Der Rosenstock

Und Spoelmann finanzierte den Staat. Der Vorgang war groß und klar in seinen Grundzügen; ein Kind hätte verstehen können – und tatsächlich erklärten ihn glückstrahlende Väter ihren Kindern, während sie sie auf den Knien schaukelten.

Samuel Spoelmann winkte, die Herren Phlebs und Slippers gerieten in Bewegung, und seine gewaltigen Weisungen zuckten unter den Wogen des Ozeans hin zum Festland der westlichen Hemisphäre. Er zog ein Drittel seines Anteils aus dem Zuckertrust, ein Viertel aus dem Petroleumtrust, die Hälfte aus dem Stahltrust zurück; er ließ sich das flüssig gemachte Kapital bei mehreren hiesigen Banken anweisen; und auf einen einzigen Schlag nahm er Herrn Krippenreuther für dreihundertundfünfzig Millionen neuer dreieinhalbprozentiger Staatsobligationen zu pari ab. Das tat Spoelmann.

Wer den Einfluß des Gemütszustandes auf die Organe des Menschen erfahren hat, wird glauben, daß Doktor Krippenreuther aufblühte und binnen kurzem nicht wiederzuerkennen war. Er trug sich aufrecht und frei, sein Gang ward schwebend, die gelbe Farbe verschwand aus seinem Antlitz, es ward weiß und rot, seine Augen blitzten, und so völlig kam in wenigen Monaten sein Magen zu Kräften, daß der Minister, wie man von ihm befreundeter Seite vernahm, sich ungestraft dem Genusse von Blaukraut und Gurkensalat überlassen durfte. Das war eine erfreuliche, doch rein persönliche Folge von Spoelmanns Eingreifen in unser Finanzwesen, die leicht ins Gewicht fiel, im Vergleich mit den Wirkungen, die dieses Eingreifen auf unser Staats- und Wirtschaftsleben ausübte.

Ein Teil der Anleihe wurde der Tilgungskasse zugeführt, und quälende Staatsschulden wurden eingelöst. Aber es hätte dessen kaum bedurft, um uns nach allen Seiten Luft und Kredit zu verschaffen; denn nicht so bald war es, bei aller Verschwiegenheit, mit welcher die Angelegenheit amtlich behandelt wurde, bekannt geworden, daß Samuel Spoelmann den Tatsachen, wenn auch nicht dem Namen nach Staatsbankier geworden sei, als über uns die Himmel sich erhellten und all unsere Not sich in Lust und Wonne verwandelte. Es hatte ein Ende mit den Angstverkäufen von Schuldforderungen, der landesübliche Zinsfuß sank, unsere Verschreibungen waren als Anlagepapiere freudig begehrt, und von heute auf morgen schnellte der Kurs unserer hochverzinslichen Anleihen aus kummervollem Stande weit über pari empor. Der Druck, der jahrzehntelange Alp, war von unserer Volkswirtschaft genommen, mit geschwellter Brust sprach Doktor Krippenreuther im Landtag zugunsten durchgreifender Steuererleichterung – einstimmig ward sie beschlossen, und unter dem Jubel aller sozial Empfindenden fuhr endlich die vorsintflutliche Fleischsteuer zu Grabe. Eine bedeutende Aufbesserung der Beamtenbesoldungen, der Gehälter für Lehrer, Geistliche und alle Funktionäre in den Staatsbetrieben ward schlanker Hand bewilligt. Es fehlte nicht länger an Mitteln, die wüstliegenden Silberbergwerke wieder in Betrieb zu setzen, vielhundert Arbeiter kamen zu Brot, und unverhofft stieß man auf ertragreiche Schichten. Geld, Geld war vorhanden, die wirtschaftliche Sittlichkeit hob sich, man holzte auf, man ließ dem Wald seinen Streudünger, die Viehbesitzer brauchten nicht mehr all ihre Vollmilch zu verkaufen, sie tranken sie selber, und vergebens hätten die Krittler hinfort auf dem Lande nach unterernährten Gestalten gesucht. Das Volk zeigte sich dankbar gegen sein Herrscherhaus, das so ungemessenen Segen über Land und Leute gebracht. Es kostete Herrn von Knobelsdorff nicht viele Worte, um das Parlament zu einer Erhöhung der Krondotation zu bewegen. Jene Verfügung, welche die Schlösser »Zeitvertreib« und »Favorita« dem Verkauf unterstellte, ward zurückgezogen. Geschickte Werkmeister zogen ins Alte Schloß, um es von oben bis unten mit Dampfdruckheizung zu versehen. Unsere Geschäftsträger bei Spoelmann, die Herren von Bühl und Doktor Krippenreuther, erhielten das Großkreuz des Albrechtsordens in Brillanten, dem Finanzminister ward außerdem der persönliche Adel zuteil, und Herr von Knobelsdorff wurde mit einem lebensgroßen Bildnis des hohen Brautpaares erfreut – ausgeführt von der greisen Künstlerhand des Professors von Lindemann und in kostbarem Rahmen.

