d) Das Wecken durch den Traum. Die Funktion des Traumes. Der Angsttraum.

Seitdem wir wissen, daß das Vorbewußte über die Nacht auf den Wunsch zu schlafen eingestellt ist, können wir den Traumvorgang mit Verständnis weiter verfolgen. Wir fassen aber zunächst unsere bisherige Kenntnis desselben zusammen. Es seien also von der Wacharbeit Tagesreste übrig geblieben, denen sich die Energiebesetzung nicht völlig entziehen ließ. Oder es sei durch die Wacharbeit tagsüber einer der unbewußten Wünsche rege geworden oder es treffe beides zusammen; wir haben die hier mögliche Mannigfaltigkeit bereits erörtert. Schon im Laufe des Tages oder erst mit Herstellung des Schlafzustandes hat der unbewußte Wunsch sich den Weg zu den Tagesresten gebahnt, seine Übertragung auf sie bewerkstelligt. Es entsteht nun ein auf das rezente Material übertragener Wunsch oder der unterdrückte rezente Wunsch hat sich durch Verstärkung aus dem Unbewußten neu belebt. Er möchte nun auf dem normalen Wege der Gedankenvorgänge durch das Vbw, dem er mit einem Bestandteil ja angehört, zum Bewußtsein vordringen. Aber er stößt auf die Zensur, die noch besteht, und deren Einfluß er jetzt unterliegt. Hier nimmt er die Entstellung an, die schon durch die Übertragung auf das Rezente angebahnt war. Bis jetzt ist er nun auf dem Wege, etwas Ähnliches zu werden wie eine Zwangsvorstellung, eine Wahnidee u. dgl., nämlich ein durch Übertragung verstärkter, durch Zensur im Ausdruck entstellter Gedanke. Nun aber gestattet der Schlafzustand des Vorbewußten nicht das weitere Vordringen; wahrscheinlich hat sich das System durch Herabsetzung seiner Erregungen gegen das Eindringen geschützt. Der Traumvorgang schlägt also den Weg der Regression ein, der gerade durch die Eigentümlichkeit des Schlafzustandes eröffnet ist, und folgt dabei der Anziehung, welche Erinnerungsgruppen auf ihn ausüben, die zum Teil selbst nur als visuelle Besetzungen, nicht als Übersetzung in die Zeichen der späteren Systeme vorhanden sind. Auf dem Wege zur Regression erwirbt er die Darstellbarkeit. Von der Kompression werden wir später handeln. Er hat jetzt das zweite Stück seines mehrmals geknickten Verlaufes zurückgelegt. Das erste Stück spann sich progredient von den unbewußten Szenen oder Phantasien zum Vorbewußten; das zweite Stück strebt von der Zensurgrenze an wieder zu den Wahrnehmungen hin. Wenn der Traumvorgang aber Wahrnehmungsinhalt geworden ist, so hat er das ihm durch Zensur und Schlafzustand im Vbw gesetzte Hindernis gleichsam umgangen. Es gelingt ihm, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und vom Bewußtsein bemerkt zu werden. Das Bewußtsein nämlich, das uns ein Sinnesorgan für die Auffassung psychischer Qualitäten bedeutet, ist im Wachen von zwei Stellen her erregbar. Von der Peripherie des ganzen Apparates, dem Wahrnehmungssystem, in erster Linie; außerdem von den Lust- und Unlusterregungen, die sich als einzige psychische Qualität bei den Energieumsetzungen im Innern des Apparates ergeben. Alle Vorgänge in den Ψ-Systemen sonst, auch die im Vbw, entbehren jeder psychischen Qualität und sind darum kein Objekt des Bewußtseins, insofern sie ihm nicht Lust oder Unlust zur Wahrnehmung liefern. Wir werden uns zur Annahme entschließen müssen, daß diese Lust- und Unlustentbindungen automatisch den Ablauf der Besetzungsvorgänge regulieren. Es hat sich aber später die Notwendigkeit herausgestellt, zur Ermöglichung feinerer Leistungen den Vorstellungsablauf unabhängiger von den Unlustzeichen zu gestalten. Zu diesem Zwecke bedurfte das Vbw-System eigener Qualitäten, die das Bewußtsein anziehen könnten, und erhielt sie höchstwahrscheinlich durch die Verknüpfung der vorbewußten Vorgänge mit dem nicht qualitätslosen Erinnerungssystem der Sprachzeichen. Durch die Qualitäten dieses Systems wird jetzt das Bewußtsein, das vorher nur Sinnesorgan für die Wahrnehmungen war, auch zum Sinnesorgan für einen Teil unserer Denkvorgänge. Es gibt jetzt gleichsam zwei Sinnesoberflächen, die eine dem Wahrnehmen, die andere den vorbewußten Denkvorgängen zugewendet.

