c) Die somatischen Traumquellen.

Wenn man den Versuch macht, einen gebildeten Laien für die Probleme des Träumens zu interessieren, und in dieser Absicht die Frage an ihn richtet, aus welchen Quellen wohl nach seiner Meinung die Träume herrühren, so merkt man zumeist, daß der Gefragte im gesicherten Besitze eines Teiles der Lösung zu sein vermeint. Er gedenkt sofort des Einflusses, den gestörte oder beschwerte Verdauung (»Träume kommen aus dem Magen«), zufällige Körperlage und kleine Erlebnisse während des Schlafens auf die Traumbildung äußern, und scheint nicht zu ahnen, daß nach Berücksichtigung all dieser Momente etwas der Erklärung Bedürftiges noch erübrigt.

Die somatischen Traumquellen nach den Autoren.

Welche Rolle für die Traumbildung die wissenschaftliche Literatur den somatischen Reizquellen zugesteht, haben wir im einleitenden Abschnitt (p. 16 u. ff.) ausführlich auseinandergesetzt, so daß wir uns hier nur an die Ergebnisse dieser Untersuchung zu erinnern brauchen. Wir haben gehört, daß dreierlei somatische Reizquellen unterschieden werden, die von äußeren Objekten ausgehenden objektiven Sinnesreize, die nur subjektiv begründeten inneren Erregungszustände der Sinnesorgane und die aus dem Körperinnern stammenden Leibreize, und wir haben die Neigung der Autoren bemerkt, neben diesen somatischen Reizquellen etwaige psychische Quellen des Traumes in den Hintergrund zu drängen oder ganz auszuschalten (p. 31). Bei der Prüfung der Ansprüche, welche zu gunsten dieser Klassen von somatischen Reizquellen erhoben werden, haben wir erfahren, daß die Bedeutung der objektiven Sinnesorganerregungen – teils zufällige Reize während des Schlafes, teils solche, die sich auch vom schlafenden Seelenleben nicht fern halten lassen – durch zahlreiche Beobachtungen sichergestellt wird und durch das Experiment eine Bestätigung erfährt (p. 19), daß die Rolle der subjektiven Sinneserregungen durch die Wiederkehr der hypnagogischen Sinnesbilder in den Träumen (p. 24) dargetan erscheint, und daß die im weitesten Umfang angenommene Zurückführung unserer Traumbilder und Traumvorstellungen auf inneren Leibreiz zwar nicht in ihrer ganzen Breite beweisbar ist, aber sich an die allbekannte Beeinflussung anlehnen kann, welche der Erregungszustand der Digestions-, Harn- und Sexualorgane auf den Inhalt unserer Träume ausübt.

»Nervenreiz« und »Leibreiz« wären also die somatischen Quellen des Traumes, d. h. nach mehreren Autoren die einzigen Quellen des Traumes überhaupt.

Wir haben aber auch bereits einer Reihe von Zweifeln Gehör geschenkt, welche nicht sowohl die Richtigkeit als vielmehr die Zulänglichkeit der somatischen Reiztheorie anzugreifen schienen.

So sicher sich alle Vertreter dieser Lehre bezüglich deren tatsächlichen Grundlagen fühlen mußten – zumal soweit die akzidentellen und äußeren Nervenreize in Betracht kommen, die im Trauminhalt wiederzufinden keinerlei Mühe erfordert –, so blieb doch keiner der Einsicht fern, daß der reiche Vorstellungsinhalt der Träume eine Ableitung aus den äußeren Nervenreizen allein wohl nicht zulasse. Miß Mary Whiton Calkins hat ihre eigenen Träume und die einer zweiten Person durch sechs Wochen hindurch von diesem Gesichtspunkte aus geprüft und nur 13.2% respektive 6.7% gefunden, in denen das Element äußerer Sinneswahrnehmung nachweisbar war; nur zwei Fälle der Sammlung ließen sich auf organische Empfindungen zurückführen. Die Statistik bestätigt uns hier, was uns bereits eine flüchtige Überschau unserer eigenen Erfahrungen hatte vermuten lassen.

Man beschied sich vielfach, den »Nervenreiztraum« als eine gut erforschte Unterart des Traumes vor anderen Traumformen hervorzuheben. Spitta trennte die Träume in Nervenreiz- und Assoziationstraum. Es war aber klar, daß die Lösung unbefriedigend blieb, solange es nicht gelang, das Band zwischen den somatischen Traumquellen und dem Vorstellungsinhalt des Traumes nachzuweisen.

Neben den ersten Einwand, der Unzulänglichkeit in der Häufigkeit der äußeren Reizquellen, stellt sich so als zweiter die Unzulänglichkeit in der Aufklärung des Traumes, die durch die Einführung dieser Art von Traumquellen zu erreichen ist. Die Vertreter der Lehre sind uns zwei solcher Aufklärungen schuldig, erstens warum der äußere Reiz im Traume nicht in seiner wirklichen Natur erkannt, sondern regelmäßig verkannt wird (vgl. die Weckerträume, p. 21), und zweitens warum das Resultat der Reaktion der wahrnehmenden Seele auf diesen verkannten Reiz so unbestimmbar wechselvoll ausfallen kann. Als Antwort auf diese Frage haben wir von Strümpell gehört, daß die Seele infolge ihrer Abwendung von der Außenwelt während des Schlafens nicht im stande ist, die richtige Deutung des objektiven Sinnesreizes zu geben, sondern genötigt wird, auf Grund der nach vielen Richtungen unbestimmten Anregung Illusionen zu bilden, in seinen Worten ausgedrückt (p. 108):

»Sobald durch einen äußeren oder inneren Nervenreiz während des Schlafes in der Seele eine Empfindung oder ein Empfindungskomplex, ein Gefühl, überhaupt ein psychischer Vorgang entsteht und von der Seele perzipiert wird, so ruft dieser Vorgang aus dem der Seele vom Wachen her verbliebenen Erfahrungskreise Empfindungsbilder, also frühere Wahrnehmungen, entweder nackt oder mit zugehörigen psychischen Werten hervor. Er sammelt gleichsam um sich eine größere oder kleinere Anzahl solcher Bilder, durch welche der vom Nervenreiz herrührende Eindruck seinen psychischen Wert bekommt. Man sagt gewöhnlich auch hier, wie es der Sprachgebrauch für das wache Verhalten tut, daß die Seele im Schlafe die Nervenreizeindrücke deute. Das Resultat dieser Deutung ist der sogenannte Nervenreiztraum, d. h. ein Traum, dessen Bestandteile dadurch bedingt sind, daß ein Nervenreiz nach den Gesetzen der Reproduktion seine psychische Wirkung im Seelenleben vollzieht.«