Über die Mitgift, die Imma Spoelmann von ihrem Vater empfangen sollte, erging sich nach der Verlobung das Volk in Phantastereien. Man befand sich im Taumel, man war von einer tollen Sucht besessen, mit wahrhaft astronomischen Ziffern um sich zu werfen. Aber die Mitgift überstieg nicht ein irdisches, wenn auch recht erfreuliches Maß. Sie betrug hundert Millionen.

»Bewahre!« sagte Ditlinde zu Ried-Hohenried, als sie zuerst davon vernahm. »Und mein guter Philipp mit seinem Torf …« Ähnlich dachte wohl mancher; aber den nervösen Zorn, der sich in schlichten Herzen gegen so ungeheuerliche Verhältnisse regen mochte, beruhigte Spoelmanns Tochter, indem sie wohlzutun und mitzuteilen nicht vergaß, sondern gleich am Tage des öffentlichen Verlöbnisses eine Stiftung von fünfhunderttausend Mark errichtete, deren Erträgnisse jedes Jahr in die vier Landeskommissarbezirke zu mildtätigen und gemeinnützigen Zwecken verteilt werden sollten …

In einem der olivenfarbenen Spoelmannschen Automobile mit den ziegelroten Ledersitzen fuhren Klaus Heinrich und Imma und machten Visiten bei den Mitgliedern des Hauses Grimmburg. Ein junger Chauffeur lenkte das prachtvolle Fahrzeug – derselbe, der nach Immas Aussage einige Ähnlichkeit mit Klaus Heinrich haben sollte, aber seine Anspannung war gering auf diesen Fahrten, denn es war geradezu notwendig, die Riesenkräfte des Wagens soweit wie nur möglich zu fesseln und langsames Zeitmaß zu halten – so sehr war er allerwege von Huldigungen umdrängt. Ja, da die weiteren Urheber unseres Glücks, da Großherzog Albrecht und Samuel Spoelmann, ein jeder nach seiner Art, sich vor dem Volke verbargen, so häufte es all seine Liebe und Dankbarkeit auf die Häupter des hohen Brautpaares; hinter den geschliffenen Fensterscheiben des Kraftwagens flogen die Mützen der Buben empor, der Jubel von Männern und Frauen drang hell und grölend herein, und Klaus Heinrich, die Hand am Helmschirm, sagte vermahnend: »Du mußt ebenfalls grüßen, Imma, nach deiner Seite, sonst halten sie dich für kalt.« Denn ungeduldig wie er war, nannte er sie du seit jenem Gespräch auf dem Hofball, obgleich sie es ihm, noch ungewohnt der wärmeren Sphären, erschrocken verwies – und wie leicht ging ihm das Wörtchen vom Munde, das sonst immer falsch und unmöglich gewesen war!

