Den 11. Oktober.

Ohne die Nacht geschlafen zu haben, waren wir früh um 3 Uhr eben im Begriff, unsern gegen das Hoftor gerichteten Wagen zu besteigen, als wir ein unüberwindliches Hindernis gewahr wurden; denn es zog schon eine ununterbrochene Kolonne Krankenwagen zischen den zur Seite aufgehäuften Pflastersteinen durch die zum Sumpf gefahrene Stadt. Als wir nun so standen, abzuwarten, was erreicht werden könnte, drängte sich unser Wirt, der Ludwigsritter, ohne zu grüßen, an uns vorbei. Unsere Verwunderung über sein frühes und unfreundliches Erscheinen ward aber bald in Mitleid verkehrt; denn sein Bedienter, hinter ihm drein, trug ein Bündelchen auf dem Stock, und so ward es nur allzu deutlich, dass er, nachdem er vier Wochen vorher Haus und Hof wieder gesehen hatte, es nun abermals, wie wir unsere Eroberungen, verlassen musste.

Sodann ward aber meine Aufmerksamkeit auf die bessern Pferde vor meiner Chaise gelenkt; da gestand denn die liebe Dienerschaft, dass sie die bisherigen schwachen, unbrauchbaren gegen Zucker und Kaffee vertauscht, sogleich aber in Requisition anderer glücklich gewesen sei. Die Tätigkeit des gewandten Liseurs war hierbei nicht zu verkennen; auch durch ihn kamen wir diesmal vom Fleck: denn er sprengte in eine Lücke der Wagenreihe und hielt das folgende Gespann so lange zurück, bis wir sechs- und vierspännig eingeschaltet waren; da ich mich denn frischer Luft in meinem leichten Wägelchen abermals erfreuen konnte.

Nun bewegten wir uns mit Leichenschritt, aber bewegten uns doch; der Tag brach an, wir befanden uns vor der Stadt in dem größtmöglichen Gewirr und Gewimmel. Alle Arten von Wagen, wenig Reiter, unzählige Fußgänger durchkreuzten sich auf dem großen Platz vor dem Tor. Wir zogen mit unserer Kolonne rechts gegen Etain, auf einem beschränkten Fahrweg mit Gräben zu beiden Seiten. Die Selbsterhaltung in einem so ungeheuren Drange kannte schon kein Mitleiden, keine Rücksicht mehr: nicht weit vor uns fiel ein Pferd vor einem Rüstwagen, man schnitt die Stränge entzwei und ließ es liegen. Als nun aber die drei übrigen die Last nicht weiterbringen konnten, schnitt man auch sie los, warf das schwer bepackte Fuhrwerk in den Graben, und mit dem geringsten Aufenthalt fuhren wir weiter und zugleich über das Pferd weg, das sich eben erholen wollte, und ich sah ganz deutlich, wie dessen Gebeine unter den Rädern knirschten und schlotterten.

Reiter und Fußgänger suchten sich von der schmalen, unwegsamen Fahrstraße auf die Wiesen zu retten; aber auch diese waren zugrunde geregnet, von ausgetretenen Gräben überschwemmt, die Verbindung der Fußpfade überall unterbrochen. Vier ansehnliche, schöne, sauber gekleidete französische Soldaten wateten eine Zeitlang neben unseren wagen her, durchaus nett und reinlich, und wussten so gut hin und her zu treten, dass ihr Fußwerk nur bis an die Knorren von der schmutzigen Wallfahrt zeugte, welche die guten Leute bestanden.

Dass man unter solchen Umständen in Gräben, auf Wiesen, Feldern und
Angern tote Pferde genug erblickte, war natürliche Folge des
Zustands; bald aber fand man sie auch abgedeckt, die fleischigen
Teile sogar ausgeschnitten — trauriges Zeichen des allgemeinen
Mangels!

So zogen wir fort, jeden Augenblick in Gefahr, bei der geringsten eigenen Stockung selbst über Bord geworfen zu werden; unter welchen Umständen freilich die Sorgfalt unseres Geleitsmanns nicht genug zu rühmen und zu preisen war. Dieselbe betätigte sich denn auch zu Etain, wo wir gegen Mittag anlangten und in dem schönen, wohl gebauten Städtchen durch Straßen und auf Plätzen ein Sinn verwirrendes Gewimmel um und neben uns erblickten: die Masse wogte hin und her, und indem alles vorwärts drang, ward jeder dem anderen hinderlich. Unvermutet ließ unser Führer die Wagen vor einem wohl gebauten Haus des Marktes halten; wir traten ein, Hausherr und Frau begrüßten uns in ehrerbietiger Entfernung.

Man führte uns in ein getäfeltes Zimmer auf gleicher Erde, wo im schwarz-marmornen Kamin behagliches Feuer brannte. In dem großen Spiegel darüber beschauten wir uns ungern: denn ich hatte noch immer nicht die Entschließung gefasst, meine langen Haare kurz schneiden zu lassen, die jetzt wie ein verworrener Hanfrocken umher quollen; der Bart, strauchig, vermehrte das wilde Ansehen unserer Gegenwart.

Nun aber konnten wir, aus den niedrigen Fenstern den ganzen Markt überschauend, unmittelbar das grenzenlose Getümmel beinahe mit Händen greifen. Aller Art Fußgänger, Uniformierte, Marode, gesunde aber trauernde Bürgerliche, Weiber und Kinder drängten und quetschten sich zwischen Fuhrwerk aller Gestalt; Rüst- und Leiterwagen, Ein- und Mehrspänner; hunderterlei eigenes und requiriertes Gepferde, weichend, anstoßend, hinderte sich rechts und links. Auch Hornvieh zog damit weg, wahrscheinlich geforderte, weggenommene Herden. Reiter sah man wenig; auffallend aber waren die eleganten Wagen der Emigrierten, vielfarbig lackiert, vergoldet und versilbert, die ich wohl schon in Grevenmachern mochte bewundert haben. Die größte Not entstand aber da, wo die den Markt füllende Menge in eine zwar gerade und wohl gebaute, doch verhältnismäßig viel zu enge Straße ihren Weg einschlagen sollte. Ich habe in meinem Leben nichts Ähnliches gesehen; vergleichen aber ließ sich der Anblick mit einem erst über Wiesen und Anger ausgetretenen Strom, der sich nun wieder durch enge Brückenbogen durchdrängen und im beschränkten Bett weiter fließen soll.

Die lange, aus unsern Fenstern übersehbare Straße hinab schwoll unaufhaltsam die seltsamste Woge; ein hoher zweisitziger Reisewagen ragte über der Flut empor. Er ließ uns an die schönen Französinnen denken; sie waren es aber nicht, sondern Graf Haugwitz, den ich mit einiger Schadenfreude Schritt vor Schritt dahinwackeln sah.

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