Regierungsrat Rudolf Martin. Der Krieg in 100 Jahren.


Der Krieg in 100 Jahren.
Von Regierungsrat Rudolf Martin.

Die Kriegführung in hundert Jahren wird sich von der Kriegführung der Gegenwart weit mehr unterscheiden, als diese von der Kriegführung vor der Erfindung des Schießpulvers. Und doch hat die Erfindung des Schießpulvers die gewaltigsten Veränderungen zustande gebracht. Das gesamte Kriegswesen wurde durch das Aufkommen des Schießpulvers um die Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa umgestaltet. Das Rittertum verschwand. An die Stelle des Lehnsaufgebots trat das stehende Heer. Der Lehnsstaat hörte auf. Die Macht des unbeschränkten Königtums kam in den meisten Ländern zur Geltung.

Daneben zeigten sich Wirkungen des europäischen Schießpulvers, durch das mit dem Jahre 1492 einsetzende Zeitalter der Entdeckungen. In Amerika und in Ostindien unterlag die Kultur der Eingeborenen den Schießwaffen der europäischen Entdecker. Aber das Schießpulver war nur ein Teil der Ueberlegenheit der Europäer. Im übrigen verdankten sie ihre Erfolge ihrer Seetüchtigkeit. Das Aufkommen des Kompasses seit ungefähr dem Jahre 1310 hatte die Sicherheit der Schiffahrt vermehrt und die Entdeckungsfahrten ermöglicht. Die Fortschritte der Astronomie, der Geographie und die Zunahme der Bildung im Zeitalter der Reformation ermöglichten die Herstellung brauchbarer Seekarten. Selbst die Erfindung der Buchdruckerkunst um das Jahr 1462 hat an den Erfolgen und Siegen der Seefahrer und Entdecker einen großen Anteil.

Von größter Bedeutung aber war das Aufkommen reiner Segelschiffe, die nicht mehr auf Ruder eingerichtet waren. Der Transport des Proviants und des Trinkwassers für die vielen Ruderknechte hatte bis zum Jahre 1300 jede größere Entdeckungsfahrt unmöglich gemacht. Indem im Laufe der Jahrhunderte die Segelschiffe immer größer wurden, konnten weitere Reisen unternommen und eine größere Zahl von Soldaten transportiert werden. Wäre aber in der Zeit von 1300 bis 1500 die Kunst des Lavierens nicht aufgekommen, so würden die europäischen Seeschiffe an größeren Unternehmungen verhindert worden sein.

Diese umgestaltende Wirkung der Technik auf die Kriegsführung wird sich in verstärktem Maße in den kommenden hundert Jahren vollziehen. Die Technik der Motorluftschiffahrt, der Unterseeboote, der drahtlosen Telephonie und Telegraphie und wahrscheinlich auch der drahtlosen Uebertragung von Starkstrom wird neben der Fortbildung der Sprengmittel, der Artillerie und der Schutzvorkehrungen den Krieg vollkommen umgestalten und eine weitgehende Einwirkung auf die Politik ausüben.

Besonders aber wird die Motorluftschiffahrt die gesamte Kriegführung umgestalten. Die Motorluftschiffahrt verstärkt die Macht der industriellen, kapitalreichen Großmächte mit dichter, geistig hoch entwickelter Bevölkerung und mit großen Landheeren gegenüber den agrarischen, armen Großmächten mit dünner, geistig rückständiger Bevölkerung oder mit kleinen Landheeren.

Begünstigt kann die militärische Stärke einer Großmacht im Zeitalter der Motorluftschiffahrt auch durch die geographischen Verhältnisse werden. Deutschland, welches im Zentrum des Kontinents von Europa gelegen ist, kann vermittels seiner Motorluftschiffahrt Einfluß nach allen Seiten und auf alle anderen europäischen Großmächte ausüben.

Auch in hundert Jahren dürfte die Lage Deutschlands sich besser für die Motorluftschiffahrt eignen als die Lage Englands. Der Verkehr über den Atlantischen Ozean wird wesentlich schwächer sein, als der Verkehr auf dem Kontinent von Europa. Von jedem Punkt Europas oder Asiens oder Afrikas kann man aufsteigen, um irgend einen Punkt in Deutschland auf dem Motorluftfahrzeug zu erreichen. Man kann aber nicht von einem einzigen Punkte in dem Atlantischen Ozean aufsteigen, um auf dem Motorluftfahrzeuge England zu erreichen. Dabei soll nicht in Abrede gestellt werden, daß auch die Dampfer auf dem Meere in hundert Jahren einen Verkehr durch Drachenflieger mit dem Festlande unterhalten.