Sie fuhren zur Prinzessin Katharina und wurden mit Würde empfangen. Weiland Großherzog Johann Albrecht, ihr Bruder, sagte die Tante zu ihrem Neffen, würde es nicht erlaubt haben. Aber die Zeiten schritten ja fort, und sie bitte Gott, daß seine Verlobte sich eingewöhnen möge bei Hofe. Sie fuhren zur Fürstin zu Ried-Hohenried, und hier war es Liebe, was sie empfing. Ditlindens Grimmburger Stolz fand Beruhigung in der Sicherheit, daß Leviathans Tochter wohl Prinzessin des Großherzoglichen Hauses und Königliche Hoheit, doch niemals Großherzogliche Prinzessin werden könne wie sie; im übrigen war sie entzückt darüber, daß Klaus Heinrich sich etwas so Holdes und Kostbares erstöbert hatte, wußte auch bestens, als Gattin Philipps mit seinem Torf, die Vorzüge dieser Heirat zu würdigen und bot ihrer Schwägerin von Herzen Freundschaft und Schwesterschaft. Sie fuhren auch an der Villa des Prinzen Lambert vor, und während die Gräfin-Braut sich mühte, eine Plauderei mit der zierlichen, aber sehr ungebildeten Freifrau von Rohrdorf in Gang zu halten, beglückwünschte der alte Schürzenjäger seinen Neffen mit Grabesstimme zu der vorurteilsfreien Wahl, die er getroffen, und daß er so keck dem Hof und der Hoheit ein Schnippchen geschlagen. »Ich schlage der Hoheit kein Schnippchen, Onkel; auch habe ich nicht in unbedeutender Weise nur auf mein eigenes Glück Bedacht genommen, sondern alles aus dem Gesichtspunkt des Großen, Ganzen betrachtet« – sagte Klaus Heinrich recht unverbindlich, und dann brachen sie auf und fuhren hinaus nach Schloß »Segenhaus«, wo Dorothea, die arme Großherzogin-Mutter, traurigen Hof hielt. Die weinte, als sie die junge Braut auf die Stirn küßte, und wußte selbst nicht, worüber.

Indessen saß Samuel Spoelmann auf »Delphinenort«, umgeben von Plänen und Möbelentwürfen und seidenen Tapetenmustern und Zeichnungen zu goldenem Speisegerät. Er kam nicht zum Orgelspiel und vergaß seine Nierensteine und bekam fast rote Backen vor lauter Geschäftigkeit; denn wenn er auch noch so geringe Stücke auf den »jungen Menschen« hielt und keine Hoffnung aufkommen ließ, daß man ihn jemals bei Hofe zu sehen bekomme, so sollte doch sein Töchterchen Hochzeit machen, und die wollte er einrichten, wie seine Verhältnisse es erlaubten. Die Pläne betrafen das neue Schloß »Eremitage«, denn Klaus Heinrichs Junggesellensitz sollte dem Erdboden gleichgemacht werden und ein neues Schloß an seiner Stelle erstehen, geräumig und hell, ausgestattet nach Klaus Heinrichs Wunsch, in einer gemischten Stilart aus Empire und Neuzeit, aus kühler Strenge und wohnlichem Behagen. Herr Spoelmann erschien eines Morgens, nachdem er im Quellengarten das Wasser genommen, persönlich in seinem mißfarbenen Paletot auf »Eremitage«, um festzustellen, ob etwa dies oder jenes Möbelstück für die Einrichtung des neuen Schlosses verwendbar sei. »Lassen Sie sehen, junger Prinz, was Sie haben!« sagte er knarrend, und Klaus Heinrich zeigte ihm alles in seinen enthaltsamen Stuben, die mageren Sofas, die steifbeinigen Tische, die weiß lackierten Gueridons in den Ecken. »Das ist Klapperwerk«, sagte Herr Spoelmann abschätzig, »und nichts damit anzufangen.« Einzig drei Armstühle in dem kleinen gelben Salon, aus schwerem Mahagoni, mit schneckenförmig aufgerollten Armlehnen und die gelben Bezüge mit bläulichen Lyren bestickt, fanden Gnade vor seinen Augen. »Die können wir in ein Vorzimmer stellen«, sagte er, und Klaus Heinrich legte Wert darauf, daß von Grimmburger Seite drei Armstühle würden zur Einrichtung beigesteuert werden; denn natürlich wäre es ihm ein wenig peinlich gewesen, wenn Herr Spoelmann für alles und jedes hätte aufkommen müssen.

