VI. Zion

Zion, willst du nimmer wieder

Die verbannten Kinder grüßen,

Sie, die letzten deiner Herde,

Die dich immer wieder grüßen?

Osten, Westen, Süden, Norden,

Alle Nähen, alle Weiten –

Horch, von allen fernsten Borden

Grüßt es dich:

Höre sie, Zion!

Höre auch mich!

Armer Gefangener ich,

Ich mit meinem Sehnen,

Hermonstau meine Tränen!

Hermonstau? – O wären sie’s nur,

Daß ihrer Tropfen Spur

Deine ewigen Höhen benetze!

Ich aber, ein Tier der Wüste,

Kann nur heulen ob deinem Falle;

Nur, wenn im Traume die Zukunft mich grüßte:

Heimwallende Scharen – zum Liedeshalle

Meine Schmerzen alle,

Zur jubelnden Harfe waren.

Um Bethel stöhnt mein Herz,

Um Peniël muß ich weinen,

Um Machanaïm und die reinen

Stätten alter Gottesschau!

Dort ließ der Herr sich finden

Und wohnte im lichten Flor,

Dort ließ dein Schöpfer münden

Deine Tore ins schimmernde Wolkentor

Hoch oben in ewiger Ferne:

Und war deine Fackel und Leuchte und Licht,

Und Sonne und Mond, sie leuchteten nicht,

Und ach, wie bleichten die Sterne!

Sein ewiger Geist ergoß sich dort

Auf herrliche Kinder der Wahl:

O könnte an jenem heiligen Ort

Auch meine Seele immerfort

Ergießen ihre Qual!

O Königshaus! O Gottesthron!

Wie darf ein Knecht und Knechtessohn

Auf Heldenthronen prahlen?

Könnte ich wandern über die Stellen,

Wo der Herr sich so herrlich gezeigt,

Wo er in Flammen sich, strahlenden, hellen,

Deinen Priestern und Sehern geneigt!

Flügel, wer gibt mir mächtige Flügel,

Daß ich mich schwänge zum Lande der Lust,

In eure Risse, ihr zackigen Hügel,

Trüge die Risse der leidenden Brust.

Oh, dann stürzte ich jubelnd nieder,

Meine Arme griffen das Land,

Streicheln würd’ ich die Steine, die kalten,

Schmeichelnd würd’ ich dich fassen und halten –

Du, der Heimat glühender Sand!

Wie erst, stünd’ ich dort an den Grüften,

Die mir künden der Väter Gruß,

Könnte durchwandern in Hebrons Lüften

Stolzeste Gräber mein zagender Fuß!

Oh, dann schritt’ ich durch deinen Garten,

Ginge waldüber nach Gilead,

An deinen Bergen und Felsenwarten

Staunt’ ich die durstige Seele mir satt.

Hor, Abarim, o ewige Wonnen!

Mose und Aaron, begrabene Sonnen,

Leuchten und Lehrer, wo finde ich euch?

Seelenlabe sind deine Lüfte,

O du hochgesegnetes Land,

Deine Ströme sind Honigdüfte,

Myrrhe spendet dein wirbelnder Sand.

Doch das süßeste Sehnen für immer

Bleibt bei deinen Hallen stehn,

Zion, über deine Trümmer

Möchte ich nackt und barfuß gehn:

Sehen, wo die heilige Lade

Am geheimsten Orte stand,

Wo im stolzesten Flügelrade

Man die goldenen Engel fand!

Herunter das Haar vom lockigen Haupt,

Herunter dir von der Stirne geraubt

Des Reifes goldene Bande!

Fluch dem Geschicke, Fluch der Zeit,

Die heilige Häupter so schmählich entweiht

In schmacherfülltem Lande!

Essen und Trinken, wie kann es mir munden?

Deine Löwen seh’ ich zerbissen von Hunden,

Deine Aare zerrissen von gierigen Raben –

Licht des Tages, wie kannst du mich laben?

Ha, du Becher des Grams,

Fort mit dir, lasse mich los!

Angefüllt ist meines Leibes Schoß

Schon längst mit bitteren Gallen!

Um Israel hob ich den Kelch zum Mund,

Um Juda leert’ ich ihn bis zum Grund,

Kein Tropfen der Hefe gefallen!

Zion, Zion, du Krone der Zeit,

Schönheit und Liebe sind dein Kleid,

So hältst du die Kinder gefangen;

Sie lachen mit dir zur Lachenszeit,

Sie stöhnen um dein bitteres Leid,

Um dein Ende tropfen die Wangen.

Sie schmachten aus Kerkersnöten empor,

Sie neigen sich deinem ewigen Tor,

Wenn ihre Gebete trauern.

Deine irrenden Herden allzumal,

Verjagt vom Berg ins dunkle Tal,

Ach, sehn nur deine Mauern!

Sie klammern sich fest an deinen Saum,

Und hoch in den schwankenden Wipfelraum

Deiner Palmen greifen die Hände: –

O Sehnsucht sonder Ende!

Wohlan, wer will sich messen?

Ha, Patros, Schinear,

Wagt ihr’s?

Habt ihr vergessen,

Vergessen ganz und gar

Das heilige Zionpriesterkleid?

O über eure Nichtigkeit,

Und eure morsche Größe!

Nein, neben dich kann niemand treten,

Kein König kommt den deinen gleich:

Was sind die Allerweltspropheten

Vor deinem heil’gen Priesterreich?

Ach, alles stürzt von seinen Thronen,

Es sinkt der falschen Götter Recht,

Doch ewig bleiben deine Kronen,

Dein Schatz ins tausendste Geschlecht!

Du Gottessehnsucht, Menschensehnen! –

Wem deine Mauer wieder Heimat bot,

Heil ihm, und wer durch Sehnsuchtstränen

Erblickt dein ew’ges Morgenrot!

Dein Morgenrot, da alle Wolken fallen,

Und hundertfacher Glanz vom Himmel bricht,

Da deine Kinder jauchzend heimwärts wallen,

Und in des Jauchzens Heil und Widerhallen

Aufstrahlt dein altes königliches Licht! –

Im Orient ist mein Herz, im Okzident,

Am letzten Saum, verträume ich die Stunden.

Kann Trank und Speise, noch so süß, mir munden?

Kann ich Gelübde, kann ich Schwüre halten,

Solange Zion liegt in Roms Gewalten?

Läßt mich Arabien nicht im Kerker kümmern?

Und was ist Spaniens reichste Flur,

Was ist sie vor dem Staube nur

Auf Zions, – Zions Trümmern? –

Komm mit mir gen Zoan,

Zum Schilfmeer und Horeb;

Wandeln will ich nach Silo,

Zu gesunkenen Tempels Trümmern.

Wo die Lade einst zog,

Da will ich ziehen,

Wo sie begraben ist,

Da will ich knien;

Küssen den Staub

Süßer als Seim,

Schauen die Auen,

Die schönen, daheim,

Schauen das öde,

Vergessene Nest; –

Oh, wenn ihr wüßtet:

Die Täublein zerstoben,

Rabenbrut nistet

Dort oben.

Es war ein Tag so sehnsuchtsvoll,

Und kam mich doch ein Zittern an:

Nach Zion mir die Sehnsucht schwoll,

Da gabest du mir liebevoll

Ermutigung, Berater!

Und gabst mir deinen Namen her,

Als Stab daran zu wallen;

Nun schreit’ ich hin, doch ist es mir,

Als müßt’ ich Schritt um Schritt vor dir

In meine Kniee fallen.

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