I.

Ich bitte nochmals, nicht zu vergessen, daß mir der Kopf schon ein wenig benommen war: wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte ich wohl anders gesprochen und gehandelt. In einem Hinterzimmer dieser Miljutinschen Handlung konnte man Austern essen, und wir setzten uns also dort an ein Tischchen, das mit einem billigen, unsauberen Tischtuch bedeckt war. Lambert bestellte Champagner; das Glas mit dem kalten goldfarbenen Weine stand plötzlich vor mir und blinkte mich verführerisch an; ich aber ärgerte mich.

„Sieh, Lambert, hauptsächlich ärgere ich mich, weil du dir einbildest, mir auch jetzt noch so befehlen zu können, wie bei Touchard, während du doch hier der Diener aller bist.“

„Dummkopf! Na, stoßen wir an!“

„Du hältst es nicht einmal für der Mühe wert, dich vor mir zu verstellen; wenn du es doch wenigstens verbergen würdest, daß du mich betrunken machen willst!“

„Red’ keinen Unsinn, du bist ja schon betrunken. Wenn du jetzt noch etwas trinkst, wirst du nur lustiger werden. Nimm dein Glas, so nimm’s doch!“

„Was heißt das: ‚so nimm’s doch‘? Ich gehe einfach fort und damit Schluß!“

Und damit stand ich auf. Er wurde schrecklich wütend.

„Dir hat Trischatoff von mir was ins Ohr gesetzt! Ich hab’ doch gesehen, wie ihr dort zusammen getuschelt habt. Du bist ein Dummkopf. Alphonsina ekelt sich, wenn er ihr nur in die Nähe kommt ... Er ist gemein. Ich werde dir noch erzählen, was er für einer ist ...“

„Das hast du mir schon gesagt. Bei dir ist jedes dritte Wort Alphonsina; du bist entsetzlich beschränkt.“

„Beschränkt?“ Er verstand mich nicht. „Sie sind jetzt zum Pockennarbigen übergegangen. Das ist es! Darum habe ich sie davongejagt. Sie sind ehrlose Buben. Dieser Pockennarbige ist ein Erzschuft und wird sie noch ganz anders verderben! Ich aber habe von ihnen immer verlangt, daß sie sich anständig aufführen.“

Ich setzte mich wieder, griff ganz mechanisch nach dem Glas und trank einen Schluck.

„Ich stehe an Bildung hoch über dir,“ sagte ich.

Er aber war selig, daß ich mich wieder gesetzt hatte, und füllte sogleich mein Glas bis zum Rande nach.

„Du scheinst sie ja sehr zu fürchten?“ fuhr ich fort, ihn zu kränken (und sicherlich war ich in diesem Augenblick viel widerlicher als er). „Andrejeff schlug dir den Hut vom Kopf, und dafür hast du ihm fünfundzwanzig Rubel gegeben.“

„Das hab’ ich, aber er wird mir schon dafür büßen. Sie verschwören sich jetzt gegen mich, aber ich werde schon mit ihnen fertig werden ...“

„Der Pockennarbige scheint dich ja sehr zu beunruhigen. Und weißt du, ich glaube, ich bin jetzt der einzige, der dir noch verblieben ist. Alle deine Hoffnungen hast du jetzt auf mich gesetzt, – ist’s nicht so?“

„Ja, Arkadi, das ist so: Du bist jetzt der einzige Freund, der mir noch geblieben ist; das hast du gut gesagt!“ Er klopfte mir auf die Schulter.

Was sollte man mit einem so beschränkten Menschen anfangen? Er war ja geistig vollkommen unentwickelt und faßte meinen Spott als Schmeichelei auf.

„Du könntest mir aus einer schlimmen Lage helfen, wenn du ein guter Freund sein willst, Arkadi,“ fuhr er fort und sah mich liebevoll an.

