Der Streit war beendet, doch sonderbar: der so gut aufgelegte Fedor Pawlowitsch wurde plötzlich verdrießlich. Er ärgerte sich und goß sich wieder einen Kognak hinter die Binde – es war schon ein ganz überflüssiges Gläschen.
„Ach, packt euch, ihr Jesuiten allesamt, hinaus!“ schrie er mit einem Male die Dienstboten an. „Scher dich, Ssmerdjäkoff. Werde dir heute den versprochenen Rubel geben, jetzt aber marsch. Sei nicht traurig, Grigorij, schieb ab zu Marfa, sie wird dich trösten, schlafen legen ... Die Kanaillen lassen einen wirklich nicht in Ruhe ein Stündchen nach dem Essen sitzen,“ schimpfte er verstimmt, als sich die Dienstboten auf seinen Befehl sofort zurückgezogen hatten. „Ssmerdjäkoff kriecht jetzt jeden Tag nach dem Essen her. Du bist es, der ihn so interessiert. Womit hast du es ihm denn angetan?“ fragte er Iwan Fedorowitsch.
„Eigentlich mit nichts,“ entgegnete der, „es ist ihm eingefallen, mich zu verehren; er ist eine Lakaienseele, ein echter Ham. Übrigens fortschrittlicher Humus, wenn die Zeit kommt.“
„Fortschrittlicher?“
„Es wird andere und bessere geben, aber auch solche wird es geben. Zuerst werden es solche sein, nach ihnen aber bessere.“
„Und wann wird denn die Zeit kommen?“
„Anbrennen wird die Rakete, aber vielleicht doch nicht aufsteigen. Vorläufig liebt das Volk noch nicht sonderlich diesen ‚Suppendrehern‘ zuzuhören.“
„Das ist’s ja, solch ein Bileams Esel denkt und denkt, und – der Teufel mag wissen, was sich der Kerl schließlich zusammendenkt.“
„Speichert Gedanken auf,“ meinte Iwan lächelnd.
„Sieh, ich weiß zum Beispiel, daß er auch mich nicht leiden kann, ganz wie alle anderen, dich ganz genau so wenig, obgleich dir scheint, es sei ihm eingefallen, dich ‚zu verehren‘. Aljoschka natürlich schon längst nicht, den verachtet er einfach. Aber er stiehlt nicht, er klatscht nicht, hält das Maul wie festgenäht, trägt nichts auf den Markt zum Durchhecheln, macht seine Pasteten einfach großartig, und zudem – ach, zum Teufel mit ihm, nein, wirklich, lohnt es sich denn überhaupt, über ihn zu sprechen!?“
„Natürlich lohnt es sich nicht.“
„Und was da seine Gedanken anbetrifft, die er sich im stillen macht, so im allgemeinen gesagt, muß man den russischen Bauer einfach versohlen, merk dir das. Das hab ich immer behauptet: Unser Bauer ist ein Spitzbube, es lohnt sich nicht, ihn zu bedauern; gut, daß er auch jetzt noch zuweilen versohlt wird. Unser Vaterland ist stark geworden durch die Birkenrute. Wenn sie die Wälder abholzen, wird auch Rußlands ganze Kraft flöten gehen. Ich, weißt du, bin immer für die klugen Leute. Jetzt hat man aufgehört, die Bauern zu prügeln, hält sich für zu klug dazu, und so prügeln sich jetzt die Kerls selbst untereinander. Oh, sie täten gut, wenn sie das Prügeln aufrechterhielten. Mit welch einem Maß du missest, wird dir wieder gemessen werden, oder wie es da ... Kurz und gut, es wird wieder gemessen, das ist ja die Hauptsache. Rußland aber ist nichts als eine Schweinewirtschaft. Mein Lieber, wenn du wüßtest, wie ich Rußland hasse ... das heißt, nicht Rußland, aber alle diese Laster ... meinetwegen auch ganz Rußland. Tout cela c’est de la cochonnerie. Weißt du, was ich liebe? Ich liebe Witz und Scharfsinn!“
„Sie haben schon wieder ein Glas ausgetrunken. Das sollten Sie lieber nicht mehr tun.“
