Es war im Monat Juli, als die letzten Streiftruppen von Militair und Polizei, die im April die Buschrähndscher-Bande des »Gentleman John« theils getödtet und gefangen, theils zerstreut hatten, nach Adelaide zurückkehrten.
Trotz aller Energie ihres Führers, und trotz der wirklich unvergleichlichen Ausdauer der Leute, war es ihnen aber doch nicht gelungen, des Gefährlichsten der Schaar, des berüchtigten Gentleman John, habhaft zu werden. Selbst in See ausgesandte Kutter, die an den Küsten kreuzten und weite Strecken hinaus den Ocean absuchten, konnten nichts von jenem Boot, das man zuletzt an der Mündung des Murray gesehen, entdecken, und es blieb kaum mehr einem Zweifel unterworfen, daß die verwegenen Räuber, die damals dem Arm der strafenden Gerechtigkeit entkommen, ihren Tod in der an der Einfahrt der Encounterbai stehenden Brandung gefunden.
Was dieser Vermuthung noch mehr Wahrscheinlichkeit lieh, war, daß man gerade in jener Zeit die Trümmer eines zerschellten Bootes unfern jener Stelle an der Küste entdeckt hatte. Jedenfalls mußte es dasselbe sein, das den Buschrähndschern gehörte, und wenn sie auch den Galgen also um sein Recht betrogen, war doch wenigstens die Colonie von ihnen befreit, und die einzelnen Stationshalter draußen im wilden Busch konnten freier athmen.
Das war ziemlich die allgemeine Ansicht in der Colonie, die dadurch noch mehr befestigt wurde, daß man selbst wochenlang nach der Rückkehr der Expedition Nichts mehr von einem neuen Ueberfall einzelner Reisenden oder Stationen hörte. Die Wege im Busch waren so sicher, wie die Straßen von Adelaide im hellen Sonnenschein, und hatten sich wirklich Einzelne der Scharr zu Land geflüchtet, so schien Nichts wahrscheinlicher, als daß sie entweder in der trostlosen, wasserarmen Wildniß umgekommen, oder von den Schwarzen »gespeert« seien.
Nur Einer der Polizeibeamten, die sich damals dem Zuge angeschlossen, theilte nicht die Meinung der Anderen, daß nämlich Gentleman John sein Ende in den Wogen gefunden, und das war Tolmer, der Chef jenes gegen die Buschrähndscher ausgesandten Trupps selber. Er hatte das Boot gesehen, er kannte auch die Gefahr der Brandung an der Victoriasee-Mündung, aber er wußte ebenfalls, daß eine Ausfahrt zu Zeiten möglich sei, und traute dem tollkühnen Räuber recht gut zu, die Schwierigkeiten und Gefahren derselben besiegt zu haben.
Die noch auf seinem Kopf stehenden zweihundert Pfund Sterling lockten ihn dabei weit weniger, als die Ehre, den gefährlichen und berüchtigten Räuber, trotz allen Kreuz- und Quersprüngen desselben, noch einmal zu überlisten und einzubringen, und mit unermüdlicher Ausdauer, mit einer Zähigkeit, die sich durch nichts entmuthigen und abschrecken ließ, durchritt er das halbe Murray-Thal und die Wildniß bis zu den besiedelten Distrikten der Nachbar-Colonie, und umsegelte die Küsten, die sich nach rechts und links von Adelaide ausstreckten, die mögliche Spur von dort gelandeten Fremden zu entdecken.
Umsonst – Nirgends war auch nur das Geringste von den entkommenen Räubern zu entdecken, und als letzte Möglichkeit fuhr er nach der der Hindonoff-Landzunge gegenüberliegenden Känguruh-Insel hinüber. Er wußte recht gut, daß Gentleman John bei seinem ersten Debüt als Buschrähndscher die Schlupfwinkel jener Insel genau kannte, und war es ihm nicht gelungen, in See ein Schiff anzurufen und Australien ganz zu verlassen, so blieb Nichts wahrscheinlicher, als daß er sich wieder dorthin geflüchtet habe.
Ohne das geringste glückliche Resultat durchstreifte er aber die ganze Wildniß drüben, kroch durch die ihm nur zu wohl bekannten Känguruh-Dornen, dem flüchtigen Räuber nur erst einmal wieder zu begegnen. Auf den Stationen erhielt er – das alte Leiden – nur ungenügende, ausweichende Nachrichten. Niemand wollte die Buschrähndscher gesehen haben, Niemand etwas von ihnen wissen, und er sah sich endlich genöthigt, so ungern er es that, seine weitere Verfolgung aufzugeben. – Gentleman John war jedenfalls auf ein Schiff entkommen, und dann freilich hätten sie ihn hier wohl vergeblich suchen sollen.
An Cap Borda, der Nordwestspitze der Insel, blieb er eine Nacht auf einer von einem Mr. Bloome dort angelegten Station. Er wollte von hier aus nach Adelaide zurückkehren, wurde aber in diesem Vorsatz durch ein Gespräch mit Mr. Bloome selber wankend gemacht. Bloome nämlich erzählte ihm von einem sehr reichen Engländer, mit dem in Gemeinschaft er in nächster Zeit einen Schooner ausrüsten wolle, um an den australischen Küsten und nach Neu-Seeland hin Handel zu treiben. Ein Bruder von ihm, früher einmal Steuermann auf einem Ostindienfahrer, war zu dem Zweck schon nach Sydney abgegangen, ein passendes Fahrzeug dort anzukaufen, und er erwartete diesen mit jedem Tage zurück.
Stutzig machte ihn zuerst die Nachricht, daß der Fremde als ein Schiffbrüchiger auf die Insel gekommen sei, an deren Küste er, wie Bloome sagte, sein eigenes Fahrzeug verloren habe, und sein Verdacht wurde zur Gewißheit, als er im Lauf des von ihm äußerst vorsichtig geführten Gesprächs erfuhr, daß unter den wenigen, die sich mit ihm gerettet, auch eine schwarze Frau gewesen sei.
Capitain Howitt, wie er sich nannte, sollte übrigens, des Squatters Bericht nach, erst gestern zu Land nach Point Marsden an der Nordseite der Insel gegangen sein, wo er noch Geschäfte, den Ankauf von Waaren betreffend, abzuschließen habe. Mr. Bloome erwartete ihn nicht vor der nächsten Woche zurück.
Tolmers Entschluß war rasch gefaßt. Es war dies überhaupt seine letzte Hoffnung, den flüchtigen Räuber noch aufzufinden, und wenn er auch jetzt, allein und ohne Unterstützung nichts Entscheidendes gegen ihn unternehmen konnte, so wollte er ihn doch wenigstens erst einmal sehen, wollte sich selber überzeugen, daß es wirklich der vogelfreie Verbrecher sei, und dann so rasch als möglich nach Adelaide zurückkehren, Hülfe von dort herbeizuholen.
Mr. Bloome hatte, wie er bald im Gespräch merkte, keine Ahnung davon, was für ein gefährlicher Charakter sein zukünftiger Compagnon sein könne, und Tolmer war viel zu vorsichtig, ihm auch nur das Geringste merken zu lassen, welchen Verdacht er selber habe. Ein unbedachtes Wort des Squatters hätte während seiner Abwesenheit den schlauen Verbrecher nur zu leicht warnen, und all seine Mühe vergeblich machen können. Die Nacht blieb er übrigens noch bei seinem gastfreien Wirth, der ihn überdies vor dem nächsten Morgen gar nicht fortgelassen hätte, und suchte während der Zeit Näheres von ihm über die früheren Kameraden des Schiffbrüchigen zu erfahren. Diese befanden sich, Mr. Bloomes Meinung nach, am andern Ende der Insel, vielleicht gerade dort, wohin jener Mr. Howitt gegangen, wenigstens hatte er hier nichts weiter von ihnen gesehen, und bekümmerte sich auch, wie er mit einem Seitenblick auf Tolmer bemerkte, wenig oder gar nicht um das, was im Innern der Insel vorging. »Es sei das in Australien eine gar schlimme Sache, da man nie wisse, mit wem man es eigentlich zu thun bekomme, und in wiefern die Bekanntschaft vortheilhaft und angenehm sein könne.«
Am andern Morgen brach Tolmer vor dem Frühstück noch mit dem dämmernden Tage auf, und wanderte, so rasch ihn seine Füße trugen, dem ziemlich fernen Point Marsden zu. Aber erst am vierten Morgen, durch Dornen, Dickicht und vom Regen erweichte Wege aufgehalten, erreichte er etwa um neun oder zehn Uhr die ersten Umzäunungen des Platzes, der ihm von der letzten Station als Eigenthum eines gewissen Rodwell – derselbe, bei dem sich jener Capitain Howitt aufhalten sollte – bezeichnet worden.
Tolmer machte hier Halt, sich auf alle möglichen Fälle, wenn er da wirklich mit dem Buschrähndscher zusammenträfe, vorzubereiten. Allerdings war er dabei im Vortheil, denn er kannte jenen sogenannten Gentleman John schon von Ansehen genau, und hatte selber jede nur mögliche Vorkehrung getroffen, nicht von ihm erkannt zu werden – konnte er ihn doch auch nicht hier vermuthen. Nichts destoweniger mußte er dem schlauen und abgefeimten Räuber gegenüber jede Vorsicht gebrauchen, sich nicht zu verrathen. Bei dem geringsten Verdacht, besonders wenn dieser seine Helfershelfer in der Nähe hatte, war er verloren, oder der Verbrecher doch jedenfalls gewarnt gewesen, ehe er sich seiner bemächtigen konnte, und Mann gegen Mann blieb ihm auch nur geringe Hoffnung, seiner Herr zu werden. Tolmer selber, wenn auch von kräftigem und durch Beschwerden gestähltem, zähem Körper, war doch dem riesigen, schon seiner Stärke wegen berühmten Räuber nicht gewachsen, und die List für ihn der einzige Ausweg. Ehe er also auf das Haus, dessen Dach er schon von Ferne durch die Büsche konnte schimmern sehen, zuging, setzte er sich noch vorher auf einen dort umgestürzten, unfern von dem schmalen Pfad liegenden Baumstamm, und überlegte vor allen Dingen, auf welche Art er sich am glaubwürdigsten bei jenem Mr. Rodwell einführen könne.
Noch war er hierüber zu keinem festen Resultate gekommen, als er Stimmen im Busch hörte, die allem Anscheine nach gerade vom Hause her den Pfad entlang kamen. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, glitt er hinter den ziemlich starken Gumstamm, auf dem er bis jetzt gesessen, und erkannte wenige Minuten später einen Mann und eine Frau, die zusammen langsam auf dem Pfad hinschritten. Ehe sie übrigens dicht zu ihm kamen, blieben sie auf einer etwas lichten Stelle stehen und sprachen leise mit einander. Tolmer horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, war aber nicht im Stande, Alles zu verstehen, denn nur einzelne Worte und kurze Sätze drangen bis zu ihm herüber.
»Es geht nicht,« sagte die Frau, »es geht wahrhaftig nicht – was soll aus dem Kinde werden?«
Dann wieder schien sie der Mann zu etwas überreden zu wollen, denn sie sah vor sich nieder und schüttelte langsam, wie zweifelnd, den Kopf.
Es war ein junges, bildschönes Weib, in die einfache Tracht der australischen Squatterfrauen gekleidet. Ihr Bonnet trug sie in der Hand, und die vollen, lichtblonden Locken fielen ihr voll und reich um die weiße, fast zu bleiche Stirn. Nur das Antlitz des Mannes, der ihr den Rücken zukehrte, konnte er noch nicht erkennen. Dieser beugte sich nach der Frau vor, und hielt eine ihrer Hände zwischen den seinigen.
»Halte nur Alles bereit,« sagte da endlich der Mann mit lauterer Stimme, »ich komme jedenfalls, und Du sollst es nicht bereuen.« – Er bog sich zu ihr nieder und wandte sich dann rasch von ihr ab, den Pfad, den Tolmer kurz vorher gekreuzt, zu verfolgen.
Die Frau blieb an der Stelle, wo er sie verlassen, noch eine Weile stehen, Tolmers Augen aber hafteten auf dem jetzt an ihm vorüberschreitenden Manne, den er auf den ersten Blick als den gesuchten Räuber erkannte.
Gentleman John hatte sich allerdings seit jener Zeit, wo er ihn zuletzt gesehen, sehr zu seinem Vortheil verändert. Er trug statt der früheren Buschtracht seine Tuchkleider, einen feinen schwarzen Hut und einen Spazierstock in der Hand, den Tolmer rasch als Degenstock erkannte. Auch sein Gesicht sah voll und blühend aus und gab den Beweis, daß er von dem geraubten Gelde vortrefflichen Gebrauch gemacht. Eine eigene Aufregung schien sich aber seiner bemächtigt zu haben, seine Augen, mit denen er rasch die Bahn vor sich überflog, leuchteten, und sein Schritt war leicht und elastisch geworden. So eilte er, ohne den versteckten Feind zu bemerken, schnell an Tolmer vorüber und war, ehe dieser nur zu einem Entschluß kommen konnte, ob er ihm folgen solle oder nicht, bald in dem dichten Busch der Waldung verschwunden.
Die Frau schaute ihm wie sinnend nach, so lange sie ihn sehen konnte, und faltete dann die Hände, senkte das schöne Haupt und sah still und schweigend viele Minuten lang vor sich nieder. Dann drehte sie sich um, und schritt mit zögerndem Gang dem Hause wieder zu.
Tolmer wartete, bis sie dasselbe etwa erreicht haben konnte, und wollte dann ebenfalls sein Versteck verlassen, als er vor sich, kaum zwanzig Schritte entfernt, etwas in den Sträuchen rascheln hörte. Es konnte ein Vogel oder auch ein Wallobi[9] sein, von denen es viele dort in der Gegend gab; Tolmer aber war viel zu sehr Buschmann, auch das Geringste unbeachtet zu lassen, und in seiner noch geschützten Stellung bleibend, sah er vorsichtig eine Weile nach der Gegend hinüber, aus der er das Geräusch zuerst gehört.
Im Anfang war Alles wieder ruhig, dann erkannte er aber plötzlich, daß sich da drüben ein schlanker Theebuschschößling bewege, als ob etwas Schweres dagegen drücke, und wenige Secunden später entdeckte er die dunkle Gestalt einer Eingeborenen, die, in einen langen Opossumfellmantel gehüllt, aus dem gegenüberliegenden Dickicht trat. – Nur einen Blick warf sie nach der Richtung hinüber, in der die Frau verschwunden war, dann folgte sie, die Augen fest auf den Boden geheftet, den Schritten des weißen Mannes – ihres Gatten.
Tolmer fühlte sich vollkommen überzeugt, daß sie keine Ahnung von seiner Nähe gehabt, denn selbst wo sie seine Fährten kreuzte, wandte sie den Kopf weder nach rechts, noch nach links hinüber, sondern schien nur das eine Ziel im Auge zu behalten. Nichts desto weniger blieb er jetzt noch eine geraume Zeit in seinem Versteck, um vollkommen sicher zu sein, daß er keinen weiteren Lauscher mehr zu fürchten habe, und ging erst dann, als er sich davon überzeugt, dem nicht mehr fernen Hause zu. Jetzt lag ihm vor allen Dingen daran, Genaueres über jenen Burschen zu hören, und die beste Quelle dafür schien ihm jene fremde Dame, die jedenfalls ein näheres Interesse an ihm nahm.
Tolmer hatte erwartet, auf dem nächsten freien Platze eine der gewöhnlichen Schafstationen mit Wohnhaus des Eigenthümers und einer Anzahl daranstoßender Gebäude zu finden, und war eigentlich überrascht, hier nur, als er die Lichtung betrat, ein einfach kleines, aber unendlich sauberes und freundliches Häuschen vor sich zu sehen, das mit zierlichem Giebeldach gebaut, von einem trefflich gehaltenen Garten umgeben, in ein wahres Dickicht von Frucht-und Blütenbäumen hineingeschmiegt lag. Reizend war dabei die Aussicht auf das offene Meer, die Investigator strait, die hier die Insel von dem festen Lande trennte, und bei klarem Wetter sogar die fernen Höhen desselben sichtbar werden ließ, während hie und da ein weißes Segel auf der dunkelblauen, leicht gekräußten Flut dem Bilde Leben und Bewegung gab.
Um das Haus selber rankte sich eine förmliche Wand von Passionsblumen und andern blühenden Schlingpflanzen, an denen Australien so reich ist, und blitzend und blank schauten daraus die kleinen aber hellen, inwendig mit reinlichen Gardinen behangenen Fenster vor.
Tolmer zögerte fast den Platz zu betreten, so still und friedlich lag die liebe Wohnung vor ihm da – und sollte er da zuerst Mißtrauen und Unheil säen? – Bah – die Gegend wollte er ja gerade von ihrer Pest befreien, die Schlange aus dem Paradiese jagen, und gar willkommen mußte da sein Fuß dem Boden sein.
Rasch und entschlossen wanderte er deshalb dem Hause zu, an dessen Fenstern er vergebens die Gestalt der vorher im Busch gesehenen Frau zu erspähen suchte, und klopfte, als er die Thür erreichte, leise an. – Niemand antwortete ihm. Er klopfte lauter – Alles blieb todtenstill im Haus. Nichts desto weniger stand die Thür nur angelehnt, und er trat endlich hinein, in der Hoffnung, doch jedenfalls irgend wen von der Dienerschaft dort zu finden.
Im Vorsaal war Niemand, im nächsten unten gelegenen Zimmer aber hörte er eine Kinderstimme, und da auch diese Thür nur angelehnt war, öffnete er sie leise und sah hinein.
Mitten in dem kleinen, reinlichen Gemach stand ein Kinderbettchen, in dem ein vielleicht jähriges Kind lag, auf dem Sopha aber in der Ecke, das Antlitz in die Kissen gedrückt, das Bonnet neben sich am Boden, lag die junge Frau regungslos wie eine Todte.
