Zweiter Auftritt.

Iphigenie. Arkas.

  Arkas.

  Der König sendet mich hierher und beut

  Der Priesterin Dianens Gruß und Heil.

  Dieß ist der Tag, da Tauris seiner Göttin

  Für wunderbare neue Siege dankt.

  Ich eile vor dem König und dem Heer,

  Zu melden, daß er kommt und daß es naht.

  Iphigenie.

  Wir sind bereit sie würdig zu empfangen,

  Und unsre Göttin sieht willkommnem Opfer

  Von Thoas Hand mit Gnadenblick entgegen.

  Arkas.

  O fänd' ich auch den Blick der Priesterin,

  Der werthen, vielgeehrten, deinen Blick,

  O, heil'ge Jungfrau, heller, leuchtender,

  Uns allen gutes Zeichen! Noch bedeckt

  Der Gram geheimnisvoll dein Innerstes;

  Vergebens harren wir schon Jahre lang

  Auf ein vertraulich Wort aus deiner Brust.

  So lang ich dich an dieser Stätte kenne,

  Ist dieß der Blick, vor dem ich immer schaudre;

  Und wie mit Eisenbanden bleibt die Seele

  In's Innerste des Busens dir geschmiedet.

  Iphigenie.

  Wie's der Vertriebnen, der Verwais'ten ziemt.

  Arkas.

  Scheinst du dir hier vertrieben und verwais't?

  Iphigenie.

  Kann uns zum Vaterland die Fremde werden?

  Arkas.

  Und dir ist fremd das Vaterland geworden.

  Iphigenie.

  Das ist's, warum mein blutend Herz nicht heilt

  In erster Jugend, da sich kaum die Seele

  An Vater, Mutter und Geschwister band;

  Die neuen Schößlinge, gesellt und lieblich,

  Vom Fuß der alten Stämme himmelwärts

  Zu dringen strebten; leider faßte da

  Ein fremder Fluch mich an und trennte mich

  Von den Geliebten, riß das schöne Band

  Mit ehrner Faust entzwei. Sie war dahin,

  Der Jugend beste Freude, das Gedeihn

  Der ersten Jahre. Selbst gerettet, war

  Ich nur ein Schatten mir, und frische Lust

  Des Lebens blüht in mir nicht wieder auf.

  Arkas.

  Wenn du dich so unglücklich nennen willst,

  So darf ich dich auch wohl undankbar nennen.

  Iphigenie.

  Dank habt ihr stets.

  Arkas.

                       Doch nicht den reinen Dank,

  Um dessentwillen man die Wohlthat thut;

  Den frohen Blick, der ein zufriednes Leben

  Und ein geneigtes Herz dem Wirthe zeigt.

  Als dich ein tief geheimnißvolles Schicksal

  Vor so viel Jahren diesem Tempel brachte,

  Kam Thoas dir, als einer Gottgegebnen,

  Mit Ehrfurcht und mit Neigung zu begegnen,

  Und dieses Ufer ward dir hold und freundlich,

  Das jedem Fremden sonst voll Grausens war,

  Weil niemand unser Reich vor dir betrat,

  Der an Dianens heil'gen Stufen nicht,

  Nach altem Brauch, ein blutig Opfer, fiel.

  Iphigenie.

  Frei athmen macht das Leben nicht allein.

  Welch Leben ist's das an der heil'gen Stätte,

  Gleich einem Schatten um sein eigen Grab,

  Ich nur vertrauern muß? Und nenn' ich das

  Ein fröhlich selbstbewußtes Leben, wenn

  Uns jeder Tag, vergebens hingeträumt,

  Zu jenen grauen Tagen vorbereitet,

  Die an dem Ufer Lethe's selbstvergessend,

  Die Trauerschaar der Abgeschiednen feiert?

  Ein unnütz Leben ist ein früher Tod;

  Dieß Frauenschicksal ist vor allen meines.

  Arkas.

  Den edeln Stolz daß du dir selbst nicht g'nügest,

  Verzeih' ich dir, so sehr ich dich bedaure;

  Er raubet den Genuß des Lebens dir.

  Du hast hier nichts gethan seit deiner Ankunft?

  Wer hat des König trüben Sinn erheitert?

  Wer hat den alten grausamen Gebrauch,

  Daß am Altar Dianens jeder Fremde

  Sein Leben blutend läßt, von Jahr zu Jahr,

  Mit sanfter Überredung aufgehalten,

  Und die Gefangnen vom gewissen Tod

  In's Vaterland so oft zurückgeschickt?

  Hat nicht Diane, statt erzürnt zu sein,

  Daß sie der blut'gen alten Opfer mangelt,

  Dein sanft Gebet in reichem Maß erhört?

  Umschwebt mit frohem Fluge nicht der Sieg

  Das Heer? und eilt er nicht sogar voraus?

  Und fühlt nicht jeglicher ein besser Loos,

  Seitdem der König, der uns weis' und tapfer

  So lang geführet, nun sich auch der Milde

  In deiner Gegenwart erfreut und uns

  Des schweigenden Gehorsams Pflicht erleichtert?

