VII.

Wenn es wirklich ein so allgemeiner Charakter der Triebe ist, daß sie einen früheren Zustand wiederherstellen wollen, so dürfen wir uns nicht darüber verwundern, daß im Seelenleben so viele Vorgänge sich unabhängig vom Lustprinzip vollziehen. Dieser Charakter würde sich jedem Partialtrieb mitteilen und sich in seinem Falle auf die Wiedererreichung einer bestimmten Station des Entwicklungsweges beziehen. Aber all dies, worüber das Lustprinzip noch keine Macht bekommen hat, brauchte darum noch nicht im Gegensatz zu ihm zu stehen, und die Aufgabe ist noch ungelöst, das Verhältnis der triebhaften Wiederholungsvorgänge zur Herrschaft des Lustprinzips zu bestimmen.

Wir haben es als eine der frühesten und wichtigsten Funktionen des seelischen Apparates erkannt, die anlangenden Triebregungen zu »binden«, den in ihnen herrschenden Primärvorgang durch den Sekundärvorgang zu ersetzen, ihre frei bewegliche Besetzungsenergie in vorwiegend ruhende (tonische) Besetzung umzuwandeln. Während dieser Umsetzung kann auf die Entwicklung von Unlust nicht Rücksicht genommen werden, allein das Lustprinzip wird dadurch nicht aufgehoben. Die Umsetzung geschieht vielmehr im Dienste des Lustprinzips; die Bindung ist ein vorbereitender Akt, der die Herrschaft des Lustprinzips einleitet und sichert.

Trennen wir Funktion und Tendenz schärfer voneinander, als wir es bisher getan haben. Das Lustprinzip ist dann eine Tendenz, welche im Dienste einer Funktion steht, der es zufällt, den seelischen Apparat überhaupt erregungslos zu machen, oder den Betrag der Erregung in ihm konstant oder möglichst niedrig zu erhalten. Wir können uns noch für keine dieser Fassungen sicher entscheiden, aber wir merken, daß die so bestimmte Funktion Anteil hätte an dem allgemeinsten Streben alles Lebenden, zur Ruhe der anorganischen Welt zurückzukehren. Wir haben alle erfahren, daß die größte uns erreichbare Lust, die des Sexualaktes, mit dem momentanen Erlöschen einer hochgesteigerten Erregung verbunden ist. Die Bindung der Triebregung wäre aber eine vorbereitende Funktion, welche die Erregung für ihre endgültige Erledigung in der Abfuhrlust zurichten soll.

Aus demselben Zusammenhang erhebt sich die Frage, ob die Lust- und Unlustempfindungen von den gebundenen wie von den ungebundenen Erregungsvorgängen in gleicher Weise erzeugt werden können. Da erscheint es denn ganz unzweifelhaft, daß die ungebundenen, die Primärvorgänge weit intensivere Empfindungen nach beiden Richtungen ergeben als die gebundenen, die des Sekundärvorganges. Die Primärvorgänge sind auch die zeitlich früheren, zu Anfang des Seelenlebens gibt es keine anderen, und wir können schließen, wenn das Lustprinzip nicht schon bei ihnen in Wirksamkeit wäre, könnte es sich überhaupt für die späteren nicht herstellen. Wir kommen so zu dem im Grunde nicht einfachen Ergebnis, daß das Luststreben zu Anfang des seelischen Lebens sich weit intensiver äußert als späterhin, aber nicht so uneingeschränkt; es muß sich häufige Durchbrüche gefallen lassen. In reiferen Zeiten ist die Herrschaft des Lustprinzips sehr viel mehr gesichert, aber dieses selbst ist der Bändigung so wenig entgangen wie die anderen Triebe überhaupt. Jedenfalls muß das, was am Erregungsvorgange die Empfindungen von Lust und Unlust entstehen läßt, beim Sekundärvorgang ebenso vorhanden sein wie beim Primärvorgang.