Ich muß annehmen, daß die dem Vbw zugewendete Sinnesfläche des Bewußtseins durch den Schlafzustand weit unerregbarer gemacht wird, als die gegen die W-Systeme gerichtete. Das Aufgeben des Interesses für die nächtlichen Denkvorgänge ist ja auch zweckmäßig. Es soll im Denken nichts vorfallen; das Vbw verlangt zu schlafen. Ist der Traum aber einmal Wahrnehmung geworden, so vermag er durch die jetzt gewonnenen Qualitäten das Bewußtsein zu erregen. Diese Sinneserregung leistet das, worin überhaupt ihre Funktion besteht; sie dirigiert einen Teil der im Vbw verfügbaren Besetzungsenergie als Aufmerksamkeit auf das Erregende. So muß man also zugeben, daß der Traum jedesmal weckt, einen Teil der ruhenden Kraft des Vbw in Tätigkeit versetzt. Er erfährt nun von dieser jene Beeinflussung, die wir als sekundäre Bearbeitung mit Rücksicht auf Zusammenhang und Verständlichkeit bezeichnet haben. Das will besagen, der Traum wird von ihr behandelt wie jeder andere Wahrnehmungsinhalt; er wird denselben Erwartungsvorstellungen unterzogen, soweit sein Material sie eben zuläßt. Soweit bei diesem dritten Stück des Traumvorganges eine Ablaufrichtung in Betracht kommt, ist es wieder die progrediente.

Zur Verhütung von Mißverständnissen wird ein Wort über die zeitlichen Eigenschaften dieser Traumvorgänge wohl angebracht sein. Ein sehr anziehender Gedankengang Goblots, der offenbar durch das Rätsel des Mauryschen Guillotinentraumes angeregt ist, sucht darzutun, daß der Traum keine andere Zeit in Anspruch nimmt als die der Übergangsperiode zwischen Schlafen und Erwachen. Das Erwachen braucht Zeit; in dieser Zeit fällt der Traum vor. Man meint, das letzte Bild des Traumes war so stark, daß es zum Erwachen nötigte. In Wirklichkeit war es nur darum so stark, weil wir bei ihm dem Erwachen schon so nahe waren. »Un rêve c’est un réveil qui commence.«

Die psychischen Wege des Traumvorganges.

Es ist schon von Dugas hervorgehoben worden, daß Goblot viel Tatsächliches beseitigen muß, um seine These allgemein zu halten. Es gibt auch Träume, aus denen man nicht erwacht, z. B. manche, in denen man träumt, daß man träumt. Nach unserer Kenntnis der Traumarbeit können wir unmöglich zugeben, daß sie sich nur über die Periode des Erwachens erstrecke. Es muß uns im Gegenteil wahrscheinlich werden, daß das erste Stück der Traumarbeit bereits am Tage, noch unter der Herrschaft des Vorbewußten, beginnt. Das zweite Stück derselben, die Veränderung durch die Zensur, die Anziehung durch die unbewußten Szenen, das Durchdringen zur Wahrnehmung, das geht wohl die ganze Nacht hindurch fort, und insofern dürften wir immer recht haben, wenn wir eine Empfindung angeben, wir hätten die ganze Nacht geträumt, auch wenn wir nicht zu sagen wissen, was. Ich glaube aber nicht, daß es notwendig ist anzunehmen, die Traumvorgänge hielten bis zum Bewußtwerden wirklich die zeitliche Folge ein, die wir beschrieben haben; es sei zuerst der übertragene Traumwunsch vorhanden, dann gehe die Entstellung durch die Zensur vor sich, darauf folge die Richtungsänderung zur Regression usw. Wir haben eine solche Sukzession bei der Beschreibung herstellen müssen; in Wirklichkeit handelt es sich wohl vielmehr um gleichzeitiges Erproben dieser und jener Wege, um ein Hin- und Herwogen der Erregung, bis endlich durch deren zweckmäßigste Verteilung gerade die eine Gruppierung die bleibende wird. Ich möchte selbst nach gewissen persönlichen Erfahrungen glauben, daß die Traumarbeit oft mehr als einen Tag und eine Nacht braucht, um ihr Ergebnis zu liefern, wobei dann die außerordentliche Kunst im Aufbau des Traumes alles Wunderbare verliert. Selbst die Rücksicht auf die Verständlichkeit als Wahrnehmungsereignis kann meiner Meinung nach zur Wirkung kommen, ehe der Traum das Bewußtsein an sich zieht. Von da an erfährt der Vorgang allerdings eine Beschleunigung, da der Traum ja jetzt dieselbe Behandlung erfährt wie etwas anderes Wahrgenommenes. Es ist wie mit einem Feuerwerk, das stundenlang hergerichtet und dann in einem Moment entzündet wird.