Für die Seeschiffahrt war England als Insel besonders günstig veranlagt. Für die Motorluftschiffahrt ist England als Insel besonders ungünstig veranlagt. Denn auf dieser Insel herrschen heftige Stürme, und lagert häufig ein dichter, gefährlicher Nebel. Ueberdies aber ist der Verkehr über den Ozean weit seltener als der Verkehr über Land. Deutschland aber erfreut sich nicht nur des größten Landverkehrs durch die Luft, sondern auch wahrscheinlich des größten Seeverkehrs durch die Luft. In jedem Falle ist Deutschland für den transatlantischen Verkehr durch die Luft ebenso geeignet wie Großbritannien. Da aber auf den britischen Inseln heute nur 42 Millionen Einwohner wohnen, gegenüber 62 Millionen Köpfen in Deutschland, so ist anzunehmen, daß die stärkere Bevölkerungsvermehrung, durch welche sich Deutschland schon heute auszeichnet, in hundert Jahren eine gewaltige Ueberlegenheit an Zahl der Bevölkerung geschaffen hat. Auf Grund einer weit stärkeren Bevölkerung, welche die englische um etwa 50 Millionen überragen dürfte, wird Deutschland auch einen viel größeren Verkehr an Personen und leichten Gütern durch die Luft mit Amerika unterhalten.

Da die Bevölkerung Frankreichs schon seit Jahrzehnten stagniert, während die Bevölkerung Deutschlands jährlich um 860000 Köpfe zunimmt, so wird Deutschland in hundert Jahren mehr als die doppelte Einwohnerschaft von Frankreich haben. Schon aus diesem Grunde ist die aeronautische Ueberlegenheit Deutschlands über Frankreich eine gewaltige. Verstärkt wird diese Ueberlegenheit durch die zentrale Lage Deutschlands im Herzen von Europa. Da Rußland an Industrie, Kapital und geistiger Bildung Deutschland in hundert Jahren noch längst nicht erreicht haben wird, so wird auch Rußland auf dem Gebiete der Motorluftschiffahrt weit hinter Deutschland zurückstehen. Die großen internationalen Luftlinien von Berlin bis Peking oder von Berlin über Südrußland nach Teheran und Indien werden nicht im Eigentume russischer sondern deutscher Firmen stehen.

Die Flotte der Luftschiffe.

Je mehr Motorluftfahrzeuge eine Großmacht im Kriege besitzt, um so stärker ist sie. Die Masse der Motorluftfahrzeuge kann eine Großmacht in hundert Jahren während des Krieges aber nur aus dem Verkehr entnehmen. Die Großmächte können nicht für die Heeresverwaltung und die Marineverwaltung für 10 oder gar 20 Milliarden Mark Motorluftfahrzeuge im Frieden für den Kriegsfall beschaffen. Dasselbe gilt von den Luftschiffhäfen. Wie das Deutsche Reich sich heute im Kriegsfalle der bestehenden und dem Verkehre dienenden Eisenbahnen bemächtigt, so wird es in hundert Jahren bei Ausbruch eines Krieges seine Hand nicht nur auf die Verkehrsluftlinien und Luftschiffhäfen, sondern auch auf die im Besitze der Sportsleute befindlichen Drachenflieger und Motorballons legen. Nur wenn man diese Veränderungen des Verkehrs und des Stärkeverhältnisses der Mächte im Auge behält, kann man sich ein Bild von der Art der Kriegführung in hundert Jahren machen. Der Charakter des künftigen Krieges wird schon durch die Tatsache ein verändertes Aussehen haben, daß die sich feindlich gegenüberstehenden Kriegsmächte andere geworden sind, als wir es aus der Geschichte der letzten tausend Jahre gewohnt sind. Zwischen Deutschland und Frankreich oder Deutschland und England oder Deutschland und Oesterreich-Ungarn ist ein Krieg in hundert Jahren vollkommen ausgeschlossen. Sämtliche europäischen Staaten, keinen ausgenommen, bilden in hundert Jahren eine Staatengemeinschaft, welche den gegenseitigen Krieg ebenso ausschließt, wie heute etwa ein Krieg zwischen dem Königreich Bayern und dem Königreich Preußen oder dem Deutschen Reiche unmöglich ist. Der zunehmende Luftverkehr hat eine solche Menge gemeinsamer Bedürfnisse und Interessen geschaffen, daß in hundert Jahren sämtliche europäischen Staaten als Staatengemeinschaft ein gemeinsames europäisches Parlament und eine gemeinsame europäische Gesetzgebung haben. Durch die gemeinsame Gesetzgebung und durch die Verfassung der europäischen Staatengemeinschaft ist aber ein Krieg zwischen europäischen Staaten nicht nur ausdrücklich untersagt, sondern auch tatsächlich zur Unmöglichkeit geworden.