Aber auch der verwilderte Park und der Blumengarten von »Eremitage« sollten ausgelichtet und neu bestellt werden, und namentlich was den Blumengarten betraf, so war ihm eine besondere Zierde zugedacht, die Klaus Heinrich von seinem Bruder, dem Großherzog, als Hochzeitsgeschenk erbeten hatte. In das große Mittelbeet nämlich, vor der Auffahrt, sollte der Rosenstock aus dem Alten Schlosse verpflanzt werden, und dort, nicht mehr von modrigen Mauern umgeben, sondern in Luft und Sonne und dem fettesten Mergel, der beizubringen war, sollte er zusehen, was für Rosen er fortan trieb – und den Volksmund Lügen strafen, wenn er verstockt und dünkelhaft genug dazu war.

Und als März und April vergangen waren, da kam der Mai und mit ihm das hohe Fest von Klaus Heinrichs und Immas Ehebund. Glorreich und lieblich, mit vergoldeten Wölkchen im reinen Azur, kam der Tag herauf, und Choralmusik vom Turme des Rathauses begrüßte sein Erwachen. Mit allen Zügen, zu Fuß und zu Wagen strömte das Landvolk herein, dieser blonde und gedrungene, gesunde und rückständige Schlag mit blauen, grübelnden Augen und breiten, ein wenig zu hoch sitzenden Wangenknochen, mit der schmucken Landestracht angetan, die Männer in roten Jacken und Stulpenstiefeln und schwarzen, breitkrempigen Samthüten, die Frauen in buntgestickten Miedern und dicken, fußfreien Röcken und der schwarzen Riesenschleife als Kopfputz – und drängten sich mit der städtischen Bevölkerung in der Straßenzeile zwischen dem Quellengarten und dem Alten Schloß, die mit Girlanden und bekränzten Tribünen und weiß bemalten Holzobelisken voll Pflanzenschmuck in eine Einzugsstraße verwandelt worden war. Von früh an wurden die Banner der gewerblichen Verbände, der Schützengilden und Sportvereine durch die Straßen getragen. Die Feuerwehr, in blitzenden Helmen, war auf den Beinen. Man sah die Chargierten der Studentenkorps in aller Pracht und mit ihren Fahnen in offenen Landauern umherfahren. Man sah Gruppen von weißen Ehrenjungfrauen, die Rosenstäbe in den Händen hielten. Die Bureaus und Werkstätten feierten. Die Schulen waren geschlossen. In den Kirchen ward Festgottesdienst gehalten. Und die Morgenausgaben des »Eilboten« sowohl wie des »Staatsanzeigers« enthielten nebst innigen Leitartikeln die Verkündigung einer umfassenden Amnestie, laut welcher vielen zu Freiheitsstrafen verdammten Personen durch vollständigen oder teilweisen Straferlaß vom Großherzog Gnade erwiesen wurde. Sogar der Mörder Gudehus, der zum Tode und dann zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden war, wurde auf Wohlverhalten aus dem Zuchthaus beurlaubt. Aber er mußte alsbald wieder in Sicherheit gebracht werden.

Um zwei Uhr war Festessen der Bürgerschaft im Saale des »Museums«, mit Tafelmusik und Huldigungstelegrammen. Aber vorm Tor war Volksbelustigung, mit Schmalzgebackenem und Sultansbrot, mit Festmarkt, Glückshafen und Vogelschießen, Sacklauf und Preisklettern nach Sirupsemmeln für die männliche Jugend. Aber dann kam die Stunde, da Imma Spoelmann von »Delphinenort« zum Alten Schlosse fuhr. Sie tat es in feierlichem Zuge.