„Wobei könnte ich dir denn helfen?“

„Du weißt doch selbst, wobei. Ohne mich würdest du die Sache wie ein Narr anfassen und alles nur verpfuschen, ich aber würde dir dreißigtausend Rubel geben; wir würden den Gewinn einfach teilen, und du weißt doch schon selbst wie und was! Na, und überhaupt: was bist du jetzt? Du hast doch nichts – keinen Namen, keine Familie; hier aber bietet sich dir mit einem Schlage ein ganzes Vermögen; und hast du erst einmal Geld, so kannst du noch wer weiß was für eine Karriere machen!“

Ich staunte nur so über die Art seines Vorgehens. Ich hatte zum mindesten erwartet, daß er mich zu überlisten suchen werde, und nun begann er mit mir so ohne alle Vorsichtsmaßregeln, als ob ich ein dummer Junge gewesen wäre! Ich beschloß, ihn anzuhören; ich tat es einerseits aus Vorurteilslosigkeit und andererseits ... aus schrecklicher Neugier.

„Sieh, Lambert: du wirst das zwar nicht verstehen, aber ich bin bereit, dich anzuhören, weil ich vorurteilslos bin,“ erklärte ich mit plötzlicher Entschlossenheit und trank wieder einen Schluck.

Lambert goß sofort wieder nach.

„Hör’ mich an, Arkadi: wenn so ein Bjoring gewagt hätte, mich in Gegenwart einer Dame, die ich vergöttere, zu schlagen und zu beschimpfen, – ich weiß nicht, was ich mit ihm getan hätte! Du aber hast den Schimpf eingesteckt, und ich kann dich einfach nur verachten: Du bist ja doch nur ein Waschlappen!“

„Wie wagst du, zu behaupten, Bjoring hätte mich geschlagen!“ schrie ich und wurde rot. „Eher habe ich ihn geschlagen, als er mich!“

„Nein, er hat dich geschlagen, nicht du ihn.“

„Du lügst; ich bin ihm dabei noch auf den Fuß getreten!“

„Er aber hat dich mit dem Arm zurückgestoßen und den Dienern befohlen, dich rauszuschmeißen ... und sie hat im Wagen gesessen und dich ausgelacht; sie wußte, daß du keinen Vater hast, und daß man dich ungestraft beleidigen kann.“

„Ich weiß nicht, Lambert ... wir führen eine Unterhaltung wie zwei dumme Jungen, daß ich mich rein schäme. Du willst mich aufhetzen und tust es so plump und offensichtlich, als hättest du einen Sechzehnjährigen vor dir. Du hast dich mit Anna Andrejewna verabredet!“ schrie ich wutbebend und trank dabei ganz mechanisch wieder einen Schluck.

„Anna Andrejewna ist eine schlaue Intrigantin! Sie wird noch dich und mich und die ganze Welt betrügen! Ich habe nur auf dich gewartet, denn du wirst bei der anderen mehr erreichen als bei dieser.“

„Bei welcher anderen?“

„Na, bei Madame Achmakoff. Ich weiß alles. Du hast mir selbst gesagt, daß sie den Brief, der in deinen Händen ist, fürchtet ...“

„Was für einen Brief ... du lügst ... hast du sie gesehen?“ stammelte ich verwirrt.

„Ich habe sie gesehen. Sie ist sehr schön. Très belle;[102] du hast einen guten Geschmack.“

„Ich weiß, daß du sie gesehen hast; aber mit ihr zu sprechen hast du doch nicht gewagt, und ich will auch nicht, daß du von ihr zu sprechen wagst!“

„Du bist noch ein Jüngling, und sie macht sich über dich lustig – das ist das Ganze! Wir haben in Moskau einen ähnlichen Fall mit einer solchen tugendhaften Dame gehabt: ach, wie stolz die war, und wie hoch sie die Nase trug! Und wie erzitterte sie, als man ihr sagte, wir würden alles erzählen, und wie gehorsam war sie dann – und wir nahmen natürlich das eine wie das andere: Geld und noch – du kannst dir schon denken was. Jetzt ist sie in der Gesellschaft wieder die unnahbare große Dame – Teufel noch eins, wie hoch oben sie wieder ist, und in was für einer Equipage sie wieder fährt, und dabei – wenn du nur gesehen hättest, in was für einer Spelunke das geschah! Du kennst das Leben noch nicht, wenn du wüßtest, vor was für Spelunken diese Damen nicht zurückscheuen ...“

„Das hab’ ich mir gedacht,“ murmelte ich unwillkürlich.

