3. Dezember

Ich richte mich ein, so gut es geht, am Abhang des Berges, während oben schon um den Gipfel gekämpft wird. An einer Hauptstraße, nahe der Front, liegt eine preußische Sanitätskompagnie; die fängt fast alle Verwundeten ein und leitet sie weiter. So hab ich ziemlich freie Zeit, bleibe viel für mich, schreibe Briefe und lese zuweilen in Glavinas Blättern. Die Schrift ist undeutlich, zum Teil durch Nässe verwischt; so viel hab ich aber herausgebracht, daß es sich zwar nur um einzelne Sätze handelt, daß aber sichtlich ein Ganzes, vielleicht ein Gedicht, geplant war. Wären es bloß feine, kluge, wohlgesetzte Worte, so wollte ich mir nicht viel Mühe geben; aber oft klingt es wie Rufe eines Wahnsinnigen und umschwebt wie Bienen das Herz, man möchte sich davon entfernen und muß doch immer wieder hinhorchen.

Durch die Fenster des Verbandplatzes überblickt man das ausgeweitete, reif- und schneeglänzende Tal, über das die Siedelungen verstreut sind wie Raupen über ein Kohlblatt. Auch das blaue Haus, in dem die Leinwandschätze ruhen, ist sichtbar. Es hat sich gefügt, daß unsere Telephonisten dort einquartiert wurden, gute, besinnliche Leute, die noch den Hausgeist ehren. Abends gehe ich hinunter, frage nach der eingelaufenen Post, überzeuge mich, daß alles unverändert ist, und kehre zur Höhe zurück. Wie gut weiß ich, daß es im gemeinen Sinne gar nichts bedeutet, ob unter tausend geschädigten Wohnungen eine einzelne unversehrt bleibt! Aber solcher halberträumter Schutzstätten bedarf der Geist; sie sind ihm Horst und Beute zugleich, darum bewacht er sie. Weiß er denn selbst, für wen er wacht? Vielleicht für einen, der schon in der Wiege liegt, einen, der alle schrecklichen Schreie der Wut und der Schmerzen umstimmen wird in Lieder und Hymnen ... Es ist ein kalter Tag. Die Sonne glänzt weiß und klein über uns, die Luft ist blinkend von schwebenden Kristallen, an den Bäumen haftet Reif wie Stahlsplitter an Magneten.

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