Die Fahnen flatterten im Frühlingswind, die armdicken Girlanden rankten sich, mit roten Rosen durchflochten, von einem Holzobelisken zum andern, schwarz staute sich auf den Tribünen, den Dächern, den Bürgersteigen die Menge, und zwischen dem Spalier von Schutzleuten und Feuerwehr, von Gilden, Vereinen, Studenten und Schulkindern kam langsam auf der mit Sand bestreuten Feststraße, umbrandet von Jubel, der Brautzug daher. Zwei Spitzenreiter mit Tressenhüten und Fangschnüren kamen zuerst, geführt von einem schnauzbärtigen Stallmeister im Dreispitz. Eine vierspännige Kutsche dann, worin der großherzogliche Kommissär, Beamter des Hausministeriums und zur Einholung abgeordnet, mit einem Kammerherrn zur Begleitung lehnte. Ein zweiter Vierspänner hierauf, worin man die Gräfin Löwenjoul gewahrte, die scheel und schief auf die beiden Ehrendamen blickte, mit denen sie fuhr, und denen sie wohl in sittlicher Hinsicht mißtraute. Zehn Postillone zu Pferde demnächst, in gelben Hosen und blauen Fräcken, die bliesen: »Wir winden dir den Jungfernkranz«. Zwölf weiße Jungfrauen sodann, die kleine Rosen und Ästchen vom Lebensbaum auf die Straße streuten. Und endlich, gefolgt von fünfzig gewaltig berittenen Handwerksmeistern, der sechsfach bespannte, sehr durchsichtige Brautwagen. Stolz streckte hoch droben auf dem mit weißem Sammet behangenen Bock der rotgesichtige Kutscher im Tressenhut seine Gamaschenbeine, die langen Zügel mit ebenfalls ausgestreckten Armen haltend; Stalldiener in Stulpen führten die Schimmelpaare am Zaum, und zwei Lakaien in großem Staat standen der klirrenden Karosse hintenauf, in deren unzugänglichen Mienen niemand gelesen hätte, daß Durchstecherei und schleichendes Wesen ihrem Alltag nicht fremd waren. Doch hinter Glas und vergoldetem Rahmen saß Imma Spoelmann in Schleier und Kranz, eine alte Palastdame als Ehrendienst an der Seite. Wie Schnee in der Sonne schimmerte ihr Kleid aus geflammtem Seidengewebe, und auf dem Schoße hielt sie den weißen Strauß, den Prinz Klaus Heinrich ihr eine Stunde früher gesandt. Ihr fremdes Kindergesichtchen war bleich wie die Perlen des Meeres, und unter dem Schleier hervor fiel eine glatte Strähne blauschwarzen Haares in ihre Stirn, während ihre Augen, so kohlschwarz und übergroß, über das wimmelnde Volk hin eine fließende Sprache führten. Jedoch was tobte, geiferte, lärmte zur Seite des Kutschenschlages? Es war Perceval, der Colliehund – so außer sich, wie man ihn noch niemals gesehen! Der Trubel, die Fahrt erregten ihn über das Maß, beraubten ihn aller Besonnenheit, zerrissen sein Inneres ganz und bis zum Vergehen. Er raste, er tanzte, er litt, er schwang sich blind wütend herum im Rausch seiner Nerven – und beiderseits auf den Tribünen, der Straße, den Dächern überstieg der Jubel sich selbst, als das Volk ihn erkannte.