In allem Wesentlichen mit dieser Lehre identisch ist die Äußerung von Wundt, die Vorstellungen des Traumes gehen jedenfalls zum größten Teil von Sinnesreizen aus, namentlich auch von solchen des allgemeinen Sinnes, und sind daher zumeist phantastische Illusionen, wahrscheinlich nur zum kleineren Teil reine, zu Halluzinationen gesteigerte Erinnerungsvorstellungen. Für das Verhältnis des Trauminhaltes zu den Traumreizen, welches sich nach dieser Theorie ergibt, findet Strümpell das treffliche Gleichnis (p. 84), es sei, wie »wenn die zehn Finger eines der Musik ganz unkundigen Menschen über die Tasten des Instruments hinlaufen«. Der Traum erschiene so nicht als ein seelisches Phänomen, aus psychischen Motiven entsprungen, sondern als der Erfolg eines physiologischen Reizes, der sich in psychischer Symptomatologie äußert, weil der vom Reize betroffene Apparat keiner anderen Äußerung fähig ist. Auf eine ähnliche Voraussetzung ist z. B. die Erklärung der Zwangsvorstellungen aufgebaut, die Meynert durch das berühmte Gleichnis vom Zifferblatt, auf dem einzelne Zahlen stärker gewölbt vorspringen, zu geben versuchte.

So beliebt diese Lehre von den somatischen Traumreizen geworden ist und so bestechend sie erscheinen mag, so ist es doch leicht, den schwachen Punkt in ihr aufzuweisen. Jeder somatische Traumreiz, welcher im Schlafe den seelischen Apparat zur Deutung durch Illusionsbildung auffordert, kann ungezählt viele solcher Deutungsversuche anregen, also in ungemein verschiedenen Vorstellungen seine Vertretung im Trauminhalt erreichen(79). Die Lehre von Strümpell und Wundt ist aber unfähig, irgend ein Motiv anzugeben, welches die Beziehung zwischen dem äußeren Reiz und der zu seiner Deutung gewählten Traumvorstellung regelt, also die »sonderbare Auswahl« zu erklären, welche die Reize »oft genug bei ihrer reproduktiven Wirksamkeit treffen«. (Lipps, Grundtatsachen des Seelenlebens, p. 170.) Andere Einwendungen richten sich gegen die Grundvoraussetzung der ganzen Illusionslehre, daß die Seele im Schlafe nicht in der Lage sei, die wirkliche Natur der objektiven Sinnesreize zu erkennen. Der alte Physiologe Burdach beweist uns, daß die Seele auch im Schlafe sehr wohl fähig ist, die an sie gelangenden Sinneseindrücke richtig zu deuten und der richtigen Deutung gemäß zu reagieren, indem er ausführt, daß man gewisse, dem Individuum wichtig erscheinende Sinneseindrücke von der Vernachlässigung während des Schlafes ausnehmen kann (Amme und Kind), und daß man durch den eigenen Namen weit sicherer geweckt wird als durch einen gleichgültigen Gehörseindruck, was ja voraussetzt, daß die Seele auch im Schlafe zwischen den Sensationen unterscheidet (Abschnitt I, p. 39/40). Burdach folgert aus diesen Beobachtungen, daß während des Schlafzustandes nicht eine Unfähigkeit, die Sinnesreize zu deuten, sondern ein Mangel an Interesse für sie anzunehmen ist. Die nämlichen Argumente, die Burdach 1830 verwendet, kehren dann zur Bekämpfung der somatischen Reiztheorie unverändert bei Lipps im Jahre 1883 wieder. Die Seele erscheint uns demnach wie der Schläfer in der Anekdote, der auf die Frage »Schläfst du« antwortet »Nein«, nach der zweiten Anrede, »dann leih’ mir zehn Gulden« aber sich hinter der Ausrede verschanzt: »Ich schlafe«.

Die Unzulänglichkeit der Lehre von den somatischen Traumreizen läßt sich auch auf andere Weise dartun. Die Beobachtung zeigt, daß ich durch äußere Reize nicht zum Träumen genötigt werde, wenngleich diese Reize im Trauminhalt erscheinen, sobald und für den Fall, daß ich träume. Gegen einen Haut- oder Druckreiz etwa, der mich im Schlafe befällt, stehen mir verschiedene Reaktionen zu Gebote. Ich kann ihn überhören und dann beim Erwachen finden, daß z. B. ein Bein unbedeckt oder ein Arm gedrückt war; die Pathologie zeigt mir ja die zahlreichsten Beispiele, daß verschiedenartige und kräftig erregende Empfindungs- und Bewegungsreize während des Schlafes wirkungslos bleiben. Ich kann die Sensation während des Schlafes verspüren, gleichsam durch den Schlaf hindurch, wie es in der Regel mit schmerzhaften Reizen geschieht, aber ohne den Schmerz in einen Traum zu verweben; und ich kann drittens auf den Reiz erwachen, um ihn zu beseitigen. Erst eine vierte mögliche Reaktion ist, daß ich durch den Nervenreiz zum Traum veranlaßt werde; die anderen Möglichkeiten werden aber mindestens ebenso häufig vollzogen wie die der Traumbildung. Dies könnte nicht geschehen, wenn nicht das Motiv des Träumens außerhalb der somatischen Reizquellen läge.

Die Schernersche Leibreiztheorie.

