Dritter Auftritt

Die Vorigen. Tasso.

Tasso (mit einem Buche, in Pergament geheftet).
Ich komme langsam, dir ein Werk zu bringen,
Und zaudre noch, es dir zu überreichen.
Ich weiß zu wohl, noch bleibt es unvollendet,
Wenn es auch gleich geendigt scheinen möchte.
Allein, war ich besorgt, es unvollkommen
Dir hinzugeben, so bezwingt mich nun
Die neue Sorge: Möcht' ich doch nicht gern
Zu ängstlich, möcht' ich nicht undankbar scheinen.
Und wie der Mensch nur sagen kann: Hie bin ich!
Dass Freunde seiner schonend sich erfreuen,
So kann ich auch nur sagen: Nimm es hin!

(Er übergibt den Band.)

Alphons.
Du überraschest mich mit deiner Gabe
Und machst mir diesen schönen Tag zum Fest.
So halt' ich's endlich denn in meinen Händen,
Und nenn' es in gewissem Sinne mein!
Lang' wünscht' ich schon, du möchtest dich entschließen
Und endlich sagen: Hier! Es ist genug.

Tasso.
Wenn Ihr zufrieden seid, so ist's vollkommen;
Denn euch gehört es zu in jedem Sinn.
Betrachtet' ich den Fleiß, den ich verwendet,
Sah ich die Züge meiner Feder an,
So konnt' ich sagen: Dieses Werk ist mein.
Doch seh' ich näher an, was dieser Dichtung
Den innren Wert und ihre Würde gibt,
Erkenn' ich wohl: Ich hab' es nur von euch.
Wenn die Natur der Dichtung holde Gabe
Aus reicher Willkür freundlich mir geschenkt,
So hatte mich das eigensinn'ge Glück
Mit grimmiger Gewalt von sich gestoßen;
Und zog die schöne Welt den Blick des Knaben
Mit ihrer ganzen Fülle herrlich an,
So trübte bald den jugendlichen Sinn
Der teuren Eltern unverdiente Not.
Eröffnete die Lippe sich zu singen,
So floss ein traurig Lied von ihr herab,
Und ich begleitete mit leisen Tönen
Des Vaters Schmerzen und der Mutter Qual.
Du warst allein, der aus dem engen Leben
Zu einer schönen Freiheit mich erhob;
Der jede Sorge mir vom Haupte nahm,
Mir Freiheit gab, dass meine Seele sich
Zu mutigem Gesang entfalten konnte;
Und welchen Preis nun auch mein Werk erhält,
Euch dank' ich ihn; denn euch gehört es zu.

Alphons.
Zum zweiten Mal verdienst du jedes Lob,
Und ehrst bescheiden dich und uns zugleich.

Tasso.
O könnt' ich sagen wie ich lebhaft fühle,
Dass ich von Euch nur habe, was ich bringe!
Der tatenlose Jüngling—nahm er wohl
Die Dichtung aus sich selbst? Die kluge Leitung
Des raschen Krieges—hat er die ersonnen?
Die Kunst der Waffen, die ein jeder Held
An dem beschiednen Tage kräftig zeigt,
Des Feldherrn Klugheit und der Ritter Mut,
Und wie sich List und Wachsamkeit bekämpft,
Hast du mir nicht, o kluger, tapfrer Fürst,
Das alles eingeflößt als wärest du
Mein Genius, der eine Freude fände,
Sein hohes, unerreichbar hohes Wesen
Durch einen Sterblichen zu offenbaren?

Prinzessin.
Genieße nun des Werks, das uns erfreut!

Alphons.
Erfreue dich des Beifalls jedes Guten!

Leonore.
Des allgemeinen Ruhms erfreue dich!

Tasso.
Mir ist an diesem Augenblick genug.
An euch nur dacht' ich wenn ich sann und schrieb;
Euch zu gefallen, war mein höchster Wunsch,
Euch zu ergötzen, war mein letzter Zweck.
Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht,
Verdient nicht, dass die Welt von ihm erfahre.
Hier ist mein Vaterland, hier ist der Kreis,
In dem sich meine Seele gern verweilt.
Hier horch' ich auf, hier acht' ich jeden Wink,
Hier spricht Erfahrung, Wissenschaft, Geschmack;
Ja, Welt und Nachwelt seh' ich vor mir stehn.
Die Menge macht den Künstler irr' und scheu:
Nur wer Euch ähnlich ist, versteht und fühlt,
Nur der allein soll richten und belohnen!

Alphons.
Und stellen wir denn Welt und Nachwelt vor,
So ziemt es nicht nur müßig zu empfangen.
Das schöne Zeichen, das den Dichter ehrt,
Das selbst der Held, der seiner stets bedarf,
Ihm ohne Neid ums Haupt gewunden sieht,
Erblick' ich hier auf deines Anherrn Stirne.

(Auf die Herme Virgils deutend.)

Hat es der Zufall, hat's ein Genius
Geflochten und gebracht? Es zeigt sich hier
Uns nicht umsonst. Virgil hör' ich sagen:
Was ehret ihr die Toten? Hatten die
Doch ihren Lohn und Freude da sie lebten;
Und wenn ihr uns bewundert und verehrt,
So gebt auch den Lebendigen ihr Teil.
Mein Marmorbild ist schon bekränzt genug—
Der grüne Zweig gehört dem Leben an.

(Alphons winkt seiner Schwester; sie nimmt den Kranz von der Büste
Virgils und nähert sich Tasso. Er tritt zurück.)

Leonore.
Du weigerst dich? Sieh welche Hand den Kranz,
Den schönen unverwelklichen, dir bietet!

