So ist denn unser theatralisches Unternehmen in Leipzig glücklich vollendet, mit Ehre und Vortheil belohnt und was mir gleich lieb ist, ich sehe unsre Schauspieler nach dieser Epoche froher williger thätiger, und hoffe sowohl für uns einen unterhaltenden Winter als auch künftig für Leipzig eine neubelebte Sommerunterhaltung. Denn wir haben mancherley artige und mitunter seltsame Dinge vor uns, an denen wir uns zu üben gedenken.
Haben Sie, mein werthester Herr Rath, den besten Dank für Ihren freundlichen Antheil. Ich weiß die stille geräuschlose Behandlungsart recht gut zu schätzen, mit der Sie den unsrigen nachzuhelfen wußten. Wenn es mit dem Epilog eine Irrung gab,[233] so bin ich vielleicht selbst daran Schuld, weil ich mich nicht deutlich erinnere, ob ich unserer Regie deshalb geschrieben habe, mich auf einen natürlichen Gang der Sache und auf Ihr Einwirken, wie bey dem ersten Abschied,[234] verlassen habe. Auch dafür nehmen Sie Dank, was Sie gewollt gethan und verschwiegen.
Ihre Briefe nehme ich manchmal wieder vor mich und habe sie schon öfter gelesen. Sie dienen mir zum Leitfaden in dem täglichen Theaterlabyrinth, das einer der wunderlichsten Irrgärten ist, die ein Zauberer nur erfinden konnte. Denn nicht genug, daß er schon sehr wunderlich bepflanzt ist, so wechseln auch noch Bäume und Stauden von Zeit zu Zeit ihre Plätze, so daß man sich niemals ein Merkzeichen machen kann, wie man zu gehen hat.
Leider ist hier in Weimar die sondernde Critik nicht sehr zu Hause. Man nimmt alles zu sehr im Ganzen. Stücke, Schauspieler, Aufführung, alles wird entweder nur gebilligt oder gemißbilligt, wobey denn Vorurtheil und Laune herrschend werden, und man sich weder des Lobes recht erfreuen, noch den Tadel sehr zu Herzen nehmen kann.
Daher ist es mir unendlich viel werth, daß unsere Schauspieler wenigstens gewahr geworden, daß eine solche Critik existirt, welche die Mängel begünstigter und die Tugenden gleichgültiger, ja unbegünstigter Personen zu würdigen weiß.[235] Ich selbst werde diesen Winter das Schauspiel öfter besuchen, und meine innern und äußern Sinne zu genauerer Prüfung schärfen. Denn ich gestehe gern, das hiesige Publicum machte mir durch willkührliche Zuneigung und Abneigung oft so böse Laune, daß ich, jemehr ich mir in den Proben Mühe gegeben hatte, desto weniger Lust fühlte, der Aufführung selbst bey zu wohnen. Nun aber, da mich eine Stimme von außen her aufregt und bestätigt, so werde ich wieder eine Weile auf meinem Wege strecklings fortgehen und mich der Resultate vielleicht selbst erfreuen.
Die gute Aufnahme meiner Stücke hat mir eine besonders angenehme Empfindung gemacht. Ich dachte wohl, daß sie auch einmal Epoche haben könnten, aber nach der Lage des deutschen Theaters glaubte ich's nicht zu erleben. Artig ist es, daß sogar das kleine Schäferspiel, das ich 1768 in Leipzig schrieb, auch noch auftauchen mußte und gut empfangen ward.[236]
Nochmals vielen Dank, den ich gerne mündlich abgestattet hätte, wenn ich nicht, da mir die Brunnenkur ganz wohl bekommen ist, mich vor einer allzuraschen Geselligkeit gefürchtet hätte. Jetzt will ich sehen, ob ich meine stille Nachkur auch zu Ihrem und Ihrer Mitbürger künftigen Vergnügen benutzen kann. Leben Sie recht wohl, und wenn es möglich ist, so besuchen Sie uns diesen Winter.
Weimar
d. 21. Sept. 1807.
Goethe
[233] Mad. Wolf sprach einen Epilog von Mahlmann. Vgl. 295.
[234] Am 5. Juli wurde Mehuls „Je toller je besser“ gegeben und zum Schluß ein „Lebewohl“ gesungen. Dann ging die Gesellschaft nach Lauchstädt und eröffnete am 4. August wieder ihre Vorstellungen in Leipzig, welche am 29. August beschlossen wurden.
[235] Eine Kritik in Goethes Sinne wurde in der Bibliothek der redenden und bildenden Künste III. und IV. ausgesprochen. Die „niederträchtige, detractive Opposition,“ welche früher von Berlin aus erfahren zu haben Goethe sich beschwert (Briefw. m. Zelter I. S. 281) machte sich in einer kleinen Schrift Luft: „Saat von Goethe gesäet dem Tage der Garben zu reifen. Ein Handbuch für Ästhetiker und junge Schauspieler.“ Weimar und Leipzig 1808. Man vergleiche damit, wie Goethe und Schiller über die frühere Leipziger Gesellschaft urtheilen, Briefw. mit Schiller V. S. 273 f., mit Körner IV. S. 232 f.