So zog Imma Spoelmann ins Alte Schloß, und das Summen und Dröhnen der Glocken vermischte sich mit den Hochrufen des Volks und mit Percevals tollem Gebell. Über den Albrechtsplatz ging es im Schritt und durch das Albrechtstor; im Schloßhof schwenkte das berittene Korps der Innungen ab und nahm Paradeaufstellung, und im Säulenumgang, vor dem verwitterten Portal, empfing Großherzog Albrecht, als Husarenoberst, mit seinem Bruder und den übrigen Prinzen die Braut, bot ihr den Arm und führte sie die grausteinerne Treppe hinauf in die Repräsentationsräume, an deren Türen Galawachen standen und in denen die Hofstaaten versammelt waren. Die Prinzessinnen des Hauses weilten im Rittersaal, und dort war es, wo Herr von Knobelsdorff, im Kreise der Großherzoglichen Familie, die standesamtliche Eheschließung vollzog. Nie, hörte man später, hätten seine Augenfältchen lebhafter gespielt, als während er Klaus Heinrich und Imma Spoelmann von Staats wegen zusammentat. Doch dies geschehen, gab Albrecht II. den Befehl zum Beginn der kirchlichen Feier.

Herr von Bühl zu Bühl hatte das seine getan, um einen eindrucksvollen Zug zusammenzustellen – den Brautzug, in welchem man sich über die Treppe Heinrichs des Üppigen durch einen gedeckten Gang in die Hofkirche begab. Gebückt nachgerade von der Last der Jahre, aber in braunem Toupet und jugendlich schwänzelnd, schritt er, mit Orden bedeckt bis zu den Lenden und seinen hohen Stab vor sich hinsetzend, den Kammerherren voran, die, den Federhut unterm Arm und den Schlüssel an der hinteren Taillennaht, in seidenen Strümpfen daherzogen. Es nahte das junge Paar: in weißem Schimmer die fremdartige Braut und in Leibgrenadieruniform, das zitronenfarbene Band schräg über Brust und Rücken, Klaus Heinrich, der Thronfolger. Vier Fräulein aus dem Landadel trugen mit verdutzten Mienen Imma Spoelmanns Schleppe, begleitet von der Gräfin Löwenjoul, die mißtrauisch seitwärts äugte; und die Herren von Schulenburg-Tressen und von Braunbart-Schellendorf schritten hinter dem Bräutigam. Oberhofjägermeister von Stieglitz und die hinkende Schauspielexzellenz traten hierauf dem jungen Monarchen voran, der still an der Oberlippe sog, seine Tante Katharina zur Seite und gefolgt vom Hausminister von Knobelsdorff, von den Adjutanten, dem fürstlichen Paare zu Ried-Hohenried und den übrigen Mitgliedern des Hauses. Zum Schluß kamen wieder Kämmerer.

In der Hofkirche, die mit Pflanzen und Draperien ausgestattet war, hatten die geladenen Gäste den Zug erwartet. Es waren Diplomaten mit ihren Damen, Hof- und Landadel, das Offizierkorps der Residenz, die Minister, unter denen man die leuchtende Miene des Herrn von Krippenreuther gewahrte, die Ritter des Großen Ordens vom Grimmburger Greifen, die Präsidenten des Landtags, allerlei Würdenträger. Und da das Oberhofmarschallamt Einladungen in alle Gesellschaftsklassen hatte ergehen lassen, so füllten auch Handeltreibende, Landleute und schlichte Handwerker erhobenen Herzens das Gestühl. Aber vorn am Altar nahmen im Halbkreise auf rotsamtenen Armstühlen die Anverwandten des Bräutigams Platz. Zart und rein schwebte der Gesang des Domchors unter den Wölbungen, und dann sang zum Brausen der Orgel die ganze Gemeinde ein Loblied. Als es verhallte, blieb einzig die wohllautende Stimme des Oberkirchenratspräsidenten D. Wislizenus zurück, der im Silberhaar und den gewölbten Stern auf dem seidigen Talar, vor dem hohen Paare stand und kunstreich predigte. Motivisch arbeitete er und sozusagen auf musikalische Art. Und das Thema, das er handhabte, war der Psalterklang, der da lautet: »Er wird leben, und man wird ihm vom Golde aus Reich Arabien geben.« – Da war kein Auge, das trocken blieb.

