IV.

Hier muß ich nun bekennen, weshalb mich Wassins Argument von der Idee, die zum Gefühl wird, so begeisterte, und gleichzeitig will ich etwas gestehen, dessen ich mich höllisch schämen muß.

Ja, ich hatte wirklich Angst gehabt, zu Dergatschoff zu gehen, wenn auch nicht aus dem Grunde, den Jefim annahm. Ich hatte Angst und hatte mich schon in Moskau vor ihnen gefürchtet. Ich wußte, daß sie (das heißt, ob es nun gerade diese oder andere waren, bleibt sich gleich, ich meine nur Leute von ihrer Art) – daß sie Dialektiker waren und mir womöglich meine „Idee“ in Trümmer schlagen konnten. Zwar glaubte ich fest an mich selbst, und daß ich ihnen meine Idee mit keiner Silbe verraten würde; aber schließlich könnten sie mir (das heißt wieder, sie oder ihresgleichen) irgend etwas sagen, was vielleicht ohne ihr Wissen einen solchen Eindruck auf mich machte, daß ich dann selbst und ohne fremden Beistand meine Illusionen über meine Idee zerstörte; und eine solche Ernüchterung war jederzeit möglich, auch wenn ich, getreu meinem Vorsatz, kein Wort über meine Idee verlauten ließ. In meiner „Idee“ gab es Fragen, auf die ich noch keine Antwort gefunden hatte, aber ich wollte nicht, daß ein anderer für mich das Beantworten übernahm. In den letzten zwei Jahren hatte ich sogar das Bücherlesen aufgegeben, weil ich fürchtete, auf eine Stelle zu stoßen, die nicht zugunsten meiner Idee sprach und mich vielleicht wankend machen konnte. Und da hatte nun Wassin mit einem Satz das ganze Problem gelöst und mich beruhigt, – ich meine, im höheren Sinne beruhigt. In der Tat, was hatte ich denn gefürchtet, und was konnten sie mir mit ihrer ganzen Dialektik schließlich anhaben? Ich war dort vielleicht der einzige unter ihnen allen, der überhaupt begriff, was Wassin mit dieser „Idee, die zum Gefühl wird“, oder sagen wir, mit dem „Ideegefühl“, gemeint hatte. Es genügt noch nicht, daß man die uns beherrschende Idee widerlegt, man muß einen Ersatz für sie bieten, muß sie gegen etwas ebenso Großes eintauschen können; anderenfalls widerlege ich in meinem Herzen, da ich um keinen Preis meine Gefühle hergeben will, alles, was sie dort an Widerlegungen vorbringen, selbst wenn ich dabei meine Logik vergewaltigen muß. Was aber konnten sie mir als Ersatz anbieten? Deshalb hätte ich mutiger sein können, ja, es wäre sogar meine erste Pflicht gewesen, männlicher zu sein. So fühlte ich mich, während mich Wassins Idee begeisterte, tief innerlich doch beschämt und kam mir vor wie ein unmündiges Kind.

Und dann hatte ich mich noch aus einem anderen Grunde zu schämen. Nicht der erbärmliche Wunsch, mich mit meinem Verstande hervorzutun, hatte mich zum Sprechen veranlaßt, sondern vielmehr das Verlangen, mich ihnen an den Hals zu werfen. Dieses Verlangen, mich anderen „an den Hals zu werfen“, damit sie mich für gut und klug und Gott weiß was noch alles hielten (kurz, irgend so eine Schweinerei), halte ich für das Schmählichste und Ekelhafteste, dessen ich mich zu schämen habe. Ich hatte es schon lange geahnt, oder richtiger, mich selbst dieses Verlangens verdächtigt, und ich wußte auch damals schon, daß der Keim desselben in jenem „Winkelleben“, das ich solange geführt habe – was ich übrigens gar nicht bereue – zu suchen war. Ich wußte, daß ich unter Menschen verschlossener sein mußte. Aber nach jedem mich beschämenden Ausfall meinerseits konnte ich mich immer noch damit trösten, daß meine „Idee“ mir doch als mein unangetastetes geheimstes Eigentum verblieb, daß ich sie nicht preisgegeben, nicht verraten hatte. Mit Bangen versuchte ich zuweilen, mir vorzustellen, wie das wäre, wenn ich einmal einem anderen Menschen meine Idee schon verraten hätte: dann würde ich plötzlich nichts Eigenes mehr haben, dann würde ich plötzlich ganz so sein wie alle anderen, würde mich durch nichts mehr von ihnen unterscheiden und würde vielleicht auch die ganze Idee alsdann aufgeben. Deshalb hütete ich sie wie mein Kleinod und wußte mich mit ihr nur in der Einsamkeit sicher, und deshalb – deshalb zitterte ich davor, daß ich zum Reden und Schwatzen gebracht werden könnte. Und da hatte ich nun bei Dergatschoff, also schon bei der ersten Versuchung, nicht standzuhalten vermocht! Verraten hatte ich meine Idee freilich nicht, aber geschwatzt hatte ich doch in geradezu schmählicher Weise. Und das Ergebnis davon war natürlich eine beschämende Schlappe. Scheußliche Erinnerung! Nein, ich darf nicht mit Menschen zusammen leben. Das ist auch heute noch meine Meinung, und die werde ich nicht ändern; ich sage das für vierzig Jahre im voraus. Meine Idee ist gleichbedeutend mit einem Leben im Winkel. Meine Idee ist eins mit – Einsamkeit.

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