„Wart, ich werde gleich noch eins trinken, und dann noch eins, und dann meinetwegen Schluß. Nein, wart, du hast mich unterbrochen. In Mokroje fragte ich einmal auf der Durchfahrt einen Alten, er aber sagt mir: ‚Am meisten lieben wir es,‘ sagt er, ‚Mädels zu Prügelstrafe zu verurteilen, und dreschen lassen wir sie dann immer von den Burschen. Am nächsten Tage aber nehmen sich die Burschen dann immer die zur Braut, die sie am Tag vorher gedroschen haben, und so haben denn schließlich die Mädels auch nichts dagegen.‘ He, wie findest du diesen Marquis de Sade, Wanjä? Aber sag, was du willst, es steckt doch Scharfsinn darin. Sollen wir nicht mal hinfahren, es uns anzusehen? Was? Aljoschka, warum wirst du so rot? Schäm dich nicht, Kindchen. Schade, daß ich vorhin beim Prior nicht zu Tisch blieb, hätte den Mönchen von diesen Dorfmädels erzählen müssen. Aljoschka, sei nicht bös, daß ich deinen Prior kränkte. Weißt du, mein Lieber, mich packt zuweilen die Wut. Denn wenn Gott ist, wenn er wirklich existiert, – nun ja, natürlich, dann bin ich schuldig und werde es verantworten müssen, aber wenn es Ihn überhaupt nicht gibt, wozu braucht man sie dann noch, diese deine Patres? Dann ist’s doch viel zu wenig, sie zu köpfen, halten sie doch die ganze Entwicklung auf! Wirst du’s mir glauben, Iwan, das peinigt meine besten Gefühle. Nein, du glaubst es mir nicht, ich sehe es an deinen Augen. Du glaubst den Leuten, wenn sie sagen, daß ich im ganzen nur ein Hansnarr sei. Aljoscha, glaubst du mir, daß ich im ganzen nicht nur ein Narr bin?“
„Ich glaube es, daß Sie nicht nur das sind.“
„Und ich glaube dir, daß du es glaubst, und daß du aufrichtig sprichst. Du blickst mich aufrichtig an und sprichst auch aufrichtig. Iwan aber nicht. Iwan ist hochmütig ... Aber trotzdem würde ich mit deinem Kloster ein Ende machen. Diese ganze Mystik einfach beseitigen und auseinanderjagen, um alle diese Esel zur Vernunft zu bringen. Und wieviel Silber, wieviel Gold dabei in den Münzhof kommen würde!“
„Wozu denn beseitigen?“ fragte Iwan.
„Damit die Wahrheit schneller durch die Wolken bricht und überall erstrahlt, siehst du jetzt, warum!“
„Aber wenn diese Wahrheit erstrahlt, so wird man doch Sie als ersten berauben und dann ... beseitigen.“
„Wieso? Ach, natürlich, weiß der Teufel, du hast recht! Ich Esel!“ fuhr Fedor Pawlowitsch sofort auf, und schlug sich leicht mit der Hand vor die Stirn. „Nun, dann mag also dein liebes Kloster stehen bleiben so lang es will, Aljoschka, wenn’s so ist. Weißt du auch, Iwan, daß das von Gott dann wahrscheinlich unbedingt absichtlich so eingerichtet worden ist? Iwan, sag: gibt es Gott oder gibt es ihn nicht? Wart: sage deine Überzeugung, sag es im Ernst! Warum lachst du wieder?“
„Ich lache nur, weil Sie selbst vorhin eine scharfsinnige Bemerkung machten über Ssmerdjäkoffs Glauben an die zwei Einsiedler, die einen Berg versetzen könnten.“
„Ja, bin ich denn jetzt ihm ähnlich?“
„Sogar sehr.“
„Nun, schön, also bin auch ich ein Russe, so habe auch ich einen russischen Zug, aber auch dich, mein Philosoph, kann man auf solch einem Zuge ertappen. Willst du, soll ich? Wetten wir, daß ich dich morgen noch auf solch einem ertappe! Aber trotzdem sag, gibt es Gott oder gibt es Ihn nicht? Nur im Ernst! Ich will es jetzt im Ernst wissen.“