In gerechter Würdigung jener oben aufgedeckten Lücke in der Erklärung des Traumes durch somatische Reize haben nun andere Autoren – Scherner, dem der Philosoph Volkelt sich anschloß – die Seelentätigkeiten, welche aus den somatischen Reizen die bunten Traumbilder entstehen lassen, näher zu bestimmen gesucht, also doch wieder das Wesen des Träumens ins Seelische und in eine psychische Aktivität verlegt. Scherner gab nicht nur eine poetisch nachempfundene, glühend belebte Schilderung der psychischen Eigentümlichkeiten, die sich bei der Traumbildung entfalten; er glaubte auch das Prinzip erraten zu haben, nach dem die Seele mit den ihr dargebotenen Reizen verfährt. In freier Betätigung der ihrer Tagesfesseln entledigten Phantasie strebt nach Scherner die Traumarbeit dahin, die Natur des Organs, von dem der Reiz ausgeht, und die Art dieses Reizes symbolisch darzustellen. Es ergibt sich so eine Art von Traumbuch als Anleitung zur Deutung der Träume, mittels dessen aus Traumbildern auf Körpergefühle, Organzustände und Reizzustände geschlossen werden darf. »So drückt das Bild der Katze die ärgerliche Mißstimmung des Gemütes aus, das Bild des hellen und glatten Gebäcks die Leibesnacktheit. Der menschliche Leib als Ganzes wird von der Traumphantasie als Haus vorgestellt, das einzelne Körperorgan durch einen Teil des Hauses. In den ›Zahnreizträumen‹ entspricht dem Mundorgan ein hochgewölbter Hausflur und dem Hinabfall des Schlundes zur Speiseröhre eine Treppe, im ›Kopfschmerztraum‹ wird zur Bezeichnung der Höhenstellung des Kopfes die Decke eines Zimmers gewählt, welche mit ekelhaften, krötenartigen Spinnen bedeckt ist« (p. 39). »Diese Symbole werden vom Traume in mehrfacher Auswahl für das nämliche Organ verwendet; so findet die atmende Lunge in dem flammenerfüllten Ofen mit seinem Brausen ihr Symbol, das Herz in hohlen Kisten und Körben, die Harnblase in runden, beutelförmigen oder überhaupt nur ausgehöhlten Gegenständen. Besonders wichtig ist es, daß am Schlusse des Traumes öfter das erregende Organ oder dessen Funktion unverhüllt hingestellt wird, und zwar zumeist an dem eigenen Leibe des Träumers. So endet der ›Zahnreiztraum‹ gewöhnlich damit, daß der Träumer sich einen Zahn aus dem Munde zieht« (p. 35). Man kann nicht sagen, daß diese Theorie der Traumdeutung viel Gunst bei den Autoren gefunden hat. Sie erschien vor allem extravagant; man hat selbst gezögert, das Stück Berechtigung herauszufinden, das sie nach meinem Urteil beanspruchen darf. Sie führt, wie man sieht, zur Wiederbelebung der Traumdeutung mittels Symbolik, deren sich die Alten bedienten, nur daß das Gebiet, aus welchem die Deutung geholt werden soll, auf den Umfang der menschlichen Leiblichkeit beschränkt wird. Der Mangel einer wissenschaftlich faßbaren Technik bei der Deutung muß die Anwendbarkeit der Schernerschen Lehre schwer beeinträchtigen. Willkür in der Traumdeutung scheint keineswegs ausgeschlossen, zumal da auch hier ein Reiz sich in mehrfachen Vertretungen im Trauminhalt äußern kann; so hat bereits Scherners Anhänger Volkelt die Darstellung des Körpers als Haus nicht bestätigen können. Es muß auch Anstoß erregen, daß hier wiederum der Seele die Traumarbeit als nutz- und ziellose Betätigung auferlegt ist, da sich doch nach der in Rede stehenden Lehre die Seele damit begnügt, über den sie beschäftigenden Reiz zu phantasieren, ohne daß etwas wie eine Erledigung des Reizes in der Ferne winkte.

Von einem Einwand aber wird die Schernersche Lehre der Symbolisierung von Leibreizen durch den Traum schwer getroffen. Diese Leibreize sind jederzeit vorhanden, die Seele ist für sie nach allgemeiner Annahme während des Schlafens zugänglicher als im Wachen. Man versteht dann nicht, warum die Seele nicht kontinuierlich die Nacht hindurch träumt, und zwar jede Nacht von allen Organen. Will man sich diesem Einwand durch die Bedingung entziehen, es müßten vom Auge, Ohre, von den Zähnen, Därmen usw. besondere Erregungen ausgehen, um die Traumtätigkeit zu wecken, so steht man vor der Schwierigkeit, diese Reizsteigerungen als objektiv zu erweisen, was nur in einer geringen Zahl von Fällen möglich ist. Wenn der Traum vom Fliegen eine Symbolisierung des Auf- und Niedersteigens der Lungenflügel bei der Atmung bedeutet, so müßte entweder dieser Traum, wie schon Strümpell bemerkt, weit häufiger geträumt werden oder eine gesteigerte Atmungstätigkeit während dieses Traumes nachweisbar sein. Es ist noch ein dritter Fall möglich, der wahrscheinlichste von allen, daß nämlich zeitweise besondere Motive wirksam sind, um den gleichmäßig vorhandenen viszeralen Sensationen Aufmerksamkeit zuzuwenden, aber dieser Fall führt bereits über die Schernersche Theorie hinaus.

Der Wert der Erörterungen von Scherner und Volkelt liegt darin, daß sie auf eine Reihe von Charakteren des Trauminhaltes aufmerksam machen, welche der Erklärung bedürftig sind und neue Erkenntnisse zu verdecken scheinen. Es ist ganz richtig, daß in den Träumen Symbolisierungen von Körperorganen und Funktionen enthalten sind, daß Wasser im Traume häufig auf Harnreiz deutet, daß das männliche Genitale durch einen aufrecht stehenden Stab oder eine Säule dargestellt werden kann usw. In Träumen, welche ein sehr bewegtes Gesichtsfeld und leuchtende Farben zeigen, im Gegensatz zu der Mattigkeit anderer Träume, kann man die Deutung als »Gesichtsreiztraum« kaum abweisen, ebensowenig den Beitrag der Illusionsbildung in Träumen bestreiten, welche Lärm und Stimmengewirr enthalten. Ein Traum, wie der von Scherner, daß zwei Reihen schöner blonder Knaben auf einer Brücke einander gegenüberstehen, sich gegenseitig angreifen, dann wieder ihre alte Stellung einnehmen, bis endlich der Träumer sich auf eine Brücke setzt und einen langen Zahn aus seinem Kiefer zieht; oder ein ähnlicher von Volkelt, in dem zwei Reihen von Schubladen eine Rolle spielen, und der wiederum mit dem Ausziehen eines Zahnes endigt: dergleichen bei beiden Autoren in großer Fülle mitgeteilte Traumbildungen lassen es nicht zu, daß man die Schernersche Theorie als müßige Erfindung bei Seite wirft, ohne nach ihrem guten Kerne zu forschen. Es stellt sich dann die Aufgabe, für die vermeintliche Symbolisierung des angeblichen Zahnreizes eine andersartige Aufklärung zu erbringen.

Die somatischen Reize als rezentes Material behandelt.