„Verdorben sind sie bis in die Fingerspitzen! Du ahnst es nicht, wozu sie fähig sind! Alphonsina ist einmal in solch einem reichen Hause gewesen, – geekelt hat sie sich einfach davor!“

„Das habe ich mir gedacht,“ entfuhr es mir wieder.

„Du aber läßt dich schlagen und hast dann noch Mitleid mit ihr ...“

„Lambert, du bist ein Schurke, du verfluchter Lump!“ schrie ich, da mir plötzlich alles klar wurde, und ich zitterte vor Wut. „Ich hab’ das alles schon im Traum gesehen, du standest mit Anna Andrejewna ... Oh, du verfluchter Lump! Hast du wirklich geglaubt, daß ich so ein Schurke sein könnte? Mir hat davon bereits geträumt, weil ich wußte, daß du mir Ähnliches sagen würdest! Und schließlich, das kann doch nicht alles so einfach sein, daß du mir so geradeaus und ohne Bedenken davon reden kannst!“

„Sieh mal, wie du aufbraust! Te-te-te!“ spottete Lambert und lachte triumphierend. „Nun, Freund Arkaschka, jetzt weiß ich glücklich alles, was ich wissen wollte. Darum hab’ ich auf dich gewartet. Höre mal: du hast dich also in sie verliebt und möchtest dich an Bjoring rächen – sieh, das war es, was ich wissen mußte. Ich hab’ mir das auch schon gedacht, die ganze Zeit, während ich auf dich wartete. Ceci posé, cela change la question.[103] Um so besser, da sie doch selbst in dich verliebt ist. Darum heirate sie, ohne zu zögern, das wird das Beste sein, was du tun kannst. Und was anderes kannst du auch gar nicht tun, du hast das Richtigste getroffen. Und dann vergiß eines nicht, Arkadi: daß du einen Freund hast, auf dem du meinetwegen reiten kannst – und dieser Freund bin ich. Dieser Freund wird dir helfen und dich mit ihr verheiraten: und sollte er auch alles aus der Hölle für dich herausholen müssen, Arkascha! Du aber gibst deinem alten Freunde dann dreißig Tausender für die Mühe, was? Ich werde dir mächtig helfen, da sei du unbesorgt. In solchen Geschäften kenne ich mich aus: du bekommst ihre ganze Mitgift ausgezahlt, bist dann ein reicher Mann und hast eine glänzende Zukunft vor dir!“

In meinem Kopf ging zwar schon alles durcheinander, aber ich sah Lambert doch noch mit Verwunderung an. Er sprach im Ernst, das heißt, nicht, daß man ihn ernst nehmen konnte, aber jedenfalls schien er doch im Ernst an die Möglichkeit zu glauben, mich mit ihr verheiraten zu können, und offenbar nahm er die Idee mit Begeisterung auf. Selbstverständlich merkte ich sofort, daß er mich fangen wollte, und das noch dazu in einer so plumpen Art, als hätte er es mit einem dummen Jungen zu tun gehabt; sicher habe ich das schon damals bemerkt; aber der Gedanke an eine Ehe mit ihr überwältigte mich dermaßen und nahm mich so schnell gefangen, daß ich – obgleich ich mich über Lambert wunderte, weil er von einem so phantastischen Einfall ernsthaft reden konnte – daß ich doch gleichzeitig selber ganz hingerissen an die Möglichkeit glaubte, ohne aber dabei auch nur für einen Augenblick das Bewußtsein zu verlieren, daß diese sich nie und nimmer verwirklichen konnte. Ich begreife selbst nicht, wie sich das alles in mir miteinander vertrug.

„Ja, aber ist denn das möglich?“ stammelte ich.

„Warum denn nicht? Du zeigst ihr das Dokument – da wird sie Angst bekommen und dich heiraten, um nicht ihr ganzes Erbe zu verlieren.“

Ich beschloß, Lambert in seinen gemeinen Vorschlägen nicht zu unterbrechen, zumal er sie mir mit einer Harmlosigkeit vorlegte, die nicht einmal zu ahnen schien, daß ich mich plötzlich dagegen empören könnte; indessen murmelte ich doch so etwas davon, daß ich sie nicht zwingen wolle:

„Aber ich will sie doch um nichts in der Welt mit Gewalt dazu bewegen, mich zu heiraten, wie kannst du so gemein sein, mir überhaupt solche Vorschläge zu machen?“

„Ei, was! sie heiratet dich ja ganz von selbst: du brauchst sie zu nichts zu zwingen, denn sie wird so erschrocken sein, daß sie von selbst alles tun wird. Und sie wird allein schon darum wollen, weil doch auch sie in dich verliebt ist,“ schloß Lambert, und sprach plötzlich die Hauptsache aus.

