Prinzessin. Tasso. Gegen das Ende des Auftritts die Übrigen.
Prinzessin.
Du denkst uns zu verlassen, oder bleibst
Vielmehr in Belriguardo noch zurück
Und willst dich dann von uns entfernen, Tasso?
Ich hoffe, nur auf eine kurze Zeit.
Du gehst nach Rom?
Tasso.
Ich richte meinen Weg
Zuerst dahin, und nehmen meine Freunde
Mich gütig auf, wie ich es hoffen darf,
So leg' ich da mit Sorgfalt und Geduld
Vielleicht die letzte Hand an mein Gedicht.
Ich finde viele Männer dort versammelt,
Die Meister aller Art sich nennen dürfen.
Und spricht in jener ersten Stadt der Welt
Nicht jeder Platz, nicht jeder Stein zu uns?
Wie viele tausend stumme Lehrer winken
In ernster Majestät uns freundlich an!
Vollend' ich da nicht mein Gedicht, so kann
Ich's nie vollenden. Leider, ach, schon fühl' ich,
Mir wird zu keinem Unternehmen Glück!
Verändern werd' ich es, vollenden nie.
Ich fühl', ich fühl' es wohl, die große Kunst,
Die jeden nährt, die den gesunden Geist
Stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde richten,
Vertreiben wird sie mich. Ich eile fort!
Nach Napel will ich bald!
Prinzessin.
Darfst du es wagen?
Noch ist der strenge Bann nicht aufgehoben,
Der dich zugleich mit deinem Vater traf.
Tasso.
Du warnest recht, ich hab' es schon bedacht.
Verkleidet geh' ich hin, den armen Rock
Des Pilgers oder Schäfers zieh' ich an.
Ich schleiche durch die Stadt, wo die Bewegung
Der Tausende den einen leicht verbirgt.
Ich eile nach dem Ufer, finde dort
Gleich einen Kahn mit willig guten Leuten,
Mit Bauern, die zum Markte kamen, nun
Nach Hause kehren, Leute von Sorrent;
Denn ich muss nach Sorrent hinübereilen.
Dort wohnet meine Schwester, die mit mir
Die Schmerzensfreude meiner Eltern war.
Im Schiffe bin ich still, und trete dann
Auch schweigend an das Land, ich gehe sacht
Den Pfad hinauf, und an dem Tore frag' ich:
Wo wohnt Cornelia? Zeigt mir es an!
Cornelia Sersale? Freundlich deutet
Mir eine Spinnerinn die Straße, sie
Bezeichnet mir das Haus. So steig' ich weiter.
Die Kinder laufen nebenher und schauen
Das wilde Haar, den düstern Fremdling an.
So komm' ich an die Schwelle. Offen steht
Die Türe schon, so tret' ich in das Haus—
Prinzessin.
Blick' auf, o Tasso, wenn es möglich ist,
Erkenne die Gefahr, in der du schwebst!
Ich schone dich; denn sonst würd' ich dir sagen:
Ist's edel so zu reden, wie du sprichst?
Ist's edel, nur allein an sich zu denken,
Als kränktest du der Freunde Herzen nicht?
Ist's dir verborgen wie mein Bruder denkt?
Wie beide Schwestern dich zu schätzen wissen?
Hast du es nicht empfunden und erkannt?
Ist alles denn in wenig Augenblicken
Verändert? Tasso! Wenn du scheiden willst,
So lass uns Schmerz und Sorge nicht zurück.
(Tasso wendet sich weg.)
Prinzessin.
Wie tröstlich ist es, einem Freunde, der
Auf eine kurze Zeit verreisen will,
Ein klein Geschenk zu geben, sei es nur
Ein neuer Mantel oder eine Waffe!
Dir kann man nichts mehr geben; denn du wirfst
Unwillig alles weg, was du besitzest.
Die Pilgermuschel und den schwarzen Kittel,
Den langen Stab erwählst du dir und gehst
Freiwillig arm dahin und nimmst uns weg,
Was du mit uns allein genießen konntest.
Tasso.
So willst du mich nicht ganz und gar verstoßen?
O süßes Wort, o schöner, teurer Trost!
Vertritt mich! Nimm in deinen Schutz mich auf!—
Lass mich in Belriguardo hier, versetze
Mich nach Consandoli, wohin du willst!
Es hat der Fürst so manches schöne Schloss,
So manchen Garten, der das ganze Jahr
Gewartet wird, und ihr betretet kaum
Ihn einen Tag, vielleicht nur eine Stunde.
Ja, wählet den entferntsten aus, den ihr
In ganzen Jahren nicht besuchen geht,
Und der vielleicht jetzt ohne Sorge liegt:
Dort schickt mich hin! Dort lasst mich euer sein!
Wie will ich deine Bäume pflegen! Die Zitronen
Im Herbst mit Brettern und mit Ziegeln decken,
Und mit verbundnem Rohre wohl verwahren!
Es sollen schöne Blumen in den Beeten
Die breiten Wurzeln schlagen; rein und zierlich
Soll jeder Gang und jedes Fleckchen sein.