Tolmer trat erschreckt zurück – er hatte nicht indiscret sein wollen und kein Recht, sich dem geheimen Kummer einer Unglücklichen aufzudrängen. Mit dem einen Ziel aber fest im Auge, konnte und durfte er auch das Haus nicht wieder verlassen, ohne Näheres über jenen Mann gehört zu haben, und leise nur wieder zurücktretend, daß die junge Frau sich nicht bemerkt glauben durfte, machte er draußen lautes Geräusch an der Hausthür, die er stark zuschlug, trat dann fest auf, den Vorsaal entlang, und klopfte endlich an die Kammerthür.
»Wer ist da?« rief in demselben Augenblick eine ängstlich erschreckte Stimme, und zugleich öffnete sich die Thür, in der dem sonst ziemlich kalten Polizeimann das reizendste Wesen entgegentrat, daß er je gesehen zu haben glaubte. Er brachte auch im Anfang wirklich nicht ein Wort über die Lippen, und fing schon an, sich selber zu ärgern, als die junge Frau, die sich zuerst gesammelt, ruhig fragte: »Was steht zu Ihren Diensten und wen suchen Sie?«
»Mr. Rodwell,« erwiderte da Tolmer, rasch gefaßt, »hab' ich vielleicht das Vergnügen Mrs. Rodwell vor mir zu sehen?«
Die Frau neigte leise ihr Haupt, ohne ein Wort weiter zu erwidern, aber ihr Blick flog indessen forschend über des Fremden Züge. Wer war er, und wo kam er so plötzlich her? –
»Und können Sie mir sagen, wo und wann ich vielleicht Mr. Rodwell treffen möchte?«
»Ich weiß es nicht,« erwiderte die Frau, und Tolmer kam es vor, als ob sich die bleichen Wangen etwas rötheten, »er ist nach Adelaide gefahren und ich erwarte ihn erst morgen oder übermorgen wieder zurück.«
»S–o?« sagte Tolmer, indem er fest dem auf ihm haftenden Blick begegnete, bis die Frau den ihrigen zu Boden schlug.
»Haben Sie Geschäfte mit ihm?« frug diese endlich, die sich gewaltsam zu sammeln schien.
»Ja und Nein,« erwiderte der Polizeimann ruhig. »Ich suche eigentlich nur ein paar Stiere, die mir vom Südufer der Insel fortgelaufen sind und den Busch angenommen haben, und wollte ihn fragen, ob er nichts von ihnen hier gesehen. Doch die Frage kann mir jeder Andere wohl ebenfalls beantworten, und irgend einer Ihrer Leute oder Nachbarn wird mir gewiß darüber Auskunft geben.«
»Unsere beiden Arbeiter sind im Feld,« erwiderte Mrs. Rodwell, »wenn Sie sich vielleicht dorthin bemühen wollten.«
»Ihr nächster Nachbar wohnt wohl nach Westen zu?« frug Tolmer.
»Nach Westen zu – wie so?«
»Ach, ich meine nur – ich sah die frischen Spuren eines europäischen Stiefels dort im Pfad. Wie weit ist es in der Richtung bis zum nächsten Haus?«
»Eine nicht unbedeutende Strecke,« erwiderte Mrs. Rodwell, und wieder entging es dem scharfen Blick des Polizeibeamten nicht, daß eine leichte Röthe ihr Antlitz, wenn auch nur momentan, überflog. »Aber selbst von dort her kommen sie manchmal verloren gegangenes Vieh zu suchen.«
»Ja – kann ich mir denken,« sagte Tolmer nachdenkend, »hm, da war der, von dem ich die Spuren gesehen, wohl gar am Ende auch in solchen Geschäften aus, und könnte mir die beste Kunde geben. Kennen Sie ihn, Madame, und haben Sie gesehen wer es war?«
»Ich? – nein,« sagte die Frau ruhig – »er war nicht hier im Haus.«
»Dann bitte, entschuldigen Sie, daß ich hier so ohne Weiteres eingebrochen bin,« sagte Tolmer, sich leicht verbeugend. Er wußte jetzt genug, und war überzeugt, daß die Frau, die selbst ableugnete den Fremden gesehen zu haben, ihm nie einen weiteren Aufschluß über denselben geben würde. Wenige Minuten später schritt er wieder langsam durch den kleinen, mit sorgsamer Hand angelegten Garten einem anderen, zu dem Haus gehörenden Gebäude zu, das zu Ställen und Vorrathskammern zu dienen schien, und wo er einen Arbeiter beschäftigt sah, einen kleinen Wagen auszubessern.
Der Polizeimann hatte erst von diesem weitere Erkundigungen einziehen wollen, aber das Gesicht des Mannes gefiel ihm nicht. Der Bursche gehörte jedenfalls zu der damaligen Hauptbevölkerung Australiens, der der entlassenen oder beurlaubten Sträflinge, und einem solchen durfte er nicht ahnen lassen, was er hier suche. Deshalb seinen Vorwand beibehaltend, sich nach entlaufenem Vieh zu erkundigen, frug er nur oberflächlich nach der dortigen Nachbarschaft, und denen, die den Platz zu Zeiten besuchten. Er bekam aber auch hier nur ausweichende Antworten, denn Bradley, so hieß der Bursche – war in der That einer der wenigen mit Gentleman John entkommenen Verbrecher, der sich hier als groom verdungen hatte, seine Zeit abzuwarten. Tolmer schöpfte aber erst dann Verdacht gegen ihn selber, als er die angeblich gesuchten, in Wirklichkeit gar nicht existirenden Zugstiere, genau so wie er sie auf gut Glück beschrieb, vor einigen Tagen an der Ostspitze der Insel gesehen haben wollte. Gentleman John war in westlicher Richtung fortgegangen.
Der schlaue Polizeibeamte ließ sich jedoch nicht das Geringste merken, dankte für die Auskunft und verließ, der bezeichneten Richtung folgend, den Platz. Sein Boot lag in der Wegranbay, und er war fest entschlossen, ohne hier weiter einen Augenblick Zeit zu versäumen, so rasch als irgend möglich nach Adelaide zurückzukehren.
In der Hauptstadt Südaustraliens glücklich angelangt, stattete er augenblicklich dem Gouverneur Bericht ab, und dieser war gern bereit, ihm ein Detachement Militär mitzugeben, die flüchtigen Verbrecher aufzuheben. Tolmer dagegen erbat sich Freiwillige, denn er wußte recht gut, mit welchem Feind er es hier zu thun bekam, und daß der in die Enge getriebene Buschrähndscher wie ein Verzweifelter sich wehren würde. Außerdem kannte er die Hülfsquellen nicht, die ihm dort zu Gebote standen, und ob sich im Innern der wilden Insel nicht am Ende noch eine größere Zahl von Verbrechern versteckt hielt, als er jetzt vermuthen konnte.
Zu groß durfte er seine Schaar aber auch nicht wählen, denn immer noch mehr hoffte er von der List als von Gewalt, und als sich zwanzig zuverlässige Leute gemeldet hatten, nahm er noch seinen Sergeanten, einen gewissen Morris dazu, und ließ die Mannschaft auf zwei ihm von der Regierung überlassenen Booten sich nach der Känguruhinsel einschiffen.
Tolmer wollte seine Leute südlich von Cap Borda landen lassen, von dort aus dann seine weiteren Anordnungen zu treffen. Er hatte ihre Abfahrt auch so viel als möglich beeilt, da er herausbekommen, daß allerdings vor einigen Tagen ein Schooner in Adelaide angekauft und, nach Cap Borda bestimmt, abgegangen sei. Das mußte derselbe sein, auf dem Gentleman John seine Flucht bewerkstelligen wollte, und dem zuvorzukommen hatte er keine Minute Zeit mehr zu versäumen.
Die Boote lagen im Adelaide-Port mit Wasser und Provisionen versehen, und Tolmer, der eben seine letzten Instructionen und Vollmachten eingeholt, ging am Werft entlang, wo weiter unten sein Sergeant noch auf ihn wartete.
Wenig achtete er dabei auf die Menschen umher, denen er begegnete, oder die er überholte, er war zu viel mit seinen eigenen Gedanken und Plänen beschäftigt, als ihn plötzlich ein laut gerufener Name aufmerksam machte.
»Mr. Rodwell!« rief eine feine Stimme hinter einem dicht vor ihm hinschreitenden Manne her, der ein langes Teleskop umgehängt, sich nach dem Rufe umdrehte. Es war eine hohe, männliche Gestalt, mit blondem, gelocktem Haar, blauen Augen und unendlich gutmüthigen, offenen Zügen. Als Tolmer an ihm vorüberschritt, hatte ihn der kleine, ihm nachgelaufene Bursch erreicht und brachte ihm eine Cigarrentasche, die er im Hotel hatte liegen lassen. Rodwell dankte ihm lächelnd und gab dem darüber sehr vergnügten Burschen eine kleine Münze, steckte die Tasche ein und verfolgte seinen Weg.
Rodwell hieß, wie Tolmer sich recht gut gemerkt, der Mann auf der Känguruh-Insel, dem das freundliche Haus und die schöne Frau gehörte, und er beschloß, Näheres von ihm und seinen nächsten Plänen zu hören, ehe er ihn wieder aus den Augen ließ.
Rodwell blieb endlich dicht an einer der schmalen Landungstreppen stehen, und der Polizeibeamte sah, daß ein Boot mit zusammengerolltem Segel und eingelegten Rudern dort augenscheinlich auf ihn zu warten schien.
»Guter Wind heute für eine Spazierfahrt, Sir,« redete er denn auch ohne Weiteres den Fremden an, »muß sich prachtvoll draußen segeln bei der Brise.«
»Denke ja,« erwiderte Rodwell, sich lächelnd zu ihm wendend, »aber ich will nicht spazieren fahren, sondern ich kehre nach Haus zurück.«
»Ah so, – haben wohl Ihre Station hier irgendwo an der Küste.«
»Auf Känguruh-Eiland.«
»Ah, da drüben – ist ein famoser Platz – war auch vor kurzer Zeit in Geschäften dort, und bin ebenfalls wieder im Begriff hinüber zu fahren.«
»In der That? dann können wir vielleicht zusammen segeln,« lachte Rodwell, »aber – mein kleines Boot ist ein Klipper und springt bei einer frischen Brise nur so über das Wasser hin. Nicht alle Boote können Schritt mit ihm halten.«
»Hm,« sagte Tolmer, dem auf einmal ein neuer Gedanke durchs Hirn zuckte, »ich wollte nur, ich hätte ein Boot, mit Euch wett zu fahren, aber ich weiß noch nicht einmal, wie ich hinüber kommen soll. Bin eben nur an das Werft hier herunter gegangen, zu sehen, ob ich mir irgend ein kleines Fahrzeug miethen könnte. Die Leute wissen aber wahrhaftig gar nicht, was sie fordern sollen, und liegen lieber müßig am Strand, ehe sie einen armen Teufel für einen mäßigen Preis hinüberschafften.«
»Dann fahrt mit mir,« sagte Rodwell gutmüthig, »ich habe vollauf Platz im Boote, und Ihr sollt einmal sehen, wie wir hinüberschießen. Nach welcher Stelle der Insel wollt Ihr?«
»O das bleibt sich gleich. Wenn ich nur dort erst einmal festen Boden unter mir habe, komm' ich schon wohin ich will. – Und Ihr würdet mich wirklich mitnehmen?«
»Mit Vergnügen,« lautete die freundliche Antwort, »schafft aber dann nur Euer Gepäck so rasch als möglich hier herunter.«
»Das soll bald geschehen sein,« lachte Tolmer, »und schwer wird es Euer Boot auch nicht machen. Ich habe meine wenigen Sachen gleich dort unten liegen, und wenn Ihr nur ein paar Minuten auf mich warten wollt, bin ich gleich wieder da.«
Rodwell nickte ihm lächelnd zu und Tolmer eilte jetzt, so rasch ihn seine Füße trugen, den eigenen, schon seiner harrenden Booten zu. Hier gab er Borris die nöthigen Befehle, südlich von Cap Borda, an einer genau von ihm bezeichneten Stelle zu landen, und dort vor allen Dingen auszukundschaften, ob der Schooner angelangt sei, und wann er in See gehen würde. Bis er selber wieder zu ihnen stieß, hatten sie Nichts zu thun, als dessen Abfahrt zu hindern; selbst mit Gewalt, wenn es nicht anders möglich wäre.
Tolmer selber hoffte dagegen im Point Marsden auf die Spur des Buschrähndschers zu kommen, der, wie er vermuthete, die Abwesenheit seines jetzigen Reisegefährten wohl nach Kräften für seine eigenen Zwecke benutzen würde. Was lag dem gewissenlosen Räuber an der Ruhe und dem Glück zweier Menschen. War er übrigens auch dort nicht mehr zu finden, so konnte er mit seinen Zurüstungen für eine längere Seefahrt unmöglich so rasch fertig werden, und war leicht an Ort und Stelle zu überholen. Uebrigens glaubte Tolmer, daß er den Burschen, nach dem, was er damals belauscht, wohl noch an Point Marsden finden werde, wo er denn seine ferneren Pläne formen mußte. War dem Räuber doch durch seine Leute die Flucht abgeschnitten, und einmal mußte er ihm dort wieder begegnen.
Rasch packte er jetzt nur etwas Wäsche und seine alten Buschkleider mit ein paar guten, doppelläufigen Pistolen in ein Packet, und eilte damit zu seinem neuen Reisegefährten zurück. Dieser hatte ihn, langsam dabei am Werft hin und her schlendernd, geduldig erwartet und erst als er ihn kommen sah, stieg er, ihm zunickend, die zu seinem Boot führende Treppe nieder.
Außer ihm saß noch ein seemännisch aussehender Bursche im Boot, der das eine Ruder nahm, während Rodwell das andere aufgriff.
»Könnt Ihr steuern?« rief er, als Tolmer sie erreichte, diesem zu.
»Gewiß – aber wollt Ihr mich nicht rudern lassen?«
»Ist nicht nöthig; sobald wir ein Stück draußen im Kanal sind, können wir doch unser Segel setzen. Nehmt nur Eueren Platz am Steuer, und führt uns hier zwischen all den Fahrzeugen durch. Erst einmal freie See, und wir fliegen nur so hinüber.«
Es wurde von jetzt ab nicht mehr zwischen den Männern gesprochen, als nöthig war, die Richtung und Bewegung des kleinen flüchtigen Bootes zu bestimmen. Das Fahrwasser, in dem sie sich befanden, erforderte übrigens ihre ganze Aufmerksamkeit, denn von Port Adelaide ab mußten sie vorerst einem langen, schmalen Seearm folgen, der sich herüber und hinüber wand, ehe sie die offene See erreichen konnten. Die Seeleute sagen auch nicht mit Unrecht, daß ein Schiff den Wind erst um den ganzen Compaß herum haben müsse, ehe es von dort auslaufen könne, und für große Fahrzeuge sind oft viele Tage nöthig, bis sie das Meer gewinnen können. Wo aber das kleine, trefflich gebaute Boot nur eine »Mütze voll Wind« erfassen konnte, setzten sie die Segel, und bald hinüber und herüberkreuzend, bald vor der Brise dahinschießend, dann und wann aber auch wieder genöthigt zu den Rudern zu greifen, passirten sie endlich die Torrens-Insel, umsegelten die nordwärts auflaufende Spitze des letzten festen Landes, und steuerten mit einer frischen Nordwestbrise an der Küste südlich nieder, der etwa von da noch 15 deutsche Meilen entfernten Känguruh-Insel zu.
Erst einmal draußen in freiem Wasser hatte der Bootsmann seinen Platz im Bug vorn eingenommen, während sich Rodwell in die Spiegel des Bootes neben Tolmer setzte. In der ersten Zeit war er allerdings noch schweigsam, und schaute fortwährend nur nach Süden hinunter, wo sie in grauer Ferne vor sich Cap Jervis konnten seine blaue Landspitze vorstrecken sehen. Da plötzlich sprang er von seinem Sitz auf und vorn auf die Bank, durch die ihr kleiner Mast befestigt war und rief, seinen Strohhut dem fernen Süden fröhlich entgegen schwenkend:
»Land! – dort hinten, Fremder, liegt meine liebe alte Insel – liegt meine Heimat, liegt Alles, was ich mein Eigen nenne, und was mich zum glücklichsten Menschen macht, von den blauen rollenden Wogen umschäumt, und wie unser Boot auch rasch und fröhlich über die Flut dahinzischt, könnte meine Sehnsucht es treiben, es ließe selber die flüchtige Möve weit hinter sich zurück.«
»Euere Heimat,« sagte Tolmer, dem ein eigen wehmüthiges Gefühl die Brust zusammenzog – »ja, wohl dem, der eine glückliche Heimat sein Eigen nennen darf. Ich ahne, wie wohl uns darinnen sein muß, obgleich ich selber das Gefühl nicht kenne.«
»Ihr seid nicht verheirathet, Fremder?« frug Rodwell mit fast mitleidigem Tone seinen Reisegefährten.
»Nein,« sagte Tolmer seufzend, »und Ihr wißt, welch' ein rastlos wildes, ungeregeltes Leben ein Junggeselle in den Colonien führen muß. Wäre uns nicht aus unserer Jugend noch die Erinnerung an den Segen stillen Familienglücks geblieben, man möchte manchmal wahrlich fast verzweifeln.«
»Ich zeig' Euch meine Heimat,« sagte Rodwell, und seine Augen leuchteten, als er an den stillen Frieden seines eigenen kleinen Herdes dachte, dem er mit frisch geblähtem Segel jetzt entgegenstrebte. »Grad' da vor uns taucht Point Marsden auf, und einen lieberen, freundlicheren Platz, als dort zwischen den schattigen Fruchtbäumen und blühenden Büschen liegt, gibt es nicht mehr auf der weiten Gottes Welt. Es ist für mich ein wahres und wirkliches Paradies.«
»Dann halte Euch Gott nur auch die Schlange daraus fern,« sagte Tolmer leise.
