III.

Ich bin – ein Gymnasiast, der sein Abiturium bestanden hat und jetzt einundzwanzig Jahre zählt. Ich trage den Namen Dolgoruki; denn mein gesetzmäßiger Vater ist Makar Iwanoff Dolgoruki, ein ehemaliger Hofbauer des Adelsgeschlechts der Werssiloff. So bin ich denn nach dem Gesetz ein legitimer Sohn, während ich in Wirklichkeit ein höchst illegitimer bin und meine uneheliche Herkunft nicht dem geringsten Zweifel unterliegt. Die Sache verhält sich so:

Vor zweiundzwanzig Jahren besuchte der Gutsbesitzer Werssiloff (mein natürlicher Vater) wieder einmal sein Stammgut im Gouvernement Tula. Ich vermute, daß er damals als fünfundzwanzigjähriger junger Mann noch etwas recht Unpersönliches war. Es ist gewiß nicht bedeutungslos, daß dieser Mensch, der auf mich schon in der Kindheit einen so mächtigen Eindruck gemacht und auf meine ganze innere Entwicklung einen so ungeheuren Einfluß gehabt hat – einen Einfluß, der vielleicht in meinem ganzen Leben weiterwirken wird – daß dieser Mensch mir auch heute noch in vielen Dingen ein vollständiges Rätsel ist. Doch davon später. Das läßt sich nicht gleich so erzählen. Von diesem Menschen wird ja ohnehin in meinen Aufzeichnungen schon genug die Rede sein.

Damals, also in seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr, hatte er gerade seine Frau verloren. Sie war aus vornehmer Familie, aber nicht sehr reich gewesen, eine geborene Fanariotoff, und hatte ihm einen Sohn und eine Tochter geschenkt. Leider habe ich nur sehr wenig Näheres über diese seine erste Frau erfahren können, und selbst dies wenige ist nicht ganz verbürgt. Auch aus dem Privatleben Werssiloffs ist mir vieles unbekannt oder wenigstens unerklärlich geblieben, so stolz, unnahbar, verschlossen und doch wiederum nachlässig war er im Verkehr mit mir, obschon er sich mitunter geradezu wie mit einer inneren Demut zu mir verhielt, die mich jedesmal stutzig machte. Einstweilen aber will ich doch vorausschicken – gewissermaßen als Charakteristikum –, daß er in seinem Leben drei Vermögen durchgebracht hat, und sogar recht bedeutende, so einige viermalhunderttausend Rubel, vielleicht aber noch viel mehr. Augenblicklich hat er selbstverständlich nichts.

Auf sein Gut war er damals „Gott weiß warum“ gekommen, wenigstens drückte er sich auf meine Frage hin so aus. Seine kleinen Kinder brachte er nicht mit, er ließ sie bei Verwandten: so pflegte er sein Leben lang mit seinen Kindern umzugehen, sowohl mit den ehelichen wie mit den unehelichen. Das Hofgesinde auf dem Gut war überaus zahlreich, und zu diesem gehörte auch der Gärtner Makar Iwanoff Dolgoruki. Ich will hier gleich bemerken, um es ein für allemal abzutun, daß wohl selten jemand sich zeitlebens dermaßen über seinen Familiennamen geärgert hat, wie ich mich über den meinigen, von Kindesbeinen an. Das war selbstverständlich dumm von mir, doch ist es nichtsdestoweniger Tatsache. Jedesmal, wenn ich z. B. irgendwo eintrat, in eine Schule etwa, oder wenn ich mit Leuten zusammenkam, denen ich als kleiner Junge oder Halbwüchsling antworten mußte, ob ich wollte oder nicht, kurz, jeder letzte Schul- oder Privatlehrer, Gymnasialinspektor oder Pope – ein jeder, wirklich ein jeder, der auf die Frage nach meinem Namen gehört hatte, daß ich Dolgoruki hieß, hielt es für unbedingt notwendig, zu fragen:

Fürst Dolgoruki?“[1]

Und jedesmal mußte ich jedem dieser müßigen Leute erklären:

