1.

K

Kommt, Kinder, faßt mich bei der Hand!

Ich führ' euch in das Morgenland

Und in sein Märchenparadies

Auf einem wohlbekannten Pfade.

Vor langen, langen Jahren wies

Ihn die berühmte Schehersade

Dem argen Sultan Scheherban,

Sodaß der greuliche Tyrann—

Weil ihre Kunst, in bunten Bildern

Ihm eine Zauberwelt zu schildern,

Unwiderstehlich ihn berauschte—

Vergessend Speis' und Trank und Ruh',

Ihr volle tausend Nächte lauschte

Und eine weitre noch dazu.

Von jenen köstlichen Geschichten,

Mit denen sie sein Ohr betört,

Will ich euch eine nun berichten;

Seid also mäuschenstill und hört:

In einer Hauptstadt fern im Osten,

So fern, daß nur mit viel Gefahr

Und ungeheuren Reisekosten

Man ihr zu nahn imstande war,

Jedoch so reich an Herrlichkeiten,

Daß niemand ihresgleichen sah,

Dort lebte vor geraumen Zeiten

Ein Bürger namens Mustapha

Mit seiner Frau und seinem Sohn.

Sein Brot erwarb er sich als Schneider;

Sein Handwerk aber trug ihm leider

Trotz allem Fleiß nur magren Lohn,

Und knapp war drum bei ihm bemessen

Das Mittag- wie das Abendessen.

Den Sohn—man hieß ihn Aladdin—

Konnt' er nur mangelhaft erziehn;

So ward aus dem ein rechter Flegel,

Der gut tat, nur solang' er schlief,

Der schon frühmorgens in der Regel

Barfüßig auf die Gasse lief,

Sich dort herumtrieb nach Belieben

Mit andern kleinen Tagedieben

Und, bis ihm durch ihr Heer von Sternen

Den Heimweg zeigen ließ die Nacht,

Auf jeden Unfug war bedacht,

Sich aber sträubte, was zu lernen.

Der Vater hieb den Arm sich lahm,

Sah schließlich ein, mit solchem Rangen

Sei nichts Gescheites anzufangen,

Und wurde krank und starb vor Gram.

Der Bursch, nun fünfzehn Jahr' schon alt,

Groß, schlank, fast männlich von Gestalt,

Statt auf die Hosen sich zu setzen

Für seiner Mutter Unterhalt,

Fuhr fort, auf öffentlichen Plätzen

Herumzulungern ohne Ziel

Und seine Tage zu vergeuden

In rohen Müßiggängerfreuden,

In plumpem Spaß und wildem Spiel.

Einst, als er in gewohnter Art

Sich raufte mit der Gassenjugend,

Merkt' er, daß eifrig nach ihm lugend

Ein fremder Mann mit schwarzem Bart

Und afrikanischen Gewändern

Ihm scheinbar im Vorüberschlendern

Sich näherte. Der Fremde blieb

Dicht vor ihm stehn und sprach: "Vergib,

Mein junger Freund, und laß mich wissen:

Wer ist dein Vater?" Aladdin

Versetzte: "Längst schon hat mir ihn

Des Todes rauhe Hand entrissen.

Im Leben hieß er Mustapha."

Die hellen Tränen rollten da

Dem Fremdling über beide Wangen:

"O Glück, daß ich, mein Sohn, dich treffe,"

Sprach er mit zärtlichem Umfangen;

"Du bist ja mein geliebter Neffe.

Dein Vater war mein Bruderherz;

Ich aber bin ununterbrochen

Schon auf der Reise hundert Wochen,

Um ihn zu sehn. Drum hat der Schmerz

Mich bei der Nachricht übermannt

Von seinem traurigen Geschicke;

Hab' ich doch gleich beim ersten Blicke

Dich an der Ähnlichkeit erkannt!"

Drauf hieß er ihn die Mutter grüßen

Und zog ein Beutelchen heraus

Und gab ihm Geld.

Auf raschen Füßen

Lief Aladdin vergnügt nach Haus,

Um seiner Mutter klipp und klar

Den ganzen Handel zu erzählen.

Die Mutter konnt' ihm nicht verhehlen,

Wie sehr sie drob verwundert war.

Mit rechten Dingen kaum geschah's!

Wo war der Oheim hergekommen,

Da sie doch nie zuvor vernommen

Von einem Bruder Mustaphas?

Doch weil das Gelb gar lustig klang,

Zerbrach sie sich den Kopf nicht lang;

Und abends wollten beide grad

Von ihrem kargen Mahle naschen,

Als jener Mann mit vollen Flaschen

Und Früchten in die Stube trat,

Um selber sich zu Gast zu laden.