Rodwell sah sich rasch und fast erschreckt nach ihm um; sich dann aber mit fröhlichem Kopfschütteln die Locken aus der Stirne werfend, sagte er guten Muths, doch mit herzlicher, fast bewegter Stimme:
»Das wird er auch, Fremder, denn wo zwei gute Menschen Hand in Hand und fest zusammen stehen, da findet die Schlange keinen Boden für sich, und muß weichen. Aber –« setzte er, seinen Begleiter mit scharfem Blick fixirend hinzu – »was seht Ihr mich so sonderbar an? – kennt Ihr meine Heimat und – Ihr waret schon auf Känguruh-Eiland?«
»Ja – schon mehrere Mal,« lautete Tolmers ruhige Antwort, »aber immer nur auf sehr kurze Zeit. Doch – was ich Euch fragen wollte – Ihr habt wohl eine Station auf Marsden Point?«
»Nein – nur ein Haus, das ich mir selbst gebaut, und ein paar Gespann Pferde,« sagte Rodwell, leicht beruhigt. »Ich bin Zimmermann, meinem Geschäfte nach, und bin auch besonders damit beschäftigt, Nutzholz zu fällen und zuzuhauen und an den Strand zu schaffen, wo ich es den für fremde Häfen bestimmten Schiffen gut verkaufen kann. Auch Fuhren für die Stationshalter hab' ich gethan, theils in meinem Boot, theils mit meinem Geschirr, und stehe mich gut dabei. Von jetzt ab will ich aber zu Hause bleiben, und meine Fahrt nach Adelaide hatte eben zum Zwecke, nur eine kleine Heerde Schafe und Rinder zu kaufen, mit denen ich beginnen kann Viehzucht zu treiben, wie ein wirklicher Squatter. Ich habe das unruhige Leben satt und will mein Weib und Kind nicht mehr so lange allein lassen.«
»Daran thut Ihr wohl,« sagte Tolmer, »Australien ist dafür ein gefährlich Land, und eine Unzahl Menschen streifen darin frei umher, die in andern Gegenden vorsichtig in Ketten und Banden gehalten würden.«
»Dort drüben wohl kaum,« lachte Rodwell. »Derlei Gesindel hat uns die See bis jetzt ziemlich vom Leibe gehalten. Außerdem scheint es auch, als ob sich in neuerer Zeit doch mehrere reiche Einwanderer auf unserer kleinen Insel niederlassen wollten, die der Vortheile manche bietet, und das vermehrt denn nur natürlich unsere Sicherheit.«
»Haben sich neuerdings Fremde dort niedergelassen?« frug Tolmer gleichgültig.
»Allerdings,« erwiderte Rodwell. »Die Zeit wird gar nicht mehr so fern liegen, daß wir eine ordentliche Stadt dort drüben gründen, und da uns weder Buschrähndscher noch Schwarze etwas zu schaffen machen, dürfen wir die beste Hoffnung hegen, freie Einwanderer hinüber zu ziehen.«
»Eine Stadt? – das möchte doch wohl noch eine Weile dauern.«
»Und weßhalb?« rief Rodwell. »So hat sich erst ganz kürzlich ein höchst liebenswürdiger und gebildeter Mann, ein Capitän Howitt bei uns eingefunden, der ein großes Handelshaus dort etabliren will. Mit solchem Anfang findet sich die Stadt von selbst, denn Eines zieht dabei das Andere nach.«
»Ein Capitän Howitt?« frug Tolmer, »der Name ist mir bekannt.«
»Wohl möglich; er gehört einer alten und geachteten Familie in England an, und der Capitän selber, der Australien schon nach allen Richtungen durchreist und das Land aus dem Grunde kennt, ist jedenfalls der Mann dazu, ein derartiges Unternehmen im Großen durchzuführen.«
»Kennen Sie ihn genauer?« sagte Tolmer, und bereute auch schon im nächsten Augenblick, die Frage gethan zu haben, denn der vorn im Boot sitzende Matrose wandte rasch den Kopf nach ihm um, und schien ihn scharf und forschend zu betrachten.
»Genauer gerade nicht,« meinte Rodwell, »aber er hat etwas in seinem ganzen Wesen, das für ihn einnimmt – etwas Festes, Entschlossenes in seinem Blick, und solche Leute können wir im Lande brauchen. Die weichen, zaghaften Menschen passen nicht in unseren Busch.«
Tolmer schwieg. So gern er den Mann vor jenem gefährlichen Verbrecher gewarnt hätte, durfte er es in Gegenwart des Dritten nicht wagen, von dem er ja nicht wußte, ob er ihm trauen könne. Am Lande fand sich dazu vielleicht eher Gelegenheit. Jedenfalls hatte er genug von seinem Reisegefährten gesehen, von dessen Ehrlichkeit überzeugt zu sein, und diesem selber mußte denn ja daran liegen, den gefährlichen Menschen sobald als irgend möglich unschädlich gemacht zu sehen.
Rasch verfolgte indessen das Boot seine Bahn. Immer höher und deutlicher tauchte das ferne Land der Känguruh-Insel aus dem Meere auf, und schon konnten sie die einzelnen Vorsprünge, ja bald darauf den Busch und die daraus hervorragenden höheren Bäume erkennen.
Die Brise ließ gerade jetzt ein wenig nach, und Rodwell verging fast vor Ungeduld, daß das Boot nicht mehr so flüchtig vorwärts schoß. Bald aber blähte sich das Segel wieder voll dem Wind, und als die Sonne sank und Nacht das Meer deckte, waren sie dem Lande nahe genug gekommen, ihre Bahn trotz der Dunkelheit fortzusetzen. Rodwell kannte hier überhaupt jeden Vorsprung der Küste, jede Klippe, und steuerte den schlanken Kahn mit sicherer Hand dem alten gewohnten Landungsplatze zu.
»So, und nun kommt, Fremder – ich habe Euch noch nicht einmal nach Euerem Namen gefragt,« sagte er, als er mit leichtem Schritt an Land sprang, es dem Matrosen überlassend, das Boot auf der gewöhnlichen Stelle in Sicherheit zu bringen, und Segel und Ruder zu bergen.
»Barner heiß ich,« sagte Tolmer, ihm etwas langsamer folgend, denn er wollte sich durch seinen ziemlich bekannten Namen nicht vor der Zeit verrathen.
»Gut denn, Mr. Barner,« sagte Rodwell freundlich, »die Nacht müßt Ihr nun ohnehin mein Gast bleiben, da die Häuser in meiner Nachbarschaft noch gar spärlich gesäet sind, und morgen bleibt Euch Zeit genug, den Wanderstab zu setzen, wohin es Euch beliebt.«
»Und ist hier Euer Haus?« frug Tolmer, der sich in der Dunkelheit nicht zurecht fand.
»Gleich da drüben, hinter den einzelnen Bäumen, die Ihr dort gegen den helleren Himmel könnt abstechen sehen. Eigentlich müßten wir von hier aus schon das Licht im Innern erkennen können, aber meine Frau hat mich gewiß heute noch nicht erwartet.«
Er war, während er sprach, auf den bekannten Pfaden so rasch vorwärts geschritten, daß ihm Tolmer kaum zu folgen vermochte. Jetzt hatten sie die Gartenthür erreicht, aber auch diese war ungewohnter Weise verschlossen. Rodwell hob indeß die leichte Gatterthür aus den Angeln und führte seinen Begleiter den breiten kiesigen Gartenpfad entlang dem Hause zu, daß sie jetzt mit seinen dunklen Umrissen dicht vor sich erkennen konnten.
Hier hatten sie bald die Hausthür erreicht, an die Rodwell dreimal leise anklopfte. – Niemand antwortete ihm. Er klopfte stärker – Alles blieb todtenstill im Haus; kein Licht erschien, kein Schritt wurde laut.
»Sie kann doch noch nicht schlafen,« murmelte Rodwell vor sich hin, »es ist kaum acht Uhr –« und lauter, kräftiger schlug er gegen die Thür, daß es durch das ganze Haus dröhnte. – Umsonst. Im Haus rührte und regte sich Nichts.
Rodwell sprach kein Wort. Still und regungslos stand er an seiner eigenen Thür – an der Schwelle seines Paradieses, und wie die Ahnung etwas Entsetzlichen griff es ihm in die Seele und machte sein Blut in den Adern stocken.
Da knarrte im obern Stock, gerade über der Thür, ein Fenster, und eine ängstliche Frauenstimme rief von oben nieder:
»Wer ist da? – Sind Sie es, Master?«
»Betsey!« rief Rodwell, und holte tief Athem – es war ihm, als ob sich eine Centnerlast von seiner Seele wälze. »Oeffnet denn Niemand, und schläft mein Weib und Kind schon so fest, daß sie mich gar nicht hören?«
»Ich komme gleich hinunter und mache die Thür auf,« sagte das Mädchen und verschwand vom Fenster.
Die beiden Männer wechselten indessen kein Wort mit einander. Mit fast krampfhaftem Griff hielt Rodwell die Klinke fest in seiner Hand, bis sie im Haus die Schritte des Mädchens hörten, das langsam die Treppe herunter kam, und jetzt innen die beiden Riegel von der Thür zurückschob. Jetzt steckte sie den Schlüssel ein und schloß auf, und im nächsten Augenblick stand ihr Rodwell gegenüber.
»Ach du mein lieber Gott!« rief da das Mädchen, während ihr die Thränen aus den Augen stürzten, »ich kann ja nichts dafür – ich bin ja wahrhaftig unschuldig, wenn ich es mir auch gedacht habe, daß das Unglück noch geschehen würde.«
Rodwell war leichenblaß geworden. Er zitterte so, daß er sich an Tolmer halten mußte, nicht umzusinken. Nur sein stierer Blick bohrte sich an dem Mädchen fest, das ihr Antlitz in den Händen barg und laut und heftig schluchzte.
»Was ist vorgefallen, Betsey?« sagte er endlich mit leiser, vollkommen tonloser Stimme – »wo ist – mein Weib – mein – Kind?«
»Fort!« stöhnte da das Mädchen, »oh du lieber Gott, fort – fort – Beide!«
»Die Schlange!« hauchte Rodwell, und Tolmer sprang zu und hielt ihn, denn er sah, wie der starke Mann in die Knie brach, und glaubte, daß er zu Boden stürzen würde. Aber der Unglückliche raffte sich mit fast übermenschlicher Kraftanstrengung wieder empor, und Tolmers Arm ergreifend, schritt er mit diesem langsam seiner eigenen Stube – der seines Weibes zu.
Langsam und nur zögernd folgte das Mädchen den beiden Männern mit dem Lichte, und Rodwell's umherschweifender Blick hatte rasch auf dem dunklen Tisch ein kleines zusammengefaltetes Billet erkannt. Er nahm es hastig auf und wollte es erbrechen, hielt aber plötzlich wieder an, legte es auf den Tisch, und sich daneben in das Sopha werfend, sagte er mit ruhiger, fester Stimme:
»Erzähle mir, was hier vorgefallen ist, Betsey. Ich brauche Dich nicht zu ermahnen, mir die lautere Wahrheit zu sagen. Wenn Du einst selig zu werden hoffst, sprich und mache mich mit Allem bekannt, und sei es das Schrecklichste.«
Das Mädchen konnte vor heftigem Schluchzen kaum reden, nach und nach aber brachte Tolmer, der seine ganze Ruhe behielt, und von Anfang an schon ziemlich ahnte, was hier vorgegangen, Alles, wenigstens was Betsey wußte, aus ihr heraus.
Capitain Howitt – Rodwell griff bei dem Namen fest und krampfhaft in die Lehne des Sophas – war während seiner Abwesenheit oft – alle Tage im Haus gewesen – zu früher und später Stunde, und hatte viel und heimlich mit »Mistreß« gesprochen. Wenn er fort war, hatte Mrs. Rodwell manchmal geweint, aber er sei immer wieder gekommen, und gestern Abend seien sie mitsammen im Garten spazieren gegangen. Gestern Abend sei auch der Capitain zum ersten Mal in einem Boot gekommen, und Mrs. Rodwell habe gesagt, sie wolle ein wenig damit in die Bay hinausfahren. Sie – Betsey – habe das nicht zugeben wollen, und gemeint, es sei schon zu spät, Mistreß aber wäre darauf bestanden, und mit dem Kind im Arme und Capitain Howitt an der Seite in das Boot gestiegen. Wie sie darin gewesen, habe die Mistreß noch eine Flasche Milch für das Kind verlangt, wenn es etwa unruhig werden solle, dann seien sie mit Mr. Rodwell's Knecht, der sonst die Pferde besorgt, hinaus in die See gefahren – immer weiter, bis es dunkel geworden und sie das Boot nicht mehr habe erkennen können. Dann sei sie aufgeblieben und habe bis zwölf Uhr in der Nacht gewartet, daß sie zurückkehren sollten – aber sie kamen nicht – weder Frau noch Kind kehrten zurück, und als sie im Zimmer das Briefchen an den Herrn da auf dem Tische gesehen, da habe sie auch das Schlimmste schon gewußt, und sich die Augen fast aus dem Kopf geweint vor Scham und Weh.
»Es ist gut, Betsey,« sagte da Rodwell, und winkte ihr mit der Hand, hinauszugehen. »Zünde das Licht dort drüben an und laß uns dann allein.«
»Welche Richtung nahm das Boot?« frug Tolmer, während das Mädchen dem Befehl gehorchte.
»Gerade fort am Ufer nach dem festen Lande zu,« lautete die Antwort, und froh, keiner weiteren Rede mehr stehen zu müssen, verließ das Mädchen rasch das Zimmer, riegelte die Hausthür wieder zu und stieg in ihre eigene Kammer hinauf.
Rodwell stand indessen von seinem Sitze wieder auf, erbrach den Brief, trat damit zum Licht und überflog mit stierem Blick die Zeilen.
»Da nehmt und les't,« sagte er endlich, als er wieder und wieder hineingesehen und immer noch das verhängnißvolle Blatt nicht aus der Hand legen wollte. »Nehmt nur, Kamerad, und seht auch meine Schande da Schwarz auf Weiß. Das Schlimmste wißt Ihr doch, und da Euch Gott einmal in dieser schweren Stunde zu meinem Vertrauten gemacht, erfahrt auch das Andere. Vielleicht gebrauch' ich ohnedies Euren Rath – Eure Hülfe.«
Tolmer nahm den Brief und las:
»Charles, verzeihe Deinem treulosen Weib. Ein dunkles Verhängniß zwingt mich, den Frieden Deiner Schwelle, deren Segen ich nicht mehr verdiene, zu meiden. Ich bin namenlos unglücklich, und doch nicht im Stande, von dem Manne zu lassen, der meine Seele mit magischer Gewalt umstrickt hat. Du siehst mich nie wieder. Versuche nicht, uns zu folgen. Von dem festen Lande aus schiffen wir uns nach dem Continent ein. Versage Deinem unglücklichen Kinde den väterlichen Segen nicht, und möge die Zeit einst kommen, wo Du nicht mehr mit Haß und Bitterkeit derer gedenkst, die sich einst so glücklich an Deiner Seite fühlte –
Deiner unglücklichen
Jenny.«
Tolmer reichte den Brief schweigend zurück, den Rodwell fast bewußtlos nahm und in seiner Hand zusammendrückte.
»Sie sind nach Adelaide hinüber,« sagte er mit so leiser Stimme, als ob er sich vor den eigenen Lauten fürchtete.
Tolmer schüttelte den Kopf und meinte ruhig:
»Sie sind noch auf der Insel, so gut wie wir.«
»Ihr glaubt?« fuhr Rodwell rasch empor.
»Ich weiß es gewiß.«
»Ihr? – und woher?«
»Weil dieser Bursche – Howitt oder wie er sonst heißt – bei Nacht und Nebel, mit einer Flasche Milch statt Proviant, und einer Frau mit ihrem Kind nie im Leben die »Backstairs Passage« passirt hätte. Er so wenig wie der Bursche, der mit ihm fort ist, sind Seeleute.«
»Ihr kennt ihn?«
»Ich denke ja, aber mehr noch als das, ich hoffe seine Bekanntschaft in den nächsten Tagen zu erneuen.«
»Ich begreife Euch nicht.«
»Und doch ist Alles mit wenigen Worten erklärt,« lächelte der Polizeibeamte. »Mein Name ist nicht Barner, sondern Tolmer.«
»Der Chef der südaustralischen Polizei?« rief Rodwell rasch und erstaunt.
»Derselbe, und dieser Capitain Howitt, wie er sich hier genannt, ist der gefährlichste Buschrähndscher, der bis jetzt noch unsere Wälder unsicher gemacht, das Leben und Eigenthum unserer Bürger gefährdet hat. – Es ist der berüchtigte Gentleman John.«
Rodwell sah dem Sprechenden starr und entsetzt in's Auge, dann aber, als jener schwieg, barg er das Antlitz in den Händen und stöhnte.
»Mein armes, armes Weib – mein armes Kind.«
Tolmer übrigens, so leid ihm der Schmerz des Unglücklichen that, kannte zu gut den Werth seiner Zeit, diese mit leeren Klagen zu vergeuden.
Mit kurzen aber klaren Worten schilderte er deshalb auch jetzt dem ihm mit steigender Aufmerksamkeit Zuhörenden die Begebnisse der letzten Zeit, die Flucht des Buschrähndschers und seine Verfolgung, bis er hier auf der Insel endlich seine Spur gefunden und den flüchtigen Sträfling selbst gesehen habe. Eben so unbeschönigt erzählte er auch die von ihm belauschte Scene zwischen dem Verbrecher und der jungen Frau. Warum er diese damals nicht gewarnt? – ihm lag Alles daran, den Entflohenen einzufangen, und wie die beiden Leute zu einander standen, war es mehr als wahrscheinlich, daß sie ihm die Gefahr verrathen haben würde, in der er, einmal entdeckt, schwebte. Zugleich gestand er dem jungen Mann, daß er nicht zufällig nur seine Bekanntschaft gefunden, sondern dieselbe, als er einmal seinen Namen gehört, gesucht habe, und daß seine beiden, von Bewaffneten besetzten Boote noch in dieser Nacht an der Westküste der Insel landeten, dem Räuber die Flucht auf dem Schooner abzuschneiden.
