Ich muß vorausschicken, daß ich niemals habe erfahren oder auch nur erraten können, womit es eigentlich zwischen ihm und meiner Mutter begonnen hat. Ich bin durchaus zu glauben bereit, daß es, wie er mir in diesem letzten Jahr einmal gestand – bis über die Stirn errötend, obgleich er mit der ungezwungensten und „geistvollsten“ Miene davon sprach –, daß es einen Roman zwischen ihnen überhaupt nicht gegeben habe, sondern alles einfach „so“ gekommen sei. Das glaube ich ihm gern, und gerade dieses Wort und dazu noch in diesem Ton gesagt, wie nur der Russe es zu sagen pflegt, ist ganz vorzüglich und drückt tatsächlich alles aus. Nur wollte ich trotzdem wissen, was die eigentliche Ursache oder Veranlassung gewesen ist. Ich für meine Person hasse alle diese Abscheulichkeiten, habe sie immer gehaßt, und werde sie mein Leben lang hassen. Es ist also meinerseits keineswegs etwa schamlose Neugier, wenn ich das ergründen will. Meine Mutter habe ich erst vor einem Jahr kennen gelernt, bis dahin hatte ich sie so gut wie überhaupt nicht gesehen: Schon als kleines Kind war ich bei fremden Menschen untergebracht worden, da Werssiloff es so bequemer hatte – worauf ich übrigens noch später zu sprechen kommen werde. Deshalb kann ich auch nicht wissen, wie sie zu jener Zeit ausgesehen hat. Wenn sie aber gar nicht so schön gewesen ist, wodurch hat sie dann einen Menschen wie Werssiloff, und noch dazu den erst fünfundzwanzigjährigen Werssiloff, zu fesseln vermocht? Das ist die Frage. Und wichtig ist sie für mich nur deshalb, weil sie an diesem Menschen noch eine ganz andere Seite ahnen läßt. Nur deshalb frage ich also, und nicht, wie man glauben könnte, aus jugendlicher Verderbtheit. Er selbst, dieser finstere und verschlossene Mensch, sagte mir einmal mit seiner ganzen entzückenden Treuherzigkeit, die er jedesmal weiß der Teufel woher nahm (gleichsam aus der Tasche), wenn er sah, daß es anders nicht ging – ja, er selbst sagte mir, er sei damals noch ein „ganz dummer junger Hund“ gewesen, nicht gerade sentimental, aber „so“, nachdem er „Anton Goremyka“[2] und „Polinka Ssachs“[3] gelesen, zwei literarische Werke, die einen großen, einen bildenden und bestimmenden Einfluß auf die bei uns damals heranwachsende Generation gehabt haben. Er fügte noch hinzu, daß er vielleicht sogar einzig infolge der Lektüre des „Anton Goremyka“ auf sein Gut gekommen sei – und zwar fügte er es mit vollkommenem Ernst hinzu! Wie also, auf welche Weise hatte dann dieser „dumme junge Hund“ mit meiner Mutter anzubändeln vermocht? Ich sage mir soeben, daß, wenn ich auch nur einen einzigen Leser haben sollte, dieser jetzt sicherlich laut über mich lachen würde, wie über den lächerlichsten, unerfahrenen Jüngling, der sich noch seine dumme Unschuld bewahrt hat und sich dabei doch unterfängt, über Dinge zu reden und zu philosophieren, von denen er überhaupt nichts versteht. Ja, es ist wahr, ich habe noch keinen Begriff davon, doch sage ich das jetzt nicht aus Stolz; denn ich weiß ganz gut, wie maßlos dumm eine solche Unkenntnis an einem einundzwanzigjährigen Tölpel ist. Nur kann ich diesem verehrten Leser sagen, daß er, wenn er lacht, dann selbst von manchen Dingen keine Ahnung hat, und ich werde ihm das beweisen! Es ist wahr: von Frauen weiß ich nichts und will ich auch nichts wissen; denn ich habe mir das Wort gegeben, mein Leben lang nichts von ihnen wissen zu wollen. Aber so viel weiß ich doch, daß das eine Weib durch Schönheit berückt, oder wodurch es da sonst zu berücken versteht, und zwar sofort, in einem Augenblick; eine andere dagegen muß man erst ein ganzes Jahr lang kennen lernen, um zu begreifen, was in ihr ist; und um eine solche ausfindig zu machen und sich in sie zu verlieben, genügt nicht, daß man bloß zu allem bereit ist, sondern man muß außerdem noch mit etwas ganz Besonderem begabt sein. Davon bin ich überzeugt, obschon ich nichts weiß, und wenn dies nicht wahr wäre, müßte man sofort alle Frauen auf die Stufe der Haustiere herabziehen und sie nur als solche bei sich halten, was manche vielleicht sogar sehr gern täten.