Und lasst mir auch die Sorge des Palastes!
Ich will zur rechten Zeit die Fenster öffnen,
Dass Feuchtigkeit nicht den Gemälden schade;
Die schön mit Stuckatur verzierten Wände
Will ich mit einem leichten Wedel säubern;
Es soll das Estrich blank und reinlich glänzen;
Es soll kein Stein, kein Ziegel sich verrücken;
Es soll kein Gras aus einer Ritze keimen!
Prinzessin.
Ich finde keinen Rat in meinem Busen,
Und finde keinen Trost für dich und—uns.
Mein Auge blickt umher, ob nicht ein Gott
Uns Hilfe reichen möchte, möchte mir
Ein heilsam Kraut entdecken, einen Trank,
Der deinem Sinne Frieden brächte, Frieden uns.
Das treuste Wort, das von der Lippe fließt,
Das schönste Heilungsmittel wirkt nicht mehr.
Ich muss dich lassen, und verlassen kann
Mein Herz dich nicht.
Tasso.
Ihr Götter, ist sie's doch,
Die mit dir spricht und deiner sich erbarmt?
Und konntest du das edle Herz verkennen?
War's möglich, dass in ihrer Gegenwart
Der Kleinmut dich ergriff und dich bezwang?
Nein, nein, du bist's! Und nun, ich bin es auch.
O fahre fort und lass mich jeden Trost
Aus deinem Munde hören! Deinen Rat
Entzieh mir nicht! O sprich: Was soll ich tun,
Damit dein Bruder mir vergeben könne,
Damit du selbst mir gern vergeben mögest,
Damit ihr wieder zu den Euren mich
Mit Freuden zählen möget? Sag' mir an!
Prinzessin.
Gar wenig ist's, was wir von dir verlangen,
Und dennoch scheint es allzu viel zu sein.
Du sollst dich selbst uns freundlich überlassen.
Wir wollen nichts von dir, was du nicht bist,
Wenn du nur erst dir mit dir selbst gefällst.
Du machst uns Freude, wenn du Freude hast,
Und du betrübst uns nur, wenn du sie fliehst;
Und wenn du uns auch ungeduldig machst,
So ist es nur, dass wir dir helfen möchten,
Und, leider! Sehn, dass nicht zu helfen ist,
Wenn du nicht selbst des Freundes Hand ergreifst,
Die, sehnlich ausgereckt, dich nicht erreicht.
Tasso.
Du bist es selbst, wie du zum ersten Mal,
Ein heil'ger Engel, mir entgegen kamst!
Verzeih dem trüben Blick des Sterblichen,
Wenn er auf Augenblicke dich verkannt.
Er kennt dich wieder! Ganz eröffnet sich
Die Seele, nur dich ewig zu verehren.
Es füllt sich ganz das Herz von Zärtlichkeit—
Sie ist's, sie steht vor mir. Welch ein Gefühl!
Ist es Verirrung, was mich nach dir zieht?
Ist's Raserei? Ist's ein erhöhter Sinn,
Der erst die höchste, reinste Wahrheit fasst?
Ja, es ist das Gefühl, das mich allein
Auf dieser Erde glücklich machen kann,
Das mich allein so elend werden ließ,
Wenn ich ihm widerstand und aus dem Herzen
Es bannen wollte. Diese Leidenschaft
Gedacht' ich zu bekämpfen; stritt und stritt
Mit meinem tiefsten Sein, zerstörte frech
Mein eignes Selbst, dem du so ganz gehörst—
Prinzessin.
Wenn ich dich, Tasso, länger hören soll,
So mäßige die Glut, die mich erschreckt.
Tasso.
Beschränkt der Rand des Bechers einen Wein,
Der schäumend wallt und brausend überschwillt?
Mit jedem Wort' erhöhest du mein Glück,
Mit jedem Worte glänzt dein Auge heller.
Ich fühle mich im Innersten verändert,
Ich fühle mich von aller Not entladen,
Frei wie ein Gott, und alles dank' ich dir!
Unsägliche Gewalt, die mich beherrscht,
Entfließet deinen Lippen; ja, du machst
Mich ganz dir eigen. Nichts gehöret mir
Von meinem ganzen Ich mir künftig an.
Es trübt mein Auge sich in Glück und Licht,
Es schwankt mein Sinn. Mich hält der Fuß nicht mehr.
Unwiderstehlich ziehst du mich zu dir,
Und unaufhaltsam dringt mein Herz dir zu.
Du hast mich ganz auf ewig dir gewonnen,
So nimm denn auch mein ganzes Wesen hin!
(Er fällt ihr in die Arme und drückt sie fest an sich.)
Prinzessin (ihn von sich stoßend und hinweg eilend).
Hinweg!
Leonore (die sich schon eine Weile im Grunde sehen lassen, herbeieilend).
Was ist geschehen? Tasso! Tasso!
(Sie geht der Prinzessin nach.)
Tasso (im Begriff, ihnen zu folgen).
O Gott!
Alphons (der sich schon eine Zeitlang mit Antonio genähert).
Er kommt von Sinnen, halt ihn fest. (Ab.)