„Nein, es gibt keinen Gott.“
„Aljoschka, gibt es einen Gott?“
„Es gibt einen Gott.“
„Iwan, aber gibt es Unsterblichkeit, nun, dort, irgendeine, nun, meinetwegen eine ganz kleine, klitzekleine?“
„Nein, auch Unsterblichkeit gibt es nicht.“
„Überhaupt keine?“
„Überhaupt keine.“
„Das heißt, eine absolute Null oder doch etwas? Vielleicht ist doch noch etwas? Das ist doch immer noch nicht Nichts!“
„Eine absolute Null.“
„Aljoscha, gibt es Unsterblichkeit?“
„Ja, es gibt eine Unsterblichkeit.“
„Gott und Unsterblichkeit?“
„Ja, Gott und Unsterblichkeit.“
„Hm! Wahrscheinlicher ist, daß Iwan recht hat. Herrgott, wenn man bloß bedenkt, wieviel der Mensch Glauben hingegeben hat, wieviel Kräfte aller Art er ganz umsonst für diese Idee vergeudet hat, und das schon so viele Jahrtausende! Wer macht sich denn so lustig über den Menschen, Iwan? Zum letztenmal noch einmal, aber jetzt positiv: gibt es einen oder nicht? Ich frage zum letztenmal!“
„Und zum letztenmal – nein.“
„Wer macht sich denn so lustig über uns Menschen, Iwan?“
„Der Teufel vielleicht,“ meinte Iwan Fedorowitsch lächelnd.
„Ja, gibt es denn einen Teufel?“
„Nein, auch einen Teufel gibt es nicht.“
„Schade. Weiß der Teufel noch eins, was ich mit demjenigen machen würde, der zum erstenmal Gott ausgedacht hat! Ihn einfach zu erhängen wäre ja viel zu wenig!“
„Dann würde es überhaupt keine Kultur geben, wenn man sich nicht Gott ausgedacht hätte.“
„Nicht geben? Ohne Gott, meinst du?“
„Ja. Und auch Ihren Kognak gäbe es dann nicht. Aber jetzt werde ich doch die Flasche fortstellen müssen.“
„Wart, wart, wart, mein Lieber, noch ein einziges kleines Gläschen. Ich habe Aljoschka gekränkt. Du ärgerst dich doch nicht, Alexei? Du mein lieber Alexeitschik, bist doch mein einziger Alexeitschik!“
„Nein, ich ärgere mich nicht. Ich kenne Ihre Gedanken. Ihr Herz ist besser, als Ihr Kopf.“
„Was, mein Herz soll besser sein als mein Kopf? Großer Gott, und wie er das noch sagt!? Iwan, liebst du Aljoschka?“
„Ich liebe ihn.“
„Ist recht so, sollst ihn auch lieben.“ (Fedor Pawlowitsch war bereits stark berauscht.) „Hör, Aljoscha, ich sagte deinem Staretz vorhin eine Grobheit. Nun, ich war erregt. Aber in diesem Staretz steckt doch Scharfsinn, er kann wirklich geistreich sein, was meinst du, Iwan?“
„Warum nicht.“
„Doch, doch, il y a du Piron là dedans. Das ist ein Jesuit, ein russischer, versteht sich. Als edles Wesen, das er ist, kocht in ihm dieser gewisse verborgene Unwille darüber, daß er sich verstellen muß ... den Heiligen spielen.“
„Aber er glaubt doch an Gott.“
„Nicht für ’ne halbe Kopeke! Und du wußtest das nicht? Er sagt es doch allen selbst, das heißt, nicht allen, sondern nur allen klugen Leuten, die zu ihm kommen. Dem Gouverneur Schulz hat er ganz offen gesagt: ‚credo, weiß aber selbst nicht, woran.‘“
„Unmöglich!“