Durch die Traumarbeit gewinnt der Traumvorgang nun entweder die genügende Intensität, um das Bewußtsein auf sich zu ziehen und das Vorbewußte zu wecken, ganz unabhängig von der Zeit und Tiefe des Schlafes; oder seine Intensität ist dazu nicht genügend, und er muß bereit bleiben, bis ihm unmittelbar vor dem Erwachen die beweglicher gewordene Aufmerksamkeit entgegenkommt. Die meisten Träume scheinen mit vergleichsweise geringen psychischen Intensitäten zu arbeiten, denn sie warten das Erwachen ab. Es erklärt sich so aber auch, daß wir in der Regel etwas Geträumtes wahrnehmen, wenn man uns plötzlich aus tiefem Schlafe reißt. Der erste Blick dabei wie beim spontanen Erwachen trifft den von der Traumarbeit geschaffenen Wahrnehmungsinhalt, der nächste dann den von außen gegebenen.

Das größere theoretische Interesse wendet sich aber den Träumen zu, die mitten im Schlafe zu wecken vermögen. Man darf der sonst überall nachweisbaren Zweckmäßigkeit gedenken und sich fragen, warum dem Traume, also dem unbewußten Wunsche, die Macht gelassen wird, den Schlaf, also die Erfüllung des vorbewußten Wunsches, zu stören. Es muß das wohl an Energierelationen liegen, in welche uns die Einsicht fehlt. Besäßen wir diese, so würden wir wahrscheinlich finden, daß das Gewährenlassen des Traumes und der Aufwand einer gewissen detachierten Aufmerksamkeit für ihn eine Ersparnis an Energie darstellt gegen den Fall, daß das Unbewußte nachts ebenso in Schranken gehalten werden sollte wie tagsüber. Wie die Erfahrung zeigt, bleibt das Träumen, selbst wenn es mehrmals in einer Nacht den Schlaf unterbricht, mit dem Schlafen vereinbar. Man erwacht für einen Moment und schläft sofort wieder ein. Es ist, wie wenn man schlafend eine Fliege wegscheucht; man erwacht ad hoc. Wenn man wieder einschläft, hat man die Störung beseitigt. Die Erfüllung des Schlafwunsches ist, wie bekannte Beispiele vom Ammenschlafe u. dgl. zeigen, ganz gut mit der Unterhaltung eines gewissen Aufwandes von Aufmerksamkeit nach einer bestimmten Richtung vereinbar.

Hier verlangt aber ein Einwand gehört zu werden, der auf einer besseren Kenntnis der unbewußten Vorgänge fußt. Wir haben selbst die unbewußten Wünsche als immer rege bezeichnet. Trotzdem seien sie bei Tag nicht stark genug, sich vernehmbar zu machen. Wenn aber der Schlafzustand besteht und der unbewußte Wunsch die Kraft gezeigt hat, einen Traum zu bilden und mit ihm das Vorbewußte zu wecken, warum versiegt diese Kraft, nachdem der Traum zur Kenntnis genommen worden ist? Sollte der Traum sich nicht vielmehr fortwährend erneuern, gerade wie die störende Fliege es liebt, immer wieder nach ihrer Vertreibung wiederzukehren? Mit welchem Rechte haben wir behauptet, daß der Traum die Schlafstörung beseitigt?