Ich habe es die ganze Zeit über, welche uns die Lehre von den somatischen Traumquellen beschäftigte, unterlassen, jenes Argument geltend zu machen, welches sich aus unseren Traumanalysen ableitet. Wenn wir durch ein Verfahren, das andere Autoren auf ihr Material an Träumen nicht angewendet haben, erweisen konnten, daß der Traum einen ihm eigenen Wert als psychische Aktion besitzt, daß ein Wunsch das Motiv seiner Bildung wird, und daß die Erlebnisse des Vortages das nächste Material für seinen Inhalt abgeben, so ist jede andere Traumlehre, welche ein so wichtiges Untersuchungsverfahren vernachlässigt und dementsprechend den Traum als eine nutzlose und rätselhafte psychische Reaktion auf somatische Reize erscheinen läßt, auch ohne besondere Kritik gerichtet. Es müßte denn, was sehr unwahrscheinlich ist, zwei ganz verschiedene Arten von Träumen geben, von denen die eine nur uns, die andere nur den früheren Beurteilern des Traumes untergekommen ist. Es erübrigt nur noch, den Tatsachen, auf welche sich die gebräuchliche Lehre von den somatischen Traumreizen stützt, eine Unterbringung innerhalb unserer Traumlehre zu verschaffen.

Den ersten Schritt hiezu haben wir bereits getan, als wir den Satz aufstellten, daß die Traumarbeit unter dem Zwange stehe, alle gleichzeitig vorhandenen Traumanregungen zu einer Einheit zu verarbeiten (p. 136). Wir sahen, daß, wenn zwei oder mehr eindrucksfähige Erlebnisse vom Vortage übrig geblieben sind, die aus ihnen sich ergebenden Wünsche in einem Traume vereinigt werden, desgleichen, daß zum Traummaterial der psychisch wertvolle Eindruck und die indifferenten Erlebnisse des Vortages zusammentreten, vorausgesetzt, daß sich kommunizierende Vorstellungen zwischen beiden herstellen lassen. Der Traum erscheint somit als Reaktion auf alles, was in der schlafenden Psyche gleichzeitig als aktuell vorhanden ist. Soweit wir also das Traummaterial bisher analysiert haben, erkannten wir es als eine Sammlung von psychischen Resten, Erinnerungsspuren, denen wir (wegen der Bevorzugung des rezenten und des infantilen Materials) einen psychologisch derzeit unbestimmbaren Charakter von Aktualität zusprechen mußten. Es schafft uns nun nicht viel Verlegenheit, vorherzusagen, was geschehen wird, wenn zu diesen Erinnerungsaktualitäten neues Material an Sensationen während des Schlafzustandes hinzutritt. Diese Erregungen erlangen wiederum eine Wichtigkeit für den Traum dadurch, daß sie aktuell sind; sie werden mit den anderen psychischen Aktualitäten vereinigt, um das Material für die Traumbildung abzugeben. Die Reize während des Schlafes werden, um es anders zu sagen, in eine Wunscherfüllung verarbeitet, deren andere Bestandteile die uns bekannten psychischen Tagesreste sind. Diese Vereinigung muß nicht vollzogen werden; wir haben ja gehört, daß gegen körperliche Reize während des Schlafes mehr als eine Art des Verhaltens möglich ist. Wo sie vollzogen wird, da ist es eben gelungen, ein Vorstellungsmaterial für den Trauminhalt zu finden, welches für beiderlei Traumquellen, die somatischen wie die psychischen, eine Vertretung darstellt.

Das Wesen des Traumes wird nicht verändert, wenn zu den psychischen Traumquellen somatisches Material hinzutritt; er bleibt eine Wunscherfüllung, gleichgültig wie deren Ausdruck durch das aktuelle Material bestimmt wird.

Ich will hier gern Raum lassen für eine Reihe von Eigentümlichkeiten, welche die Bedeutung äußerer Reize für den Traum veränderlich gestalten können. Ich stelle mir vor, daß ein Zusammenwirken individueller, physiologischer und zufälliger, in den jeweiligen Umständen gegebener Momente darüber entscheidet, wie man sich in den einzelnen Fällen von intensiverer objektiver Reizung während des Schlafes benehmen wird; die habituelle und akzidentelle Schlaftiefe im Zusammenhalt mit der Intensität des Reizes wird es das eine Mal ermöglichen, den Reiz so zu unterdrücken, daß er im Schlafe nicht stört, ein anderes Mal dazu nötigen, aufzuwachen, oder den Versuch unterstützen, den Reiz durch Verwebung in einen Traum zu überwinden. Der Mannigfaltigkeit dieser Konstellationen entsprechend werden äußere objektive Reize bei dem einen häufiger oder seltener im Traume zum Ausdruck kommen als bei dem anderen. Bei mir, der ich ein ausgezeichneter Schläfer bin und hartnäckig daran festhalte, mich durch keinen Anlaß im Schlafe stören zu lassen, ist die Einmengung äußerer Erregungsursachen in die Träume sehr selten, während psychische Motive mich doch offenbar sehr leicht zum Träumen bringen. Ich habe eigentlich nur einen einzigen Traum aufgezeichnet, in dem eine objektive, schmerzhafte Reizquelle zu erkennen ist, und gerade in diesem Traume wird es sehr lehrreich werden, nachzusehen, welchen Traumerfolg der äußere Reiz gehabt hat.

Der Traum vom Reiten.

Ich reite auf einem grauen Pferde, zuerst zaghaft und ungeschickt, als ob ich nur angelehnt wäre. Da begegne ich einem Kollegen P., der im Lodenanzug hoch zu Roß sitzt und mich an etwas mahnt (wahrscheinlich, daß ich schlecht sitze). Nun finde ich mich auf dem höchst intelligenten Roß immer mehr zurecht, sitze bequem und merke, daß ich oben ganz heimisch bin. Als Sattel habe ich eine Art Polster, das den Raum zwischen Hals und Croup des Pferdes vollkommen ausfüllt. Ich reite so knapp zwischen zwei Lastwagen hindurch. Nachdem ich die Straße eine Strecke weit geritten bin, kehre ich um und will absteigen, zunächst vor einer kleinen offenen Kapelle, die in der Straßenfront liegt. Dann steige ich wirklich vor einer ihr nahestehenden ab; das Hotel ist in derselben Straße; ich könnte das Pferd allein hingehen lassen, ziehe aber vor, es bis dahin zu führen. Es ist, als ob ich mich schämen würde, dort als Reiter anzukommen. Vor dem Hotel steht ein Hotelbursche, der mir einen Zettel zeigt, der von mir gefunden wurde, und mich darum verspottet. Auf dem Zettel steht, zweimal unterstrichen: Nichts essen und dann ein zweiter Vorsatz (undeutlich) wie: nichts arbeiten; dazu eine dumpfe Idee, daß ich in einer fremden Stadt bin, in der ich nichts arbeite.