Das Drama in der Luft.

Solange ein märkischer Raubritter einen benachbarten Raubritter bekriegen konnte, bewegte sich die Kriegführung in den entsprechenden primitiven Formen. Sie wurde großartiger in dem Zeitalter der Entdeckungen und des Schießpulvers. In hundert Jahren können die vereinigten Staaten Europas Kriege nur führen mit der gelben Rasse, also mit China, Japan und Siam oder mit den Vereinigten Staaten Amerikas. Im übrigen hat das europäische Militär nur die Aufgabe der Niederwerfung von Aufständen. Volkserhebungen in Europa sind undenkbar, da die europäische Gesamtverfassung und die Regierung aller Einzelstaaten eine sehr freiheitliche und dem Volkswillen entsprechende ist. Nicht selten aber finden sich gewaltige Erhebungen der Neger und anderer Stämme in Afrika, der Indier und der Bewohner Vorderasiens.

Nur durch die massenhafte Anwendung der Motorluftfahrzeuge kann Afrika, welches unter die verschiedenen europäischen Großmächte aufgeteilt ist, niedergehalten werden. Auch die Herrschaft über die 400 Millionen Einwohner Indiens würde den Engländern längst dauernd entwichen sein, wenn nicht die gesamten europäischen Staaten die riesenhafte Menge ihrer Motorluftfahrzeuge und Luftschiffertruppen gemäß den Verpflichtungen der Gesamtverfassung bei jeder indischen Revolution den Engländern sofort zur Verfügung gestellt hätten.

Zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika, welche den gesamten Kontinent von Nordamerika und Südamerika umfassen, und den Vereinigten Staaten von Europa bestehen die denkbar besten politischen Beziehungen. Allerdings sind die europäischen Generalstäbe ebenso wie die amerikanischen Generalstäbe auf die Möglichkeit eines Krieges vorbereitet. Aber es ist außerordentlich unwahrscheinlich, daß ein solcher Krieg jemals ausbrechen wird.

Der einzige wirklich bedeutende Weltkrieg, der in hundert Jahren stattfindet, ist ein Krieg der Vereinigten Staaten Europas gegen das verbündete China und Japan. Während dieses viermonatlichen ungewöhnlich blutigen Krieges haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika vollkommen neutral gehalten. Tatsächlich haben sie aber zur schnellen Niederwerfung der gelben Rasse einen bedeutsamen Beitrag geliefert, indem sie die Ausfuhr von allem Kriegsmaterial nach Ostasien verhinderten.

In diesem Weltkriege ist aber die fortgeschrittene Kriegstechnik, wie sie in dem ersten Jahrhundert der Motorluftschiffahrt sich ausgebildet hat, voll und ganz zur Geltung gekommen. Der Hauptangriff Europas gegen China wie gegen Japan erfolgte von der Landseite, also vom Westen aus. Unterstützt wurde diese Aktion durch einen Angriff der vereinigten europäischen Flotten in dem Stillen Ozean.