Rodwell wollte freilich noch immer nicht glauben, daß die Flüchtigen auf der Insel geblieben wären; noch dazu, da das Mädchen gesehen, wie sie bis tief in die Nacht vom Lande absteuerten. Tolmer jedoch, seit Jahren daran gewöhnt, nicht jeder Aussage leichten Glauben beizumessen, schüttelte mit dem Kopf. Wer wußte denn, daß die Dirne nicht mit im Geheimniß steckte? Und wenn wirklich nicht, hatte ihre Aussage doch, so weit sie die wirkliche Richtung eines Fahrzeugs betraf, nur wenig Werth. Gestern Abend hatte außerdem Nordost- und Nordnordostwind vorgeherrscht, mit dem ein kleines Boot, das nicht recht gut am Wind lag, Cape Spencer nicht einmal erreichen konnte, während es, selbst ein Stück draußen im See, mit Leichtigkeit abfallen und vor dem Wind irgend einen Theil der Nordküste von Känguruh Eiland erreichen konnte. Außerdem lag flüchtigen Personen gewöhnlich daran, mögliche Verfolger auf eine falsche Spur zu bringen, nicht ihnen die wirklich genommene Richtung anzugeben, und demnach sprach denn Alles nur dafür, daß Gentleman John, überdies des neugekauften Schooners ziemlich sicher, mit seiner schönen Beute noch auf der Insel selber weile.
Für diese Nacht war freilich nichts mehr zu unternehmen, und Rodwell auch so erschöpft und niedergebrochen, daß er kaum seine Glieder zu regen vermochte. Tolmer bat ihn selber, sich niederzulegen, um für den nächsten Tag Kräfte zu sammeln – würde er sie doch wahrlich brauchen. Er selber band seine wollene Decke, die er stets bei sich führte, auseinander, rollte sich hinein und legte sich ohne weitere Umstände auf das Sopha nieder.
Als Rodwell sein eigenes Schlafzimmer betrat und sein Blick auf das leere ungemachte Bettchen seines Kindes fiel, da noch einmal brach all der Jammer der letzt durchlebten Stunde, die Ahnung seines künftigen freudlosen, einsamen Lebens, mit voller Stärke über ihn herein. Neben dem Bett seines Kindes sank er auf einen Stuhl, und das müde, sorgenschwere Haupt auf die kleinen Kissen gelegt, blieb er in der Stellung, bis der Schlaf sich seiner erbarmte und ihm wenigstens für wenige Stunden Vergessenheit seiner Leiden Ruhe gönnte.
Es war ein trauriges Erwachen, und mit ängstlicher Hast betrieb er die nöthigen Vorbereitungen zu ihrem in seinem Erfolg so ungewissen Marsch. Aber seine ganze alte Festigkeit hatte er wieder gewonnen, in seinem Ziel war er sich klar geworden, und als ihn Tolmer frug, was er selber zu thun gedenke, wenn sie die Flüchtigen wieder eingeholt, erwiderte er mit fester Stimme:
»Ich will mein Kind zurück. Die unglückliche Frau hat sich ihr Loos geworfen. Als sie mich verrieth, der sie auf Händen getragen und mit abgöttischer Liebe fast verehrt, da wählte sie sich ihre eigene Bahn und mag ihr folgen. Ich will sie nur noch einmal wiedersehen, um das Kind, das mein gehört, da sie sich selber des Rechtes dazu verlustig gemacht, von ihr zurückzufordern. Sie hat mich nie geliebt, oder sie hätte – mein Herz nicht durch eine solche Handlung brechen können.«
»Und was soll mit ihr geschehen, wenn wir des Verführers habhaft werden?«
»Gott mag sie schützen und ihr verzeihen,« sagte Rodwell ernst. »Meine treue Hand hat sie von sich gestoßen, ich hätte mit Freuden mein Leben für sie gelassen, sie hat es verschmäht und die Folgen über sie.«
»Gut denn,« sagte Tolmer, nach seinen Pistolen sehend und sie im Gürtel unter dem weiten Buschrock, den er angethan, bergend, »dann bleibt uns nur noch übrig, die Schlange zu finden, die Gift und Elend unter mehr als ein friedlich Dach gebracht. Beim ewigen Gott, das Maaß des Burschen ist über und über voll, und es wird Zeit, mit ihm die Rechnung abzufließen.«
Rodwell, der mit dem Entschluß zur That auch seine ganze Festigkeit und Ruhe wieder erlangt hatte, war indeß zum Stall gegangen, um seine beiden Pferde zu satteln, und nach rasch eingenommenem Frühstück, andere Provisionen hinter sich aufs Pferd gebunden, sprengten die beiden Männer der von Tolmer bezeichneten westlichen Richtung zu.
Die nächste Station, die sie erreichten, war die eines gewissen Motley, auch eines früheren Sträflings, der sich hier angesiedelt und jetzt der Besitzer ansehnlicher Heerden geworden. Rodwell wollte hier die ersten Erkundigungen einziehen, Tolmer verhinderte ihn aber daran. Es war nicht wahrscheinlich, daß die Flüchtigen, wenn sie wirklich hier in der Nähe gelandet wären, diesen seinem Haus so nahen Platz schon berührt haben sollten. Dann blieb es ebenfalls noch in Frage, ob Motley ihnen aufrichtige Antwort gäbe. Je später sie Anderen konnten wissen lassen, welchem Ziel sie nachstrebten, desto besser war es. Ein Geheimniß, das mehr als zwei Personen theilen, ist eben kein Geheimniß mehr.
Diesem Plane treu passirten sie noch zwei Stationen, ohne weitere Erkundigungen über die Flüchtigen einzuziehen, als sie sich durch eigenes Anschauen verschaffen konnten. Das wußten sie außerdem, daß der Räuber mit der Frau und dem Kinde nie in das Innere der Insel dringen konnte, wo die verzweifelte Känguruh-Distel ein Fortkommen oft unmöglich machte. Lag ihm daran, Cap Borda zu erreichen, so war das sehr wahrscheinlich zu Wasser geschehen, oder der kleine Zug genöthigt, sich auf dem am Seestrand hinauflaufenden Weg zu halten. Auf diesem hatten sie aber bis jetzt noch keine Spuren finden können.
So kamen sie bis Cap Trony, unfern des Mount Torrens. Sie hatten die Nacht wieder, wie sie gewöhnlich thaten, im Busch geschlafen, und hielten hier blos an, ihren Pferden ein ordentliches Futter geben zu lassen.
Tolmer hatte hier zuerst den Strand abgesucht, ob sie kein Boot irgendwo vor Anker sähen. Sie konnten aber nirgends etwas Aehnliches entdecken, und galoppirten eben der nicht mehr fernen Häusergruppe zu, als Tolmer plötzlich Rodwells Arm ergriff, und schweigend auf einen dicht am Wege liegenden Gegenstand deutete. – Es waren die Scherben einer Glasflasche, die einst Milch enthalten, und Rodwell faßte krampfhaft die Zügel seines Thieres und riß es zurück, daß es in sein Gebiß schäumte und knirschend in die Höhe stieg. – Es waren die ersten Spuren, die sie gefunden.
»Jetzt sind wir auf der Fährte,« rief da Tolmer, »hier ist der Abdruck von unseres Wildes Schuhen – nein, das muß der Bursche gewesen sein, den sie mit in das Boot genommen. Gentleman John hat ihn nach Milch auf die Station gesandt, während die beiden unten im Boote blieben, und der ungeschickte Bursche die Flasche zerbrochen. Unser Capitain Howitt würde sie selber nie so leichtsinnig dicht am Pfade haben liegen lassen.«
»Glaubt Ihr, daß wir sie im Hause finden?« frug Rodwell, und er brachte die Worte kaum über die Lippen.
»Hier? – Gott bewahre,« erwiderte Tolmer, »die sind im Boote weiter gefahren, und es ist sehr die Frage, ob die auf der Station mehr von ihnen wissen, wie wir selber. Jedenfalls müssen wir hier sehen, was wir von den Leuten herausbekommen, und haben wenigstens die Ueberzeugung, daß sich das Kind noch wohl und bei gutem Appetit befindet.«
»Gott sei gedankt!« stöhnte Rodwell aus tiefer Brust, und der Seufzer sprach nur zu deutlich die Angst um das kleine unglückselige Wesen aus, der er weiter keine Worte zu geben wagte.
Was die Spuren betraf, so hatte Tolmer übrigens Recht. Nur die Fährten des einen Buschschuhes, die vom Wasser nach der Station und wieder genau nach derselben Stelle zurückführten, waren dort zu erkennen, und davon sich erst einmal überzeugt, sprengten die beiden Reiter rasch den Stationsgebäuden zu.
Ihre Vermuthung wurde hier zur Gewißheit. Am gestrigen Morgen hatte ein Mann, der zu einem draußen am Strand auf ihn wartenden Boot gehörte, eine Flasche Milch, eine Flasche Rum und zwei Damper, wie etwas Salz geholt. Der Mann habe vorgegeben, die Milch sei für eine kranke Frau, die sie im Boote hätten, und das betätigte Einer der Stockkeeper, dem sie später, ein Kind auf dem Arme tragend, nicht weit vom Torrensberg begegnet sei. Sie begleitete, außer dem Burschen, der die Milch geholt und jetzt das Gepäck trug, noch ein fremder Herr, den er nicht kannte.
Die beiden Reiter hielten sich nicht länger auf, als irgend nöthig war, ihren Pferden einige Ruhe zu gönnen. Dann sattelten sie wieder auf, derselben Richtung wie bisher zu folgen. Daß sie die richtige Fährte hielten, war überdies gewiß, und Tolmer fand auch bald den Grund, weshalb die Flüchtigen das Boot verlassen und den weit beschwerlicheren Landweg gewählt hatten. Der Wind, der die letzten Tage ziemlich stät von Nordnordost geblasen, war nämlich nach Südwesten umgeschrahlt. Auch sah das Wetter seit gestern Morgen schon ziemlich drohend aus, daß Jene nicht wagen durften, sich in so schwankem Fahrzeug weit vom Ufer zu entfernen. Jedenfalls lag das Boot irgendwo in einer Bucht versteckt, und wenn sich Gentleman John, worin er allerdings einige Fertigkeit besaß, nicht Pferde zu verschaffen wußte, mußten sie die Flüchtigen vielleicht schon am nächsten Morgen überholen.
Zu Wasser hatten diese übrigens so raschen Fortschritt gemacht, daß sie ihnen noch immer einen Tagesmarsch voraus waren. Jetzt aber blieb den Verfolgern auch dafür die Hoffnung, sie um so rascher einzuholen.
An demselben Abend erreichten sie die Station eines alten Bekannten von Rodwell, den dieser wenigstens auf seinen verschiedenen Fahrten durch die Insel schon manchmal besucht hatte. Hier war Gentleman John mit der Frau, die der Stationsbesitzer für seine eigene gehalten, über Nacht geblieben und mit dem Frühesten gegen Mount Torrens aufgebrochen. Das Kind hatte viel die Nacht geschrieen, und die Dame vom Haus behauptete, die arme Frau habe viel geweint, weil sie sich wahrscheinlich um das Kind gegrämt.
Rodwell, obgleich er sein Geheimniß nicht verrieth, war in furchtbarer Aufregung, und Tolmer bei Seite nehmend, bestand er darauf, hier keine Rast zu machen, sondern an demselben Abend trotz einbrechender Dunkelheit noch weiter zu gehen. Die Straße bis zum Torrensberg, an dessen Fuß eine andere Station lag, war ziemlich gut, der Mond stand ebenfalls am Himmel, und sie konnten dadurch recht gut, ohne ihren Pferden irgend weh zu thun, einen weiteren Vorsprung gewinnen. Tolmer war natürlich vollkommen damit einverstanden, und nach einem rasch eingenommenen Mahl brachen die beiden Reiter, zum großen Erstaunen ihres Wirths, wieder auf.
Zwei Stunden scharfen Rittes brachten sie in Sicht des nächsten Hauses, dessen Licht ihnen schon von weitem durch die hier ziemlich dünn stehenden Büsche entgegen schimmerte – wenigstens konnten sie im Freien einen hellen Feuerschein erkennen. Näher gekommen, entdeckten sie aber bald, daß der Schein nicht aus einem Gebäude komme, sondern von einer Fackel herrühre, um die drei oder vier Männer unter einigen Gumbäumen geschaart standen.
Tolmer zügelte im Anfang sein Pferd ein, denn möglich war es ja doch, daß sie, anstatt die Station zu erreichen, vielleicht gar einem Trupp von Buschrähndscher in die Hände fielen. Cap Borda war von hier gar nicht mehr so weit entfernt, und Gentleman John viel zu umsichtig, seine Leute nicht gerade dort, sondern weit eher in der Nähe versteckt zu halten. Das Geläute lagernder Heerden aber in der Nähe, und das Gebell von Hunden verrieth doch auch wieder einen von weißen Ansiedlern bewohnten Platz, und deutlich konnten sie jetzt zwischen den um die Fackel versammelten Männern auch einen etwa zwölfjährigen Knaben erkennen. Das waren keine Buschrähndscher.
Nach ein paar flüchtig mit einander gewechselten Worten sprengten sie wieder vor, während einige dort nach Opossums umhersuchende Hunde Wind von ihnen bekamen und laut bellend gegen sie ansprangen. Wenige Minuten später hielten sie neben der kleinen, von dem flackernden Lichte der Fackel grell beleuchteten Gruppe Menschen, die neugierig zu dem späten Besuche aufschauten.
»Guten Abend, Ihr Herren,« sagte da Tolmer, sich an den Aeltesten der Leute wendend, »könnt Ihr uns Nachtquartier für heute, und vielleicht einen Hut voll Hafer für unsere Pferde geben? Sie haben einen langen Tagesmarsch gemacht und bedürfen einer Stärkung.«
»Ja wohl, Fremder – gern,« lautete die gastliche Antwort. »Steigt nur ab und nehmt Eure Pferde am Zügel, denn von hier bis zum Haus stehen eine Menge kurz abgehauener Baumstümpfe.«
»Was habt Ihr da gemacht?« sagte Rodwell, der kein Auge von der Gruppe verwandt hatte, mit heiserer, angstbeklemmter Stimme. – »Ihr habt –«
»Ein Grab gegraben für ein armes Kind!« sagte der alte Mann mit ernstem, wehmüthigem Ton.
»Euer Kind?« frug Rodwell, und das Licht der Fackel begann vor seinen Augen zu tanzen und wilde, wirre Kreise zu ziehen.
»Meines? – nein, Gott sei gedankt, daß er mir bis jetzt solchen Schmerz erspart. – Es war das Kind einer armen Frau, die es todt auf ihrem Arm zu unserm Hause trug, es wenigstens in der Nähe von Weißen – von Christen begraben zu lassen.«
Rodwell glitt aus seinem Sattel, ließ den Zügel seines Pferdes frei, und taumelte mehr als er ging, dem frischen kleinen Grabe zu, über das die freundliche Hand der Fremden eben erst den niederen Hügel gewölbt.
»Eine fremde Frau?« rief Tolmer rasch und erschreckt, während sein mitleidiger Blick den armen Vater streifte.
»Sie kam mit ihrem Mann und einem Träger von Osten her,« erwiderte der alte Mann. »Ihre Pferde waren ihnen im Busch abhanden gekommen, wie sie sagten, und der Mann wollte die Frau nur nach Cap Borda bringen, und dann zurückkehren, sie zu suchen.«
»Sein Name war –?«
»Lieber Gott, wir fragen die Leute, die zu uns kommen, nicht nach ihrem Namen; aber ich dächte, ich hätte den Mann schon vor einigen Wochen einmal an Cap Borda gesehen. Ich glaube, sie nannten ihn dort Howitt!«
Rodwell hörte nichts mehr – vor den Augen flimmerte es ihm, seine Knie zitterten und brachen unter ihm, und mit dem Schmerzensschrei: »Mein Kind – mein armes, armes Kind!« sank er an dem Grabe schluchzend nieder. – Die Männer waren erstaunte Zeugen dieses ganz unerwarteten Ausbruchs wilden, verzweifelten Schmerzes. Sein Kind, das fremde Leute hier begraben? – dann der späte Ritt in dunkler Nacht – das sonderbare Benehmen jener Frau dazu – daß hier nicht Alles war, wie es sein sollte, unterlag wohl keinem Zweifel. Die Bewohner Australiens sind jedoch an solche außergewöhnliche Familienscenen zu sehr gewöhnt, einer jeden nachzuforschen. Selbst das Geheimnißvolle der Abstammung von mehr als drei Viertheilen der damaligen Gesellschaft trug viel dazu bei, ein verschlossenes Wesen bei Vielen zu entschuldigen und vor unbequemen Fragen zu bewahren. Schweigend blickten deshalb die Männer auf den Unglücklichen nieder, der das Grab seines Kindes mit seinen Thränen netzte. Tolmer dagegen, der sein Pferd am Zügel genommen, faßte des Alten Arm und ließ sich von diesem, während er mit ihm langsam dem Hause zuschritt, die ihnen vorausgeeilten Fremden näher bezeichnen.