Von Rührung überwältigt schier

Blickt' er sich um, als woll' er hier

Von neuem sich in Tränen baden,

Und sagte: "Teure Schwägerin,

Wohl vierzig Jahre flossen hin,

Seit ich dies Heimatland verlassen,

Um in der Fremde Fuß zu fassen

Und dem erträumten Glücke nach

Den halben Erdkreis zu durchstreifen;

Es läßt sich also gut begreifen,

Daß nie mein Bruder von mir sprach.

Nun aber endlich heimgekehrt

Und trostlos, weil an seinem Herd

Ich ihn lebendig nicht mehr finde,

Den sehnsuchtsvoll ich suchte—nun

Will wenigstens ich seinem Kinde,

Was ich vermag, zuliebe tun."

Zu Aladdin gewandt hierbei,

Begann er freundlich ihn zu fragen,

In welchem Handwerk er beschlagen

Und welcher Zunft beflissen sei.

Der Bursche schwieg verlegen still;

Die Mutter aber sprach betrübt:

"Kein Handwerk hat er je geübt,

Weil er durchaus nichts lernen will.

Da hilft kein Warnen und kein Schelten;

Ich glaube wahrlich, daß noch selten

Es einen solchen Faulpelz gab.

Er bringt mich an den Bettelstab,

Und nächstens weis' ich ihm die Türe.

Sein Vater würde sich im Grab

Umdrehn, wenn er davon erführe."

Der Fremdling mahnte drauf den Jungen

In mildem, väterlichem Ton:

"Das ist nicht wohlgetan, mein Sohn;

Doch treibt man etwas nur gezwungen,

Dann wird es einem leicht vergällt.

Berufe gibt es viel auf Erden;

Du mußt nicht grad ein Schneider werden,

Und wenn kein Handwerk dir gefällt,

So will ich gerne mich verpflichten,

Im feinsten städtischen Bazare

Dir einen Laden einzurichten

Mit Linnenzeug, mit Seidenware,

Kostbaren Teppichen und Stoffen,

Sodaß Gewinn und neuer Kauf

Dir Wohlstand bringt. Gesteh' mir offen:

Wie nimmst du diesen Vorschlag auf?"

Der Schlingel, ohne lang' zu schwanken,

Erklärte schmunzelnd sich bereit;

Die Mutter schwamm in Seligkeit,

Hieß ihn sich tausendmal bedanken

Und zweifelte nicht länger dran,

Der unbekannte Biedermann,

Der gleich ein ganzes Warenlager

Dem Sohn zu schenken sich erbot,

Sei niemand anders als ihr Schwager.

Am nächsten Tag ums Morgenrot

Erschien der neue Oheim wieder,

Nahm seinen lieben Neffen mit,

Ging ihm zur Seite Schritt für Schritt

In den Bazaren auf und nieder,

hielt an vor einem Kleiderstand

Und bat ihn, aus dem dichten Schwalle

Sich auszusuchen ein Gewand,

Das ihm besonders gut gefalle.

Freigebig kauft' er ihm dazu

Noch Turban, Gürtel, Strümpfe, Schuh',

Bis von dem Scheitel zu den Zehen

Er einem jungen Prinzen glich.

"Du sollst nun alle Tage mich

Begleiten beim Spazierengehen,"

Sprach sein Beschützer großmutvoll;

"Denn freien Blick und Welterfahrung

Braucht, wer ein Kaufmann werden soll.

Dem Geist wird mühelos die Nahrung

Geboten, deren er bedarf,

Wenn klar das Auge sieht und scharf.

Einsaugen wirst auf unsern Gängen

Die Bildung du wie Luft und Licht

Und läufst bei solchem Unterricht

Niemals Gefahr, dich anzustrengen."

Gesagt, getan. Sie gingen beide

Von jetzt ab täglich durch die Stadt,

Und Aladdin, im neuen Kleide

Stolz wie ein Pfau, ward nimmer satt,

Sich wißbegierig anzusehn,

Was ihm sein guter Oheim zeigte.

Sie wandelten durch weitverzweigte

Gewölbe, Hallen und Moscheen,

Betrachteten die schönsten Läden,

Der Straßen emsiges Gewühl,

Die Brunnen, draus erquickend kühl

Das Wasser schoß in Silberfäden,

Von hohen Palmen überschattet,

Und drangen durch ein Gittertor,

Wo freier Zutritt war gestattet,

zum Prachtpalast des Sultans vor.

Auch pilgerten sie manchen Tag,

Die Glieder doppelt rüstig regend,

Hinaus in die begrünte Gegend,

Bis fern die Stadt im Rücken lag

Und zu den Gärten sie gelangten,

Drin unter üppigem Gerank

Die wundersamsten Blumen prangten,

Umspült von Teichen spiegelblank.

Aladdin im Zaubergarten

Aladdin im Zaubergarten

Share on Twitter Share on Facebook