Dem Traume wird man zunächst nicht anmerken, daß er unter dem Einflusse, unter dem Zwange vielmehr, eines Schmerzreizes entstanden ist. Ich hatte aber Tags vorher an Furunkeln gelitten, die mir jede Bewegung zur Qual machten, und zuletzt war ein Furunkel an der Wurzel des Skrotum zur Apfelgröße herangewachsen, hatte mir bei jedem Schritte die unerträglichsten Schmerzen bereitet, und fieberhafte Müdigkeit, Eßunlust, die trotzdem festgehaltene schwere Arbeit des Tages hatten sich mit den Schmerzen vereint, um meine Stimmung zu stören. Ich war nicht recht fähig, meinen ärztlichen Aufgaben nachzukommen, aber bei der Art und bei dem Sitze des Übels ließ sich an eine andere Verrichtung denken, für die ich sicherlich so untauglich gewesen wäre wie für keine andere, und diese ist das Reiten. Gerade in diese Tätigkeit versetzt mich nun der Traum; es ist die energischeste Negation des Leidens, die der Vorstellung zugänglich ist. Ich kann überhaupt nicht reiten, träume auch sonst nicht davon, bin überhaupt nur einmal auf einem Pferde gesessen und damals ohne Sattel, und es behagte mir nicht. Aber in diesem Traume reite ich, als ob ich keinen Furunkel am Damm hätte, nein, gerade weil ich keinen haben will. Mein Sattel ist der Beschreibung gemäß der Breiumschlag, der mir das Einschlafen ermöglicht hat. Wahrscheinlich habe ich durch die ersten Stunden des Schlafes – so verwahrt – nichts von meinem Leiden verspürt. Dann meldeten sich die schmerzhaften Empfindungen und wollten mich aufwecken, da kam der Traum und sagte beschwichtigend: »Schlaf doch weiter, du wirst doch nicht aufwachen! Du hast ja gar keinen Furunkel, denn du reitest ja auf einem Pferde, und mit einem Furunkel an der Stelle kann man doch nicht reiten!« Und es gelang ihm so; der Schmerz wurde übertäubt und ich schlief weiter.

Der Traum hat sich aber nicht damit begnügt, mir durch die hartnäckige Festhaltung einer mit dem Leiden unverträglichen Vorstellung, den Furunkel »abzusuggerieren«, wobei er sich benommen wie der halluzinatorische Wahnsinn der Mutter, die ihr Kind verloren hat(80), oder des Kaufmannes, den Verluste um sein Vermögen gebracht haben; sondern die Einzelheiten der abgeleugneten Sensation und des zu ihrer Verdrängung gebrauchten Bildes dienen ihm auch als Material, um das, was sonst in der Seele aktuell vorhanden ist, an die Situation des Traumes anzuknüpfen und zur Darstellung zu bringen. Ich reite ein graues Pferd, die Farbe des Pferdes entspricht genau dem pfeffer- und salzfarbigen Dreß, in dem ich dem Kollegen P. zuletzt auf dem Lande begegnet bin. Scharf gewürzte Nahrung ist mir als die Ursache der Furunkulose vorgehalten worden, immerhin als Ätiologie dem Zucker vorzuziehen, an den man bei Furunkulose denken kann. Freund P. liebt es, sich mir gegenüber aufs hohe Roß zu setzen, seitdem er mich bei einer Patientin abgelöst, mit der ich große Kunststücke ausgeführt hatte (ich sitze im Traume auf dem Pferde zuerst wie ein Kunstreiter tangential), die mich aber wirklich, wie das Roß in der Anekdote den Sonntagsreiter, geführt hat, wohin sie wollte. So kommt das Roß zur symbolischen Bedeutung einer Patientin (es ist im Traume höchst intelligent). »Ich fühle mich ganz heimisch oben« geht auf die Stellung, die ich in dem Hause innehatte, ehe ich durch P. ersetzt wurde. »Ich habe gemeint, Sie sitzen oben fest im Sattel«, hat mir mit Beziehung auf dasselbe Haus einer meiner wenigen Gönner unter den großen Ärzten dieser Stadt vor kurzem gesagt. Es war auch ein Kunststück, mit solchen Schmerzen acht bis zehn Stunden täglich Psychotherapie zu treiben, aber ich weiß, daß ich ohne volles körperliches Wohlbefinden meine besonders schwierige Arbeit nicht lange fortsetzen kann, und der Traum ist voll düsterer Anspielungen auf die Situation, die sich dann ergeben muß (der Zettel, wie ihn die Neurastheniker haben und dem Arzte vorzeigen): – Nicht arbeiten und nicht essen. Bei weiterer Deutung sehe ich, daß es der Traumarbeit gelungen ist, von der Wunschsituation des Reitens den Weg zu finden zu sehr frühen Kinderstreitszenen, die sich zwischen mir und einem jetzt in England lebenden, übrigens um ein Jahr älteren Neffen abgespielt haben mußten. Außerdem hat er Elemente aus meinen Reisen in Italien aufgenommen; die Straße im Traume ist aus Eindrücken von Verona und von Siena zusammengesetzt. Noch tiefer gehende Deutung führt zu sexuellen Traumgedanken, und ich erinnere mich, was bei einer Patientin, die nie in Italien war, die Traumanspielungen an das schöne Land bedeuten sollten (gen Italien – Genitalien), nicht ohne Anknüpfung gleichzeitig an das Haus, in dem ich vor Freund P. Arzt war, und an die Stelle, an welcher mein Furunkel sitzt.

Der Wunsch, den Schlaf fortzusetzen.

In einem anderen Traume gelang es mir auf ähnliche Weise, eine diesmal von einer Sinnesreizung drohende Schlafstörung abzuwehren, aber es war nur ein Zufall, der mich in den Stand setzte, den Zusammenhang des Traumes mit dem zufälligen Traumreiz zu entdecken, und solcher Art den Traum zu verstehen. Eines Morgens erwachte ich, es war im Hochsommer in einem tirolischen Höhenort, mit dem Wissen, geträumt zu haben: Der Papst ist gestorben. Die Deutung dieses kurzen, nicht visuellen Traumes gelang mir nicht. Ich erinnerte mich nur der einen Anlehnung für den Traum, daß in der Zeitung kurze Zeit vorher ein leichtes Unwohlsein Sr. Heiligkeit gemeldet worden war. Aber im Laufe des Vormittags fragt meine Frau: »Hast du heute morgens das fürchterliche Glockenläuten gehört?« Ich wußte nichts davon, daß ich es gehört hatte, aber ich verstand jetzt meinen Traum. Er war die Reaktion meines Schlafbedürfnisses auf den Lärm gewesen, durch den die frommen Tiroler mich wecken wollten. Ich rächte mich an ihnen durch die Folgerung, die den Inhalt des Traumes bildet, und schlief nun ganz ohne Interesse für das Geläute weiter.

