Albano, den 5. Oktober 1787.

Ich will sehen, daß ich diesen Brief noch zur morgenden Post nach Rom schaffe, daß ich auf diesem Blatt nur den tausendsten Teil sage von dem, was ich zu sagen habe.

Eure Blätter hab' ich zu gleicher Zeit mit den "Zerstreuten", besser "gesammelten Blättern", den "Ideen" und den vier Saffianbänden erhalten, gestern, als ich im Begriff war, von Frascati abzufahren. Es ist mir nun ein Schatz auf die ganze Villeggiatur.

"Persepolis" habe ich gestern nacht gelesen. Es freut mich unendlich, und ich kann nichts dazusetzen, indem jene Art und Kunst nicht herübergekommen ist. Ich will nun die angeführten Bücher auf irgendeiner Bibliothek sehen und euch aufs neue danken. Fahret fort, ich bitte euch, oder fahret fort, weil ihr müßt, beleuchtet alles mit eurem Lichte!

Die "Ideen", die Gedichte sind noch nicht berührt. Meine Schriften mögen nun gehen, ich will treulich fortfahren. Die vier Kupfer zu den letzten Bänden sollen hier werden.

Mit den Genannten war unser Verhältnis nur ein gutmütiger Waffenstillstand von beiden Seiten, ich habe das wohl gewußt, nur was werden kann, kann werden. Es wird immer weitere Entfernung und endlich, wenn's recht gut geht, leise, lose Trennung werden. Der eine ist ein Narr, der voller Einfaltsprätensionen steckt. "Meine Mutter hat Gänse" singt sich mit bequemerer Naivetät als ein: "Allein Gott in der Höh' sei Ehr." Er ist einmal auch ein—: "Sie lassen sich das Heu und Stroh, das Heu und Stroh nicht irren" etc. etc. Bleibt von diesem Volke! der erste Undank ist besser als der letzte. Der andere denkt, er komme aus einem fremden Lande zu den Seinigen, und er kommt zu Menschen, die sich selbst suchen, ohne es gestehn zu wollen. Er wird sich fremd finden und vielleicht nicht wissen warum. Ich müßte mich sehr irren, oder die Großmut des Alcibiades ist ein Taschenspielerstreich des Züricher Propheten, der klug genug und gewandt genug ist, große und kleine Kugeln mit unglaublicher Behendigkeit einander zu substituieren, durcheinander zu mischen, um das Wahre und Falsche nach seinem theologischen Dichtergemüt gelten und verschwinden zu machen. Hole oder erhalte ihn der Teufel, der ein Freund der Lügen, Dämonologie, Ahnungen, Sehnsuchten etc. Ist von Anfang!

Und ich muß ein neues Blatt nehmen und bitten, daß ihr lest, wie ich schreibe, mit dem Geiste mehr als den Augen, wie ich mit der Seele mehr als den Händen.

Fahre du fort, lieber Bruder, zu finden, zu vereinigen, zu dichten, zu schreiben, ohne dich um andre zu bekümmern. Man muß schreiben, wie man lebt, erst um sein selbst willen, und dann existiert man auch für verwandte Wesen.

Plato wollte keinen agewmetrhton in seiner Schule leiden; wäre ich imstande, eine zu machen, ich litte keinen, der sich nicht irgendein Naturstudium ernst und eigentlich gewählt. Neulich fand ich in einer leidig apostolisch-kapuzinermäßigen Deklamation des Zürcher Propheten die unsinnigen Worte: "Alles, was Leben hat, lebt durch etwas außer sich." Oder so ungefähr klang's. Das kann nun so ein Heidenbekehrer hinschreiben, und bei der Revision zupft ihn der Genius nicht beim ärmel. Nicht die ersten, simpelsten Naturwahrheiten haben sie gefaßt und möchten doch gar zu gern auf den Stühlen um den Thron sitzen, wo andre Leute hingehören oder keiner hingehört. Laßt das alles gut sein, wie ich auch tue, der ich es freilich jetzt leichter habe!

Ich möchte von meinem Leben keine Beschreibung machen, es sieht gar zu lustig aus. Vor allem beschäftigt mich das Landschaftszeichnen, wozu dieser Himmel und diese Erde vorzüglich einlädt. Sogar hab' ich einige Idyllen gefunden. Was werd' ich nicht noch alles machen! Das seh' ich wohl, unsereiner muß nur immer neue Gegenstände um sich haben, dann ist er geborgen.

Lebt wohl und vergnügt, und wenn es euch weh werden will, so fühlt nur recht, daß ihr beisammen seid und was ihr einander seid, indes ich, durch eignen Willen exiliert, mit Vorsatz irrend, zweckmäßig unklug, überall fremd und überall zu Hause, mein Leben mehr laufen lasse als führe und auf alle Fälle nicht weiß, wo es hinaus will.

Lebt wohl, empfehlt mich der Frau Herzogin. Ich habe mit Rat Reiffenstein in Frascati ihren ganzen Aufenthalt projektiert. Wenn alles gelingt, so ist's ein Meisterstück. Wir sind jetzt in Negotiation wegen einer Villa begriffen, welche gewissermaßen sequestriert ist und also vermietet wird, anstatt daß die andern entweder besetzt sind oder von den großen Familien nur aus Gefälligkeit abgetreten würden, dagegen man in Obligationen und Relationen gerät. Ich schreibe, sobald nur etwas Gewisseres zu sagen ist. In Rom ist auch ein schönes freiliegendes Quartier mit einem Garten für sie bereit. Und so wünscht' ich, daß sie sich überall zu Hause fände, denn sonst genießt sie nichts; die Zeit verstreicht, das Geld ist ausgegeben, und man sieht sich um wie nach einem Vogel, der einem aus der Hand entwischt ist. Wenn ich ihr alles einrichten kann, daß ihr Fuß an keinen Stein stoße, so will ich es tun.

Nun kann ich nicht weiter, wenngleich noch Raum da ist. Lebt wohl und verzeiht die Eilfertigkeit dieser Zeilen.

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