Die Ursache des Krieges ist nicht ohne Zusammenhang mit der Strategie und Taktik des Feldzuges. China und Japan hatten beide beschlossen, die Motorluftschiffahrt zu verstaatlichen und den europäischen Verkehrsluftlinien die Erlaubnis zu entziehen, eigene Luftschiffhäfen in China und Japan zu besitzen und den Transport von Personen und Waren durch die Luft zu betreiben. Die europäische Staatengemeinschaft hatte einstimmig von vornherein diese Verletzung der althergebrachten Rechte der europäischen Verkehrsluftlinien abgelehnt. Am 1. Juni des Jahres 2008 setzten China wie Japan das wenige Tage zuvor von ihnen erlassene Gesetz in die Wirklichkeit um, indem die staatlichen Behörden sämtliche Luftschiffhäfen Chinas und Japans mit Beschlag belegten und die europäischen Motorluftfahrzeuge auswiesen. Da sich die deutschen, russischen, englischen und französischen Beamten der Luftschiffhäfen und der Motorluftfahrzeuge diesen Anordnungen der chinesischen Behörden vielfach widersetzten, und in einer Reihe chinesischer Städte schwere Ausschreitungen des Pöbels gegen die Europäer vorkamen, an denen auch nachweisbar chinesische Beamte und Soldaten nicht unbeteiligt waren, beschloß die Gesamtvertretung der europäischen Regierungen die sofortige Kriegserklärung.

Durch drahtlose Telegraphie wurden alle Motorluftfahrzeuge europäischer Gesellschaften aus China und Japan zurückberufen und ihnen der Auftrag gegeben, nach Möglichkeit die europäische Bevölkerung nach Europa oder Indien oder Sibirien zurückzuführen.

Sofort begann die Mobilisierung der europäischen Luftflotte. Siam bat die europäischen Regierungen neutral bleiben zu dürfen, versprach aber der Rüstung europäischer Motorluftflotten in Siam nicht entgegentreten zu wollen.

Innerhalb von wenig Stunden wurden alle Luftschiffhäfen rings um das chinesische Reich von Wladiwostock bis Samarkand in Zentralasien und weiter bis nach Lee 3434 Meter hoch in den Bergen des Himalaya-Gebirges, in Kalkutta, Siam und Tonking in Kriegszustand gesetzt. Mehr als tausend Motorballons waren von Sibirien, Indien und Tonking schon in den ersten drei Stunden nach der Kriegserklärung in das Innere von China unterwegs, um den Europäern behilflich zu sein, auf den Motorluftfahrzeugen zu entkommen und um an Benzin oder Gas notleidende europäische Motorluftfahrzeuge auf ihrer Heimreise zu unterstützen. Von zahlreichen Luftschiffhäfen und in der Luft fahrenden Motorluftfahrzeugen treffen in Sibirien, in Anam, Indien und russisch Turkestan drahtlose Depeschen mit Nachrichten über den Stand der Dinge ein. Da eine Reihe von Luftschiffhäfen in China sich gegen die chinesischen Behörden und den Pöbel verteidigen, so muß ihnen von den ersten verfügbaren Streitkräften der Luftflotten zunächst Hilfe gebracht werden. Die ersten großen Luftgeschwader, welche Wladiwostok, Hanoi in Anam, Kalkutta verlassen, dringen gleich tief in das Innere von China ein. In Erwartung der kommenden Ereignisse hatte die englische Regierung ebenso wie die internationalen Luftlinien Vorsorge getroffen, daß eine ungewöhnlich starke Luftmacht in Lasar, der Hauptstadt Tibets, konzentriert war. Insonderheit waren auch die Luftschiffhäfen an der Nordgrenze Tibets mit gut ausgerüsteten Riesenluftschiffen versehen.

Anmarsch der Luftflotte im Jahre 2010.

Die Entscheidung in einem solchen Kriege liegt nicht bei den Aluminiumluftschiffen oder Ballonetluftschiffen. Sie liegt auch nicht bei den Drachenfliegern. Die Schlachtluftflotte der Zukunft besteht aus den riesenhaften Vakuumluftschiffen, die nicht von Gas getragen werden, sondern auf Grund der Leere des Raumes aufsteigen. Die alte Idee des Jesuitenpaters Franzesko Lana aus dem Jahre 1670 war bereits am 9. September 1908 in einem Leitartikel des hervorragenden deutschen Gelehrten G. J. Derb in den Illustrierten aeronautischen Mitteilungen wieder aufgenommen worden. Seitdem ist sie nicht mehr zur Ruhe gekommen. Im Jahre 2008 verfügen die europaischen Luftlinien zusammen über mehr als 10000 Vakuumluftschiffe, während die Heeresverwaltungen und Marineverwaltungen der europäischen Staaten etwa 5000 Vakuumluftschiffe besitzen. Keines dieser Vakuumluftschiffe hat einen geringeren Umfang als 300000 Kubikmeter. Die Wände sind aus feinem Nickelstahl hergestellt, welcher fester ist als im Jahre 1908 die Panzerplatten. Eine genaue Beschreibung dieses wichtigsten Motorluftfahrzeuges der Zukunft habe ich in meinem soeben erschienenen Buch „Von Ikarus bis Zeppelin“ (Brandussche Verlagsbuchhandlung, Berlin) Seite 144 gegeben. Ein solches Luftschiff wird vor der Fahrt durch große Luftpumpen vollkommen von Luft entleert. Solche Pumpen sind in allen Luftschiffhäfen vorrätig. Auch führt das Luftschiff selbst eine durch einen Motor in Gang gehaltene Luftpumpe mit sich. Das Vakuumluftschiff hat den großen Vorzug, daß es allen Gefahren des Wasserstoffgases überhoben ist.