Bald blieb ihm auch nicht der geringste Zweifel mehr, daß es wirklich jener sogenannte Capitain Howitt mit der unglückseligen, verblendeten Frau seines armen Reisegefährten gewesen. Der Mann hatte, des Alten Aussage nach, sehr geeilt und die Station gleich wieder verlassen wollen, wie nur das arme kleine Ding, das ihnen am Wege gestorben, eben unter die Erde gebracht war. Die Frau aber hatte sich geweigert, ihm so rasch zu folgen, und er selber sie wohl nicht allein zurück lassen mögen; denn er war mit ihr bis fast gegen Abend hier geblieben.
Was dem Kinde gefehlt haben konnte, wußte Niemand. Wie es ihnen vorgekommen, hatte die Frau dem Mann, ehe sie fortgingen, Vorwürfe gemacht, er aber nur finster darauf geantwortet. Dann waren sie in dem Dickicht, das die Station umschloß, verschwunden.
Tolmer suchte jetzt das Gespräch auf im Busch vielleicht zerstreut wohnende Leute zu bringen. Er selber suche, wie er vorgab, Arbeiter, und habe gehofft, die hier in der Gegend zu finden. Indessen hatten sich aber noch einige der andern Männer, Schäfer und Hüttenwächter von der Station ihnen angeschlossen, und der Alte gab ihm nur ausweichende Antworten auf alle seine dahin abzweckenden Fragen.
Nur mit vieler Mühe konnte jetzt Rodwell bewogen werden, das Grab seines Kindes zu verlassen und die Nacht in der Hütte zu verbringen. Nahrung nahm er gar keine zu sich, und am nächsten Morgen war er schon wieder mit Tagesanbruch an dem theuren Platz.
Auch Tolmer rüstete sich zu frühem Aufbruch; Rodwell weigerte sich aber, weiter mit ihm zu gehen.
»Jenny,« sagte er mit resignirtem Schmerz, »hat mir den Frieden meiner Heimath zerstört – hat mir mein Kind gemordet, daß die Beschwerden dieser Flucht nicht ertragen konnte. Sie hat sich dadurch von mir selber losgesagt. – Was sie an mir gethan, vergeb' ich ihr ja gern, aber daß sie unser – daß sie ihr eigen Kind so wenig lieben konnte – das – das mag ihr Gott vergeben – ich bin nur ein schwacher, sündhafter Mensch – ich kann es nicht.«
Als ihn Tolmer frug, was er jetzt zu thun gedenke, erklärte er ihm, daß er die Leiche seines Kindes ausgraben und damit nach Hause zurückkehren wolle. Alle Vorstellungen, die ihm Tolmer deshalb machte, blieben umsonst. Er beharrte fest auf seinem Vorsatz, bat aber Tolmer, das Pferd, das er von Marsden Point mitgenommen, so lange zu benutzen, wie er wolle, und es ihm später zurückzuschicken.
Tolmer dagegen, doch jetzt allein auf die Verfolgung angewiesen, bis er sich mit seinen Leuten wieder vereinen konnte, beschloß seinen Weg zu Fuß fortzusetzen. Die Entfernung bis zur Point Borda war überdies nicht mehr so groß, während das ganze Benehmen des alten Squatters, wie seine Zurückhaltung fast vermuthen ließ, daß er in der That hier eine keineswegs willkommene, aber doch gefürchtete Nachbarschaft habe.
Von Rodwell nahm jetzt Tolmer herzlichen Abschied, und versprach ihm von dem Erfolg seines Unternehmens Nachricht zu geben. Nun erst, als er sich nach dem nächsten Weg nach Cap Borda, den, wie er meinte, auch jener Capitain Howitt eingeschlagen, erkundigte, erbot sich der alte Squatter, ihn eine kleine Strecke zu begleiten, und ihm einen Pfad zu zeigen, dem er leicht dahin folgen könne.
»Von Allem, was ich von Euch gesehen, Fremder,« redete er ihn da an, wie sie das Haus eine Strecke im Rücken hatten, »glaub' ich, daß ich Euch vertrauen darf. Ihr gehört keinesfalls zu jenen »Herren vom Busch«, die hier seit einiger Zeit ihr Wesen treiben.«
»Also doch,« sagte Tolmer lächelnd, »ich hab' es mir fast gedacht. Ihr habt übrigens Nichts von mir zu fürchten, denn nur der Wunsch, die nähere Bekanntschaft dieser »Herren« zu machen, hat mich hierher geführt.«
»Nehmt Euch dann in Acht,« warnte ihn der Alte, »sie sind zahlreicher, als ihr vielleicht glaubt, wenn sie sich auch bis jetzt, Gott weiß aus welchem Grunde, ruhiger und friedlicher verhalten haben, als das sonst gewöhnlich ihre Sitte sein mag. Wir Stationshalter, die wir hier einzeln im Busch leben, sind ihnen auf Gnade und Ungnade preisgegeben und müssen sie uns wohl zu Freunden halten. Merken sie einmal, daß wir sie verrathen oder gar der Polizei gegen sie beistehen, dann können wir uns darauf verlassen, daß wir dafür büßen müssen.«
»Aber wovon leben sie hier im Busch?« frug Tolmer.
»Von dem,« sagte der Alte achselzuckend, »was sie sich auf Rechnung holen. Zahlen thun sie dabei mit dem stillschweigenden Versprechen, uns dafür unsere Stationen nicht anzuzünden, unsere Heerden nicht zu zerstreuen oder uns gar Abends beim Thee ihre Schrotgewehre in die Fenster hineinzuschießen. Es ist jedenfalls eine unbequeme Nachbarschaft, und wenn man den Gouverneur unter der Hand nur davon benachrichtigen könnte, daß er eine hinreichende Macht herüber schickte, ließe sich vielleicht mit Erfolg ein Schlag gegen die ganze Bande führen.«
»Und würdet Ihr Herren hier die Polizei dabei unterstützen?« frug Tolmer.
»Das ist eine kitzliche Sache,« meinte der Alte achselzuckend. »Auf unsere Leute können wir uns natürlich nicht verlassen; ja wissen kaum, ob sie nicht mit der Bande in weit näherer Verbindung stehen, als uns lieb ist. Treten wir daher offen auf Seite der Polizei, und richtet diese, was sehr gewöhnlich der Fall ist, nichts weiter aus, als daß sie ein paar deren wegfängt oder todtschießt, und dann wieder ruhig nach dem festen Lande zurückfährt, dann sitzen wir nachher erst recht im Unglück d'rin, und können uns fest darauf verlassen, die sein zu müssen, an denen die gereizten Verbrecher ihren ganzen Grimm und Unmuth auslassen.«
»Und wie viele sind es wohl, Eurer Meinung nach, die sich hier in der Gegend umhertreiben?« frug Tolmer.
»Gott weiß es,« erwiderte der Alte, »etwas Genaues erfuhr man ja außerdem nie über sie, und weiß nicht einmal, wo auf der Insel herum sie überall ihre Verbündeten und Hülfe haben. Zwölf aber, dächt' ich, wären es gewiß – eher mehr als weniger.«
»Und ihr Hauptversteck?«
»Ist hier am Torrensberg, ganz in der Nähe. Etwa eine halbe Stunde von hier kommt Ihr zu einer kleinen Schlucht, an der unten, dicht am Pfad, eine einzelne Casuarine[10] steht. Drückt Euch dort so rasch als möglich vorbei, denn in der Schlucht hinauf, nicht viele hundert Schritte vom Pfad entfernt, steht schon eine einzelne Rindenhütte, und eine kleine Strecke weiter oben ist das Lager. Ich bin dort einmal aus Versehen hingekommen, weil ich ein weggelaufenes Pferd suchte, und fand da die ganze Gesellschaft zusammen.«
»Die Buschrähndscher?« rief Tolmer rasch.
»Pst –« sagte der Alte, sich vorsichtig dabei umsehend, »es ist gar nicht nöthig, den Namen hier so laut in den Busch hineinzuschreien. – Sie ließen mich allerdings ungehindert ziehen, gaben mir aber doch zu verstehen, es wäre ihnen lieb, wenn keine Pferde hier nach dieser Richtung wieder in den Busch liefen. Natürlich verstand ich, was sie damit meinten, und habe mich seit der Zeit sorgfältig gehütet, noch einmal in ihre Nähe zu kommen.«
»Und wielange ist das her?«
»Etwa vierzehn Tage.«
»Dann wundert es mich nur, daß die an Cap Borda nichts von solcher Nachbarschaft wußten.«
»Habt Ihr sie darum gefragt?«
»Allerdings.«
»Dann werden sie sich eben so gewundert haben, daß Ihr nach so etwas fragen mochtet. Doch von hier aus könnt Ihr den Weg nicht verfehlen, und – wenn Ihr meinem Rath, dem Rath eines alten Colonisten, folgen wollt, so gebt der Schlucht so weiten Seeraum, wie Ihr könnt.«
»Herzlichen Dank – und wenn ich Euch Hülfe brächte.«
»Je mehr dabei gethan, und je weniger davon gesprochen wird, desto besser,« sagte der alte Mann, grüßte Tolmer freundlich und schritt dann seiner eigenen Wohnung wieder zu.
Der Polizeibeamte verfolgte indessen rasch den Pfad, indem er hie und da an weichen Stellen die kleinen Fährten des zarten Frauenfußes erkennen konnte. Ziemlich sicher erwartete er auch, daß dieser Capitain Howitt die Entführte in das von dem alten Squatter bezeichnete Versteck geführt haben würde, dort vor jeder Verfolgung sicher zu sein. Zu seinem Erstaunen fand er aber, als er die einzelne Casuarine erreichte, daß nur Einer der beiden Männer, und zwar der Capitain selber, den Weg dort hinauf zu eingeschlagen hatte, während die Frau mit dem Träger den Pfad verfolgt zu haben schien.
Tolmer kannte recht gut die Gefahr, der er sich hier aussetzte, wenn er sich allein, nur mit seinen beiden Pistolen bewaffnet, in die Nähe der hier im Hinterhalt liegenden Buschrähndscher wagte. Nichts destoweniger drängte es ihn auch, Gewisses über den Aufenthalt dieser Menschen zu erfahren, ehe er sich mit seinen eigenen Leuten wieder vereinigte. Konnte er diese denn doch weit besser und sicherer dem Feind entgegen führen. Mit derlei Gefahren überdies schon seit langen Jahren vertraut, reizten ihn dieselben weit eher, solchen tollkühnen Streich zu wagen. Welche Vorsicht er dabei zu beachten hatte, wußte er überdies genau.
Zu dem Zwecke folgte er vor allen Dingen noch eine Strecke lang dem gewöhnlichen nach Cap Borda zu führenden Pfad, damit in der lockern Erde hier seine Fährten nicht die Richtung verriethen, die er genommen, und schlug sich erst dort links in die Büsche und den Hügelhang der Schlucht zu hinauf, wo dichtes Gumlaub und Rindenstücke den Boden bedeckten und ein Nachspüren schwieriger machten. Solcher Art den steinigen Boden benutzend, erreichte er bald die Schlucht, an deren ziemlich steilen Hang er hinkletterte, bis ihn die zu schroff aufsteigenden Wände zwangen, sich dem Thal selber mehr zu nähern. Dadurch machte er allerdings nur langsamen Fortschritt, bis er nach etwa halbstündigem Marsch gerade unter sich das Dach einer Rindenhütte entdeckte.
Dies mußte jedenfalls das von dem alten Squatter bezeichnete erste Haus der Bande sein, gewissermaßen ihr Vorposten in den Bergen, und eine volle Stunde blieb er hier ruhig auf der Lauer liegen, ob er in der Nähe irgend ein menschliches Wesen entdecken könne. – Es war nichts zu erkennen. Kein Rauch stieg aus oder neben dem Haus empor; kein Laut unterbrach die Todtenstille um ihn her, das Kreischen eines Schwarmes weißer Kakadu's abgerechnet, die das Thal herunter kamen und in den Wipfeln der höchsten Bäume weiter unten wieder einfielen.
Jedenfalls hatte die Ankunft des Führers die ganze Bande weiter oben in ihrem Lager versammelt, wo aller Wahrscheinlichkeit nach das Wichtigste ihrer nächsten Pläne verhandelt wurde. – Wenn er sich dort als Zeuge hätte einschmuggeln können. – Mit dem Gedanken war auch der kühne Schritt beschlossen, und Tolmer, persönlicher Furcht völlig fremd – glitt von der ziemlich steilen Wand, über der er gestanden, nieder, umging das Haus, und wollte eben am Bach hinauf seinen Weg weiter verfolgen, als er plötzlich dicht vor sich Stimmen hörte.
Ein kleines Gebüsch verdeckte ihn allerdings für den Augenblick, kamen die Männer aber näher, so mußten sie ihn dort, wo er gerade auf einer ziemlich offenen Stelle stand, entdecken. Nur wenige Schritte von sich entfernt, bemerkte er eine mit ziemlich dichten Nadeln bedeckte Casuarine, deren untere Aeste er leicht mit mit der Hand erreichen konnte. Rasch war sein Entschluß gefaßt – und wenige Sekunden später verbarg ihn der dichte Wipfel des Baumes. Von dort aus konnte er auch, selber ungesehen, am leichtesten die Bewegungen der Feinde beobachten, wie sich später wieder unbemerkt zurückziehen, wenn das nöthig werden sollte.
Kaum zwei Minuten hatte er seinen versteckten Sitz eingenommen, als die ersten Buschrähndscher auf demselben offenen Platz erschienen. Vorne ging Howitt – der berüchtigte Gentleman John – mit Rothkopf, seinem ersten Lieutenant, und hinter diesen folgten etwa sechzehn oder achtzehn wild und verzweifelt genug aussehende Gestalten, fast alle mit Musketen, einige sogar mit Doppelflinten und Büchsen bewaffnet. Die beiden Ersten waren in eifrigem Gespräch begriffen, das aber nicht eben freundlich geführt schien. So kalt und ruhig Gentleman John selber dabei blieb, so heftig schien Rothkopf etwas zu bekämpfen, ohne daß Tolmer bis jetzt nur mehr als einzelne abgerufene Worte davon verstehen konnte.
»Genug – genug, Rothkopf,« sagte da der Führer, gerade als sie die kleine Lichtung unterhalb dem Baum, auf dem Tolmer saß, erreicht hatten. »Es bleibt bei dem was ich gesagt, und ich glaube, ich habe mich Euch bis jetzt als treuer Freund und Führer genug gezeigt, mir auch in dieser Sache diesmal zu vertrauen. Acht von Euch, die Ihr durch das Loos oder durch freie Wahl bestimmen müßt, folgen mir jetzt, die Uebrigen bleiben unter Rothkopfs Führung noch einige Tage hier, bis die Ausrüstung des Schooners beendet ist. Haben wir Alles klar, so mögen sie draußen Verdacht schöpfen wie sie wollen, es ist dann zu spät. Geschähe das jetzt, so wäre unser Aller Leben, unser Aller Freiheit gefährdet, und ich will nicht bis jetzt mit allen nur erdenklichen Aufopferungen des Aeußersten gewagt haben, im letzten Augenblick vor der Entscheidung unsern Rettungsplan scheitern zu sehen. Wen von Euch bestimmt Ihr also, mir jetzt gleich zu folgen? Wen bestimmt Ihr dazu, Rothkopf?«
Er war, noch während er sprach, kaum fünf Schritte von der Casuarine, die seinen gefährlichen Feind versteckt hielt, stehen geblieben und die Leute, unter einander berathend, sammelten sich um ihn.
»Mir gleich,« rief da Rothkopf, indem er sich, dem Baum gerade gegenüber, auf den Boden und sein Gewehr neben sich auf das Laub warf, »wenn ich meinen Willen nicht haben soll, dann macht's wie Ihr wollt.«
Sein Auge haftete gedankenlos und mürrisch, wie er so sprach, an dem Wipfel der Casuarine, und Tolmer durfte kein Glied rühren, wenn er sich nicht verrathen wollte.
»Es bleibt sich auch gleich,« sagte da Gentleman John, »denn die Uebrigen folgen ja doch in wenig Tagen. Keiner von uns mag zurückbleiben, wo es gilt, dies verwünschte Land auf immer zu verlassen. Ist es Euch also recht, so wähl' ich mir die, die ich jetzt bei mir haben will, selber aus, und Ihr werdet es begreiflich finden, daß ich mir dazu die nehme, die jetzt am anständigsten und am wenigsten verdächtig aussehen. Ich kann Euch nicht als Buschrähndscher, ich muß Euch vor der Hand als Arbeiter bei meinen Freunden einführen. Ist Einer unter Euch, der das Zimmerhandwerk versteht?«
»Das versteh' ich, Capitän, und der einäugige Henry da drüben,« sagte Einer der Burschen, indem er vortrat.
»Vortrefflich – Euch beide kann ich gleich an Bord beschäftigen. Einen Segelmacher haben wir wohl nicht unter uns?«
»Doch, Sir,« lautete die Antwort von der andern Seite, »wir sind hier unserer drei Seeleute, die alle eine Segelnadel zu führen wissen.«
»Dann tretet Ihr hier auch herüber – aber ein bischen zustutzen müßt Ihr Euch, ehe wir auf die Station kommen. Wetter noch einmal, Burschen, Euch sieht man den Buschrähndscher gleich an der Stirne an.«
»Ich würde ihnen einen Frack machen lassen,« sagte Rothkopf, indem er sein Messer aus der Scheide zog, und die um ihn her liegenden Gumblätter damit anspießte.
Gentleman John antwortete nicht darauf, wählte sich noch drei der bestaussehenden Individuen – und die Wahl wurde ihm wirklich dabei schwer – zu seinen Begleitern, und gab den Uebrigen dann noch einige gleichgültige Befehle, wie sie sich hier in der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes zu betragen hätten, die Aufmerksamkeit der benachbarten Stationshalter nicht zu sehr auf sich zu ziehen.
»Und wie weit seid Ihr mit Euerem Schiff?« frug da Rothkopf, als sich Jener zum Aufbruch rüstete.