„Du lügst! Du willst dich über mich lustig machen! Woher kannst du wissen, ob sie in mich verliebt ist?“

„Unbedingt ist sie das! Ich weiß es. Auch Anna Andrejewna ist der Meinung. Ich sage dir das im Ernst und es ist wahr, daß Anna Andrejewna daran glaubt. Und dann werde ich dir noch etwas erzählen, wenn du zu mir kommst, eine Sache, aus der du ersehen kannst, daß sie in dich verliebt ist. Alphonsina ist in Zarskoje gewesen; sie hat da auch erfahren ...“

„Was kann sie denn da erfahren haben?“

„Komm, gehen wir zu mir! Sie wird dir alles selbst erzählen, und du wirst es gern hören. Bist du denn schlechter als irgendein anderer? Du bist hübsch, wohlerzogen ...“

„Ja, ich bin wohlerzogen,“ flüsterte ich atemlos. Mein Herz klopfte mächtig, und natürlich nicht nur vom Wein.

„Du bist ein hübscher Kerl, du bist immer gut gekleidet.“

„Ja, ich bin gut gekleidet.“

„Und du bist ein guter Kerl ...“

„Ja, ich bin ein guter Kerl.“

„Warum sollte sie da nicht ja sagen? Bjoring wird sie ohne Geld selbstverständlich nicht nehmen, du aber kannst sie durch ihren Vater an den Bettelstab bringen. Das wird sie nicht wenig erschrecken. Und wenn du sie heiratest, rächst du dich dadurch an Bjoring. Du hast mir doch selbst in jener Nacht gesagt, als ich dich halb erfroren zu mir brachte, daß sie in dich verliebt ist.“

„Hab’ ich dir das wirklich gesagt? Nein, so kann ich mich nicht ausgedrückt haben.“

„Doch, gerade so!“

„Vielleicht im Fieber. Dann habe ich dir wohl auch von einem Dokument etwas gesagt?“

„Ja, du sagtest, daß du einen Brief besitzest, und ich dachte noch: wie kann er, wenn er einen solchen Brief in der Hand hat, seinen Vorteil so aus dem Auge lassen?“

„Aber das ist ja alles nur Phantasie, und ich bin doch nicht so dumm, so etwas ernst zu nehmen,“ murmelte ich. „Erstens ist da der Altersunterschied, und zweitens bin ich doch ohne Herkunft.“

„Na, sie wird dich schon nehmen; sie kann ja gar nicht anders, wo es sich doch um so viel Geld handelt – das werde ich ihr schon klarmachen. Und außerdem liebt sie dich doch. Du weißt ja selbst am besten, wie sehr der alte Fürst dir zugetan ist; durch seine Protektion kannst du noch wer weiß was für Verbindungen anknüpfen; und was das betrifft, daß du keine Vorfahren hast, so ist doch heutigestags so was überhaupt nicht mehr nötig; wenn du nur erst Geld hast – dann geht’s schon von selbst höher und höher hinauf, und in zehn Jahren bist du ein Millionär, von dem ganz Rußland redet, was brauchst du dann noch einen Namen? In Österreich kannst du dir den Baron kaufen. Und wenn du sie heiratest, so nimm sie gleich fest in die Hand. Du mußt sie stramm halten. Wenn die Frau einen Mann liebt, so hat sie es gern, wenn er sie fest in der Faust hält. Die Frau liebt im Mann den Charakter. Mit dem Brief wirst du sie so erschrecken, daß sie sofort deinen Charakter zu fühlen bekommt. Und unwillkürlich wird sie sich dann sagen: ‚Er ist zwar noch jung, aber er hat doch Charakter!‘“

Ich saß da wie betäubt. Mit keinem anderen Menschen hätte ich mich zu einem so dummen Gespräch erniedrigt. Hier aber trieb mich ein geradezu wollüstiger Drang ... Zudem war Lambert so dumm und gemein, daß man sich vor ihm eigentlich gar nicht schämen konnte.