Unter den in den vorstehenden Abschnitten erwähnten Träumen fänden sich bereits mehrere, die als Beispiele für die Verarbeitung sogenannter Nervenreize dienen können. Der Traum vom Trinken in vollen Zügen ist ein solcher; in ihm ist der somatische Reiz anscheinend die einzige Traumquelle, der aus der Sensation entspringende Wunsch – der Durst – das einzige Traummotiv. Ähnlich ist es in anderen einfachen Träumen, wenn der somatische Reiz für sich allein einen Wunsch zu bilden vermag. Der Traum der Kranken, die nachts den Kühlapparat von der Wange abwirft, zeigt eine ungewöhnliche Art, auf Schmerzensreize mit einer Wunscherfüllung zu reagieren; es scheint, daß es der Kranken vorübergehend gelungen war, sich analgisch zu machen, wobei sie ihre Schmerzen einem Fremden zuschob.

Mein Traum von den drei Parzen ist ein offenbarer Hungertraum, aber er weiß das Nahrungsbedürfnis bis auf die Sehnsucht des Kindes nach der Mutterbrust zurückzuschieben, und die harmlose Begierde zur Decke für eine ernstere, die sich nicht so unverhüllt äußern darf, zu benutzen. Im Traume vom Grafen Thun konnten wir sehen, auf welchen Wegen ein akzidentell gegebenes körperliches Bedürfnis mit den stärksten, aber auch stärkst unterdrückten Regungen des Seelenlebens in Verbindung gebracht wird. Und wenn, wie in dem von Garnier berichteten Falle, der erste Konsul das Geräusch der explodierenden Höllenmaschine in einen Schlachtentraum verwebt, ehe er davon erwacht, so offenbart sich darin ganz besonders klar das Bestreben, in dessen Dienst die Seelentätigkeit sich überhaupt um die Sensationen während des Schlafens kümmert. Ein junger Advokat, der voll von seinem ersten großen Konkurs des Nachmittags einschläft, benimmt sich ganz ähnlich wie der große Napoleon. Er träumt von einem gewissen G. Reich in Hussiatyn, den er aus dem Konkurs kennt, aber Hussiatyn drängt sich weiter gebieterisch auf; er muß erwachen und hört seine Frau, die an einem Bronchialkatarrh leidet, heftig – husten.

Halten wir diesen Traum des ersten Napoleon, der übrigens ein ausgezeichneter Schläfer war, und jenen anderen des langschläfrigen Studenten zusammen, der von seiner Zimmerfrau geweckt, er müsse ins Spital, sich in ein Spitalsbett träumt und dann mit der Motivierung weiterschläft: Wenn ich schon im Spital bin, brauche ich ja nicht aufzustehen, um hinzugehen. Der letztere ist ein offenbarer Bequemlichkeitstraum, der Schläfer gesteht sich das Motiv seines Träumens unverhohlen ein, deckt aber damit eines der Geheimnisse des Träumens überhaupt auf. In gewissem Sinne sind alle Träume – Bequemlichkeitsträume; sie dienen der Absicht, den Schlaf fortzusetzen, anstatt zu erwachen. Der Traum ist der Wächter des Schlafes, nicht sein Störer. Gegen die psychisch erweckenden Momente werden wir diese Auffassung an anderer Stelle rechtfertigen; ihre Anwendbarkeit auf die Rolle der objektiven äußeren Reize können wir hier bereits begründen. Die Seele kümmert sich entweder überhaupt nicht um die Anlässe zu Sensationen während des Schlafes, wenn sie dies gegen die Intensität und die von ihr wohlverstandene Bedeutung dieser Reize vermag; oder sie verwendet den Traum dazu, diese Reize in Abrede zu stellen oder zu entwerten, oder drittens, wenn sie dieselben anerkennen muß, so sucht sie jene Deutung derselben auf, welche die aktuelle Sensation als einen Teilbestand einer gewünschten und mit dem Schlafen verträglichen Situation hinstellt. Die aktuelle Sensation wird in einen Traum verflochten, um ihr die Realität zu rauben. Napoleon darf weiter schlafen; es ist ja nur eine Traumerinnerung an den Kanonendonner von Arcole, was ihn stören will(81).

Der Wunsch zu schlafen, auf den sich das bewußte Ich eingestellt hat und der nebst der Traumzensur (82) dessen Beitrag zum Träumen darstellt, muß so als Motiv der Traumbildung jedesmal eingerechnet werden, und jeder gelungene Traum ist eine Erfüllung desselben. Wie dieser allgemeine, regelmäßig vorhandene und sich gleichbleibende Schlafwunsch sich zu den anderen Wünschen stellt, von denen bald der, bald jener durch den Trauminhalt erfüllt werden, dies wird Gegenstand einer anderen Auseinandersetzung sein. In dem Schlafwunsch haben wir aber jenes Moment aufgedeckt, welches die Lücke in der Strümpell-Wundtschen Theorie auszufüllen, die Schiefheit und Launenhaftigkeit in der Deutung des äußeren Reizes aufzuklären vermag. Die richtige Deutung, deren die schlafende Seele sehr wohl fähig ist, nähme ein tätiges Interesse in Anspruch, stellte die Anforderung, dem Schlafe ein Ende zu machen; es werden darum von den überhaupt möglichen Deutungen nur solche zugelassen, die mit der absolutistisch geübten Zensur des Schlafwunsches vereinbar sind. Etwa: Die Nachtigall ist’s und nicht die Lerche. Denn wenn’s die Lerche ist, so hat die Liebesnacht ihr Ende gefunden. Unter den nun zulässigen Deutungen des Reizes wird dann jene ausgewählt, welche die beste Verknüpfung mit den in der Seele lauernden Wunschanregungen erwerben kann. So ist alles eindeutig bestimmt und nichts der Willkür überlassen. Die Mißdeutung ist nicht Illusion, sondern – wenn man so will – Ausrede. Hier ist aber wiederum, wie bei dem Ersatz durch Verschiebung zu Diensten der Traumzensur, ein Akt der Beugung des normalen psychischen Vorganges zuzugeben.