Es ist ganz richtig, daß die unbewußten Wünsche immer rege bleiben. Sie stellen Wege dar, die immer gangbar sind, so oft ein Erregungsquantum sich ihrer bedient. Es ist sogar eine hervorragende Besonderheit unbewußter Vorgänge, daß sie unzerstörbar bleiben. Im Unbewußten ist nichts zu Ende zu bringen, ist nichts vergangen oder vergessen. Man bekommt hievon den stärksten Eindruck beim Studium der Neurosen, speziell der Hysterie. Der unbewußte Gedankenweg, der zur Entladung im Anfall führt, ist sofort wieder gangbar, wenn sich genug Erregung angesammelt hat. Die Kränkung, die vor dreißig Jahren vorgefallen ist, wirkt, nachdem sie sich den Zugang zu den unbewußten Affektquellen verschafft hat, alle die dreißig Jahre wie eine frische. So oft ihre Erinnerung angerührt wird, lebt sie wieder auf und zeigt sich mit Erregung besetzt, die sich in einem Anfall motorische Abfuhr verschafft. Gerade hier hat die Psychotherapie einzugreifen. Ihre Aufgabe ist es, für die unbewußten Vorgänge eine Erledigung und ein Vergessen zu schaffen. Was wir nämlich geneigt sind, für selbstverständlich zu halten und für einen primären Einfluß der Zeit auf die seelischen Erinnerungsreste erklären, das Abblassen der Erinnerungen und die Affektschwäche der nicht mehr rezenten Eindrücke, das sind in Wirklichkeit sekundäre Veränderungen, die durch mühevolle Arbeit zu stande kommen. Es ist das Vorbewußte, welches diese Arbeit leistet, und die Psychotherapie kann keinen anderen Weg einschlagen, als das Ubw der Herrschaft des Vbw zu unterwerfen.

Das Wecken durch den Traum.

Für den einzelnen unbewußten Erregungsvorgang gibt es also zwei Ausgänge. Entweder er bleibt sich selbst überlassen, dann bricht er endlich irgendwo durch und schafft seiner Erregung für dies eine Mal einen Abfluß in die Motilität, oder er unterliegt der Beeinflussung des Vorbewußten, und seine Erregung wird durch dasselbe gebunden, anstatt abgeführt. Letzteres aber geschieht beim Traumvorgang. Die Besetzung, die dem zur Wahrnehmung gewordenen Traum von Seite des Vbw entgegenkommt, weil sie durch die Bewußtseinserregung hingelenkt worden ist, bindet die unbewußte Erregung des Traumes und macht sie als Störung unschädlich. Wenn der Träumer für einen Augenblick erwacht, so hat er wirklich die Fliege weggescheucht, die den Schlaf zu stören drohte. Es kann uns jetzt ahnen, daß es wirklich zweckmäßiger und wohlfeiler war, den unbewußten Wunsch gewähren zu lassen, ihm den Weg zur Regression freizugeben, damit er einen Traum bilde, und dann dessen Traum durch einen kleinen Aufwand von vorbewußter Arbeit zu binden und zu erledigen, als das Unbewußte auch die ganze Zeit des Schlafens über im Zaume zu halten. Es stand ja zu erwarten, daß der Traum, auch wenn er ursprünglich kein zweckmäßiger Vorgang war, im Kräftespiel des seelischen Lebens sich einer Funktion bemächtigt haben würde. Wir sehen, welches diese Funktion ist. Er hat die Aufgabe übernommen, die frei gelassene Erregung des Ubw wieder unter die Herrschaft des Vorbewußten zu bringen; er führt dabei die Erregung des Ubw ab, dient ihm als Ventil und sichert gleichzeitig gegen einen geringen Aufwand an Wachtätigkeit den Schlaf des Vorbewußten. So stellt er sich als ein Kompromiß, ganz wie die anderen psychischen Bildungen seiner Reihe, gleichzeitig in den Dienst der beiden Systeme, indem er beider Wünsche, insoweit sie miteinander verträglich sind, erfüllt. Ein Blick auf die p. 59 f. mitgeteilte Robertsche »Ausscheidungstheorie« wird zeigen, daß wir diesem Autor in der Hauptsache, in der Bestimmung der Funktion des Traumes, recht geben müssen, während wir in den Voraussetzungen und in der Würdigung des Traumvorganges von ihm abweichen(241).