Das Vakuumluftschiff kann nicht explodieren oder verbrennen. Ueberdies kostet das Wasserstoffgas der Aluminiumluftschiffe und Ballonetluftschiffe viel Geld und muß immer wieder ergänzt werden. Das Vakuumluftschiff kann sich solange in der Höhe halten, wie die Luftpumpen ordnungsgemäß arbeiten, also Monate lang und unter Umständen Jahre lang.

Auf Grund ihres riesenhaften Umfanges haben die Vakuumluftschiffe eine ungeheure Tragfähigkeit. Allerdings wiegt die schwere Stahlumhüllung eines Vakuumluftschiffes von 300000 cbm bereits 200000 kg. Aber der noch verfügbare freie Auftrieb von 100000 kg oder 100 Tonnen gestattet den Transport von 1000 Personen auf eine kürzere und 600 Personen auf eine weitere Entfernung.

Ein Teil der Vakuumluftschiffe in Sibirien, Zentralasien und Indien wurde mit Militär beladen, ein anderer Teil mit Dynamittorpedos. Insgesamt gingen gleichzeitig 200 Vakuumluftschiffe von allen Seiten in das Innere von China vor. Dies alles geschah in den ersten drei Stunden nach der Kriegserklärung. Gleichzeitig wurden zunächst alle Vakuumluftschiffe in Deutschland, Frankreich, England aus dem Verkehr genommen und auf dem kürzesten Wege zu den Luftschiffhäfen an den Grenzen des Reiches der Mitte gesandt. Auch allen Vakuumluftschiffen, die zwischen Berlin und Ostasien oder zwischen Berlin und Kalkutta verkehrten, wurde durch drahtlose Telegraphie die Anweisung gegeben, sofort in dem nächsten Luftschiffhafen die Passagiere wie die Waren auf Aluminiumluftschiffe oder Drachenflieger zu verladen und selbst unverzüglich nach bestimmt angegebenen Luftschiffhäfen an der chinesischen Grenze zu fahren. Innerhalb 24 Stunden waren nicht weniger als 1000 Vakuumluftschiffe längs der chinesischen Grenze zum Ersatz und zur Verstärkung der schon vorhandenen Vakuumluftflotte zusammengezogen. Innerhalb drei Tagen waren insgesamt 12000 Vakuumluftschiffe auf dem Kriegsschauplatz.

Der größte Unterschied, abgesehen von der Motorluftschiffahrt selbst, zwischen der heutigen Kriegführung und der Kriegführung im Jahre 2009 ist vielleicht darin zu finden, daß der Krieg nicht an den Grenzen des feindlichen Landes beginnt, sondern sofort tief in das Innere hineingetragen wird.

Sobald die Gesandtschaften Peking verlassen haben würden, sollte das Bombardement Pekings und insbesondere der militärischen Gebäude sowie des Kaiserpalastes beginnen. Von Hongkong, Anam und Wladiwostok waren sofort nach der Kriegserklärung insgesamt 20 Aluminiumluftschiffe nach dem Gesandtschaftsviertel in Peking beordert, um das ordnungsmäßige Aufsteigen der Gesandtschaften in ihren Aluminiumluftschiffen sicher zu stellen und diese Luftfahrzeuge gegen die Angriffe der chinesischen Luftflotte zu beschützen.