Verwertung peinlicher Sensationen zur Erfüllung verdrängter Wünsche.

Wenn die äußeren Nerven- und inneren Leibreize intensiv genug sind, um sich psychische Beachtung zu erzwingen, so stellen sie – falls überhaupt Träumen und nicht Erwachen ihr Erfolg ist – einen festen Punkt für die Traumbildung dar, einen Kern im Traummaterial, zu dem eine entsprechende Wunscherfüllung in ähnlicher Weise gesucht wird, wie (siehe oben) die vermittelnden Vorstellungen zwischen zwei psychischen Traumreizen. Es ist insofern für eine Anzahl von Träumen richtig, daß in ihnen das somatische Element den Trauminhalt kommandiert. In diesem extremen Falle wird selbst behufs der Traumbildung ein gerade nicht aktueller Wunsch geweckt. Der Traum kann aber nicht anders, als einen Wunsch in einer Situation als erfüllt darstellen; er ist gleichsam vor die Aufgabe gestellt, zu suchen, welcher Wunsch durch die nun aktuelle Sensation als erfüllt dargestellt werden kann. Ist dies aktuelle Material von schmerzlichem oder peinlichem Charakter, so ist es doch darum zur Traumbildung nicht unbrauchbar. Das Seelenleben verfügt auch über Wünsche, deren Erfüllung Unlust hervorruft, was ein Widerspruch scheint, aber durch die Berufung auf das Vorhandensein zweier psychischer Instanzen und die zwischen ihnen bestehende Zensur erklärlich wird.

Es gibt, wie wir gehört haben, im Seelenleben verdrängte Wünsche, die dem ersten System angehören, gegen deren Erfüllung das zweite System sich sträubt. Es gibt, ist nicht etwa historisch gemeint, daß es solche Wünsche gegeben hat und diese dann vernichtet worden sind; sondern die Lehre von der Verdrängung, deren man in der Psychoneurotik bedarf, behauptet, daß solche verdrängte Wünsche noch existieren, gleichzeitig aber eine Hemmung, die auf ihnen lastet. Die Sprache trifft das Richtige, wenn sie von »Unterdrücken« solcher Impulse redet. Die psychische Veranstaltung, damit solche unterdrückte Wünsche zur Realisierung durchdringen, bleibt erhalten und gebrauchsfähig. Ereignet es sich aber, daß ein solcher unterdrückter Wunsch doch vollzogen wird, so äußert sich die überwundene Hemmung des zweiten (bewußtseinsfähigen) Systems als Unlust. Um nun diese Erörterung zu schließen: wenn Sensationen mit Unlustcharakter im Schlafe aus somatischen Quellen vorhanden sind, so wird diese Konstellation von der Traumarbeit benutzt, um die Erfüllung eines sonst unterdrückten Wunsches – mit mehr oder weniger Beibehalt der Zensur – darzustellen.

Dieser Sachverhalt ermöglicht eine Reihe von Angstträumen, während eine andere Reihe dieser der Wunschtheorie ungünstigen Traumbildungen einen anderen Mechanismus erkennen läßt. Die Angst in den Träumen kann nämlich eine psychoneurotische sein, aus psychosexuellen Erregungen stammen, wobei die Angst verdrängter Libido entspricht. Dann hat diese Angst wie der ganze Angsttraum die Bedeutung eines neurotischen Symptoms, und wir stehen an der Grenze, wo die wunscherfüllende Tendenz des Traumes scheitert. In anderen Angstträumen aber ist die Angstempfindung somatisch gegeben (etwa wie bei Lungen- und Herzkranken bei zufälliger Atembehinderung), und dann wird sie dazu benutzt, solchen energisch unterdrückten Wünschen zur Erfüllung als Traum zu verhelfen, deren Träumen aus psychischen Motiven die gleiche Angstentbindung zur Folge gehabt hätte. Es ist nicht schwer, die beiden scheinbar gesonderten Fälle zu vereinigen. Von zwei psychischen Bildungen, einer Affektneigung und einem Vorstellungsinhalt, die innig zusammengehören, hebt die eine, die aktuell gegeben ist, auch im Traume die andere; bald die somatisch gegebene Angst den unterdrückten Vorstellungsinhalt, bald der aus der Verdrängung befreite, mit sexueller Erregung einhergehende Vorstellungsinhalt die Angstentbindung. Von dem einen Falle kann man sagen, daß ein somatisch gegebener Affekt psychisch gedeutet wird; im anderen Falle ist alles psychisch gegeben, aber der unterdrückt gewesene Inhalt ersetzt sich leicht durch eine zur Angst passende somatische Deutung. Die Schwierigkeiten, die sich hier für das Verständnis ergeben, haben mit dem Traume nur wenig zu tun; sie rühren daher, daß wir mit diesen Erörterungen die Probleme der Angstentwicklung und der Verdrängung streifen.

Zu den kommandierenden Traumreizen aus der inneren Leiblichkeit gehört unzweifelhaft die körperliche Gesamtstimmung. Nicht daß sie den Trauminhalt liefern könnte, aber sie nötigt den Traumgedanken eine Auswahl aus dem Material auf, welches zur Darstellung im Trauminhalt dienen soll, indem sie den einen Teil dieses Materials, als zu ihrem Wesen passend, nahe legt, den anderen fern hält. Überdies ist ja wohl diese Allgemeinstimmung vom Tage her mit den für den Traum bedeutsamen psychischen Resten verknüpft. Dabei kann diese Stimmung selbst im Traume erhalten bleiben, oder überwunden werden, so daß sie, wenn unlustvoll, ins Gegenteil umschlägt.

Wenn die somatischen Reizquellen während des Schlafes – die Schlafsensationen also – nicht von ungewöhnlicher Intensität sind, so spielen sie nach meiner Schätzung für die Traumbildung eine ähnliche Rolle wie die als rezent verbliebenen, aber indifferenten Eindrücke des Tages. Ich meine nämlich, sie werden zur Traumbildung herangezogen, wenn sie sich zur Vereinigung mit dem Vorstellungsinhalt der psychischen Traumquelle eignen, im anderen Falle aber nicht. Sie werden wie ein wohlfeiles, allezeit bereitliegendes Material behandelt, welches zur Verwendung kommt, so oft man dessen bedarf, anstatt daß ein kostbares Material die Art seiner Verwendung selbst mit vorschreibt. Der Fall ist etwa ähnlich, wie wenn der Kunstgönner dem Künstler einen seltenen Stein, einen Onyx, bringt, aus ihm ein Kunstwerk zu gestalten. Die Größe des Steines, seine Farbe und Fleckung helfen mit entscheiden, welcher Kopf oder welche Szene in ihm dargestellt werden soll, während bei gleichmäßigem und reichlichem Material von Marmor oder Sandstein der Künstler allein der Idee nachfolgt, die sich in seinem Sinne gestaltet. Auf diese Weise allein scheint mir die Tatsache verständlich, daß jener Trauminhalt, der von den nicht ins Ungewohnte gesteigerten Reizen aus unserer Leiblichkeit geliefert wird, doch nicht in allen Träumen und nicht in jeder Nacht im Traume erscheint(83).