Die Einschränkung, insofern beide Wünsche miteinander verträglich sind, enthält einen Hinweis auf die möglichen Fälle, in denen die Funktion des Traumes zum Scheitern gelangt. Der Traumvorgang wird zunächst als Wunscherfüllung des Unbewußten zugelassen; wenn diese versuchte Wunscherfüllung am Vorbewußten so intensiv rüttelt, daß dies seine Ruhe nicht mehr bewahren kann, so hat der Traum das Kompromiß gebrochen, das andere Stück seiner Aufgabe nicht mehr erfüllt. Er wird dann sofort abgebrochen und durch das volle Erwachen ersetzt. Es ist eigentlich auch hier nicht die Schuld des Traumes, wenn er, sonst der Hüter des Schlafes, als Störer desselben auftreten muß, und braucht uns gegen seine Zweckmäßigkeit nicht einzunehmen. Es ist dies nicht der einzige Fall im Organismus, daß eine sonst zweckmäßige Einrichtung unzweckmäßig und störend wird, sobald in den Bedingungen ihres Entstehens etwas geändert ist, und dann dient die Störung wenigstens dem neuen Zwecke, die Veränderung anzuzeigen und die Regulierungsmittel des Organismus wider sie wachzurufen. Ich habe natürlich den Fall des Angsttraumes im Auge, und um nicht dem Anscheine recht zu geben, daß ich diesem Zeugen gegen die Theorie der Wunscherfüllung ausweiche, wo immer ich auf ihn stoße, will ich der Erklärung des Angsttraumes wenigstens mit Andeutungen nähertreten.

Daß ein psychischer Vorgang, der Angst entwickelt, darum doch eine Wunscherfüllung sein kann, enthält für uns längst keinen Widerspruch mehr. Wir wissen uns das Vorkommnis so zu erklären, daß der Wunsch dem einen System, dem Ubw, angehört, während das System des Vbw diesen Wunsch verworfen und unterdrückt hat. Die Unterwerfung des Ubw durch das Vbw ist auch bei völliger psychischer Gesundheit keine durchgreifende; das Maß dieser Unterdrückung ergibt den Grad unserer psychischen Normalität. Neurotische Symptome zeigen uns an, daß sich die beiden Systeme im Konflikt miteinander befinden; sie sind die Kompromißergebnisse dieses Konfliktes, die ihm ein vorläufiges Ende setzen. Sie gestatten einerseits dem Ubw einen Ausweg für den Abfluß seiner Erregung, dienen ihm als Ausfallstor und geben doch anderseits dem Vbw die Möglichkeit, das Ubw einigermaßen zu beherrschen. Lehrreich ist es z. B., die Bedeutung einer hysterischen Phobie oder der Platzangst in Betracht zu ziehen. Ein Neurotiker sei unfähig, allein über die Straße zu gehen, was wir mit Recht als »Symptom« anführen. Man hebe nun dieses Symptom auf, indem man ihn zu dieser Handlung nötigt, für die er sich unfähig glaubt. Es erfolgt dann ein Angstanfall, wie auch oft ein Angstanfall auf der Straße die Veranlassung für die Herstellung der Platzangst geworden ist. Wir erfahren so, daß das Symptom konstituiert worden ist, um den Ausbruch der Angst zu verhüten; die Phobie ist der Angst wie eine Grenzfestung vorgelegt.

Die Traumfunktion. Ihr Scheitern im Angsttraum.