„Genau so, sag ich dir. Aber ich achte ihn sehr. Es ist etwas Mephistophelisches in ihm, oder richtiger, etwas aus Lermontoffs ‚Helden unserer Zeit‘ ... Arbenin oder wie der Kerl da heißt ... das heißt, sieh mal, er ist ein Lüstling; er ist dermaßen Lüstling, daß ich auch jetzt noch für meine Tochter zittern würde, oder für meine Frau, wenn sie zu ihm beichten ginge. Weißt du, wenn er davon erzählt ... Einmal, vor drei Jahren, lud er uns zu sich zum Tee ein, Tee mit einem pikfeinen Likörchen (die Damen schicken ihm alles zu), wie er aber dann von den alten Zeiten zu erzählen begann, da haben wir uns nur den Leib gehalten vor Lachen ... Besonders wie er eine Halbgelähmte geheilt hätte. ‚Wenn’s nur meine Füße erlaubten,‘ sagte er, ‚würde ich Ihnen ein gewisses Tänzchen vortanzen‘ ... Nun, wie? Wie findet ihr ihn? ‚Hab in meinem Leben den Leuten nicht wenig blauen Dunst vorgemacht,‘ sagt er. Vom Kaufmann Demidoff hat er sich runde Sechzigtausend eingezogen.“
„Wie, gestohlen?“
„Der brachte sie zu ihm wie zu einem heiligen Menschen: ‚Verwahr sie, morgen ist bei mir Haussuchung.‘ Nun, der verwahrte sie denn auch. ‚Du hast doch,‘ sagt er darauf, ‚die Sechzigtausend für die Kirche gespendet.‘ Sagte ihm: ‚Ein Schuft bist du.‘ ‚Nein,‘ sagt er, ‚bin kein Schuft, bin nur eine weit angelegte Natur‘ ... Übrigens, das war nicht er ... Das war ein anderer. Ich hab sie nur verwechselt ... ohne es selbst zu bemerken. Nun, jetzt noch ein Gläschen und dann Schluß, nimm die Flasche fort, Iwan. Ich habe gelogen, warum hast du mich nicht unterbrochen, Iwan ... und gesagt, daß ich lüge?“
„Ich wußte, daß Sie es selbst sagen würden.“
„Du lügst, das hast du aus Bosheit nicht getan, nur aus Bosheit. Du verachtest mich. Du bist hergekommen zu mir und verachtest mich jetzt in meinem eigenen Hause.“
„Ich werde sehr bald fortfahren; der Kognak ist Ihnen nicht gerade zuträglich.“
„Ich hab dich himmelhoch gebeten, nach Tschermaschnjä zu fahren ... auf ein, zwei Tage, du aber fährst nicht.“
„Morgen, wenn es Ihnen so sehr darum zu tun ist.“
„Wirst ja doch nicht fahren. Du willst hier auf mich aufpassen, mich bespionieren, siehst du, was du willst, eine böse Seele bist du, und darum wirst du auch nicht fahren.“
Der Alte hörte nicht auf. Er hatte jene Phase der Trunkenheit erreicht, in der viele bis dahin friedliche Trinker sich plötzlich ärgern wollen.
„Was siehst du mich an? Was hast du für Augen? Deine Augen sehen mich an und sagen mir: ‚Betrunkene Fratze.‘ Mißtrauisch sind deine Augen, mit Verachtung blicken deine Augen ... Du bist hergekommen, weil du was ganz Besonderes im Sinne hast. Sieh, Aljoscha blickt einen an, und seine Augen strahlen dabei; der hat keine Hintergedanken. Aljoscha verachtet mich nicht. Aljoscha, du sollst Iwan nicht lieben!“
„Ärgern Sie sich nicht über meinen Bruder! Hören Sie endlich auf, ihn zu beleidigen!“ sagte plötzlich Aljoscha heftig.
„Was, wieso – ich, nun, meinetwegen. Ach, mein Kopf schmerzt. Nimm den Kognak fort, Iwan, zum drittenmal sag ich es dir schon.“ Er verstummte, wurde nachdenklich, und allmählich verzog sich sein Gesicht zu einem schlauen, breiten Lächeln. „Sei nicht bös, Iwan, ärgere dich nicht über den alten Taugenichts. Ich weiß, daß du mich nicht liebst, aber trotzdem ärgere dich nicht. Wofür sollte man mich auch lieben. Wenn du nach Tschermaschnjä fährst, werde ich dich besuchen, Delikatessen mitbringen. Ich werde dir dort ein Mädel zeigen, ich habe sie mir schon längst gemerkt. Vorläufig ist sie noch ein Barfüßchen. Aber laß dich dadurch nicht abschrecken, verachte sie nicht, die Barfüßchen – Perlen, sag ich dir!“
Und er drückte schmatzend einen Kuß auf seine Handfläche.