»Wie uns Hennigs heute gemeldet,« lautete die Antwort, »ist es an seinem Ankerplatz eingetroffen. Die nöthigen Provisionen können recht gut in drei Tagen herbei und an Bord geschafft werden – vielleicht noch früher, wenn mein Freund Bloome –« er sprach die Worte mit einem hämischen Lächeln – »die mir gegebenen Versprechungen alle gehalten. Nur das Einnehmen des nöthigen Wassers wird uns noch aufhalten. Wir müssen wenigstens genug davon an Bord haben, eine der Südseeinseln zu erreichen.«
»Und Munition?«
»Damit sieht's freilich bös aus,« erwiderte Gentleman John, »denn um keinen Verdacht zu erregen, durfte ich nicht solche Aufträge dafür geben, als ich sonst gewünscht, doch denk' ich, haben wir genug.«
»Genug an Bord,« rief Rothkopf, »das kann ich mir etwa denken, aber nicht hier in den Bergen. Wir Alle sitzen hier mit kaum genug Pulver und Blei, unsere Gewehre noch einmal zu laden, wenn wir sie abschießen, und würden wir jetzt von drei Polizeisoldaten mit Musketen angefallen, wären wir verloren. Aus der Gefahr mach' ich mir nichts; ich denke das habe ich bewiesen; aber ich muß wenigstens eine Waffe haben, mich zu vertheidigen, und so wie jetzt bleib' ich keinen Tag länger in den Bergen, und wenn ich die nächste Station plündern müßte, mir Pulver und Blei zu verschaffen.«
»Das ist nicht rathsam,« entgegnete aber John, »und würde uns die Leute vor der Zeit auf den Hals setzen. Doch dem soll abgeholfen werden. Kommt morgen früh mit Tagesanbruch an die leere Rindenhütte, die gleich dort drüben an der Grasbaum-Ebene steht, Rothkopf, und ich will Euch selber genug Munition für alle Fälle bringen. Seid Ihr das zufrieden?«
»Meinetwegen,« brummte der Lieutenant, »wenn ich nur wieder Futter für meine Flinte bekomme. Die Wallobis tanzen Einem ja jetzt ungestraft auf der Nase herum.«
»Gut denn,« sagte der Führer, »also morgen früh an der Rindenhütte. Und nun lebt wohl. Ich muß heut Abend noch vor Dunkelwerden am Cap Borda sein. Zur bestimmten Zeit schick' ich Euch Broadley, und folgt dem so rasch Ihr irgend könnt.«
Er wandte sich bei den Worten, von den von ihm ausgewählten Leuten gefolgt, das Thal hinab, und Rothkopf blieb, noch ganz in seiner früheren Stellung, mit den Uebrigen unter der Casuarine zurück.
»Und was nun?« sagte da Einer der Leute, »gehen wir nach dem Lager zurück, oder habt Ihr sonst irgend etwas für uns zu thun?«
»Ich?« sagte Rothkopf, »der Capitän hat Euch, denk' ich, Euere Beschäftigung deutlich genug angewiesen – wiederkäuen, bis er Euch rufen läßt.«
»Aber –«
»Kümmert Euch um Nichts,« unterbrach ihn der Buschrähndscher-Lieutenant, »Ihr habt Zeit genug, Euerer Bequemlichkeit nachzugehen, wenigstens noch für 48 Stunden Provisionen, und Wasser bis zur nächsten Dürre – was wollt Ihr mehr?«
»Branntwein,« sagte Einer der Leute mürrisch.
»Ja so; an den hatte ich nicht gedacht,« lachte Rothkopf, »aber beruhigt Euch nur; der Capitän hat versprochen, Euch einen Korb Champagner herüberzuschicken, und dem wird er wohl ein Fäßchen Rum beifügen. Seid Ihr damit zufrieden?«
»Müssen ja wohl!« brummte der Sprecher.
»Nun gut;« sagte Rothkopf, »dann seid so gut und geht jetzt zum Lager hinauf, daß uns das Mittagsessen nicht anbrennt. Ich will indessen sehen, ob ich uns bis dahin ein Wallobi schießen kann – verstanden?«
»Gut, Lieutenant,« sagte der Bursche, »Ihr sprecht jedenfalls deutlich genug, und wenn das Abwarten auch langweilig sein mag, ist es jedenfalls das Bequemste.«
Die Leute wandten sich ab und schlenderten langsam den Weg zurück, den sie vor etwa einer halben Stunde gekommen. Nur Rothkopf blieb noch, kaum fünfzehn Schritt von der Casuarine entfernt, und das Gesicht dem Baum zugekehrt sitzen, stieß langsam sein Messer in die Scheide zurück, und nahm dann seine Doppelflinte vor sich auf die Knie. Hieran untersuchte er die Pistons, reinigte sie, schüttete frisches Pulver hinein, setzte trockene Zündhütchen auf, und schien sich solcher Art allerdings für die angekündigte Wallobijagd vorzubereiten. Seine Gefährten waren indessen schon lange das Thal hinaufgestiegen und Tolmer, der Alles erfahren, was er nur gewünscht, hoffte jetzt sehnlichst, daß der Bursche unter dem Baum sein Gewehr endlich in Stand hätte, und ihm ebenfalls Raum gab, seine durch die Länge der Zeit unbequem werdende Stellung verlassen zu können.
Rothkopf schien aber keine derartige Absicht, wenigstens nicht für die nächste Zeit zu haben; denn, sein völlig in Stand gesetztes Gewehr noch immer auf den Knien, blieb er ruhig in der vorhin eingenommenen Stellung, und nickte nur manchmal, still vor sich hinlächelnd, mit dem Kopf. Tolmer's Lage wurde mit jedem Augenblick peinlicher; Arm und Knie schmerzten ihn, und doch wagte er nicht sich zu regen. Da hob der Buschrähndscher langsam den Kopf zu dem Baum empor, an dem jener saß, betrachtete den Wipfel eine Weile und sagte dann, so ruhig, als ob er mit einem seiner Leute redete.
»Nun, Mate, ich denke Ihr könntet jetzt da oben ausgeschlafen haben. Donnerwetter, andere Vögel streichen mit Tagesanbruch ab, und Ihr bleibt bis zum hellen Mittag in den Zweigen mit dem Kopf unter dem Flügel sitzen.«
Tolmer regte sich nicht – das Herz schlug ihm wie ein Hammer in der Brust. Noch aber blieb ihm immer die Hoffnung, daß der Buschrähndscher mit jemand Anderem, nicht mit ihm spreche, und er doch noch vielleicht der Entdeckung entgehen könnte. Rothkopf machte aber seinen Zweifeln bald ein rasches Ende. Er stand auf, nahm sein Gewehr in Anschlag, und den Lauf gerade gegen den Wipfel der Casuarine richtend, sagte er mit nicht lauterer Stimme als vorher, aber mit trockenem, spöttischem und doch auch wieder drohendem Ton:
»Nun, wird's bald, Kamerad? oder soll ich Euch etwa Beine machen. Ich habe nicht übermäßig Munition, und möchte die Ladung Schrot und die Todtengräberkosten gern ersparen. Euch mein' ich da oben in dem Baum d'rin – habt Ihr mich verstanden?«
Tolmer sah sich entdeckt, und wenn ihm auch die Hand im ersten Augenblick nach den Pistolen zuckte, fühlte er doch auch zugleich, daß er mit seinen verklommenen Armen nicht im Stande sein würde, sein Ziel sicher zu treffen, und dann war er verloren. Außerdem konnte der Schuß die übrige noch nicht so ferne Schaar herbeirufen. Die List blieb noch seine einzige Hülfe.
»Hallo, Mate,« rief er deßhalb, gute Miene zum bösen Spiel machend, vom Baum nieder, »nehmt das vertrackte Schießeisen weg, es könnte Euch aus Versehen in der Hand losgehen, und Ihr wollt doch wahrhaftig nicht einen Kameraden wie einen Papagei vom Baum herunterschießen.«
»Kameraden?« wiederholte Rothkopf, ohne jedoch seine drohende Stellung zu verändern, »den müssen wir uns erst einmal in der Nähe betrachten. Kommt Ihr?«
»Ei gewiß,« lautete die Antwort, »bedenkt nur, daß mir Arm und Beine ganz verquollen sind. Ich habe da oben in keinem Lehnstuhl gesessen.«
Er rutschte, während er sprach, vorsichtig an der glatten Rinde nieder, und sah sich gleich darauf dem Buschrähndscher und dessen auf ihm gerichteten Gewehr gegenüber.
»Nun,« sagte er, als er den Boden berührte und sich gegen den Buschrähndscher umdrehte, »ist das ein Empfang? Ihr habt doch von mir wahrhaftig nichts zu fürchten. Seht Ihr denn nicht, daß ich unbewaffnet bin?«
»Auswendig, ja,« lachte Rothkopf, »doch das Andere wollen wir nachher untersuchen. Jetzt vor allen Dingen, wie kommt Ihr auf den Baum, und was habt Ihr da oben gesucht? – etwa Vogelnester ausgenommen?«
Tolmer blieb nur eine einzige Ausflucht. Natürlich trug er keine Uniform, sondern seine alten Buschkleider, die durch die Känguruhdornen überdies arg mitgenommen waren. So glich er denn allerdings eher selber einem Buschrähndscher, als einem Polizeiofficianten, und das zu benutzen, war jetzt seine Sorge.
»Wenn Ihr das von mir erfahren wollt,« erwiderte er deßhalb mit angenommener Ruhe, »so gebt mir erst etwas zu essen, denn wenn ein Mensch, wie ich, tagelang in dem verdammten Busch da drüben am festen Lande umhergehetzt und dann in See beinahe verhungert und verdurstet ist, nur um die Insel hier zu erreichen, hat er nicht viel Kräfte mehr übrig, und braucht eine Stärkung. Habt Ihr einen Schluck Brandy?«
»Nicht einen Tropfen. Aber wer hat Euch gehetzt, mein Bursche,« setzte er hinzu, und betrachtete sich den Fremden aufmerksam vom Kopf bis zu den Füßen – »ich dächte doch, die Buschrähndscher sind drüben ziemlich dünn geworden, seit wir fort sind.«
»Wer? – nun die verdammte Polizei!« sagte Tolmer ärgerlich.
»Oh, die habt Ihr hinter Euch gehabt? ja das kann ich mir denken,« lachte der Buschrähndscher, »Mr. Tolmer soll ein trefflicher Führer sein.«
»Wer?« sagte Tolmer mit angenommenem Erstaunen.
»O, Ihr kennt den Mann wohl nicht,« meinte Rothkopf trocken, »schade, daß ich keinen Spiegel hier habe, ich könnte Euch sonst eine vortreffliche Beschreibung seiner Person geben.«
»Einen Spiegel?« sagte Tolmer, und fast unwillkürlich suchte seine Hand das versteckte Pistol, denn einmal erkannt, wußte er sich auch verloren.
»Laßt die Waffen nur stecken, Mr. Tolmer,« sagte da Rothkopf, in aller Ruhe die Hähne seines eigenen Gewehres in Ruhe setzend, und dem Polizeibeamten fest in's Auge schauend, »Ihr seht, ich kenne Euch, und schieße Euch weder über den Haufen, noch rufe ich meine Leute, daß sie sich vielleicht einen besonderen Spaß mit Euch machten. Aber – die Wahrheit ist, Ihr kommt mir da wie gerufen, und dem allein habt Ihr's auch zu danken, daß ich Euch nicht gleich, wie wir hier ankamen, und ich Euch im Baum bemerkte, eine Ladung Posten durch den Leib jagte.«
»Und wenn ich nun nicht jener Tolmer wäre?« sagte dieser.
»Beruhigt Euch darüber,« erwiderte ihm der Räuber, »ich habe Euch einmal gesehen, als ich vor vier Jahren, gerade frisch eingefangen, vor Euch gebracht wurde, und ein verdammt gutes Gedächtniß für alte Bekannte. Doch zur Sache. Ihr seid nach Känguruh-Insel gekommen, um unsern »Gentleman« John einzufangen, wie?«
»Ja,« sagte Tolmer nach kurzem Zögern mit entschlossener Stimme – »zum Henker noch einmal, ich sehe jetzt keinen Grund mehr, Euch ein Geheimniß daraus zu machen.«
»Gesprochen wie ein Mann,« lachte der Buschrähndscher, »aber – ich kann mir nicht gut denken, daß Ihr die »Kleinigkeit« allein solltet unternommen haben.«
»Ich habe Hülfe« erwiderte Tolmer, aber doch nicht ohne einiges Zögern.
»Bei der Hand?«
»Nicht weit.«
»Hm,« sagte der Buschrähndscher, »aber Ihr wißt, wie ungewiß Euer Erfolg ist, wenn John den geringsten Verdacht schöpft.«
»Allerdings,« erwiderte Tolmer, der den Plan des Burschen jetzt leicht durchschaute, und freier Athem schöpfte, »aber Ihr wißt auch, welchen Preis die Regierung dem zugedacht hat, der uns den Verbrecher überliefern hälfe. Fort könnt Ihr nicht mehr; der Schooner ist schon beobachtet und kann nicht mehr auslaufen, und die Insel hier nicht groß genug, Euch lange Zuflucht zu gewähren.«
»Hm, ja,« erwiderte Rothkopf, »wenn's auch vielleicht noch nicht so schlimm ist, als Ihr es macht; denn die Geschichte von dem Schooner habt Ihr doch nur erst oben im Baum gehört.«
»Er liegt an Cap Borda,« erwiderte Tolmer ruhig, »ist von einem Bruder Bloomes, der das Fahrzeug navigiren soll, in Adelaide angekauft, und Bloome glaubt, daß es zwischen Sidney, Neuseeland und der Insel Handel treiben soll.«
»Alle Teufel!« rief Rothkopf überrascht, »dann hat die Polizei also doch Wind davon bekommen. Aber das,« fuhr er, die Zähne auf einander beißend, fort, »wißt Ihr nicht, daß Gentleman John, Verräther der er ist, beabsichtigt, uns hier im Stiche zu lassen und über Hals und Kopf den Schooner in See haben will, um uns los zu werden.«
»Ich weiß vielleicht noch mehr als das,« lächelte Tolmer, »aber das sind Nebensachen, die hier mit unserem Geschäft nichts zu thun haben. Wollt Ihr mir beistehen, diesen Gentleman John einzufangen?«
»Ja! – aber Ihr sichert mir freien Pardon?« frug der Buschrähndscher, ihn dabei scharf fixirend.
»Den sichere ich Euch, und außerdem den halben Fangpreis, der auf seinen Kopf gesetzt ist. – Seid Ihr damit zufrieden?«
»Die Sache ist abgemacht!« rief Rothkopf, ihm die Hand zum Einschlagen hinhaltend, »und nun an die That. Habt Ihr von Eueren Leuten Einige bei der Hand?«
»Sie sind Alle an Cap Borda.«
»Hm – müssen wir ihn lebendig fangen?«
»Lebendig oder todt,« erwiderte Tolmer.
»Gut – dann brauchen wir auch Niemand weiter. Ihr habt gehört, daß er mir morgen früh an eine bezeichnete Stelle Munition bringen will. Wo liegt Euer Gewehr versteckt?«
»Ich habe nur Pistolen bei mir,« sagte Tolmer.
»Das ist Nichts,« rief Rothkopf, »die sind nicht sicher genug, und spaßen dürfen wir nicht mit ihm. Seid Ihr ein guter Schütze mit der Flinte?«
»Ich treffe meinen Mann auf hundert Schritte mit der Kugel.«
»Gut, dann werdet Ihr ihn auch auf fünfzehn mit Rehposten nicht fehlen, und mögt dazu mein Gewehr nehmen. Jetzt geht in's Thal hinunter und lagert irgendwo am Eingang der Schlucht. Mit hinauf darf ich Euch nicht nehmen, denn Einer der Anderen könnte Euch so leicht erkennen wie ich, aber ich werde dafür sorgen, daß Euch Keiner von ihnen in den Weg läuft, und daß Ihr dort auf mich wartet, ist Euer eigener Vortheil – deshalb vertrau' ich Euch auch. Morgen früh mit Tagesanbruch bin ich an der einzelnen Casuarine, die dicht am Pfad steht. Kennt Ihr den Baum?«
»Ich habe ihn heute passirt,« erwiderte Tolmer.
»Gut denn, auf Wiedersehen,« sagte der Buschrähndscher, und schritt rasch die Schlucht hinauf, den Polizeibeamten seinem eigenen Nachdenken überlassend.
Tolmer wußte aus eigener Erfahrung, wie nützlich dieser Bursche, der sich von seinem Kameraden vielleicht mit gutem Grund verrathen glaubte, ihm werden konnte. Die Abfahrt des Schooners mochte er allerdings mit seinen Leuten leicht verhindern, der Führer der Bande aber, und Einer der schlauesten Räuber, die je die australischen Wälder unsicher gemacht, war damit noch nicht gefangen, und hätte mit einem Boot leicht wieder das feste Land erreichen können. War Gentleman John aber erst einmal in seiner Gewalt, oder überhaupt unschädlich gemacht, dann durfte er hoffen, die Andern leicht zu bewältigen, und mit der Hülfe seines neugefundenen Freundes hatte er jetzt die beste Hoffnung, dies am nächsten Morgen in's Werk zu setzen.
Verrath brauchte er hier kaum zu fürchten. Er war schon in der Gewalt des Räubers gewesen, und dessen eigener Vortheil lag mit dem seinen jetzt in einer Schale. Deshalb folgte er auch ohne Weiteres der erhaltenen Weisung und lagerte die Nacht an der ihm vom Rothkopf bezeichneten Stelle, um am nächsten Morgen bei der Hand zu sein.