Wie ich aus verschiedenen und glaubwürdigen Quellen weiß, ist meine Mutter keine Schönheit gewesen, – ihr Bild aus jenen Jahren, das irgendwo noch existieren soll, habe ich freilich nicht gesehen. Jedenfalls konnte man sich nicht auf den ersten Blick in sie verlieben. Zur gewöhnlichen „Zerstreuung“ hätte Werssiloff eine andere wählen können, eine hübschere, und eine solche soll es damals auf seinem Gute auch gegeben haben, sogar eine unverheiratete: eine gewisse Anfissa Ssaposhkoff, die im Herrenhause Stubenmädchen war. Und nicht zu vergessen: er war obendrein noch unter dem Eindruck der Lektüre des „Anton Goremyka“ in die Heimat gekommen, dann aber auf Grund der Gutsherrenrechte die Heiligkeit der Ehe zu schänden – und wenn es sich auch nur um die Ehe seines Leibeigenen handelte –, gleichviel, das hätte doch vor dem eigenen Gewissen noch um so beschämender sein müssen! Wie gesagt, von diesem „Anton Goremyka“ hat er vor nicht mehr als ein paar Monaten, also noch nach mehr als zwanzig Jahren, mit vollkommenem Ernst gesprochen! Aber diesem Anton wurde ja nur das Pferd fortgenommen, hier dagegen handelte es sich doch um die Frau! Es muß also etwas Ungewöhnliches geschehen sein, weshalb denn auch Mademoiselle Ssaposhkoff verspielte (meiner Meinung nach gewann sie). Ich habe im Laufe des letzten Jahres mehr als einmal etwas aus ihm herauszubringen versucht, sobald man nur mit ihm reden konnte (denn nicht allemal konnte man mit ihm reden), doch ist mir dabei zunächst nur aufgefallen, daß er sich trotz seiner ganzen gesellschaftlichen Sicherheit und der inzwischen vergangenen zwanzig Jahre stets ungemein geniert fühlte, sobald ich darauf zu sprechen kam. Aber ich ließ nicht nach. Und so erreichte ich wenigstens, daß er einmal in jenem gewissen Ton gereizten Widerwillens, den er sich oft genug mir gegenüber erlaubte, etwas seltsam vor sich hinbrummte, meine Mutter sei eine von jenen Hilflosen, jenen gleichsam Verteidigungsunfähigen gewesen, in die man sich nicht, wie man so sagt, verliebe – im Gegenteil, durchaus nicht –, sondern die man plötzlich aus irgendeinem Grunde bemitleide, vielleicht wegen ihrer keuschen Bescheidenheit, oder übrigens, wie soll man’s wissen, weshalb? Den Grund könne man niemals genau angeben, jedenfalls bemitleide man sie nicht nur für einen kurzen Augenblick; man bemitleide sie und empfinde sofort Zuneigung zu ihnen ... „Mit einem Wort, lieber Junge, zuweilen ist es so, daß man sich dann nicht mehr losreißen kann.“ – Das sind seine eigenen Worte. Und wenn es wirklich das gewesen ist, so bin ich gezwungen, ihn als Fünfundzwanzigjährigen durchaus nicht für einen so „dummen jungen Hund“ zu halten, wie er selbst zu jener Zeit gewesen zu sein glaubt. Das ist es, was ich zuvor feststellen wollte.