Hier wäre die Stelle, mit weiteren Studien einzusetzen. Unser Bewußtsein vermittelt uns von innen her nicht nur die Empfindungen von Lust und Unlust, sondern auch von einer eigentümlichen Spannung, die selbst wieder eine lustvolle oder unlustvolle sein kann. Sind es nun die gebundenen und die ungebundenen Energievorgänge, die wir mittels dieser Empfindung von einander unterscheiden sollen, oder ist die Spannungsempfindung auf die absolute Größe, eventuell das Niveau der Besetzung zu beziehen, während die Lust-Unlustreihe auf die Änderung der Besetzungsgröße in der Zeiteinheit hindeutet? Es muß uns auch auffallen, daß die Lebenstriebe so viel mehr mit unserer inneren Wahrnehmung zu tun haben, da sie als Störenfriede auftreten, unausgesetzt Spannungen mit sich bringen, deren Erledigung als Lust empfunden wird, während die Todestriebe ihre Arbeit unauffällig zu leisten scheinen. Das Lustprinzip scheint geradezu im Dienste der Todestriebe zu stehen; es wacht allerdings auch über die Reize von außen, die von beiderlei Triebarten als Gefahren eingeschätzt werden, aber ganz besonders über die Reizsteigerungen von innen her, die eine Erschwerung der Lebensaufgabe erzielen. Hieran knüpfen sich ungezählte andere Fragen, deren Beantwortung jetzt nicht möglich ist. Man muß geduldig sein und auf weitere Mittel und Anlässe zur Forschung warten. Auch bereit bleiben, einen Weg wieder zu verlassen, den man eine Weile verfolgt hat, wenn er zu nichts Gutem zu führen scheint. Nur solche Gläubige, die von der Wissenschaft einen Ersatz für den aufgegebenen Katechismus fordern, werden dem Forscher die Fortbildung oder selbst die Umbildung seiner Ansichten verübeln dürfen. Im übrigen mag uns ein Dichter (Rückert in den Makamen des Hariri) über die langsamen Fortschritte unserer wissenschaftlichen Erkenntnis trösten:

»Was man nicht erfliegen kann, muß man erhinken.
..................
Die Schrift sagt, es ist keine Sünde zu hinken.«

[1] Vgl. Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen, mit Beiträgen von Ferenczi, Abraham, Simmel und E. Jones. Band I der Internationalen Psychoanalytischen Bibliothek, 1919.

[2] Diese Deutung wurde dann durch eine weitere Beobachtung völlig gesichert. Als eines Tages die Mutter über viele Stunden abwesend gewesen war, wurde sie beim Wiederkommen mit der Mitteilung begrüßt: Bebi o–o–o–o!, die zunächst unverständlich blieb. Es ergab sich aber bald, daß das Kind während dieses langen Alleinseins ein Mittel gefunden hatte, sich selbst verschwinden zu lassen. Es hatte sein Bild in dem fast bis zum Boden reichenden Standspiegel entdeckt und sich dann niedergekauert, so daß das Spiegelbild »fort« war.

[3] Als das Kind 5¾ Jahre alt war, starb die Mutter. Jetzt, da sie wirklich »fort« (o–o–o) war, zeigte der Knabe keine Trauer um sie. Allerdings war inzwischen ein zweites Kind geboren worden, das seine stärkste Eifersucht erweckt hatte.

[4] Vgl. Eine Kindheitserinnerung aus »Dichtung und Wahrheit«. Imago, V/4, Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, IV. Folge.

[5] S. Zur Technik der Psychoanalyse II. Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten. Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, IV. Folge, S. 441, 1918.

[6] Marcinowski, Die erotischen Quellen der Minderwertigkeitsgefühle. Zeitschrift für Sexualwissenschaft, IV., 1918.

[7] Vgl. hiezu die treffenden Bemerkungen in dem Aufsatz von C. G. Jung, Die Bedeutung des Vaters für das Schicksal des Einzelnen. Jahrbuch für Psychoanalyse, I, 1909.

[8] Dies durchaus nach J. Breuer's Auseinandersetzung im theoretischen Abschnitt der »Studien über Hysterie«, 1895.

[9] Studien über Hysterie von J. Breuer und S. Freud, 3. unveränderte Auflage, 1917.

[10] Vgl. Triebe und Triebschicksale. Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, IV, 1918.

[11] Zur Psychoanalyse der Kriegsneurosen. Einleitung. Internationale Psychoanalytische Bibliothek, Nr. 1, 1919.

[12] Vgl. den Abschnitt VII, Psychologie der Traumvorgänge in meiner »Traumdeutung«.