Rothkopf ließ auch nicht auf sich warten. Kaum dämmerte der Tag, als ein leiser Pfiff Tolmer auf seine Nähe aufmerksam machte, und die beiden Männer schritten nach einem sehr frugalen, rasch eingenommen Mahl neben einander der von Gentleman John selber angegebenen Hütte zu. Unterwegs machte der Buschrähndscher den Polizeibeamten mit seinem Plane bekannt, und in der Hütte selber angekommen, legte sich Tolmer mit des Räubers Flinte in den Hinterhalt, während sich dieser, den Rücken gegen die dünne Rindenwand gelehnt, auf einen dort zu einer Art Bank hergerichteten Stamm setzte, und solcher Art ruhig die Ankunft seines verrathenen Chefs erwartete.
»Und seid Ihr auch sicher, daß er wirklich kommt?« frug Tolmer endlich, als sie wohl schon eine Stunde regungslos in ihrer Stellung verharrt hatten, aus dem Haus heraus, »hol' s der Henker, mir wird die Zeit lang, und ich fürchte fast, Gentleman John war klüger wie wir Beide zusammen.«
»Nur keine Furcht, Camerad,« flüsterte ihm sein Genosse zurück, »wenn ich nicht gewiß wüßte, daß unser Vogel auf die Leimruthe geht, hätte ich Euch wahrhaftig nicht hierher geführt. Daß ihm der Böse das Licht halte, thut er es doch nur, mich desto sicherer zu machen. Aber ich kenne ihn, den Hallunken;« setzte er mit fest zusammengebissenen Zähnen und wie mit sich selber redend hinzu, »der Rothkopf ist ihm nach und nach zu klug geworden, und daß der fragen konnte, was aus all dem Geld geworden, hat ihm nicht gefallen. Aber warte, mein Bursch – hast jetzt einen Seemann an Bord, nicht wahr, der etwa ein Schiff in offener See zu halten weiß und glaubst, du könntest den Rothkopf entbehren. Was dann aus dem hier und den Anderen auf der Insel wird, was kümmert's dich. – Willst dasselbe Spiel hier wieder spielen, das du drüben am Murray den armen Teufeln eingebrockt. O ich kenne dich, Hallunke, vergißt aber, daß der Rothkopf damals selber mit dabei war und dir in die Karten gesehen hat.«
»Dort kommt Jemand den Hang herunter,« flüsterte Tolmer, der durch eine Spalte der Wand, hinter der er versteckt lag, die offene Höhe vor sich übersehen konnte.
»Das ist er,« flüsterte Rothkopf, fast unwillkürlich zusammenfahrend, »geht es, fangen wir ihn lebendig, riecht er aber Lunte, dann haltet ihm nur um Gotteswillen sicher auf den Bug, wir sind sonst Beide verloren.«
»Fürchtet Ihr ihn?« frug Tolmer spöttisch.
»Fürchten?« brummte der Buschrähndscher ärgerlich in den Bart, »wenn Ihr, wie ich, Zeuge gewesen wäret, wie der Mann da – doch das ist vorbei,« brach er kurz ab, »und zum Plaudern keine Zeit mehr. Habt jetzt Acht – es gibt kaum einen stärkeren, und wahrhaftig keinen schlaueren und verwegeneren Burschen in sämmtlichen Colonien als den, der da so sorglos den Hügel herab in sein Verderben geht – und jetzt kein Wort mehr. Er hat ein Auge wie ein Falke und ein Ohr so scharf wie ein Känguruh – macht Euch fertig.«
Rothkopf hatte ganz recht; es gab wohl kaum einen schlaueren und verwegeneren Verbrecher innerhalb wie außer den Colonien, als diesen Gentleman John, der jetzt gerade im Begriffe stand, mit einem von seinem Raube angekauften Schiffe die Colonien zu verlassen, um jedenfalls sein Unwesen in irgend einem anderen Lande auf's Neue zu beginnen.
So glücklich und erfolgreich er aber bis jetzt, jedes Mittel gut heißend, das ihn seinem Ziele entgegen führte, diesen einen Zweck verfolgt, so sollte er sich plötzlich aus seiner geträumten Sicherheit aufgerüttelt, und der früheren Verfolgung preisgegeben sehen. Sein Lieutenant Rothkopf hatte ihn allerdings nur zu gut durchschaut; Gentleman John war seiner überdrüssig und wollte mit den Ausgewählten seiner Schaar so rasch als möglich die Känguruh-Insel verlassen. Was aus den Cameraden, von denen sich ein großer Theil erst hier zu ihm gefunden, werden würde, kümmerte ihn nicht. Selbst auf diesen Abend war die Abfahrt bestimmt. Der Schooner lag, mit Proviant und Wasser versehen, vor seinem Wurfanker, und Mr. Bloome, der Squatter, ahnte nicht, welch' gefährlichem Compagnon er einen großen Theil seines Eigenthums im Begriff war zu vertrauen.
Nur um seinen bisherigen Lieutenant zu beruhigen und die kurze Frist zu gewinnen, in der dieser mit der erhaltenen Munition zu den Uebrigen zurückkehren würde, hatte er sich dazu verstanden, ihm selber das Verlangte zu überbringen. Durfte er ja doch auch keinem seiner anderen Leute trauen, die mit Rothkopf allein gelassen, vielleicht gar gemeinschaftliche Sache mit ihm gemacht hätten.
Daß ihm die Polizei schon auf der Fährte sei, ahnte er allerdings nicht, trotzdem näherte er sich nur mit äußerster Vorsicht dem von ihm selber bezeichneten Hause, von dem er schon aus der Ferne seinen Lieutenant erkannte. Er trug sein Gewehr in der Hand und die versprochene Munition in einer umgeschnallten Tasche, und hing sich die bereit gehaltene Waffe erst über die Schulter, als er Rothkopf vollkommen unbewaffnet ihn erwarten sah. Nur daß dieser ruhig vor dem Hause sitzen blieb, und ihm nicht entgegen kam, erregte wieder seinen rasch geweckten Verdacht.
»Nun, Camerad,« rief er ihn an, indem er, etwa fünfzig Schritt vom Haus entfernt, Halt machte, seine Tasche auf den Boden warf und, das Gewehr im Arm, daneben stehen blieb, »da bin ich. Aber Ihr scheint es verdammt kaltblütig zu nehmen. – Hier ist Euer Pulver und Blei, das mir schwer genug geworden – ich dächte, Ihr könntet's die übrige Strecke selber tragen.«
»Dank Euch, Capitän,« rief Rothkopf, der ihn gern näher zum Haus gehabt hätte, indem er jetzt von seinem Sitze aufstand und langsam auf ihn zuging, »ich wußte im Anfang gar nicht, ob Ihr's wäret. Aber kommt herein – ich habe ein Feuer darinnen angemacht und ein Stück saftig Wallobi daran stecken – oder – habt Ihr keinen Hunger?«
Gentleman John horchte hoch auf – sein scharfes Ohr hatte das Knacken eines Hahnes – ein ihm nur zu wohlbekannter Laut – erreicht, und im Nu erkannte er die Gefahr, in der er sich befand.
»Hunger?« rief er zurück, »gewiß. Ich bin vor dem Frühstück vom Haus fortgegangen und Euer Wallobi soll mir vortrefflich schmecken. Ist sonst noch Jemand bei Euch?«
»Keine Seele,« erwiderte Rothkopf, indem er zu ihm trat und auf die am Boden liegende Tasche zuschritt.
»Gut – so nehmt Euer Pulver und Blei mit zum Haus,« sagte der Capitän, indem er sich so stellte, daß er den Lieutenant fortwährend zwischen sich und dem vermutheten Hinterhalt behielt. »Ihr hättet Euch Jemanden mitbringen sollen; das Zeug ist verwünscht schwer.«
»Allerdings,« sagte Rothkopf, die Tasche etwas lüftend und dann über die linke Schulter hängend, »doch es ist nicht so weit bis zu unserm Lager und ich werde sie schon fortbringen.«
»Rothkopf,« sagte da Gentleman John, indem er ihm vertraulich auf die Achsel klopfte, »ich habe Euch nicht umsonst hierherbeschieden – ich habe noch ein Geheimniß, das ich Euch anvertrauen möchte – wenn ich eben auf Euere Verschwiegenheit und Treue rechnen könnte.«
»Und das wäre?« rief Rothkopf, indem er überrascht zu seinem Hauptmann aufsah.
»Ich habe hier in der Nähe Geld vergraben,« flüsterte ihm dieser zu, indem er sich wie scheu und vorsichtig dabei umsah.
»Alle Teufel,« rief Rothkopf mit unterdrückter Stimme, »und wo da?«
»Wir wollen zum Haus gehen, dort will ich Euch den Fleck beschreiben.«
»Zum Haus? – hm,« sagte der Buschrähndscher, »ja – recht gern – aber könnt Ihr es mir nicht hier sagen?«
»Hab' ich Dich, Bursche?« lachte da John, indem er einen Schritt von ihm zurücktrat und sein Gewehr aufgriff, aber dabei noch immer vorsichtig ihn zwischen sich und dem Hause hielt. »Rühr' Dich jetzt von der Stelle und Du bist –«
»Teufel!« rief der also überlistete Lieutenant, indem er den sich dessen nicht gleich versehenden Buschrähndscher unterlief und mit seinen Armen umschlang, »hierher zu Hülfe – hierher – verdammt wenn ich Dich nicht –«
»Danke Dir,« sagte Gentleman John ruhig. Mit raschem Griff hatte er aber auch in demselben Moment ein Pistol aus seiner Tasche gerissen, und während er es in das Ohr seines Lieutenants abdrückte, flog sein Blick schon nach dem Haus hinüber, aus dem jetzt Tolmer mit gespannter Flinte herbeisprang, seinem Verbündeten beizustehen.
Gentleman John wollte rasch sein eigenes Gewehr aufgreifen, Rothkopf aber riß es, durch das Gewicht seines stürzenden Körpers, mit sich zu Boden nieder, daß sich beide Läufe entluden, und der Buschrähndscher sah jetzt sein Heil gegen den besser bewaffneten Feind nur in rascher Flucht. Den anderen Angreifer hielt er natürlich für Einen der im Busch verlassenen Bande, der nicht wagen durfte, ihm weit gegen die Ansiedlung hin zu folgen, und in schnellem Sprung einen Baum zwischen sich und den Verfolger bringend, floh er mit raschen Sätzen den nur hie und da bewaldeten Hang hinauf.
Tolmer feuerte allerdings sein Rohr auf ihn ab; das Gestrüpp entzog aber den Flüchtigen gleich darauf seinen Blicken, und es blieb ihm jetzt keine andere Wahl, als so rasch als möglich seine Leute zu erreichen und den offenen Kampf gegen den Verbrecher und seinen Trupp zu beginnen.
Sein Schuß war aber doch nicht ohne Wirkung geblieben, denn wenn er den Räuber auch nicht in seiner Flucht hemmte, hatte ihn doch ein einzelner Rehposten in die Seite getroffen. Trotzdem, und den Schmerz verbeißend, gewann er bald die offene Stelle der Ansiedlung und eilte in die Hütte, in der er Jenny ihn erwartend wußte.
Die unglückliche Frau saß am Kamin, das Haupt auf die Lehne des Stuhles gedrückt, auf dem sie ruhte, und regte sich nicht, als er die Thüre öffnete.
»Jenny!« rief da John mit von Leidenschaft heiserer, nur gewaltsam gedämpfter Stimme, »komm – der Augenblick zur Flucht ist erschienen – mein Schiff liegt bereit, uns aufzunehmen. Komm, Herz, ermanne dich und laß das dumpfe Brüten – Todt ist todt, und alle Thränen erwecken dein armes Kind doch nicht zum Leben wieder.«
»Todt ist todt,« stöhnte da die arme Frau, indem sie das bleiche Antlitz und thränenlose starre Auge wild zu ihm erhob. »Sagst Du mir das, Mörder meines Kindes.«
»Unsinn, Schatz!« rief der Räuber, in aller Hast seine im Zimmer umhergestreuten wenigen Habseligkeiten und Waffen zusammenraffend. »Was kann ich dafür, daß das schwache Ding die Strapatzen unseres Marsches nicht ertragen konnte. Hab' ich es nicht den halben Tag geschleppt? – Aber eile Dich – weiß der Teufel, wie die Kunde so rasch über die Insel gekommen ist, aber Dein Mann, mein Schatz ist hinter uns her, und wir müssen wahrhaftig machen, daß wir an Bord kommen.«
»Dort liegt es,« rief da plötzlich die Frau, den Arm von sich gestreckt, das glanzlose Auge in die Leere starrend, »dort, dort, in seinem armen kalten Bett – in der harten, erbarmungslosen Erde, die es hält und nimmer, nimmer wiedergeben will – kein warmes Tuch dabei, seine zarten Glieder einzuhüllen – kein Kissen selbst, das kleine liebe Haupt darauf zu betten – nicht einmal einen kahlen, harten Sarg für das Wesen, für das ich mit Freuden mein Leben hingegeben hätte. Fort – fort von mir!« schrie sie plötzlich, seine nach ihr ausgestreckte Hand mit Abscheu zurückstoßend, »fort, oder beim ewigen Gott da droben, ich schlage meine Zähne in Dein Fleisch und würge Dich, wie Du mein Kind gewürgt.«
»Wahnsinnig, bei Allem was da lebt,« brummte der Buschrähndscher vor sich hin, »und der ganze Aufenthalt umsonst. Da bleibt mir freilich nichts Anderes übrig, als –«
Die Thüre wurde in diesem Augenblicke aufgerissen und Broadley's erschrecktes, todtenbleiches Gesicht zeigte sich darin.
»Unke,« rief ihm der Capitän entgegen, »was bringst Du?« –
»Der Schooner ist genommen!« rief der Unglücksbote, den Verdacht und sein Aussehen vollkommen rechtfertigend. »Polizeiboote haben ihn geentert und die Masten gekappt.«
»Die Masten gekappt?« rief John erschreckt.
»Es ist Alles vorbei,« drängte aber der Bursche, »und die Boote rudern schon wieder an Land. Uns bleibt keine andere Zuflucht als der Busch.«
John knirschte die Zähne wild auf einander, aber das einmal Geschehene ließ sich nicht mehr ändern, die solcher Art abgeschnittene Flucht zu Wasser konnte nach dieser Richtung hin nicht mehr erzwungen, sondern mußte auf andere Weise versucht werden. Deshalb seine Waffen aufgreifend, warf er noch einen Blick auf die wild und erstaunt zu ihm aufschauende Frau, und winkte dann Broadley, ihm zu folgen.
Wie er nur vor die Hütte trat, sah er schon, daß sein Begleiter Wahrheit gesprochen. Der Schooner draußen an der Point lag, ein Wrack, vor seinem Anker, und während Bewaffnete aus einem schon gelandeten Boot an's Ufer sprangen, eilten Andere von dem Hauptstationshaus auf seine eigene Wohnung zu. Kamen sie als Freunde oder Feinde? – er hatte nicht Lust ihr Kommen abzuwarten, und flüchtete, von Broadley dicht gefolgt, mit langen Sätzen dem nächsten Dickicht zu.
Schon hatte er dieses erreicht, schon verbargen ihn die nächsten Gumbüsche den Augen der Verfolger, als dicht vor ihm eine dunkle Gestalt sich wie aus dem Boden hob, und ihm die Arme bittend entgegenstreckte. Es war Lloko, sein schwarzes Weib, den Opossum-Mantel locker um die Schulter geschlagen, die schwarzen Haare wirr die Stirn umflatternd.
»Halt!« rief sie ihm mit mehr drohend als bittender Stimme entgegen, da er fast scheu vor ihr zurückweichen und an ihr vorübereilen wollte, indem sie seinen Rock ergriff und hielt. »Halt! falscher weißer Mann – wo ist dein ander Weib, mit den bleichen Wangen und dem lichten Haar – wie? und wo ist das Kind, das Du ihr auf dem Wege todt und in den Boden gedrückt hast – wie? Wohin gehst Du jetzt? – wieder zu meinem Stamm? – nimm mich mit, nimm mich mit. Lloko hungert hier und Niemand giebt ihr zu essen.«
»Ist denn der Teufel heute in die Weiber gefahren?« rief John, mit eiserner Faust die schwache Hand der Frau ergreifend und von sich werfend. Aber schon hatte Lloko die andere in seinen Gürtel gekrallt und schrie mit wilder, gellender Stimme:
»Teufel – ja, das ist Euer Wort für Alles, was bös und schlecht –Teufel. Das ist Dein Name Gentleman John, und wenn da droben so ein Wesen wohnt –«
»Fort mit Dir!« rief zwischen den Lippen durchzischend der gereizte Räuber, und sein Faustschlag traf die Unglückliche so rauh an die Stirn, daß sie den Gürtel loslassen mußte und halb bewußtlos auf den Boden zurücktaumelte. Im nächsten Augenblick waren die beiden Männer auch im Busch verschwunden.
Gentleman John hätte übrigens nicht in so großer Eile zu sein brauchen, denn die aus der Station zu ihm hinüber Springenden waren nur Bloome und dessen Bruder gewesen, die ihr Fahrzeug im ersten Augenblick von Buschrähndschern überfallen glaubten, und den vermeintlichen Capitän zu Hülfe holen wollten. Nur zu bald sollten sie aber aus solchem Irrthum gerissen werden, denn wenn sie schon die übereilte Flucht des vermeinten Freundes stutzen machte, benahmen ihnen die rasch erkannten Uniformen der Polizeisoldaten den letzten Zweifel.
Tolmer hielt sich jedoch nicht mit langen Erklärungen auf. Er glaubte nämlich sicher, daß sich der entflohene Räuber nach dem Tode Rothkopf's auch ohne weiteres seiner Bande wieder anschließen würde, um mit dieser vereint verzweifelten Widerstand zu leisten. Wußte er doch nicht, daß ihn Gentleman John selber für einen seiner eigenen Schaar gehalten, und in jedem jetzt den Verräther glauben mußte. Hier nun lag für die kleine Truppe Polizeisoldaten der einzige Vortheil darin, die erste Ueberraschung der Buschrähndscher zu benutzen, einen entscheidenden Schlag gegen sie zu führen. Einmal zersprengt, hoffte er ihrer dann schon leicht Meister zu werden.