Unsere Erörterung läßt sich nicht weiterführen, wenn wir nicht auf die Rolle der Affekte bei diesen Vorgängen eingehen, was aber hier nur unvollkommen möglich ist. Stellen wir also den Satz auf, daß die Unterdrückung des Ubw vor allem darum notwendig wird, weil der sich selbst überlassene Vorstellungsablauf im Ubw einen Affekt entwickeln würde, der ursprünglich den Charakter der Lust hatte, aber seit dem Vorgang der Verdrängung den Charakter der Unlust trägt. Die Unterdrückung hat den Zweck, aber auch den Erfolg, diese Unlustentwicklung zu verhüten. Die Unterdrückung erstreckt sich auf den Vorstellungsinhalt des Ubw, weil vom Vorstellungsinhalt her die Entbindung der Unlust erfolgen könnte. Eine ganz bestimmte Annahme über die Natur der Affektentwicklung ist hier zu Grunde gelegt. Dieselbe wird als eine motorische oder sekretorische Leistung angesehen, zu welcher der Innervationsschlüssel in den Vorstellungen des Ubw gelegen ist. Durch die Beherrschung von Seite des Vbw werden diese Vorstellungen gleichsam gedrosselt, an der Aussendung der Affekt entwickelnden Impulse gehemmt. Die Gefahr, wenn die Besetzung von Seite des Vbw aufhört, besteht also darin, daß die unbewußten Erregungen solchen Affekt entbinden, der – infolge der früher stattgehabten Verdrängung – nur als Unlust, als Angst verspürt werden kann.

Diese Gefahr wird durch das Gewährenlassen des Traumvorganges entfesselt. Die Bedingungen für deren Realisierung liegen darin, daß Verdrängungen stattgefunden haben, und daß die unterdrückten Wunschregungen stark genug werden können. Sie stehen also ganz außerhalb des psychologischen Rahmens der Traumbildung. Wäre es nicht, daß unser Thema durch dies eine Moment, die Befreiung des Ubw während des Schlafes, mit dem Thema der Angstentwicklung zusammenhinge, so könnte ich auf die Besprechung des Angsttraumes verzichten und mir alle ihm anhängenden Dunkelheiten hier ersparen.

Die Lehre vom Angsttraume gehört, wie ich schon wiederholt ausgesprochen habe, in die Neurosenpsychologie. Ich möchte sagen: die Angst im Traume ist ein Angstproblem, kein Traumproblem. Wir haben weiter nichts mit ihr zu schaffen, nachdem wir einmal ihre Berührungsstelle mit dem Thema des Traumvorganges aufgezeigt haben. Ich kann nur noch eines tun. Da ich behauptet habe, daß die neurotische Angst aus sexuellen Quellen stammt, kann ich Angstträume der Analyse unterziehen, um das sexuelle Material in deren Traumgedanken nachzuweisen.

Aus guten Gründen verzichte ich hier auf alle die Beispiele, die mir neurotische Patienten in reicher Fülle bieten, und bevorzuge Angstträume von jugendlichen Personen.

Analysen von Angstträumen. – Der Pavor nocturnus.

Ich selbst habe seit Jahrzehnten keinen eigentlichen Angsttraum mehr gehabt. Aus meinem siebten oder achten Jahre erinnere ich mich an einen solchen, den ich etwa 30 Jahre später der Deutung unterworfen habe. Er war sehr lebhaft und zeigte mir die geliebte Mutter mit eigentümlich ruhigem, schlafendem Gesichtsausdruck, die von zwei (oder drei) Personen mit Vogelschnäbeln ins Zimmer getragen und aufs Bett gelegt wird. Ich erwachte weinend und schreiend und störte den Schlaf der Eltern. Die – eigentümlich drapierten – überlangen Gestalten mit Vogelschnäbeln hatte ich den Illustrationen der Philippsonschen Bibel entnommen; ich glaube, es waren Götter mit Sperberköpfen von einem ägyptischen Grabrelief. Sonst aber liefert mir die Analyse die Erinnerung an einen ungezogenen Hausmeistersjungen, der mit uns Kindern auf der Wiese vor dem Hause zu spielen pflegte; und ich möchte sagen, der hieß Philipp. Es ist mir dann, als hätte ich von dem Knaben zuerst das vulgäre Wort gehört, welches den sexuellen Verkehr bezeichnet und von den Gebildeten nur durch ein lateinisches, durch »koitieren« ersetzt wird, das aber durch die Auswahl der Sperberköpfe deutlich genug gekennzeichnet ist. Ich muß die sexuelle Bedeutung des Wortes aus der Miene des welterfahrenen Lehrmeisters erraten haben. Der Gesichtsausdruck der Mutter im Traume war vom Angesicht des Großvaters kopiert, den ich einige Tage vor seinem Tode im Koma schnarchend gesehen hatte. Die Deutung der sekundären Bearbeitung im Traume muß also gelautet haben, daß die Mutter stirbt, auch das Grabrelief stimmt dazu. In dieser Angst erwachte ich und ließ nicht ab, bis ich die Eltern geweckt hatte. Ich erinnere mich, daß ich mich plötzlich beruhigte, als ich die Mutter zu Gesicht bekam, als ob ich die Beruhigung bedurft hätte: sie ist also nicht gestorben. Diese sekundäre Deutung des Traumes ist aber schon unter dem Einflusse der entwickelten Angst geschehen. Nicht daß ich ängstlich war, weil ich geträumt hatte, daß die Mutter stirbt; sondern ich deutete den Traum in der vorbewußten Bearbeitung so, weil ich schon unter der Herrschaft der Angst stand. Die Angst aber läßt sich mittels der Verdrängung zurückführen auf ein dunkles, offenkundig sexuelles Gelüste, das in dem visuellen Inhalt des Traumes seinen guten Ausdruck gefunden hatte.

