Ich nahm das Geld, weil ich ihn liebte. Wer mir das nicht glauben will, dem kann ich sagen, daß ich wenigstens in dem Augenblick, als ich dieses Geld von ihm nahm, fest überzeugt war, daß ich mir, wenn ich nur wollte, auch aus einer anderen Quelle und mit Leichtigkeit Geld verschaffen könnte. Und folglich hatte ich das Geld nicht genommen, weil mich die Not dazu zwang, sondern um ihn nicht zu kränken. Ja, leider, so dachte ich damals! Aber ich fühlte mich doch sehr bedrückt, als ich ihn verließ: die außerordentliche Veränderung in seinem Verhalten zu mir an diesem Vormittag hatte mich zu sehr überrascht. Einen solchen Ton hatte er sich mir gegenüber noch nie erlaubt, und sein Verhalten zu Werssiloff war ja schon eine richtige Auflehnung gewesen. Stebelkoff hatte ihn natürlich mit irgend etwas geärgert, aber das hatte ja schon vor Stebelkoffs Erscheinen angefangen. Und wie gesagt, eine Veränderung in seinem Verhalten zu mir war schon die ganzen letzten Tage zu bemerken gewesen, aber doch nicht so, doch nicht in dem Maße – und das war das Auffallende.
Vielleicht hatte ihn auch die dumme Nachricht von diesem Flügeladjutanten Baron Bjoring aufgebracht ... Mich hatte sie ja gleichfalls aufgeregt, aber ... Das war es eben, daß ich damals etwas ganz anderes im Sinn und strahlend vor Augen hatte, weshalb ich so vieles leichtsinnig außeracht ließ: ich beeilte mich förmlich, es außeracht zu lassen, zu übersehen, ich verscheuchte alles Dunkle und wandte mich immer nur diesem einen vor mir Strahlenden zu ...
Es war noch nicht ein Uhr. Vom Fürsten fuhr ich mit meinem Schlitten – wird man es mir glauben, zu wem? – geradeswegs zu Stebelkoff! Dieser Stebelkoff hatte mich vorhin nicht so sehr durch sein Erscheinen beim Fürsten in Erstaunen versetzt (da der Fürst auf das von ihm versprochene Geld gewartet hatte), als dadurch, daß er zwar nach seiner dummen Angewohnheit mir zugeblinzelt, jedoch mit keiner Miene darauf angespielt hatte, was zwischen uns einzig einer Erklärung bedurfte. Ich hatte nämlich am Abend vorher durch die Stadtpost einen Brief von ihm erhalten, der für mich ziemlich rätselhaft war: er bat mich, gerade heute gegen zwei Uhr bei ihm vorzusprechen, er hätte mir „Dinge mitzuteilen, die ich wohl nicht erwartete“. Und nun hatte er beim Fürsten mit keiner Miene angedeutet, daß er von seinem Brief an mich etwas wußte. Was mochten das für Geheimnisse sein, die es zwischen Stebelkoff und mir überhaupt geben konnte? Schon dieser Gedanke an sich war lächerlich; aber nach allem, was sich da zugetragen hatte, war ich nun auf der Fahrt zu ihm sogar ein wenig aufgeregt. Ich hatte mich allerdings schon einmal an ihn gewandt, als ich dringend Geld brauchte – das war vor etwa zwei Wochen gewesen –, und er wollte es mir auch geben, aber es war doch nicht dazu gekommen, und ich selbst hatte auf das Geld verzichtet: er hatte gleich wieder etwas Unverständliches zu schwatzen angefangen, und da war in mir der Verdacht aufgestiegen, daß er mir etwas vorschlagen, mir besondere Bedingungen stellen wollte; da ich ihn aber jedesmal, wenn ich mit ihm beim Fürsten zusammengekommen war, sehr von oben herab behandelt hatte, so hatte ich stolz jeden Gedanken an besondere Bedingungen zurückgewiesen und war fortgegangen, obschon er mir noch bis zur Haustür nachgelaufen war. Das Geld hatte ich mir dann vom Fürsten geborgt.
Stebelkoffs Wohnung lag ganz abgesondert, er lebte völlig für sich und wohnte wie ein wohlhabender Mann: es waren vier schöne Zimmer mit guten Möbeln, dazu hatte er männliche und weibliche Bedienung und noch eine Wirtschafterin, die übrigens eine ziemlich bejahrte Person war. Zornig trat ich bei ihm ein.