Kaum im Busch angelangt, trafen sie da auf die noch immer halb betäubte Schwarze, an der die Leute, ohne sie weiter zu beachten, rasch vorbeistürmen wollten. Tolmer erkannte aber augenblicklich in ihr das frühere Weib des Räubers, und der Scene an dem Hause eingedenk, rief er seinen Leuten ein Halt zu, das arme, hülflose Wesen erst wieder zu sich zu bringen. Einer der Constabler hatte eine Flasche mit Brandy bei sich, und Lloko, wie ihr die Schläfe damit gerieben und ein paar Tropfen eingegeben waren, erholte sich bald genug, sich selber aufzurichten.
Erstaunt sah sie sich inmitten der vielen fremden weißen Männer, und ihr erstes Gefühl war, in den Busch zu fliehen, um denen zu entgehen. Tolmer aber trat ihr in den Weg und sagte freundlich:
»Fürchte Nichts von uns. Wir wollen das Land nur von denen säubern, die Haß und Feindschaft zwischen schwarzen und weißen Stämmen säen, von Raub leben und von Blut sich nähren. Weißt Du, wen ich meine?«
Das Weib sah ihn mit großen stieren Augen an und rief:
»Ihr sucht Gentleman John!«
»Allerdings,« sagte Tolmer rasch, »weißt Du, wo hinaus er ist?«
»Fluch ihm!« rief da Lloko, während die Erinnerung an die erlittene Schmach das Blut in ihre dunkle Schläfe jagte, »er hat mich geschlagen, und die Hand möge sein Gott dort oben verdorren lassen, die gegen meine armen Schläfe traf.«
»Das soll unsere Sorge sein, ihm das zu besorgen,« lachte Morris. »Hier auf der Insel haben wir ihn sicher, und er kann uns nicht entgehen.«
»Und wißt Ihr, wo Ihr ihn findet?« frug da Lloko plötzlich, während ihr dunkles Auge rasch und forschend von einem der Männer zum Andern flog.
»Ich denke ja,« erwiderte Tolmer, »er wird wohl am Torrensberg wieder zu seinen Freunden geflohen sein.«
»Freunden?« rief Lloko, verächtlich den Kopf zurückwerfend. »Der Verräther hat keinen Freund, seit er Lloko geschlagen. Kommt – kommt!« rief sie plötzlich, sich gewaltsam empor raffend, und den Arm Tolmers ergreifend, »ich will Euch führen. Wie ein Dingo auf der Fährte des speergetroffenen Känguruh, will ich an seinen Schritten hängen. – Kommt – er hat mich geschlagen – der Kopf brennt mir, wo mich seine Hand traf – wenn der Schmerz nachläßt, hab' ich die Rache vielleicht vergessen.«
Ihren Mantel dabei fester um sich herschlagend, drückte sie die ihr nachstehenden Männer zurück, dort wo Gentleman John vorbeigesprungen, die frischen Spuren wieder aufzufinden.
Morris hielt es nun freilich für bedenklich, der Führung einer Schwarzen, die sie eben so gut zum Besten haben konnte, zu vertrauen. Tolmer aber kannte die Eingebornen besser. Er begriff, welche Leidenschaft in diesem Augenblick in dem Herzen des armen, verrathenen Weibes wühlte, und bedachte sich keinen Augenblick, den, ihrem Zweck günstigen Moment zu benutzen.
Lloko hatte indessen, trotz des trockenen Bodens und darüber gestreuten dürren Laubes die Spuren der beiden Männer rasch aufgefunden, und folgte ihnen, ohne sich nach den Weißen auch nur weiter umzusehen. Diese waren indessen durch den größten Theil des letzten Trupps der Polizeisoldaten noch verstärkt worden, da der seeuntüchtig gemachte Schooner den etwa am Strand befindlichen Verbrechern keinen Weg zur Flucht mehr bot, und nur erst, als Lloko an dem Pfad vorbei eilte, der, wie Tolmer recht gut wußte, nach dem Versteck des Torrensberges hinüber führte, hielt er es für nöthig, ihre schwarze Führerin darauf aufmerksam zu machen.
Lloko erwiderte aber kein Wort. Nur mit der ausgestreckten Hand deutete sie auf den Boden vor sich, auf dem die Weißen allerdings auch nicht das Zeichen einer Fährte mehr entdecken konnten, und schritt weiter. – Folgte doch kein Schweißhund je der Spur des angeschossenen Wildes sicherer als sie den Fährten des Mannes, für den sie einst Vater, Mutter und Stamm verlassen, und der es jetzt gewagt hatte, sie zu mißhandeln.
So blieben sie in den Spuren des Räubers bis der Abend dämmerte und eine weitere Verfolgung unmöglich machte. Das wildeste Dickicht hatten sie dabei zu passiren, Stellen, an denen sich die Weißen in den Känguruhdornen oft nur so Bahn brechen konnten, daß sie sich mit Schulter und Rücken hindurch preßten. Die halbnackte Indianerin achtete nicht darauf. Ihren Fellmantel um sich geschlagen und rücksichtslos, ob ihr die Dornen Arm und Füße wund rissen, war sie den Spuren gefolgt, bis sie die Dunkelheit zwang, davon abzugehen, und in der Fährte selber kauerte sie nieder unter einen Baum, verhüllte ihren Kopf mit dem Opossum-Mantel und weigerte sich sowohl zu dem bald darauf von den Weißen entzündeten Feuer zu kommen, als irgend eine Nahrung von ihnen anzunehmen.
Tolmer, der die Schwarze übrigens sich vollkommen selber überließ, begriff allerdings noch nicht recht, wo hinaus zu die beiden Verbrecher geflohen sein könnten, denn daß Gentleman John mit seinem Begleiter nach Marsden Point zurückkehren würde, war ihm nicht wahrscheinlich. Nichts desto weniger vertraute er dem Scharfsinn der Schwarzen genug, nicht an ihrer richtigen Führung zu zweifeln und beschloß, jedenfalls noch bis morgen Mittag ihrer Leitung zu folgen.
Am nächsten Morgen waren sie schon vor Sonnenaufgang wieder gerüstet, und sobald nur der dämmernde Tag Licht genug in den Wald warf, die Spuren wieder zu erkennen, folgte ihnen Lloko mit altem Eifer.
Kaum eine Stunde aber war sie darauf hingegangen, als sie plötzlich stehen blieb und die Nase emporhob, wie ein Hund es thut, wenn er das Wild wittert.
»Komm, komm, Lubra,«[11] sagte aber Morris, der es bemerkte, und dem das nicht gefallen mochte, »guck auf den Boden und laß die Faxen. Daß Du ein Auge wie ein Falke hast, kann ich bezeugen, denn wo nur irgend der Boden weich war, haben wir die Fährten der beiden Schufte hinter Dir gefunden; aber auf das Riechen wollen wir uns doch lieber nicht verlassen.«
»Ich rieche Rauch,« sagte aber die Frau, ohne die Worte des Fremden zu beachten oder ihn auch nur eines Blicks zu würdigen.
»Das kann wohl möglich sein,« flüsterte Tolmer. »In dem verzweifelten Dickicht hier haben die Burschen auch nicht bei Nacht und Nebel fortkommen können, und sind jedenfalls liegen geblieben. Vielleicht treffen wir sie im Lager.«
Vorsichtig setzten sie ihren Weg fort. Wenn aber auch Lloko den Rauch richtig gespürt, fanden sie nur noch das halb niedergebrannte Feuer. Die beiden Buschrähndscher hatten ihre Flucht wahrscheinlich, wie sie ihre Verfolgung, mit anbrechendem Tage fortgesetzt. Von hier aus schienen sie aber eine andere Richtung genommen zu haben, und Lloko, die derselben eine Zeitlang folgte, faßte plötzlich Tolmers Arm und flüfterte:
»Das Boot! – Sie sind nach dem versteckten Boot!«
»Und so wird's auch sein!« rief Tolmer, ärgerlich mit dem Fuße stampfend, »und wir kommen nachher gerade zeitig genug an den Strand, sie in der Ferne absegeln und uns auslachen zu sehen. Daß ich an das verdammte Boot nicht früher gedacht, und eines von den unseren hier herum geschickt habe, ihre Flucht abzuschneiden.«
»Kommt,« sagte da Lloko, die sich indessen nach allen Seiten umgesehen, als ob sie erkennen wollte, wo sie sei, »kommt mit mir.«
»Hallo, Schwarze,« brummte aber Morris, als er sah, daß sie links von der Fährte abbog, »da hinaus geht's nicht. Hier im offenen Sande kann ich die Spuren auch erkennen, und die führen dort hinaus.«
»Kommt,« rief aber die Eingeborene noch einmal, ohne sich an den Widerspruch zu kehren. »Wir treffen ihn, ehe er das Boot besteigt.«
»Die Schwarze ist nicht mit Gold zu bezahlen,« lachte Tolmer, sich vergnügt die Hände reibend, vor sich hin. – »Was meint Ihr, Bill? es wäre ein Hauptspaß, wenn wir ihm die Flucht so vor der Nase abschnitten.«
Bill, der frühere Mailführer, der sich bei der Polizei hatte anwerben lassen und die Expedition als Freiwilliger seinem alten Groll gegen den Buschrähndscher zu Liebe mitmachte, nickte mit dem Kopf und brummte:
»Bringt mich ihm nur in Sprungnähe, und verdammt will ich sein, wenn er mir diesmal wieder aus den Klauen soll.«
»Dazu kann Rath werden,« rief Tolmer, »aber vorwärts mit Euch, Ihr Leute. Die Schwarze, seit sie nicht mehr nach den Fährten zu sehen braucht, läuft wie der helle Teufel.«
Er hatte recht. Lloko glitt wie das Wallobi ihrer Wälder rasch und behend durch das niedere aber dichte Gestrüpp der Waldung, daß ihr die Weißen wirklich kaum zu folgen vermochten, und Tolmer sie mehrmals anrufen mußte, nur so lange wenigstens zu halten, bis sie nachkämen. Eine fieberhafte Ungeduld schien sich der Schwarzen bemächtigt zu haben, die sie nur vorwärts, immer vorwärts drängte, bis sie endlich das Seegestade erreichte, das hier seine niederen Gumbüsche über kurz abgebrochene Felswände bis fast zu den Flutwogen niederhing.
Eine kleine, dürftige Quelle rieselte hier dem Meere zu, deren Lauf Lloko die letzten zehn Minuten gefolgt war, und das Wasser des in der Regenzeit wohl manchmal stark angeschwollenen Baches hatte hier eine kleine Bucht ausgewaschen, in der das eifersüchtige Weib damals, als sie den Fährten des Buschrähndschers und der unglücklichen Frau nachspürte, das hier versteckte Boot des Gentleman John entdeckt hatte.
Fremd auf der Insel, fand ihr Fuß doch leicht und sicher wieder mit jenem wunderbaren Ortssinn der Eingebornen den Weg dahin zurück, und ein triumphirendes Lächeln zuckte über ihre Züge, als sie, auf einen der vorragenden Felsen springend, das Fahrzeug noch dort entdeckte, wo es der Räuber gelassen; aber kein Laut kam über ihre Lippen.
»Ist es da, Lkoko?« rief Tolmer mit unterdrückter Stimme.
»Bst!« warnte aber die Schwarze mit aufgehobenem Finger, indem ihr jubelnder Blick und der niederdeutende Arm den Fund verkündete. Vorsichtig horchte sie dabei nach der Richtung hin, in der sie die Flüchtigen erwartete. Ihr Auge glühte, ihre ganze Gestalt zitterte, und die angstvoll geöffneten Lippen schienen die Luft einzusaugen, die von dort herüberwehte.
»Sie kommen!« flüsterte Tolmer den ihm Nächsten zu, »fort mit Euch – drückt Euch hinter Stein und Busch.«
»Alle Teufel!« brummte Morris, und glitt hinter einen der Ufersteine, auf dem er gerade stand. Nur Lloko regte sich nicht, und das Weib, wie es da lauschend dicht am Ufer stand, glich einer aus schwarzem Marmor gehauenen Statue, einer dunklen Najade, die eben scheu und zitternd der Meeresflut entstiegen.
»Nieder mit Dir, Lubra,« flüsterte ihr da Tolmer zu, »wenn er Dich sieht, ist Alles verrathen und unsere ganze Arbeit umsonst.«
Die Eingeborne antwortete ihm nicht, aber an der Stelle, wo sie bis jetzt gestanden, sank sie in die Knie und barg ihr Antlitz in den beiden Armen.
»Zum Henker noch einmal, ich sage Dir aber ja, dies muß die Stelle sein,« rief da eine rauhe Stimme ganz in der Nähe, »oder ich habe den ganzen Platz versehen und finde den verdammten Ort gar nicht wieder.«
»So weit sind wir aber doch gar nicht mit dem Boot gesegelt,« wandte Broadley's Stimme dagegen ein. »Wir müssen wahrlich noch eine Strecke voraus.«
»Und hier ist der Bach,« rief da Gentleman John, nicht zehn Schritte mehr von der Lichtung entfernt, an deren Rand seine Feinde versteckt lagen. »Ich wußte, daß ich recht hatte – und da ist auch die See. Gott sei Dank, daß wir aus den vermaledeiten Dornen endlich herauskamen. Das ist der Platz, ich kenne ihn an den Felsen, ha, ha, ha – jetzt mögen sie da drinnen herumkriechen und den Torrensberg und dessen Nachbarschaft belagern wie sie wollen. Bis sie uns auf die Fährte kommen, sind wir drüben in Sicherheit. – Ha, was ist das!«
»Halt!« donnerte ihm da Tolmers Stimme entgegen, der mit dem von Rothkopf erhaltenen Gewehr im Anschlag dicht vor ihm wie aus dem Boden herausstieg. »Ergib Dich, oder Du bist eine Leiche.«
»Ergeben?« rief John, eine Pistole aus seinem Gürtel reißend, »für den Galgen, wie?« – In demselben Augenblick traf aber sein Blick auf rechts und links aufspringende Gestalten, und die Pistole auf's gerathewohl mitten hineinfeuernd in die Feinde, wollte er mit flüchtigem Satz das Dickicht wieder gewinnen. Hier aber verrannte ihm Bill, der Kutscher, den Weg.
Mit allem Respect vor Feuerwaffen, mit denen er selber nur höchst mittelmäßig umzugehen wußte, bückte er sich allerdings bei dem Schuß, fuhr aber auch gleich in demselben Moment, einer früher erhaltenen Lection eingedenk, in derselben Stellung auf den Buschrähndscher zu, den er an dem einen Bein erwischte und mit sich zu Boden riß.
Wieder fiel ein Schuß, aber diesmal aus Tolmers Rohr, dem davon springenden Broadley nach, der einen wilden Schrei ausstieß, seitab und willenlos in den Busch hinein taumelte und dort zur Erde stürzte. Tolmer aber, ohne den Verwundeten weiter eines Blicks zu würdigen, sprang jetzt auf den gestürzten Buschrähndscher zu, über den sich schon drei oder vier der anderen Polizeisoldaten geworfen hatten.
Gentleman John machte indessen seinen Gegnern viel zu schaffen, denn mit einem plötzlichen Ruck seinen Arm frei bekommend, hatte er ein breites Messer gezogen, mit dem er rechts und links um sich stieß und seine Sieger zu verwunden suchte. Tolmer sah die Gefahr, in der sich die Seinen befanden, und riß das Gewehr an den Backen, mit dem zweiten Schuß den zur Verzweiflung getriebenen Räuber unschädlich zu machen; im nächsten Moment aber änderte er seinen Plan. Der Lauf des Gewehres hob sich, der Schuß donnerte in die Luft hinein, und den Kolben dann umdrehend hieb er den wüthend um sich Stoßenden mit solcher Gewalt über den Schädel, daß der Schaft in Splittern auseinanderfuhr, der Getroffene aber bewußtlos und wie todt in sich zusammenbrach.
Im Nu war er jetzt an Händen und Füßen gebunden, seiner Waffen beraubt und in's Boot geworfen, wo zwei der Leute, Bill und noch ein Anderer, zu seiner Bewachung blieben. Broadley, der zum Tod getroffen im Busch lag, wurde dann ebenfalls hineingeworfen, und als die von dem Räuber Verwundeten nothdürftig ihre Risse verbunden hatten, wollte Tolmer eben vom Land abstoßen, seine Beute nach Cap Borda hinüber zu rudern. Da fiel sein Blick auf Lloko, die bis dahin regungslos, wie sie das Nahen ihres früheren Gatten erwartet, dicht am Ufer gekniet hatte.
Jetzt erst, als das Boot zur Abfahrt bereit war, richtete sie sich empor, warf einen flüchtigen Blick auf die Gefangenen und war mit einem Sprung an Tolmers Seite.
»Alle Wetter, das wird zu viel im Boot!« rief Morris, der hinten am Steuer saß und sich eben bemühte, das kleine schwanke Fahrzeug vom Lande freizubringen.
»Laßt sie,« erwiderte ihm aber Tolmer, »der Bursche hat sie ihrem Stamm entführt, und sie mag mit uns, wenn wir die übrige Bande aufgerieben, nach Adelaide zurückkehren. – Alles klar da vorn?«
»Alles klar, Sir.«
»Gut, dann stoßt ab, und jetzt so rasch als möglich diesen Burschen in Sicherheit gebracht; der andere Theil der Bande soll uns dann leichte Beute werden.«
Das kleine Fahrzeug schoß in See hinaus, den Bug nach Westen wendend. Mitten darin aber, des Räubers blutiges, bleiches Haupt auf dem Schooß, saß Lloko, und große, helle Thränen rollten ihr die dunklen Wanden nieder und mischten sich dem Blut auf des Gefangenen Stirn, den sie dem Galgen überliefert hatte.