„Für mich,“ begann er plötzlich ganz belebt, als sei er im Augenblick nüchtern geworden, sobald er nur auf sein Lieblingsthema kam, „für mich ... Ach ihr! Kinderchen! Kleine Ferkelchen seid ihr! Für mich ... hat es sogar in meinem ganzen Leben kein einziges verächtliches Weib gegeben, das ist die Regel, an die ich mich halte! Könnt ihr das begreifen? Ach, wie sollt ihr denn das begreifen können: bei euch fließt ja noch Kindermilch anstatt Blut in den Adern, seid ja doch noch nicht mal aus dem Ei gekrochen! Nach meiner Überzeugung kann man in jedem Weibe ungewöhnlich viel, hol’s der Teufel, Interessantes finden, etwas, das man bei keiner einzigen anderen wiederfinden kann, – nur muß man es zu finden verstehen, das ist der Haken! Dazu gehört eben ein Talent! Unmögliche hat’s für mich überhaupt nicht gegeben: schon allein das, daß sie Weib ist, schon allein das – ist die Hälfte des Ganzen ... aber wie sollt ihr das begreifen! Selbst in den alten Jungfern findest du zuweilen noch so etwas, daß du dich über die übrigen Esel nur wundern kannst, wie sie sie nur haben alt werden lassen, ohne es überhaupt zu bemerken! Die Barfüßigen und Ausrangierten muß man ganz zuerst in Erstaunen setzen, – siehst du, so muß man sie anfassen. Und du wußtest das noch nicht? In Erstaunen muß man sie setzen, in eine Verwunderung, die zum Entzücken wird, die sie schließlich wie Begeisterung durchdringt, daß sich solch ein vornehmer Herr in solch einen Schmutzfink, wie sie, hat verlieben können. ’s ist wahrhaftig schön, daß es immer Hamiten und Herren auf der Welt geben wird, dann wird es auch immer solch eine kleine Scheuermagd geben, und immer auch einen Herrn für sie, das aber ist doch alles, was zum Lebensglück nötig ist! Wart ... hör mal, Aljoschka, mit deiner verstorbenen Mutter machte ich es ebenso, ich setzte sie gleichfalls in Erstaunen, nur kam es dabei anders heraus. Bin lange Zeit nicht zärtlich zu ihr, dann aber, wenn die Minute kommt – falle ich plötzlich vor ihr nieder, krieche auf den Knien vor ihr herum, küß ihr die Füßchen und bringe sie jedesmal, jedesmal – erinnere mich dessen noch wie heute – zu solch einem kleinen Lachen, solch einem trockenen, hellen, nicht lauten, nervösen ganz besonderen Lachen. Nur sie allein hatte solch ein Lachen. Ich weiß, daß damit bei ihr immer die Krankheit anfängt, daß sie morgen als Klikuscha rufen wird, und daß dieses kleine, trockene Lachen nichts weniger als Begeisterung bedeutet ... nun, einerlei, wenn auch Betrug, aber immerhin doch Begeisterung. Seht ihr, was das heißt, in allem so etwas zu finden verstehen! Einmal, weiß ich noch, war Beljäwski – ein hübscher, steinreicher Junge, hatte sich in sie verliebt und kam daher häufig zu uns ... Na ja, was ich sagen wollte, dieser Beljäwski also gab mir plötzlich in meinem eigenen Hause eine Ohrfeige, und zwar in ihrer Gegenwart. Als sie das sah, solch ein Lamm, – ich dachte, sie schlägt mich tot! ‚Jetzt bist du beschimpft,‘ schreit sie, ‚beschimpft, du hast von ihm eine Ohrfeige bekommen! Du hast mich,‘ sagt sie, ‚an ihn verkauft ... Wie hat er es wagen können, dich in meiner Gegenwart zu schlagen! Wage es nicht mehr, zu mir zu kommen, nie mehr, nie mehr! Geh sofort, fordere ihn auf Pistolen‘ ... So daß ich sie damals zur Beruhigung ins Kloster schleppen mußte, die heiligen Väter stellten sie durch Gebete wieder her. Aber, bei Gott, das hatte ich doch nicht von meiner kleinen Klikuscha erwartet! Nur einmal, höchstens einmal, es war noch im ersten Jahr: sie betete damals schon gar zu viel, besonders an den Feiertagen der Muttergottes, dann jagte sie sogar mich fort, in mein Kabinett – schlafen. Ich dachte, wart, werde diese ganze Mystik aus ihr heraustreiben! ‚Siehst du,‘ sage ich, ‚siehst du, das ist dein Heiligenbild, sieh, hier ist es, sieh, ich hab es abgenommen: und jetzt sieh, du hältst es für wundertätig, ich aber werde es jetzt gleich hier vor deinen Augen anspucken, und nichts wird dafür mit mir geschehen!‘ ... Wie sie das sah, Herrgott, denke ich: jetzt wird sie mich totschlagen! Sie aber sprang nur auf, krampfte die Hände zusammen, dann bedeckte sie mit ihnen das Gesicht, erzitterte am ganzen Körper und fiel zu Boden ... einfach so ... Aljoscha, Aljoscha! Was hast du, was fehlt dir?“
Der Alte sprang erschrocken auf. Aljoschas Gesicht hatte sich seit dem Augenblick, da der Vater von seiner Mutter zu sprechen begann, allmählich verändert. Er wurde rot, seine Augen flackerten auf, und die Lippen erzitterten ... Der trunkene Alte schwatzte weiter, daß ihm der Speichel von den Lippen spritzte, und bemerkte nichts davon – bis zu dem Augenblick, da mit Aljoscha plötzlich etwas sehr Sonderbares geschah, und zwar wiederholte sich bei ihm genau dasselbe, was der Alte gerade von seiner „Klikuscha“ erzählte. Aljoscha sprang plötzlich auf, krampfte die Hände zusammen, bedeckte dann mit ihnen das Gesicht und fiel wie vom Blitz getroffen zurück auf den Stuhl; er erbebte plötzlich von einem hysterischen Anfall erschütternder Tränen und schluchzte lautlos. Die ungewöhnliche Ähnlichkeit mit der Mutter frappierte den Alten ganz besonders.
„Iwan, Iwan! Gib schnell Wasser,“ rief er erregt. „Das ist ganz wie sie, ganz genau so wie sie, wie damals seine Mutter! Bespritz ihn ein bißchen mit dem Wasser, so machte auch ich es mit ihr. Er weint wegen seiner Mutter ... wegen seiner Mutter ...“
„Ich glaube, seine Mutter war auch meine Mutter, was meinen Sie wohl?“ stieß plötzlich in unbezwingbarer, zorniger Verachtung Iwan Fedorowitsch hervor.
Der Alte fuhr zusammen vor seinem lodernden Blick. Doch da geschah etwas sehr Sonderbares, allerdings nur auf eine Minute: der Alte schien wirklich vergessen zu haben, daß die Mutter Aljoschas auch die Mutter Iwans war ...
„Wie das – deine Mutter?“ murmelte er verständnislos. „Wie meinst du das? Von welch einer Mutter sprichst du? ... ja, war sie denn auch ... Ach, richtig! Teufel! Sie ist ja auch deine! Ach, Teufel! Nun, das, mein Lieber, das war mir ganz entfallen, verzeih, ich aber glaubte, Iwan ... He–he–he!“
Ein trunkenes, halb sinnloses Lächeln zog wieder sein Gesicht in die Breite. Da hörten sie plötzlich vom Vorzimmer her Geräusch und Gepolter und lautes Geschrei: die Saaltür flog auf, und herein stürzte Dmitrij Fedorowitsch. Der Alte warf sich entsetzt zu Iwan:
„Er schlägt mich tot, er schlägt mich tot! Beschütz mich, beschütz mich!“ rief er heiser und klammerte sich angstvoll an den Rock seines Sohnes Iwan Fedorowitsch.