„Hören Sie mal, mein Bester,“ begann ich schon in der Tür, „was hat, erstens mal, dieser Brief an mich zu bedeuten? Ich verbitte mir Briefe von Ihnen an meine Adresse. Und warum haben Sie mir nicht vorhin beim Fürsten erklärt, was Sie von mir wollen? Sie konnten doch dort mit mir sprechen!“
„Aber warum haben Sie denn dort gleichfalls geschwiegen und nicht selbst gefragt?“ Ein höchst selbstzufriedenes Lächeln zog seinen Mund in die Breite.
„Weil nicht ich Sie brauche, sondern Sie mich!“ rief ich und war auf einmal wütend.
„Aber warum sind Sie dann zu mir gekommen, wenn es so ist?“ Er hopste fast auf seinem Stuhl vor lauter Vergnügen. Ich drehte mich sofort um und wollte gehen, aber er hielt mich an der Schulter fest.
„Nein, nein, ich hab’ ja nur gescherzt. Die Sache ist wichtig. Sie werden sehen!“
Ich setzte mich. Ich muß gestehen, ich war doch neugierig geworden. Wir saßen an seinem großen Schreibtisch einander gegenüber. Er lächelte verschmitzt und wollte schon wieder seinen Finger in die Höhe heben.
„Bitte, diesmal ohne Ihre Schlauheiten und Fingerturnerei, und vor allen Dingen lassen Sie Ihre Allegorien beiseite und sprechen Sie sachlich, sonst gehe ich sofort!“ rief ich wieder wütend.
„Sie ... sind stolz!“ sagte er mit einem gewissen dummen Vorwurf, indem er sich in seinem Lehnstuhl zu mir vorbeugte und alle seine Falten auf der Stirn in die Höhe zog.
„Anders geht es mit Ihnen nicht.“
„Sie ... haben heute vom Fürsten Geld genommen, dreihundert Rubel; ich habe auch Geld. Mein Geld ist besser.“
„Woher wissen Sie, daß der Fürst mir Geld geliehen hat?“ fragte ich maßlos verwundert, „sollte er es Ihnen wirklich selbst gesagt haben?“
„Er selbst hat es mir gesagt; regen Sie sich nicht auf, es war nur so, nur beiläufig, es entschlüpfte ihm unbedachterweise, da von Geld die Rede war, nicht mit Absicht. Er hat es mir gesagt. Aber Sie hätten es von ihm nicht zu nehmen brauchen. Ist es so oder nicht?“
„Aber Sie erpressen ja, wie ich gehört habe, unmenschliche Prozente.“
„Ich habe einen Mont de piété, ich erpresse nichts. Ich helfe nur Freunden, anderen gebe ich nichts. Für die anderen ist der Mont de piété da ...“
Dieser sein Mont de piété war eine ganz gewöhnliche Pfandleihe, aber nicht auf seinen Namen; sie befand sich auch in einer anderen Wohnung, und das Geschäft blühte.
„Aber Freunden gebe ich große Summen.“
„Wie, ist denn der Fürst auch so ein Freund von Ihnen?“
„Das ... ist er; aber ... er redet Unsinn. Und er darf nicht Unsinn reden.“
„Ist er denn so in Ihren Händen? Schuldet er Ihnen viel?“
„Er ... schuldet mir viel.“
„Er wird Ihnen alles bezahlen; er hat die Erbschaft ...“
„Das – ist nicht seine Erbschaft. Er ist mir Geld schuldig und ist mir noch anderes schuldig. Die Erbschaft langt nicht. Ich gebe Ihnen ohne Prozente.“
„Gleichfalls als Ihrem ‚Freunde‘? Womit habe ich denn das verdient?“ fragte ich auflachend.
„Sie werden es noch verdienen.“
Wieder beugte er sich mit dem ganzen Oberkörper zu mir vor und hob den Finger.
„Stebelkoff! Ohne Finger, sonst gehe ich!“
„Hören Sie ... er könnte doch Anna Andrejewna Werssiloff heiraten!“ Und er kniff sein linkes Auge teuflisch listig zusammen.