Dann vollzog D. Wislizenus die Trauung, und in dem Augenblick, da das Brautpaar die Ringe wechselte, erschallten Trompetenfanfaren, und dreimal zwölf Schüsse begannen über Stadt und Land hinzurollen, abgefeuert von militärischer Seite auf dem Wall der »Zitadelle«. Gleich darauf kanonierte auch die Feuerwehr mit den städtischen Salutgeschützen; aber lange Pausen entstanden zwischen einzelnen Detonationen, was der Bevölkerung unerschöpflichen Stoff zum Gelächter gab.

Als der Segen gesprochen war, ordnete sich aufs neue der Zug, um zurückzukehren in den Rittersaal, wo Haus Grimmburg die Neuvermählten beglückwünschte. Aber dann war die Sprechcour, und Arm in Arm gingen Klaus Heinrich und Imma Spoelmann durch die Schönen Zimmer, wo die Hofstaaten sich aufgestellt hatten, und richteten Ansprachen an Herren und Damen, lächelnd über einen Abstand von blankem Parkett hinweg, und Imma wandte mit vorgeschobenen Lippen ihr Köpfchen hin und her, während sie jemanden ansprach, der in Verbeugung ausbog und maßvolle Antwort gab. Nach beendeter Cour war Zeremonientafel im Marmorsaal und Marschalltafel in dem der zwölf Monate, und es gab vom Teuersten, aus Rücksicht auf die Gewohnheiten von Klaus Heinrichs Gemahlin. Auch Perceval, nun wieder bei Sinnen, war beim Festmahl zugegen und erhielt Braten. Nach dem Souper jedoch bereiteten die Studenten und das Volk dem jungen Paare eine Huldigung mit Ständchen und Fackelzug auf dem Albrechtsplatz. Flackerndes Licht und ungeheuerer Lärm herrschten da draußen.

Lakaien zogen den Vorhang von einem der Fenster im Silbersaal, sie öffneten weit die fast bis zum Boden reichenden Flügel, und Klaus Heinrich und Imma traten an das offene Fenster, wie sie waren, denn draußen war eine laue Frühlingsnacht. Neben ihnen, in edler Haltung und mit bedeutender Miene, saß Perceval, der Colliehund, und blickte hinunter wie sie.

Sämtliche Musikkorps der Residenz spielten auf dem illuminierten Platze, der vollgepfercht war von Menschen, und die aufwärtsgekehrten Gesichter des Volkes waren dunkelrot qualmig beglüht von den Fackeln der Studenten, die am Schlosse vorüberzogen. Jubel brach aus, als die Neuvermählten am Fenster erschienen. Sie grüßten und dankten. Und dann blieben sie noch eine Weile dort stehen, schauend zugleich und sich darstellend. Das Volk sah aber von unten, wie sie im Gespräche die Lippen bewegten. Sie sprachen: »Horch, Imma, wie dankbar sie sind, weil wir ihrer Not und Bedrängnis nicht vergessen haben. So viele Menschen! Da stehen sie und rufen herauf. Viele davon sind sicher Kujone und führen einander auf den Leim und bedürfen dringlich der Erhebung über den Wochentag und seine Sachlichkeit. Aber wenn man dabei sich ihrer Not und Bedrängnis nicht fremd zeigt, so sind sie sehr dankbar.«

»Aber wir sind so dumm und allein, Prinz, auf der Menschheit Höhen, wie Doktor Überbein immer gesagt haben soll, und wissen gar nichts vom Leben!«

»Gar nichts, kleine Imma? Aber was ist es denn, was dir endlich Vertrauen zu mir gemacht und mich zu so wirklichen Studien über die öffentliche Wohlfahrt geführt hat? Weiß der gar nichts vom Leben, der von der Liebe weiß? Das soll fortan unsre Sache sein: beides, Hoheit und Liebe – ein strenges Glück.«

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