[13] Ich bezweifle nicht, daß ähnliche Vermutungen über die Natur der »Triebe« bereits wiederholt geäußert worden sind.

[14] Vgl. übrigens die später folgende Korrektur dieser extremen Auffassung der Selbsterhaltungstriebe.

[15] Auf anderem Wege ist Ferenczi zur Möglichkeit derselben Auffassung gelangt (Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes, Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, I, 1913): »Bei konsequenter Durchführung dieses Gedankenganges muß man sich mit der Idee einer auch das organische Leben beherrschenden Beharrungs- resp. Regressionstendenz vertraut machen, während die Tendenz nach Fortentwicklung, Anpassung etc. nur auf äußere Reize hin lebendig wird.« (S. 137.)

[16] Über die Dauer des Lebens, 1882; Über Leben und Tod, 1892; Das Keimplasma, 1892, u. a.

[17] Über Leben und Tod, 2. Aufl. 1892, S. 20.

[18] Dauer des Lebens, S. 38.

[19] Leben und Tod, 2. Aufl., S. 67.

[20] Dauer des Lebens, S. 33.

[21] Über Leben und Tod, Schluß.

[22] Vgl. Max Hartmann, Tod und Fortpflanzung, 1906; Alex. Lipschütz, Warum wir sterben, Kosmosbücher, 1914; Franz Doflein, Das Problem des Todes und der Unsterblichkeit bei den Pflanzen und Tieren, 1919.

[23] Für dies und das Folgende vgl. Lipschütz l. c., S. 26 und 52 ff.

[24] »Über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale des Einzelnen«, Großherzog Wilhelm Ernst-Ausgabe, IV. Bd., S. 268.

[25] Zur Einführung des Narzißmus. Jahrbuch der Psychoanalyse, VI, 1914, und Sammlung kleiner Schriften zur Neurosenlehre, IV. Folge, 1918.

[26] »Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie«, von der 1. Auflage, 1905, an.

[27] Vgl. Sexualtheorie, 4. Aufl., 1920, und »Triebe und Triebschicksale« in Sammlung kleiner Schriften, IV. Folge.

[28] In einer inhalts- und gedankenreichen, für mich leider nicht ganz durchsichtigen Arbeit hat Sabina Spielrein ein ganzes Stück dieser Spekulation vorweggenommen. Sie bezeichnet die sadistische Komponente des Sexualtriebes als die »destruktive«. (Die Destruktion als Ursache des Werdens. Jahrbuch für Psychoanalyse, IV, 1912.) In noch anderer Weise suchte A. Stärcke (Inleiding by de vertaling, von S. Freud, De sexuele beschavingsmoral etc., 1914) den Libidobegriff selbst mit dem theoretisch zu supponierenden biologischen Begriff eines Antriebes zum Tode zu identifizieren. (Vgl. auch Rank, Der Künstler.) Alle diese Bemühungen zeigen, wie die im Texte, von dem Drang nach einer noch nicht erreichten Klärung in der Trieblehre.

[29] Obwohl Weismann (Das Keimplasma, 1892) auch diesen Vorteil leugnet: »Die Befruchtung bedeutet keinesfalls eine Verjüngung oder Erneuerung des Lebens, sie wäre durchaus nicht notwendig zur Fortdauer des Lebens, sie ist nichts als eine Einrichtung, um die Vermischung zweier verschiedener Vererbungstendenzen möglich zu machen.« Als die Wirkung einer solchen Vermischung betrachtet er aber doch eine Steigerung der Variabilität der Lebewesen.

[30] Übersetzung von Rud. Kaßner.

[31] Prof. Heinrich Gomperz (Wien) verdanke ich die nachstehenden Andeutungen über die Herkunft des Platonischen Mythus, die ich zum Teil in seinen Worten wiedergebe: Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß sich wesentlich dieselbe Theorie auch schon in den Upanishaden findet. Denn Brihad-Āranyaka-Upanishad I, 4, 3 (Deussen, 60 Upanishads des Veda, S. 393), wo das Hervorgehen der Welt aus dem Ātman (dem Selbst oder Ich) geschildert wird, heißt es: ».... Aber er (der Ātman, das Selbst oder das Ich) hatte auch keine Freude; darum hat einer keine Freude, wenn er allein ist. Da begehrte er nach einem Zweiten. Nämlich er war so groß wie ein Weib und ein Mann, wenn sie sich umschlungen halten. Dieses sein Selbst zerfällte er in zwei Teile: daraus entstanden Gatte und Gattin. Darum ist dieser Leib an dem Selbst gleichsam eine Halbscheid, so nämlich hat es Tajñavalkya erklärt. Darum wird dieser leere Raum hier durch das Weib ausgefüllt.«