„Wissen Sie, Stebelkoff, Ihre Geschichten nehmen einen dermaßen skandalösen Charakter an ... Wie dürfen Sie es wagen, den Namen Anna Andrejewnas überhaupt auszusprechen?“
„Ärgern Sie sich nicht.“
„Es kostet mich wirklich Überwindung, Sie anzuhören, und ich tue es nur, weil ich hier eine Machenschaft wittere und wissen will ... Aber mir kann auch die Geduld reißen, Stebelkoff!“
„Ärgern Sie sich nicht, und seien Sie nicht so stolz. Haben Sie nur ein wenig Geduld, und hören Sie mich an. Dann können Sie wieder stolz sein. Das mit Anna Andrejewna wissen Sie doch? Daß der Fürst sie heiraten könnte ... das wissen Sie doch?“
„Ich habe natürlich davon gehört und weiß alles; aber ich habe mit dem Fürsten niemals darüber gesprochen. Ich weiß nur, daß diese Idee vom alten Fürsten Ssokolski stammt, der jetzt krank ist; aber ich habe niemals darüber gesprochen und habe damit auch nichts zu schaffen. Ich sage Ihnen das alles einzig zur Erklärung der Sachlage ... Und nun gestatten Sie die Frage, erstens: wozu Sie denn eigentlich davon mit mir zu sprechen angefangen haben? Und zweitens: hat denn der Fürst wirklich mit Ihnen über diese Dinge gesprochen?“
„Nicht er mit mir; er will mit mir nicht darüber sprechen, aber ich spreche mit ihm, und er will mich bloß nicht anhören. Vorhin bei ihm, da schrie er mich ja deshalb an.“
„Das fehlte noch, daß er es nicht getan hätte! Ich kann ihm nur zustimmen.“
„Der Alte, der alte Fürst Ssokolski, wird Anna Andrejewna eine große Mitgift geben; sie hat’s verstanden, ihm zu gefallen. Dann wird mir der Bräutigam, der junge Fürst Ssokolski, mein ganzes Geld wiedergeben. Wird mir auch die andere Schuld, außer der Geldschuld, wiedergeben. Das wird er sicher! Jetzt aber hat er nichts, wovon er es mir zurückzahlen könnte.“
„Aber was soll ich denn, wozu brauchen Sie denn mich dabei?“
„Zu der Hauptsache! Sie sind bekannt, Sie sind dort überall bekannt. Sie können alles erfahren.“
„Zum Teufel ... was erfahren?“
„Ob der Fürst will, ob Anna Andrejewna will, ob der alte Fürst will! Das müßten Sie alles genau erfahren.“
„Und Sie unterstehen sich, mir vorzuschlagen, Ihr Spion zu sein, und das – für Geld!“ Empört sprang ich auf.
„Seien Sie nicht so stolz, seien Sie nicht so stolz! Warten Sie nur noch ein wenig mit dem Stolzsein, nur noch fünf Minuten!“
Er zwang mich wieder zum Sitzen. Meiner Empörung und meinen Ausrufen maß er offenbar nicht die geringste Bedeutung bei; aber ich beschloß, ihn zu Ende anzuhören.
„Ich muß es bald erfahren, so bald als möglich, und muß es genau wissen; denn ... denn vielleicht wird es bald zu spät sein. Haben Sie nicht bemerkt, wie unangenehm ihm die Neuigkeit war, die der Offizier von dem Baron und der verwitweten Achmakoff, der Katerina Nikolajewna, erzählte?“
Entschieden erniedrigte ich mich dadurch, daß ich ihn anhörte, aber meine Neugier war so groß, daß ich mich nicht loszureißen vermochte.
„Hören Sie ... Sie nichtsnutziger Mensch!“ sagte ich entschlossen. „Wenn ich noch hier sitze und Sie anhöre und Sie sogar von diesen mir nahestehenden Menschen sprechen lasse ... und Ihnen sogar noch antworte, so geschieht das keineswegs deshalb, weil ich Ihnen etwa das Recht dazu zugestehe. Ich sehe einfach, daß es sich hier um eine Gemeinheit handelt ... Und dann, was für Hoffnungen kann der Fürst auf Katerina Nikolajewna haben?“
„Gar keine, aber er ärgert sich.“
„Das ist nicht wahr!“
„Er ärgert sich. Er hat da schon verspielt, hat ein Paroli verloren. Jetzt ist ihm nur noch Anna Andrejewna geblieben. Ich gebe Ihnen zweitausend Rubel ... ohne Wechsel und ohne Zinsen.“
Nachdem er das gesagt hatte, lehnte er sich entschlossen und wichtig zurück und sah mich mit aufgerissenen Augen an. Ich riß auch meine Augen auf und sah ihn an.
„Sie tragen Anzüge von einem Schneider aus der Großen Millionnajastraße; Geld braucht man, Geld, und mein Geld ist besser als seines. Ich gebe Ihnen mehr als zweitausend ...“
„Aber wofür? Wofür denn, zum Teufel?“
Ich stampfte mit dem Fuß auf. Er beugte sich wieder vor zu mir und sagte mit besonderer Betonung:
„Damit Sie nicht stören.“
„Ich kümmere mich sowieso nicht darum,“ rief ich.