Die Luftmacht des chinesischen Reiches bestand aus etwa 300 Aluminiumluftschiffen und 600 Ballonetluftschiffen. Die chinesische Regierung besaß im Jahre 2009 noch nicht ein einziges Vakuumluftschiff. Der geringe Umfang der chinesischen Luftflotte hatte seinen Grund in der Ausdehnung der europäischen Verkehrsluftlinien über das ganze chinesische Reich. Gerade um zu einer großen, selbständigen Luftmacht für den Kriegsfall zu gelangen, wollten China und Japan das unbequeme Joch der europäischen Verkehrsluftlinien von sich abschütteln.

Ganz ausgezeichnet war aber die japanische Luftflotte. Sie hatte einen großen Rückhalt an den japanischen Luftlinien, die von Tokio bis Wladiwostok, Peking und selbst bis Schanghai reichten. Japaner pflegten nach Rußland wie China aus Patriotismus regelmäßig nur auf japanischen Luftschiffen zu fahren. Den inneren Verkehr Japans haben von Anfang an nur japanische Luftlinien versorgt. Natürlich war die japanische Luftmacht noch nicht ein Viertel so groß wie die englische und noch nicht einmal ein Zehntel so groß wie die deutsche. Auch qualitativ stand sie nicht unerheblich hinter der deutschen zurück. Ein welterfahrenes, mit den Eigentümlichkeiten aller Länder vertrautes Luftschifferkorps kann eine Kriegsmacht nur auf Grund internationaler Verkehrsluftlinien heranbilden.

Die japanische Luftmacht war wenig größer als die chinesische, aber qualitativ besser. Zusammen bildeten die Luftflotten Chinas und Japans eine recht ansehnliche Macht, die einer einzelnen weit vorgeschobenen Luftflotte der vereinigten europäischen Kriegsmächte leicht gefährlich werden konnte.

Es ist für unsere Zeitgenossen wirklich nicht leicht, sich eine Schlacht im Jahre 2009 auszumalen. Das Wesen einer jeden Schlacht zu Lande wie zu Wasser besteht in dem Luftangriff. Nur wer das Zeppelinsche Aluminiumluftschiff in der Nacht vom 4. auf den 5. August 1908 oder den Parsevalschen Motorballon am 23. Oktober 1908 in einer Höhe von 1500 Metern jenseits der Wolken hervorschießen und sich hinter den Wolken wieder verbergen sah, wird einen Begriff von dem Wesen des künftigen Schlachtgetümmels haben.

Ein Sieg rein auf dem Lande oder rein auf dem Wasser in Abwesenheit der Luftflotten ist ohne jeden strategischen Wert. Nur durch eine seltene Verkettung von Zufällen könnte sich ein reiner Landsieg ohne Luftsieg denken lassen. Was würde es einer Armee von sechs Armeekorps nützen, wenn sie in einer gewaltigen Feldschlacht eine andere vielleicht gleich starke Armee zurückgeschlagen hätte und nun plötzlich in das Feuer einer Luftmacht von 3000 Motorluftfahrzeugen käme? Es ist nichts leichter, als mit Truppen gefüllte Ortschaften oder Biwaks aus der Luft vollständig zu zerstören oder marschierende Kolonnen auf der Landstraße zu beschießen. Wenn eine Luftflotte auf der Landstraße marschierende Truppen überraschen will, so fahren die Luftschiffe zu Vieren nebeneinander und vielleicht in hundert Reihen oder Gliedern hintereinander. Wenn ein auf der Landstraße marschierendes Infanterieregiment plötzlich bei bewölktem Himmel von einer Luftflotte von 400 Luftschiffen, die sich hintereinander über das marschierende Regiment begeben, beschossen wird, so ist das Regiment vernichtet. Innerhalb einer Stunde kann aber dieselbe Luftflotte eine Reihe von Regimentern vernichten, solange eben der Vorrat an Dynamittorpedos reicht.

Ein einziges Vakuumluftschiff normaler Größe trägt neben der Besatzung von etwa 500 Mann auf kürzere Entfernungen 950 schwere Dynamittorpedos à 75 kg oder 4750 leichte Dynamittorpedos à 15 kg. Welches Bataillon könnte wohl einen Hagel von 4750 Dynamittorpedos aushalten? Wenn nun aber 20 solcher Vakuumluftschiffe hintereinander fahren, so können sie aus der sicheren Höhe von 1500 Metern die marschierende Infanterie einfach wegrasieren. Breite Streuapparate, die sechsmal so breit sind als eine Landstraße, lassen gleichzeitig die Dynamittorpedos fallen, so daß ein Zielen nicht nötig und ein Nichttreffen ausgeschlossen ist. Der Transport ganzer Armeekorps und Armeen auf den Hauptstraßen eines Landes ist in der Nähe feindlicher Luftschiffe überhaupt nicht mehr möglich.