Die Brihad-Āranyaka-Upanishad ist die älteste aller Upanishaden und wird wohl von keinem urteilsfähigen Forscher später angesetzt als etwa um das Jahr 800 v. Chr. Die Frage, ob eine, wenn auch sehr mittelbare Abhängigkeit Platon's von diesen indischen Gedanken möglich wäre, möchte ich im Gegensatz zur herrschenden Meinung nicht unbedingt verneinen, da eine solche Möglichkeit wohl auch für die Seelenwanderungslehre nicht geradezu in Abrede gestellt werden kann. Eine solche, zunächst durch Pythagoraeer vermittelte Abhängigkeit würde dem gedanklichen Zusammentreffen kaum etwas von seiner Bedeutsamkeit nehmen, da Platon eine derartige ihm irgendwie aus orientalischer Überlieferung zugetragene Geschichte sich nicht zu eigen gemacht, geschweige denn ihr eine so bedeutsame Stellung angewiesen hätte, hätte sie ihm nicht selbst als wahrheitshältig eingeleuchtet.

In einer Schrift von K. Ziegler, Menschen- und Weltenwerden (Neue Jahrbücher für das klassische Altertum, Bd. 31, Sonderabdruck 1913), die sich planmäßig mit der Erforschung des fraglichen Gedankens vor Plato beschäftigt, wird dieser auf babylonische Vorstellungen zurückgeführt.

[32] Anschließend hier einige Worte zur Klärung unserer Namengebung, die im Laufe dieser Erörterungen eine gewisse Entwicklung durchgemacht hat. Was »Sexualtriebe« sind, wußten wir aus ihrer Beziehung zu den Geschlechtern und zur Fortpflanzungsfunktion. Wir behielten dann diesen Namen bei, als wir durch die Ergebnisse der Psychoanalyse genötigt waren, deren Beziehung zur Fortpflanzung zu lockern. Mit der Aufstellung der narzißtischen Libido und der Ausdehnung des Libidobegriffes auf die einzelne Zelle wandelte sich uns der Sexualtrieb zum Eros, der die Teile der lebenden Substanz zu einander zu drängen und zusammenzuhalten sucht, und die gemeinhin so genannten Sexualtriebe erschienen als der dem Objekt zugewandte Anteil dieses Eros. Die Spekulation läßt dann diesen Eros vom Anfang des Lebens an wirken und als »Lebenstrieb« im Gegensatz zum »Todestrieb« treten, der durch die Belebung des Anorganischen entstanden ist. Sie versucht das Rätsel des Lebens durch die Annahme dieser beiden von Uranfang an miteinander ringenden Triebe zu lösen. Unübersichtlicher ist vielleicht die Wandlung, die der Begriff der »Ichtriebe« erfahren hat. Ursprünglich nannten wir so alle jene von uns nicht näher gekannten Triebrichtungen, die sich von den auf das Objekt gerichteten Sexualtrieben abscheiden lassen, und brachten die Ichtriebe in Gegensatz zu den Sexualtrieben, deren Ausdruck die Libido ist. Späterhin näherten wir uns der Analyse des Ichs und erkannten, daß auch ein Teil der »Ichtriebe« libidinöser Natur ist, das eigene Ich zum Objekt genommen hat. Diese narzißtischen Selbsterhaltungstriebe mußten also jetzt den libidinösen Sexualtrieben zugerechnet werden. Der Gegensatz zwischen Ich- und Sexualtrieben wandelte sich in den zwischen Ich- und Objekttrieben, beide libidinöser Natur. An seine Stelle trat aber ein neuer Gegensatz zwischen libidinösen (Ich- und Objekt-) Trieben und anderen, die im Ich zu statuieren und vielleicht in den Destruktionstrieben aufzuzeigen sind. Die Spekulation wandelt diesen Gegensatz in den von Lebenstrieben (Eros) und von Todestrieben um.

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