Ein 27 jähriger Mann, der seit einem Jahre schwer leidend ist, hat zwischen 11 und 13 Jahren wiederholt unter schwerer Angst geträumt, daß ein Mann mit einer Hacke ihm nachsetzt; er möchte laufen, ist aber wie gelähmt und kommt nicht von der Stelle. Das ist wohl ein gutes Muster eines sehr gemeinen und sexuell unverdächtigen Angsttraumes. Bei der Analyse gerät der Träumer zuerst auf eine der Zeit nach spätere Erzählung seines Onkels, daß er auf der Straße nächtlich von einem verdächtigen Individuum angefallen wurde, und schließt selbst aus diesem Einfall, daß er zur Zeit des Traumes von einem ähnlichen Erlebnis gehört haben kann. Zur Hacke erinnert er, daß er sich in jener Lebenszeit einmal beim Holzverkleinern mit der Hacke an der Hand verletzt hatte. Er gerät dann unvermittelt auf sein Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder, den er zu mißhandeln und hinzuwerfen pflegte, erinnert sich speziell eines Males, wo er ihn mit dem Stiefel an den Kopf traf, so daß er blutete und die Mutter dann äußerte: Ich habe Angst, er wird ihn noch einmal umbringen. Während er so beim Thema der Gewalttat festgehalten scheint, taucht ihm plötzlich eine Erinnerung aus dem neunten Lebensjahre auf. Die Eltern waren spät nach Hause gekommen, gingen, während er sich schlafend stellte, zu Bette, und er hörte dann ein Keuchen und andere Geräusche, die ihm unheimlich vorkamen, konnte auch die Lage der beiden im Bette erraten. Seine weiteren Gedanken zeigen, daß er zwischen dieser Beziehung der Eltern und seinem Verhältnis zu seinem jüngeren Bruder eine Analogie hergestellt hatte. Er subsumierte, was bei den Eltern vorfiel, unter den Begriff: Gewalttat und Rauferei, und gelangte so, wie bei Kindern sehr häufig, zur sadistischen Auffassung des Koitusaktes. Ein Beweis für diese Auffassung war ihm, daß er oft Blut im Bette der Mutter bemerkt hatte.

Daß der sexuelle Verkehr Erwachsener den Kindern, die ihn bemerken, unheimlich vorkommt und Angst in ihnen erweckt, ist, möchte ich sagen, Ergebnis der täglichen Erfahrung. Ich habe für diese Angst die Erklärung gegeben, daß es sich um eine sexuelle Erregung handelt, die von ihrem Verständnis nicht bewältigt wird, auch wohl darum auf Ablehnung stößt, weil die Eltern in sie verflochten sind, und die sich darum in Angst verwandelt. In einer noch früheren Lebensperiode stößt die sexuelle Regung für den gegengeschlechtlichen Teil des Elternpaares noch nicht auf Verdrängung und äußert sich frei, wie wir gehört haben (p. 194).

Auf die bei Kindern so häufigen nächtlichen Angstanfälle mit Halluzinationen (den Pavor nocturnus) würde ich dieselbe Erklärung unbedenklich anwenden. Es kann sich auch da nur um unverstandene und abgelehnte sexuelle Regungen handeln, bei deren Aufzeichnung sich auch wahrscheinlich eine zeitliche Periodizität herausstellen würde, da eine Steigerung der sexuellen Libido ebensowohl durch zufällige erregende Eindrücke, als auch durch die spontanen, schubweise eintreffenden Entwicklungsvorgänge erzeugt werden kann.