„Nein, weißt du, Lambert,“ bemerkte ich plötzlich, „du kannst sagen, was du willst, aber das meiste davon ist doch Unsinn; ich habe mit dir überhaupt nur deshalb davon gesprochen, weil wir alte Kameraden sind und uns voreinander nicht zu schämen brauchen; einem anderen gegenüber hätte ich mich niemals so weit vergessen. Und, vor allem, woher kannst du wissen, ob sie mich liebt? Das mit dem Kapital hast du dir sehr schlau ausgedacht, aber, sieh, Lambert, du kennst diese vornehmen Kreise nicht: bei ihnen geschieht das alles auf Grund der Überlieferung, sozusagen auf ererbten Fundamenten, und da würde sie eben, solange sie meine Fähigkeiten noch nicht kennt und nicht weiß, was ich in meinem Leben zu erreichen hoffe, doch nicht wollen. Aber ich will dir durchaus nicht verhehlen, Lambert, daß es da wirklich einen Punkt gibt, der einem Hoffnung machen könnte. Siehst du, vielleicht würde sie mich auch aus Dankbarkeit heiraten, weil ich sie dann von dem Haß eines gewissen Menschen befreien würde; denn sie fürchtet diesen Menschen sehr.“

„Ach, du meinst deinen Vater? Wie, liebt er sie denn wirklich so leidenschaftlich?“ fuhr Lambert plötzlich lebhaft und mit außergewöhnlicher Neugier auf.

„O nein!“ rief ich. „Wie schrecklich du doch bist, Lambert, und zu gleicher Zeit wie dumm! Wie könnte ich sie denn heiraten wollen, wenn ich wüßte, daß er sie liebt! Wir sind doch immerhin Vater und Sohn – da wär’s ja eine Schande! Er liebt Mama, nur Mama liebt er, ich habe gesehen, wie er sie umarmt hat. Ich hab’ ja selbst schon einmal geglaubt, daß er Katerina Nikolajewna liebte, aber jetzt weiß ich’s ganz genau, daß er sie vielleicht früher mal geliebt hat, sie jetzt aber schon seit langem haßt ... und sich an ihr nur noch rächen will; sie aber fürchtet sich vor ihm. Ich kann dir nur sagen, Lambert: wenn er sich rächen will, kann er unheimlich werden! Er ist dann wie wahnsinnig. Wenn er über sie in Zorn gerät, so ist ihm jedes Mittel recht. Das ist noch eine Feindschaft von der alten Art: um erhabener Prinzipien willen. Heutzutage pfeift man auf allgemeine Prinzipien; heutzutage gibt es keine allgemeinen Prinzipien mehr, sondern nur Einzelfälle. Aber davon verstehst du ja wieder nichts: du bist, weiß Gott, dumm wie ein Stiebel; ich erzähle dir hier von Prinzipien, und du hast wahrscheinlich überhaupt keine Vorstellung davon, was ein Prinzip ist. Du bist wirklich furchtbar ungebildet. Weißt du noch, wie du mich gehauen hast. Heute bin ich stärker als du – weißt du das auch?“

„Arkaschka, gehen wir zu mir nach Haus! Wir verbringen zusammen den Abend, trinken noch eine Flasche, und Alphonsina singt uns zur Gitarre vor.“

„Nein, ich will nicht. Höre, Lambert, ich habe außerdem meine ‚Idee‘. Wenn aus all dem anderen nichts wird und ich nicht heirate, so werde ich nur noch für meine Idee leben; du aber hast keine Idee.“