„Nein, einfach Dolgoruki.“

Dieses „einfach“ drohte schließlich, mich einfach um meinen Verstand zu bringen. Übrigens verdient es gewissermaßen als Phänomen erwähnt zu werden, daß ich mich tatsächlich keines einzigen Menschen entsinne, der nicht so gefragt hätte, kein einziger machte eine Ausnahme! Viele interessierte diese Feststellung offenbar überhaupt nicht, es lag ihnen nichts an der Antwort, und ich begreife wirklich nicht, zu welch einer Teufelei sie auch nur einen von ihnen hätte interessieren sollen! Aber sie fragten alle, alle ohne Ausnahme. Und wenn ich dann gesagt hatte, daß ich einfach Dolgoruki hieße, maß mich der Betreffende gewöhnlich mit einem stumpfen, dumm-gleichgültigen Blick (der mir nur bestätigte, daß er selbst nicht wußte, wozu er gefragt hatte) und wandte sich von mir ab. Am kränkendsten fragten die Schulkameraden. Wie wird überhaupt ein Neuling von einem Mitschüler gefragt? Bekanntlich ist der verwirrte, eingeschüchterte Junge an seinem ersten Schultage – gleichviel in welcher Schule – das allgemeine Opfer: ihm wird verschiedenes befohlen, er wird geneckt und von allen Seiten unter die Lupe genommen. Und da pflanzt sich denn ein gesunder, dicker Junge breitspurig vor ihm auf und betrachtet ihn geraume Zeit mit strengem, hochmütigem Blick: der Neuling steht vor ihm, schweigt, sieht zu Boden oder zur Seite oder sieht ihn an, wenn er kein Feigling ist, und wartet, was jetzt wohl geschehen werde.

„Wie heißt du?“

„Dolgoruki.“

Fürst Dolgoruki?“

„Nein, einfach Dolgoruki.“

„Ah so, einfach! – Esel!“

Und er hat recht: es gibt nichts Dümmeres, als Dolgoruki zu heißen, wenn man nicht auch Fürst ist. Und den Fluch dieser Dummheit muß ich ohne mein Verschulden ewig mit mir herumschleppen. Später, als es mich doch zu sehr zu ärgern begann, antwortete ich auf die Frage:

„Bist du ’n Fürst?“

jedesmal:

„Nein, ich bin der Sohn eines Hofbauern, eines ehemaligen Leibeigenen.“

Und als meine Wut ihren Höhepunkt erreicht hatte, antwortete ich auf die Frage, ob ich Fürst sei, laut und mit fester Stimme:

„Nein, ich heiße einfach Dolgoruki und bin der uneheliche Sohn meines früheren Gutsherrn Werssiloff.“

Das hatte ich mir in der sechsten Klasse des Gymnasiums ausgedacht, und wenn ich mich auch bald überzeugte, daß es dumm von mir war, so hörte ich doch nicht so bald auf, diese Dummheit zu begehen. Ich entsinne mich noch, wie einer meiner Lehrer – übrigens war er der einzige – einmal von mir sagte, daß ich von der „rachsüchtigen sozialen Idee“ erfüllt sei. Im allgemeinen nahm man aber solche Ausfälle meinerseits mit einer Nachdenklichkeit auf, in der für mich entschieden etwas Verletzendes lag. Einmal aber sagte mir ein Mitschüler, einer, der nicht auf den Kopf gefallen war, doch geschah es nur selten, daß wir ein paar Worte wechselten, mit seltsam ernstem Gesicht, indem er zur Seite blickte:

„Solche Gefühle machen Ihnen natürlich nur Ehre, und zweifellos werden Sie auch alle Ursache haben, darauf stolz zu sein; aber an Ihrer Stelle würde ich mit einer unehelichen Geburt doch nicht gar so sehr prahlen ... Sie dagegen scheinen sich darüber zu freuen, als wären Sie heute Geburtstagskind.“

Seitdem „prahlte“ ich nicht mehr mit meiner unehelichen Geburt.

Wie gesagt, es ist tatsächlich sehr schwer, glaubhaft zu schreiben: da habe ich nun ganze drei Seiten beschrieben, um zu erzählen, wie ich mich über meinen Familiennamen geärgert habe, während der Leser sicherlich schon nach der ersten Seite vermutet haben wird, mein Ärger über meinen Namen sei nichts anderes gewesen, als der Ärger darüber, daß ich nicht „Fürst“, sondern „einfach“ Dolgoruki heiße. Dies nun zu widerlegen und womöglich eine Art Rechtfertigung zu versuchen, wäre aber doch zu erniedrigend für mich!

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