Tasso.
O lasst mich zögern! Seh' ich doch nicht ein,
Wie ich nach dieser Stunde leben soll.

Alphons.
In dem Genuss des herrlichen Besitzes,
Der dich im ersten Augenblick erschreckt.

Prinzessin (indem sie den Kranz in die Höhe hält).
Du gönnest mir die seltne Freude, Tasso,
Dir ohne Wort zu sagen, wie ich denke.

Tasso.
Die schöne Last aus deinen teuren Händen
Empfang' ich kniend auf mein schwaches Haupt.

(Er kniet nieder, die Prinzessin setzt ihm den Kranz auf.)

Leonore (applaudierend).
Es lebe der zum ersten Mal bekränzte!
Wie zieret den bescheidnen Mann der Kranz!

(Tasso steht auf.)

Alphons.
Es ist ein Vorbild nur von jener Krone,
Die auf dem Kapitol dich zieren soll.

Prinzessin.
Dort werden lautere Stimmen dich begrüßen;
Mit leiser Lippe lohnt die Freundschaft hier.

Tasso.
O nehmt ihn weg von meinem Haupte wieder,
Nehmt ihn hinweg! Er sengt mir meine Locken,
Und wie ein Strahl der Sonne, der zu heiß
Das Haupt mir träfe, brennt er mir die Kraft
Des Denkens aus der Stirne. Fieberhitze
Bewegt mein Blut. Verzeiht! Es ist zu viel!

Leonore.
Es schützet dieser Zweig vielmehr das Haupt
Des Manns, der in den heißen Regionen
Des Ruhms zu wandeln hat, und kühlt die Stirne.

Tasso.
Ich bin nicht wert, die Kühlung zu empfinden,
Die nur um Heldenstirnen wehen soll.
O hebt ihn auf, ihr Götter, und verklärt
Ihn zwischen Wolken, dass er hoch und höher
Und unerreichbar schwebe! Dass mein Leben
Nach diesem Ziel ein ewig Wandeln sei!

Alphons.
Wer früh erwirbt, lernt früh den hohen Wert
Der holden Güter dieses Lebens schätzen;
Wer früh genießt, entbehrt in seinem Leben
Mit Willen nicht, was er einmal besaß;
Und wer besitzt, der, muss gerüstet sein.

Tasso.
Und wer sich rüsten will, muss eine Kraft
Im Busen fühlen, die ihm nie versagt.
Ach! Sie versagt mir eben jetzt! Im Glück
Verlässt sie mich, die angeborne Kraft,
Die standhaft mich dem Unglück, stolz dem Unrecht
Begegnen lehrte. Hat die Freude mir,
Hat das Entzücken dieses Augenblicks
Das Mark in meinen Gliedern aufgelöst?
Es sinken meine Knie! Noch einmal
Siehst du, o Fürstin, mich gebeugt vor dir!
Erhöre meine Bitte: Nimm ihn weg!
Dass, wie aus einem schönen Traum erwacht,
Ich ein erquicktes neues Leben fühle.

Prinzessin.
Wenn du bescheiden ruhig das Talent,
Das dir die Götter gaben, tragen kannst,
So lern' auch diese Zweige tragen, die
Das Schönste sind, was wir dir geben können.
Wem einmal, würdig, sie das Haupt berührt,
Dem schweben sie auf ewig um die Stirne.

Tasso.
So lasst mich denn beschämt von hinnen gehn!
Lasst mich mein Glück im tiefen Hain verbergen,
Wie ich sonst meine Schmerzen dort verbarg.
Dort will ich einsam wandeln, dort erinnert
Kein Auge mich ans unverdiente Glück.
Und zeigt mir ungefähr ein klarer Brunnen
In seinem reinen Spiegel einen Mann,
Der wunderbar bekränzt im Widerschein
Des Himmels zwischen Bäumen, zwischen Felsen
Nachdenkend ruht: So scheint es mir, ich sehe
Elysium auf dieser Zauberfläche
Gebildet. Still bedenk' ich mich und frage:
Wer mag der Abgeschiedne sein? Der Jüngling
Aus der vergangnen Zeit? So schön bekränzt?
Wer sagt mir seinen Namen? Sein Verdienst?
Ich warte lang' und denke: Käme doch
Ein andrer und noch einer, sich zu ihm
In freundlichem Gespräche zu gesellen!
O säh' ich die Heroen, die Poeten
Der alten Zeit um diesen Quell versammelt!
O säh' ich hier sie immer unzertrennlich,
Wie sie im Leben fest verbunden waren!
So bindet der Magnet durch seine Kraft
Das Eisen mit dem Eisen fest zusammen,
Wie gleiches Streben Held und Dichter bindet.
Homer vergaß sich selbst, sein ganzes Leben
War der Betrachtung zweier Männer heilig,
Und Alexander in Elysium
Eilt, den Achill und den Homer zu suchen.
O dass ich gegenwärtig wäre, sie,
Die größten Seelen, nun vereint zu sehen!

Leonore.
Erwach'! Erwache! Lass uns nicht empfinden,
Dass du das Gegenwärt'ge ganz verkennst.

Tasso.
Es ist die Gegenwart, die mich erhöht,
Abwesend schein' ich nur: Ich bin entzückt.

Prinzessin.
Ich freue mich, wenn du mit Geistern redest,
Dass du so menschlich sprichst, und hör' es gern.

(Ein Page tritt zu dem Fürsten und richtet leise etwas aus.)

Alphons.
Er ist gekommen! Recht zur guten Stunde.
Antonio!—Bring ihn her—Da kommt er schon!

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