

Von Ludwig Fulda stammt ebenfalls die deutsche Form der lyrischen
Zwischenspiele und eingestreuten Lieder im Drama "Der König", während
man Roman Woerner für die nachschaffende Übertragung des Versstücks
"Sigurds erste Flucht" ("Sigurd Slembe", 1. Teil) verbunden ist.

Die neue und von allen Vorbildern unabhängige Übersetzung der zehn
Prosadramen hat sich der Herausgeber allein vorbehalten. Er trägt auch
die zusammenfassende Studie über Björnson—das Werk und den
Menschen—bei, die im fünften Bande die Ausgabe abschließt.

Die "Gesammelten Werke" Björnsons sollen nicht in die Welt ziehen, ohne daß in dankbarer Gesinnung der wertvollen Unterstützung gedacht wäre, mit der Halvdan Koht, Kr. Collin, W.P. Sommerfeldt, Max Bernstein, Max Dreyer und die Universitätsbibliothek zu Kristiania in so mancherlei Beziehungen das Werk gefördert haben. In der Frage des Korrekturlesens erwies sich, wie so oft schon, Theodor Poppe als tätiger Freund.

Berlin, 13. März 1911.

Julius Elias.

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