Übrigens begann er gleich darauf, d. h. gleich nach diesem Geständnis, zu versichern, meine Mutter habe ihn „aus Unterwürfigkeit“ geliebt. Es fehlte noch, daß er gesagt hätte „aus Leibeigenschaftsgehorsam“! Das hat er einfach gelogen, nur weil es sich „schick“ anhört, – gegen sein Gewissen, gegen Ehre und Anstand gelogen!
Alles das habe ich natürlich gewissermaßen wie zum Lobe meiner Mutter hier wiedergegeben, und doch habe ich schon gesagt, daß ich sie in ihren jüngeren Jahren weder gekannt, noch bis jetzt Genaueres über ihr Wesen als junges Mädchen in Erfahrung gebracht habe. Im Gegenteil, ich kenne gerade die ganze Unbesiegbarkeit, die ganze Starrheit der kläglichen Begriffe jener Umgebung, in der sie aufgewachsen war und mit deren Anschauungen sie alt geworden ist. Und dennoch geschah das Unglück. Übrigens habe ich ganz vergessen, von der Tatsache zu reden, wie gewöhnlich, wenn ich mich in Wolken verliere, während doch das Geschehnis stets ganz zuerst hervorgehoben werden müßte. Also: es begann bei ihnen unmittelbar mit dem Unglück. (Ich hoffe, der Leser wird sich nicht so weit verstellen, daß er nicht sofort begreift, was ich meine.) Kurz, es begann gerade so nach Gutsbesitzerart, ungeachtet dessen, daß es doch so ganz anders begann und Mademoiselle Ssaposhkoff verschmäht worden war. Hier muß ich aber auch für mich eintreten und bemerken, daß ich mir nicht im geringsten widerspreche. Denn, mein Gott, wovon hätte ein Mensch, wie Werssiloff, mit einer Person wie meine Mutter, selbst im Fall der unbezwingbarsten Liebe reden können? Ich habe von verderbten Lebemännern gehört, daß manche Männer bisweilen, wenn sie mit einer Frau zusammenkommen, vollkommen stumm beginnen, was natürlich der Gipfel aller Abscheulichkeit und allen Ekels ist. Nichtsdestoweniger hätte Werssiloff – selbst wenn er gewollt hätte – wahrscheinlich überhaupt nicht anders mit meiner Mutter beginnen können. Er konnte ihr doch nicht „Polinka Ssachs“ erklären! Und übrigens wird es ihnen damals wohl nicht um russische Literatur zu tun gewesen sein. Im Gegenteil, nach seinen Worten (er ging einmal ganz zufällig etwas mehr aus sich heraus) haben sie sich in allen Winkeln versteckt, auf Treppen einander erwartet, ja, wie Bälle sind sie mit roten Gesichtern zurückgeschnellt, wenn jemand kam, und der „Tyrann und Gutsherr“ hat vor jeder letzten Scheuermagd gezittert, trotz all seiner Rechte, die er als Herr seiner Leibeigenen besaß. Aber wenn es auch nach Gutsherrenart begonnen hatte, so endete es doch ganz anders, das heißt ... aber ich sehe schon, im Grunde läßt sich doch nichts erklären. Es wird sogar nur noch unverständlicher. Allein schon die Tragweite, die ihre Liebe gewann, ist und bleibt ein Rätsel; denn die erste Bedingung solcher Menschen wie Werssiloff ist doch: sofort zu verlassen, sobald das Ziel erreicht ist. Hier aber geschah etwas ganz anderes. Mit einem netten, flatterhaften Hofmädel zu sündigen (meine Mutter gehörte nicht zu diesen), war für einen verderbten „jungen Hund“ (und sie waren alle verderbt, alle ohne Ausnahme, sowohl die Liberalen als die Konservativen) nicht nur möglich und sozusagen „erlaubt“, sondern sogar unvermeidlich und selbstverständlich, besonders wenn man noch seine romantische Stellung als junger Witwer und Müßiggänger in Betracht zieht; sie aber fürs ganze Leben liebzugewinnen – das war denn doch zuviel! Ich will nicht dafür einstehen, daß er sie so lange wirklich geliebt hat, jedenfalls aber hat er sie sein Leben lang überallhin mit sich herumgeschleppt.