  Das nennst du unnütz, wenn von deinem Wesen

  Auf Tausende herab ein Balsam träufelt?

  Wenn du dem Volke, dem ein Gott dich brachte,

  Des neuen Glückes ew'ge Quelle wirst,

  Und an dem unwirthbaren Todes-Ufer

  Dem Fremden Heil und Rückkehr zubereitest?

  Iphigenie.

  Das Wenige verschwindet leicht dem Blick,

  Der vorwärts sieht, wie viel noch übrig bleibt.

  Arkas.

  Doch lobst du den, der was er thut nicht schätzt?

  Iphigenie.

  Man tadelt den, der seine Thaten wägt.

  Arkas.

  Auch den, der wahren Werth zu stolz nicht achtet,

  Wie den, der falschen Werth zu eitel hebt.

  Glaub' mir und hör' auf eines Mannes Wort,

  Der Treu und redlich dir ergeben ist:

  Wenn heut der König mit dir redet, so

  Erleichtr' ihm was er dir zu sagen denkt.

  Iphigenie.

  Du ängstest mich mit jedem guten Worte;

  Oft wich ich seinem Antrag mühsam aus.

  Arkas.

  Bedenke was du thust und was dir nützt.

  Seitdem der König seinen Sohn verloren,

  Vertraut er wenigen der Seinen mehr,

  Und diesen wenigen nicht mehr wie sonst.

  Mißgünstig sieht er jedes Edeln Sohn

  Als seines Reiches Folger an, er fürchtet

  Ein einsam hülflos Alter, ja vielleicht

  Verwegnen Aufstand und frühzeit'gen Tod.

  Der Scythe setzt in's Reden keinen Vorzug,

  Am wenigsten der König. Er, der nur

  Gewohnt ist zu befehlen und zu thun,

  Kennt nicht die Kunst, von weitem ein Gespräch

  Nach seiner Absicht langsam fein zu lenken.

  Erschwer's ihm nicht durch ein rückhaltend Weigern,

  Durch ein vorsetzlich Mißverstehen. Geh

  Gefällig ihm den halben Weg entgegen.

  Iphigenie.

  Soll ich beschleunigen was mich bedroht?

  Arkas.

  Willst du sein Werben eine Drohung nennen?

  Iphigenie.

  Es ist die schrecklichste von allen mir.

  Arkas.

  Gib ihm für seine Neigung nur Vertraun.

  Iphigenie.

  Wenn er von Furcht erst meine Seele lös't.

  Arkas.

  Warum verschweigst du deine Herkunft ihm?

  Iphigenie.

  Weil einer Priesterin Geheimniß ziemt.

  Arkas.

  Dem König sollte nichts Geheimniß sein;

  Und ob er's gleich nicht fordert, fühlt er's doch

  Und fühlt es tief in seiner großen Seele,

  Daß du sorgfältig dich vor ihm verwahrst.

  Iphigenie.

  Nährt er Verdruß und Unmuth gegen mich?

  Arkas.

  So scheint es fast. Zwar schweigt er auch von dir;

  Doch haben hingeworfne Worte mich

  Belehrt, daß seine Seele fest den Wunsch

  Ergriffen hat dich zu besitzen. Laß,

  O überlaß ihn nicht sich selbst! damit

  In seinem Busen nicht der Unmuth reife

  Und dir Entsetzen bringe, du zu spät

  An meinen treuen Rath mit Reue denkest.

  Iphigenie.

  Wie? Sinnt der König, was kein edler Mann,

  Der seinen Namen liebt und dem Verehrung

  Der Himmlischen den Busen Bändiget,

  Je denken sollte? Sinnt er vom Altar

  Mich in sein Bette mit Gewalt zu ziehn?

  So ruf' ich alle Götter und vor allen

  Dianen, die entschloss'ne Göttin, an,

  Die ihren Schutz der Priesterin gewiß

  Und Jungfrau einer Jungfrau gern gewährt.

  Arkas.

  Sei ruhig! Ein gewaltsam neues Blut

  Treibt nicht den König, solche Jünglingsthat

  Verwegen auszuüben. Wie er sinnt,

  Befürcht' ich andern harten Schluß von ihm,

  Den unaufhaltbar er vollenden wird:

  Denn seine Seel' ist fest und unbeweglich.

  Drum bitt' ich dich, vertrau' ihm, sei ihm dankbar,

  Wenn du ihm weiter nichts gewähren kannst.

  Iphigenie.

  O sage was dir weiter noch bekannt ist.

  Arkas.

  Erfahr's von ihm. Ich seh' den König kommen;

  Du ehrst ihn, und dich heißt dein eigen Herz,

  Ihm freundlich und vertraulich zu begegnen.

  Ein edler Mann wird durch ein gutes Wort

  Der Frauen weit geführt.

  Iphigenie (allein).

                           Zwar seh' ich nicht,

  Wie ich dem Rath des Treuen folgen soll;

  Doch folg' ich gern der Pflicht, dem Könige

  Für seine Wohlthat gutes Wort zu geben,

  Und wünsche mir, daß ich dem Mächtigen,

  Was ihm gefällt, mit Wahrheit sagen möge.

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