„Schon gut, schon gut, das erzählst du mir zu Haus, komm, laß uns gehen.“

„Nein, ich gehe nicht mit. Ich will nicht, ich tu’s nicht. Ich werde schon zu dir kommen, aber du bist und bleibst doch ein Schuft. Ich gebe dir die Dreißigtausend – meinetwegen; aber ich bin reiner und stehe höher als du ... Ich sehe doch, daß du mich nur betrügen willst. Und von ihr zu sprechen oder an sie auch nur zu denken verbiete ich dir jetzt: sie steht höher als alles in der Welt, und deine Pläne sind von einer solchen Niedrigkeit, daß man über dich nur staunen kann, Lambert. Ich möchte heiraten, gewiß – aber das ist eine Sache für sich; dazu brauche ich kein Geld, ich verachte dieses Geld. Ich würde ihr Geld auch dann nicht annehmen, wenn sie es mir selbst auf den Knien anböte ... Aber heiraten, heiraten – das ist etwas ganz anderes. Und weißt du, das hast du ganz gut gesagt, das von dem in der Faust halten. Lieben muß man, leidenschaftlich lieben, mit der ganzen Großmut, die im Manne liegt, und deren eine Frau überhaupt nicht fähig ist, und gleichzeitig muß man ein Despot sein – das ist richtig. Denn, weißt du, Lambert, die Frauen lieben den Despotismus. Du, Lambert, kennst die Frauen. Aber in allen übrigen Dingen bist du doch unglaublich dumm! Und weißt du, Lambert, du bist ja gar nicht so ein Schuft, wie es den Anschein hat, du bist nur fürchterlich einfältig. Deshalb habe ich dich auch trotz allem noch gern. Ach, Lambert, warum bist du so ein Lump? Was könnten wir sonst für ein Leben zusammen führen! Weißt du, Trischatoff ist ein lieber Kerl ...“

Diese letzten zusammenhangslosen Sätze stammelte ich, als wir schon auf der Straße waren. Oh, ich übergehe absichtlich nicht die geringste Kleinigkeit, damit der Leser sehe, wie leicht ich damals trotz aller Begeisterung, trotz aller Schwüre und Gelöbnisse – nach meiner Genesung und „Wiedergeburt“ die Vornehmheit und innere Schönheit zu suchen – fallen konnte, und noch dazu in solchen Schmutz! Und ich schwöre: wenn ich nicht vollkommen und ganz überzeugt wäre, daß ich jetzt schon ein ganz und gar anderer Mensch bin, ein Mensch, der sich im praktischen Leben wirklich einen Charakter erworben hat, so würde ich dem Leser um nichts in der Welt alles dies gestehen.

Wir traten aus dem Laden; Lambert hatte leicht den Arm um mich gelegt und stützte mich. Auf einmal sah ich ihn an und bemerkte denselben entschlossenen furchtbar aufmerksamen und im höchsten Grade nüchternen Ausdruck in seinem Blick – wie damals am Morgen, als er mich halb erstarrt gefunden und mich ebenso umschlungen haltend zur Droschke geführt und dabei mit genau derselben Aufmerksamkeit auf mein zusammenhangloses Gestammel gelauscht hatte. Bekanntlich kann bei Berauschten, die noch nicht vollkommen betrunken und abgefallen sind, plötzlich und auf Augenblicke gänzliche Ernüchterung eintreten.

„Um keinen Preis gehe ich jetzt zu dir!“ sagte ich entschlossen und wieder ganz bei Sinnen. Ich sah ihn höhnisch an und suchte ihn mit der Hand von mir wegzuschieben.

„Na, komm schon, Alphonsina wird uns Tee machen, komm!“

Er war natürlich überzeugt, daß ich mich von ihm nicht mehr losreißen könne, und hielt mich immer noch als sein sicheres Opfer mit Wonne umarmt: er hatte mich doch auch so nötig, gerade an diesem Abend, und dazu noch in einem solchen Zustande! Später wird es schon klar werden, weswegen!

„Ich will nicht!“ wiederholte ich. „He, hierher!“ rief ich einen vorüberfahrenden Droschkenkutscher an, der sofort anhielt, und ich sprang in den Schlitten.

„Was! wo willst du hin? Was fällt dir ein!“ brüllte Lambert erschrocken und klammerte sich an meinen Pelz.

„Wage es nicht, mir nachzufahren!“ schrie ich. „Daß du dich nicht unterstehst!“

In diesem Augenblick zog das Pferd an, und mein Pelz wurde Lambert aus der Hand gerissen.

„Na wart’, du wirst schon zu mir kommen!“ schrie er mir wütend nach.

„Wenn’s mir paßt – das hängt von meinem Willen ab!“ rief ich zurück, indem ich mich im Schlitten nach ihm umwandte.

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