Ich habe zwar oft genug ganz ohne Umschweife und Rücksicht gefragt, was ich wissen wollte, die wichtigste Frage aber habe ich doch nicht offen an meine Mutter zu richten gewagt, obwohl wir uns in diesem letzten Jahr so nahe getreten sind und ich überdies als roher und undankbarer Grünschnabel lange Zeit der Meinung war, sie, meine Eltern, hätten mir noch ein Unrecht abzubitten. Deshalb war ich auch im Verkehr mit meiner Mutter zumeist sehr wenig rücksichtsvoll. Diese Hauptfrage, wie ich sie nennen möchte, bestand in folgendem: wie hatte sie, sie selbst, nachdem sie schon ein halbes Jahr in der Ehe gelebt, wie hatte sie, die an die Heiligkeit der Ehe bis zur Ohnmacht glaubte und ihren Makar Iwanowitsch nicht weniger als irgendeine Gottheit verehrte, wie hatte sie trotzdem in kaum zwei Wochen eine solche Sünde begehen können? Sie war doch kein verderbtes Weib! Im Gegenteil, ich kann ruhig behaupten, daß es eine reinere Seele, als die meiner Mutter, überhaupt nicht gibt. Wenigstens ist es schwer, sich etwas noch Reineres, als es meine Mutter bis zum heutigen Tage ist, auch nur vorzustellen. Erklären könnte man sich ihren Fehltritt höchstens damit, daß sie ihn nicht bei voller Besinnung getan, – jedoch nicht in dem Sinne, wie jetzt die Verteidiger von ihren Klienten, von Mördern und Dieben, vorgeben, sondern wie im Bann eines mächtigen, überwältigenden Eindrucks, der bei einer gewissen Harmlosigkeit des Herzens sich verhängnisvoll und tragisch seines Opfers bemächtigen kann. Vielleicht hatte sie sich sterblich in ... seinen Rockschnitt verliebt, oder in seinen Scheitel à la parisien[1] oder in seine Aussprache des Französischen – gerade des Französischen, von dem sie keinen Ton verstand – oder in ein Lied, das er einmal gesungen? – jedenfalls in etwas noch nie Gesehenes, noch nie Gehörtes (er war übrigens eine sehr schöne Erscheinung) – und verliebte sich dann mit eins in den dazugehörenden Menschen, so wie er war, zusammen mit allen Kleiderschnitten und Liedern? Das soll, wie ich gehört habe, mit den Hofmädchen zur Zeit der Leibeigenschaft bisweilen geschehen sein, und zwar gerade mit den keuschesten. Ich kann das sehr gut verstehen, und ein Schuft ist, wer das im Ernst nur mit der Gewohnheit an Leibeigenschaftsgehorsam erklären wollte! Folglich aber mußte doch dieser junge Mann so viel unverfälschte, so echte berückende Macht besessen haben, daß er ein bis dahin so reines und, was noch mehr sagen will, ein so anders geartetes Geschöpf, das in einer ganz anderen Welt aufgewachsen war, zu fesseln und in so offenkundiges Verderben zu ziehen vermochte. Daß es aber „Verderben“ war, das hat, hoffe ich, auch meine Mutter ihr Leben lang gewußt; höchstens damals, als sie ging, wird sie nicht an das Verderben gedacht haben. Aber so ist es ja gewöhnlich mit diesen Schutzlosen: sie wissen ganz genau, daß es ihr Verderben ist, und dennoch gehen sie!
Nachdem meine Eltern sich aber vergessen, hatten sie sogleich alles gebeichtet. Er erzählte mir sogar mit sehr viel Scharfsinn, daß er an der Schulter Makar Iwanowitschs, den er zu sich ins Kabinett hatte rufen lassen, geschluchzt habe. Sie aber – sie lag währenddessen einsam irgendwo dort in ihrer armseligen Bauernhütte ...