„Ich weiß, daß Sie schweigen; das ist gut.“
„Ihr Gutheißen können Sie für sich behalten, ich brauche es nicht. Ich würde diese Verbindung selbst sehr wünschen, aber ich halte das nicht für meine Sache, und mich da hineinzumischen, wäre nicht anständig.“
„Sehen Sie, sehen Sie, tja, das ist es ja: nicht anständig!“ Er erhob den Finger zum Zeichen der Bedeutsamkeit des Wortes.
„Was – sehen Sie? Was soll ich da sehen?“
„Tja, das wäre unanständig ... Hehe!“ Er begann zu lachen. „Ich verstehe, verstehe, das wäre von Ihnen unanständig, aber ... werden Sie auch nicht stören?“ Er zwinkerte mir wieder zu.
Aber in diesem Zuzwinkern lag etwas so maßlos Freches, sogar Spöttisches, Niedriges! Es war, als hätte er in mir irgendeine Niedrigkeit vorausgesetzt und auf eben diese Niedrigkeit gerechnet ... Das war klar; aber ich konnte auf keine Weise erraten, um was es sich dabei handelte.
„Anna Andrejewna ist – doch auch Ihre Schwester,“ sagte er schließlich eindringlich.
„Ich verbiete Ihnen, davon zu sprechen! Und überhaupt dürfen Sie es nicht wagen, Anna Andrejewna zu nennen!“
„Tun Sie nicht so stolz, gedulden Sie sich noch eine Minute! Also hören Sie: er wird das Geld bekommen und alle sicherstellen,“ sagte er mit besonderer Betonung. „Sie folgen? Ich sage: alle – verstehen Sie? – alle!“
„So glauben Sie, ich würde dann Geld von ihm nehmen?“
„Jetzt nehmen Sie es doch?“
„Ich nehme mein eigenes.“
„Wieso Ihr eigenes?“
„Dieses Geld ... gehört Werssiloff; er schuldet Werssiloff zwanzigtausend.“
„So doch nur Werssiloff und nicht Ihnen.“
„Werssiloff ist mein Vater.“
„Nein, Sie heißen Dolgoruki und nicht Werssiloff.“
„Das bleibt sich gleich!“ – So glaubte ich damals die Sache wirklich noch erklären und rechtfertigen zu können! Ich wußte, daß es sich nicht gleichblieb; denn so dumm war ich schließlich doch nicht, aber ich dachte wiederum aus „Taktgefühl“ so.
„Genug!“ rief ich. „Ich werde aus Ihrem Gefasel überhaupt nicht klug. Und wie haben Sie mich wegen solchen leeren Geschwätzes noch extra herzubitten gewagt?“
„Ja, wie ... verstehen Sie denn wirklich nicht? Sie ..., verstellen Sie sich bloß, oder?“ fragte Stebelkoff langsam und sah mich durchdringend mit einem seltsam ungläubigen Lächeln an.
„Bei Gott, ich verstehe kein Wort!“
„Ich sage Ihnen: er wird alle sicherstellen, alle, wenn Sie nur nicht dazwischenfahren und ihm abraten ...“
„Sie müssen wahrhaftig übergeschnappt sein! Was reiten Sie denn ewig auf diesen ‚allen‘ herum? Meinen Sie etwa Werssiloff, daß er den sicherstellen soll?“
„Sie sind nicht der einzige, und Werssiloff ist nicht der einzige ... da sind auch noch andere. Und Anna Andrejewna ist ebenso Ihre Schwester wie ... Lisaweta Makarowna!“
Ich sah ihn mit aufgerissenen Augen an. Auf einmal sah ich in seinem widerlichen Blick einen Ausdruck wie von Mitleid mit mir:
„Sie verstehen also nicht, so ist es auch besser! Das ist gut, sehr gut, daß Sie nicht verstehen. Das ist lobenswert ... wenn Sie wirklich nicht verstehen.“
Jetzt wurde ich aber wütend.
„Hol’ Sie der Teufel mit Ihrem Gefasel, Sie übergeschnappter Mensch!“ fuhr ich auf und griff nach meinem Hut.
„Das ist kein Gefasel! Wie ist’s? Wissen Sie, Sie werden wiederkommen.“
„Nein,“ schnitt ich ab, schon in der Tür.
„Sie werden kommen, und dann – dann gibt es eine andere Unterredung. Dann kommt die Hauptunterredung. Zweitausend, vergessen Sie das nicht!“