Als ich so reichlich vier Stunden im Restaurant gesessen hatte, stürzte ich wie in einem plötzlichen Anfall hinaus, natürlich zu Werssiloff und fand ihn, versteht sich, nicht zu Haus – er war überhaupt nicht dagewesen; die Wärterin langweilte sich und bat mich auf einmal, ich solle ihr Darja Onissimowna schicken; oh, das fehlte noch! Ich lief zu Mamas Wohnung, ging aber nicht hinein, sondern rief Lukerja auf den Flur hinaus; von ihr erfuhr ich, daß er nicht bei ihr gewesen, und daß auch Lisa nicht zu Hause war. Ich bemerkte, daß Lukerja mich irgend etwas fragen wollte, mir vielleicht sogar einen Auftrag geben wollte – auch das noch! Es blieb noch die letzte Hoffnung, daß er vielleicht bei mir war; aber ich glaubte schon nicht mehr daran.
Ich habe schon gesagt, daß ich nachgerade meine gesunde Vernunft zu verlieren glaubte! Und da treffe ich plötzlich in meinem Zimmer Alphonsina mit meinem Wirt. Sie verließen es in eben dem Augenblick – Pjotr Ippolitowitsch mit dem Licht in der Hand.
„Was bedeutet denn das!“ brüllte ich ganz sinnlos den Wirt an. „Wie dürfen Sie diese Gaunerin in mein Zimmer führen?“
„Tiens!“ rief Alphonsina – „et les amis?“[108]
„Hinaus!“ brüllte ich.
„Mais c’est un ours!“[109] rief sie und spielte die Erschrockene, entschlüpfte auf den Korridor und war bald im Zimmer der Wirtin verschwunden. Pjotr Ippolitowitsch, immer noch mit dem Licht in der Hand, trat mit strenger Miene auf mich zu:
„Erlauben Sie mir die Bemerkung, Arkadi Makarowitsch, daß Sie sich unnötigerweise so aufregen; wie sehr wir Sie auch hochschätzen ... so ist doch Mamsell Alphonsina keine Gaunerin, sondern das Gegenteil, sie ist hier zu Gast, und zwar nicht bei Ihnen, sondern bei meiner Frau, mit der sie schon seit einiger Zeit Freundschaft geschlossen hat.“
„Aber wie wagten Sie es denn, sie in mein Zimmer zu lassen?“ rief ich noch einmal und faßte mich an den Kopf, der plötzlich zu schmerzen anfing.
„Oh ganz zufällig. Ich ging hinein, um das Fenster zu schließen, das ich der frischen Luft wegen geöffnet hatte; und da ich gerade mit Alphonsina Karlowna in einem Gespräch begriffen war, so folgte sie mir und trat mitten im Gespräch mit mir zusammen ins Zimmer ein.“
„Das ist nicht wahr, Alphonsinka ist eine Spionin und Lambert ein Spion! Vielleicht sind Sie selbst – auch ein Spion! Alphonsinka hat bei mir etwas stehlen wollen.“
„Darüber mögen Sie denken, wie Sie wollen. Heute sagen Sie dies, morgen sagen Sie das. Meine Wohnung habe ich für eine Zeitlang vermietet und ziehe selbst mit meiner Frau für die Zeit in die Kammer, und so ist Alphonsina Karlowna hier ganz eben so eine Mieterin wie Sie auch.“
„Sie haben die Wohnung an Lambert vermietet?“ rief ich erschrocken.
„Nein, nicht an Lambert,“ lächelte er mit dem langgezogenen Lächeln von heute morgen, in dem mir der Zweifel von vorhin nicht zu liegen schien; vielmehr sprach sich jetzt eine Sicherheit in ihm aus. „Ich denke, Sie werden das selbst zu wissen geruhen, an wen ich sie vermietet habe, und Sie geben sich ganz vergeblich den Anschein, als ob Sie es nicht wüßten, und tun so, als ob Sie wütend wären. Gute Nacht!“
„Ja, ja, lassen Sie mich, lassen Sie mich in Ruh!“ winkte ich mit beiden Händen ab, und fast in Tränen, so daß er mich plötzlich verwundert ansah; er ging aber doch hinaus. Ich schob den Riegel vor die Tür, warf mich auf mein Bett und preßte das Gesicht in die Kissen. So verging der erste schreckliche Tag, von diesen drei letzten verhängnisvollen Tagen, mit deren Ereignissen meine Aufzeichnungen schließen.