Wenn die Fachleute der Aeronautik und die Generalstäbe im Jahre 1908 noch nicht zu dieser Erkenntnis gekommen waren, so liegt dies lediglich, daran, daß sie immer nur an ein Exemplar oder höchstens drei Exemplare des Zeppelinschen Aluminiumluftschiffes denken. Mit der Möglichkeit, daß man 1000 oder gar 10000 Motorluftschiffe verschiedener Art herstellen könne, haben sie überhaupt nicht gerechnet. Die deutsche Nation allein hatte im Jahre 1909 ein Nationalvermögen von etwa 225 Milliarden Mark und im Jahre 2009 ein Nationalvermögen von 450 Milliarden Mark, welches zum großen Teil in Afrika und Vorderasien angelegt wird. Nach einer genauen Aufstellung aus dem Jahre 2009 sind etwa 10 Milliarden Mark des deutschen Nationalvermögens in Motorluftfahrzeugen und Luftschiffhäfen angelegt. Unter diesen Umständen ist die ausschlaggebende Rolle der Luftflotten im Kriege nicht zu verwundern.

In dem Weltkriege des Jahres 2009 haben die Kriegsflotten der europäischen Mächte nur insoweit eine Rolle gespielt, als sie bereits im Beginn des Krieges in den ostasiatischen Gewässern zusammengezogen waren. Ihre Hauptrolle haben sie aber nicht als Seeschiffe gespielt, sondern gewissermaßen als Flösse oder Stationen zum Absenden von Motorluftfahrzeugen gegen das feindliche Land.

Gleich bei Beginn des Krieges in den ersten 24 Stunden ließen die Spezialschiffe für Motorballons und Drachenflieger der vereinigten europäischen Luftflotten 100 Drachenflieger und 50 Motorballons in der Nähe von Tonking aufsteigen. Diese vom Meere kommende Luftflotte vereinigte sich über Peking mit den ersten von der Landseite eingetroffenen Luftflotten und griff die chinesische Luftflotte direkt über der Hauptstadt an. Wenn die europäischen Luftschiffe nicht wiederholt während des ersten Tages nach der Kriegserklärung zur neuen Aufnahme von Munition nach den vor Taku liegenden Spezialschiffen zurückkehren konnten, so würden sie sich total verausgabt haben. Der stete Ersatz der Munition an Dynamittorpedos, sowie des Benzins ermöglichte aber die Niederkämpfung des bei Peking zusammengezogenen Hauptteils der chinesischen Luftmacht an einem Tage.

Die lange Dauer des Krieges von vier vollen Monaten beruht nur in dem Widerstande der japanischen Luftmacht und in der Größe des chinesischen Reiches, wo fast jede einzelne Stadt bis zur Zahlung von staatlichen Kontributionen und Bestrafung der schuldigen Beamten bombardiert wurde.

Erst im Jahre 2009 ist die gelbe Rasse zu der Erkenntnis gekommen, daß infolge der aeronautischen Ueberlegenheit der weißen Rasse jeder Widerstand künftig vergeblich sei. Die Marine, die Infanterie und Artillerie verloren seitdem mehr und mehr ihre Bedeutung für den Krieg, nachdem die Kavallerie schon um das Jahr 1950 fast ganz verschwunden war. Im Jahre 2009 genügte es, ein guter Aeronaut zu sein, um als ein tüchtiger Soldat mit Erfolg kämpfen zu können. Die Kinder in Deutschland wie in China verwechselten bereits vollständig den Begriff des Soldaten mit dem des Luftschiffers. Meist begriffen sie nicht, daß nicht jeder Soldat ein Luftschiffer sei. Und in der Tat, die Zahl der reinen Infanteristen und Artilleristen war schon enorm zusammengeschrumpft. Die Menge der Infanteristen und Artilleristen ging auf Drachenfliegern in das Gefecht. Das Rückgrat der ganzen Kriegsmacht Deutschlands aber bildete die Mannschaft der Vakuumluftschiffe.

Share on Twitter Share on Facebook