LIV.

Lassen Sie uns noch immer einige Briefe wechseln! Denn das ist ja der Vortheil einer, nach langen Jahren erneuten, persönlichen Gegenwart, daß, aus der wechselseitigen Erkennntniß der eben obwaltenden besondern Zustände, ein neuer Antheil hervortritt, weil der Geist nunmehr erfährt wohin er seine Richtung nehmen soll, und das Gemüth sicher ist eine reine Theilnahme werde günstig aufgenommen werden.

In diesem Sinne empfind ich dankbar: daß Sie mir die Stellen bezeichnen wollen welche Sie in den neuen Wanderjahren Sich angeeignet. Eine Arbeit wie diese, die sich selbst als collectiv ankündiget, indem sie gewissermaßen nur zum Verband der disparatesten Einzelnheiten unternommen zu seyn scheint, erlaubt, ja fordert mehr als eine andere daß jeder sich zueigne was ihm gemäß ist, was in seiner Lage zur Beherzigung aufrief, und sich harmonisch wohlthätig erweisen mochte.

Wenn ich daher die von Ihnen, mein Theuerster, angedeuteten Stellen wieder aufschlug, war es eine angenehme Unterhaltung mit einem abwesenden Freunde, wo ich, in Spiegelung und Wiederschein, gleiche Gesinnung, gleiches Bestreben, zu eigner Bestärkung gewahrte. Denn das darf ich wohl sagen: was ich in meinen Schriften niedergelegt habe ist für mich kein Vergangenes, sondern ich seh es, wenn es mir wieder vor Augen kommt, als ein Fortwirkendes an, und die Probleme die hie und da unaufgelöst liegen, beschäftigen mich immerfort, in der Hoffnung daß, im Reiche der Natur und Sitten, dem treuen Forscher noch gar manches kann offenbar werden.

Daß Sie die Weimarischen Zustände, und darin auch das Nächste was sich auf mich bezieht, konnten gewahr werden, und zwar mit Ihrer so rein-sinnigen als lebhaft-ergreifenden Beobachtungsgabe, ist, ganz ohne Frage, ein vielfaches Eingreifen in die Glieder einer, sonderbar genug verschränkten socialen Kette. Erhalten Sie sich und uns das dabey gewonnene werthe Verhältniß. Alle die sich gleichzeitig heranbildeten haben Ursache sich zusammen- und ihren Kreis gewissermaßen geschloßen zu halten; die Nachkommenden wollen vieleicht was besseres, gewiß aber etwas anderes.

Im Garten am Park
Weimar d. 28. Jul.
1829.

In treuem Verharren,
J W Goethe

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