Mir fehlt es an dem erforderlichen Beobachtungsmaterial, um diese Erklärung durchzuführen. Den Kinderärzten scheint es dagegen an dem Gesichtspunkte zu fehlen, der allein das Verständnis der ganzen Reihe von Phänomenen, sowohl nach der somatischen als auch nach der psychischen Seite gestattet. Als ein komisches Beispiel, wie nahe man, durch die Scheuklappen der medizinischen Mythologie geblendet, am Verständnis solcher Fälle vorbeigehen kann, möchte ich einen Fall anführen, den ich in der These über den Pavor nocturnus von Debacker 1881 (p. 66) gefunden habe.

Ein 13 jähriger Knabe von schwacher Gesundheit begann ängstlich und verträumt zu werden, sein Schlaf wurde unruhig und fast jede Woche einmal durch einen schweren Anfall von Angst mit Halluzinationen unterbrochen. Die Erinnerung an diese Träume war immer sehr deutlich. Er konnte also erzählen, daß der Teufel ihn angeschrien habe: Jetzt haben wir dich, jetzt haben wir dich, und dann roch es nach Pech und Schwefel und das Feuer verbrannte seine Haut. Aus diesem Traume schreckte er dann auf, konnte zuerst nicht schreien, bis die Stimme frei wurde und man ihn deutlich sagen hörte: »Nein, nein, nicht mich, ich hab’ ja nichts getan«, oder auch: »Bitte, nicht, ich werd’ es nie mehr tun.« Einigemal sagte er auch: »Albert hat das nicht getan.« Er vermied es später sich auszukleiden, »weil das Feuer ihn nur angreife, wenn er ausgekleidet sei«. Mitten aus diesen Teufelsträumen, die seine Gesundheit in Gefahr brachten, wurde er aufs Land geschickt, erholte sich dort im Verlaufe von 1½ Jahren und gestand dann einmal, 15 Jahre alt: »Je n’osais pas l’avouer, mais j’éprouvais continuellement des picotements et des surexcitations aux parties (242); à la fin, cela m’énervait tant que plusieurs fois, j’ai pensé me jeter par la fenêtre au dortoir.«

Es ist wahrlich nicht schwer zu erraten, 1. daß der Knabe in früheren Jahren masturbiert, es wahrscheinlich geleugnet hatte und mit schweren Strafen für seine Unart bedroht worden war. (Sein Geständnis: Je ne le ferai plus; sein Leugnen: Albert n’a jamais fait ça); 2. daß unter dem Andrang der Pubertät die Versuchung zu masturbieren in dem Kitzel an den Genitalien wieder erwachte; daß aber jetzt 3. ein Verdrängungskampf in ihm losbrach, der die Libido unterdrückte und sie in Angst verwandelte, welche Angst nachträglich die damals angedrohten Strafen aufnahm.

Hören wir dagegen die Folgerungen unseres Autors (p. 69). »Es geht aus dieser Beobachtung hervor, daß 1. der Einfluß der Pubertät bei einem Knaben von geschwächter Gesundheit einen Zustand von großer Schwäche herbeiführen und daß es dabei zu einer sehr erheblichen Gehirnanämie (243) kommen kann.

2. Diese Gehirnanämie erzeugt eine Charakterveränderung, dämonomanische Halluzinationen und sehr heftige nächtliche, vielleicht auch tägliche Angstzustände.

3. Die Dämonomanie und die Selbstvorwürfe des Knaben gehen auf die Einflüsse der religiösen Erziehung zurück, die als Kind auf ihn gewirkt hatten.

4. Alle Erscheinungen sind infolge eines längeren Landaufenthaltes durch körperliche Übung und Wiederkehr der Kräfte nach abgelaufener Pubertät verschwunden.

5. Vielleicht darf man der Heredität und der alten Syphilis des Vaters einen prädisponierenden Einfluß auf die Entstehung des Gehirnzustandes beim Kinde zuschreiben.«

Das Schlußwort: »Nous avons fait entrer cette observation dans le cadre des délires apyrétiques d’inanition, car c’est à l’ischémie cérébrale que nous rattachons cet état particulier.«

Versöhnung der Widersprüche in der Traumlehre.

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