Ein Traum vom Gehemmtsein.

Vielleicht wird ein Beispiel, das uns wieder zur Traumdeutung zurückführt, meine Meinung am besten erläutern. Eines Tages mühte ich mich ab zu verstehen, was die Empfindung von Gehemmtsein, nicht von der Stelle können, nicht fertig werden u. dgl., die so häufig geträumt wird und die der Angst so nahe verwandt ist, wohl bedeuten mag. In der Nacht darauf hatte ich folgenden Traum: Ich gehe in sehr unvollständiger Toilette aus einer Wohnung im Parterre über die Treppe in ein höheres Stockwerk. Dabei überspringe ich jedesmal drei Stufen, freue mich, daß ich so flink Treppen steigen kann. Plötzlich sehe ich, daß ein Dienstmädchen die Treppen herab und also mir entgegenkommt. Ich schäme mich, will mich eilen, und nun tritt jenes Gehemmtsein auf, ich klebe an den Stufen und komme nicht von der Stelle.

Analyse: Die Situation des Traumes ist der täglichen Wirklichkeit entnommen. Ich habe in einem Hause in Wien zwei Wohnungen, die nur durch die Treppe außen verbunden sind. Im Hochparterre befindet sich meine ärztliche Wohnung und mein Arbeitszimmer, einen Stock höher die Wohnräume. Wenn ich in später Stunde unten meine Arbeit vollendet habe, gehe ich über die Treppe ins Schlafzimmer. An dem Abend vor dem Traume hatte ich diesen kurzen Weg wirklich in etwas derangierter Toilette gemacht, d. h. ich hatte Kragen, Krawatte und Manschetten abgelegt; im Traume war daraus ein höherer, aber, wie gewöhnlich, unbestimmter Grad von Kleiderlosigkeit geworden. Das Überspringen von Stufen ist meine gewöhnliche Art, die Treppe zu gehen, übrigens eine bereits im Traume anerkannte Wunscherfüllung, denn mit der Leichtigkeit dieser Leistung hatte ich mich ob des Zustandes meiner Herzarbeit getröstet. Ferner ist diese Art, die Treppe zu gehen, ein wirksamer Gegensatz zu der Hemmung in der zweiten Hälfte des Traumes. Sie zeigt mir – was des Beweises nicht bedurfte –, daß der Traum keine Schwierigkeit hat, sich motorische Aktionen in aller Vollkommenheit ausgeführt vorzustellen; man denke an das Fliegen im Traume!

Die Treppe, über die ich gehe, ist aber nicht die meines Hauses; ich erkenne sie zunächst nicht, erst die mir entgegenkommende Person klärt mich über die gemeinte Örtlichkeit auf. Diese Person ist das Dienstmädchen der alten Dame, die ich täglich zweimal besuche, um ihr Injektionen zu machen; die Treppe ist auch ganz ähnlich jener, die ich zweimal im Tage dort zu ersteigen habe.

Wie gelangt nun diese Treppe und diese Frauensperson in meinen Traum? Das Schämen, weil man nicht voll angekleidet ist, hat unzweifelhaft sexuellen Charakter; das Dienstmädchen, von dem ich träume, ist älter als ich, mürrisch und keineswegs anreizend. Zu diesen Fragen fällt mir nun nichts anderes ein als das folgende: Wenn ich in diesem Hause den Morgenbesuch mache, werde ich gewöhnlich auf der Treppe von Räuspern befallen; das Produkt der Expektoration gerät auf die Stiege. In diesen beiden Stockwerken befindet sich nämlich kein Spucknapf, und ich vertrete den Standpunkt, daß die Reinhaltung der Treppe nicht auf meine Kosten erfolgen darf, sondern durch die Anbringung eines Spucknapfes ermöglicht werden soll. Die Hausmeisterin, eine gleichfalls ältliche und mürrische Person, aber von reinlichen Instinkten, wie ich ihr zuzugestehen bereit bin, nimmt in dieser Angelegenheit einen anderen Standpunkt ein. Sie lauert mir auf, ob ich mir wieder die besagte Freiheit erlauben werde, und wenn sie das konstatiert hat, höre ich sie vernehmlich brummen. Auch versagt sie mir dann für Tage die gewohnte Hochachtung, wenn wir uns begegnen. Am Vortag des Traumes bekam nun die Partei der Hausmeisterin eine Verstärkung durch das Dienstmädchen. Ich hatte eilig wie immer meinen Besuch bei der Kranken abgemacht, als die Dienerin mich im Vorzimmer stellte und die Bemerkung von sich gab: »Herr Doktor hätten sich heute schon die Stiefel abputzen können, ehe Sie ins Zimmer kommen. Der rote Teppich ist wiederum ganz schmutzig von Ihren Füßen.« Dies ist der ganze Anspruch, den Treppe und Dienstmädchen geltend machen können, um in meinem Traume zu erscheinen.

Zwischen meinem Über-die-Treppe-Fliegen und dem Auf-der-Treppe-Spucken besteht ein inniger Zusammenhang. Rachenkatarrh wie Herzbeschwerden sollen beide die Strafen für das Laster des Rauchens darstellen, wegen dessen ich natürlich auch bei meiner Hausfrau nicht den Ruf der größten Nettigkeit genieße, in dem einen Hause so wenig wie in dem anderen, die der Traum zu einem Gebilde verschmilzt.

Die weitere Deutung des Traumes muß ich verschieben, bis ich berichten kann, woher der typische Traum von der unvollständigen Bekleidung rührt. Ich bemerke nur als vorläufiges Ergebnis des mitgeteilten Traumes, daß die Traumsensation der gehemmten Bewegung überall dort hervorgerufen wird, wo ein gewisser Zusammenhang ihrer bedarf. Ein besonderer Zustand meiner Motilität im Schlafe kann nicht die Ursache dieses Trauminhaltes sein, denn einen Moment vorher sah ich mich ja wie zur Sicherung dieser Erkenntnis leichtfüßig über die Stufen eilen.

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