LXXXVIII

"Sag, wo ist dein schönes Liebchen,

Das du einst so schön besungen,

Als die zaubermächtgen Flammen

Wunderbar dein Herz durchdrungen?"

Jene Flammen sind erloschen,

Und mein Herz ist kalt und trübe,

Und dies Büchlein ist die Urne

Mit der Asche meiner Liebe.

Götterdämmerung

Der Mai ist da mit seinen goldnen Lichtern

Und seidnen Lüften und gewürzten Düften,

Und freundlich lockt er mit den weißen Blüten,

Und grüßt aus tausend blauen Veilchenaugen,

Und breitet aus den blumreich grünen Teppich,

Durchwebt mit Sonnenschein und Morgentau,

Und ruft herbei die lieben Menschenkinder.

Das blöde Volk gehorcht dem ersten Ruf.

Die Männer ziehn die Nankinhosen an

Und Sonntagsröck mit goldnen Spiegelknöpfen;

Die Frauen kleiden sich in Unschuldweiß;

Jünglinge kräuseln sich den Frühlingsschnurrbart

Jungfrauen lassen ihre Busen wallen;

Die Stadtpoeten stecken in die Tasche

Papier und Bleistift und Lorgnett; — und jubelnd

Zieht nach dem Tor die krausbewegte Schar,

Und lagert draußen sich auf grünem Rasen,

Bewundert, wie die Bäume fleißig wachsen,

Spielt mit den bunten, zarten Blümelein,

Horcht auf den Sang der lustgen Vögelein,

Und jauchzt hinauf zum blauen Himmelszelt.

Zu mir kam auch der Mai. Er klopfte dreimal

An meine Tür und rief: Ich bin der Mai,

Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen!

Ich hielt verriegelt meine Tür, und rief:

Vergebens lockst du mich, du schlimmer Gast!

Ich habe dich durchschaut, ich hab durchschaut

Den Bau der Welt, und hab zu viel geschaut,

Und viel zu tief, und hin ist alle Freude,

Und ewge Qualen zogen in mein Herz.

Ich schaue durch die steinern harten Rinden

Der Menschenhäuser und der Menschenherzen,

Und schau in beiden Lug und Trug und Elend.

Auf den Gesichtern les ich die Gedanken,

Viel schlimme. In der Jungfrau Schamerröten

Seh ich geheime Lust begehrlich zittern;

Auf dem begeistert stolzen Jünglingshaupt

Seh ich die lachend bunte Schellenkappe;

Und Fratzenbilder nur und sieche Schatten

Seh ich auf dieser Erde, und ich weiß nicht,

Ist sie ein Tollhaus oder Krankenhaus.

Ich sehe durch den Grund der alten Erde,

Als sei sie von Kristall, und seh das Grausen,

Das mit dem freudgen Grüne zu bedecken

Der Mai vergeblich strebt. Ich seh die Toten;

Sie liegen unten in den schmalen Särgen,

Die Händ gefaltet und die Augen offen,

Weiß das Gewand und weiß das Angesicht,

Und durch die Lippen kriechen gelbe Würmer.

Ich seh, der Sohn setzt sich mit seiner Buhle

Zur Kurzweil nieder auf des Vaters Grab; —

Spottlieder singen rings die Nachtigallen; —

Die sanften Wiesenblümchen lachen hämisch; —

Der tote Vater regt sich in dem Grab; —

Und schmerzhaft zuckt die alte Mutter Erde.

Du arme Erde, deine Schmerzen kenn ich!

Ich seh die Glut in deinem Busen wühlen,

Und deine tausend Adern seh ich bluten,

Und seh, wie deine Wunde klaffend aufreißt

und wild hervorströmt Flamm und Rauch und Blut.

Ich sehe deine trotzgen Riesensöhne,

Uralte Brut, aus dunkeln Schlünden steigend,

Und rote Fackeln in den Händen schwingend; —

Sie legen ihre Eisenleiter an,

Und stürmen wild hinauf zur Himmelsfeste; —

Und schwarze Zwerge klettern nach; — und knisternd

Zerstieben droben alle goldnen Sterne.

Mit frecher Hand reißt man den goldnen Vorhang

Vom Zelte Gottes, heulend stürzen nieder,

Aufs Angesicht, die frommen Engelscharen.

Auf seinem Throne sitzt der bleiche Gott,

Reißt sich vom Haupt die Krön, zerrauft sein Haar —

Und näher drängt heran die wilde Rotte.

Die Riesen werfen ihre roten Fackeln

Ins weite Himmelreich, die Zwerge schlagen

Mit Flammengeißeln auf der Englein Rücken; —

Die winden sich und krümmen sich vor Qualen,

Und werden bei den Haaren fortgeschleudert; —

Und meinen eignen Engel seh ich dort,

Mit seinen blonden Locken, süßen Zügen,

Und mit der ewgen Liebe um den Mund,

Und mit der Seligkeit im blauen Auge —

Und ein entsetzlich häßlich schwarzer Kobold

Reißt ihn vom Boden, meinen bleichen Engel,

Beäugelt grinsend seine edlen Glieder,

Umschlingt ihn fest mit zärtlicher Umschlingung —

Und gellend dröhnt ein Schrei durchs ganze Weltall,

Die Säulen brechen, Erd und Himmel stürzen

Zusammen, und es herrscht die alte Nacht.

Ratcliff

Der Traumgott brachte mich in eine Landschaft,

Wo Trauerweiden mir "Willkommen" winkten

Mit ihren langen, grünen Armen, wo die Blumen

Mit klugen Schwesteraugen still mich ansahn,

Wo mir vertraulich klang der Vögel Zwitschern,

Wo gar der Hunde Bellen mir bekannt schien,

Und Stimmen und Gestalten mich begrüßten

Wie einen alten Freund, und wo doch alles

So fremd mir schien, so wunderseltsam fremd.

Vor einem ländlich schmucken Hause stand ich,

In meiner Brust bewegte sich's, im Kopfe

War's ruhig, ruhig schüttelte ich ab

Den Staub von meinen Reisekleidern,

Grell klang die Klingel, und die Tür ging auf.

Da waren Männer, Frauen, viel bekannte

Gesichter. Stiller Kummer lag auf allen

Und heimlich scheue Angst. Seltsam verstört,

Mit Beileidsmienen fast, sahn sie mich an,

Daß es mir selber durch die Seele schauert',

Wie Ahnung eines unbekannten Unheils.

Die alte Margret hab ich gleich erkannt;

Ich sah sie forschend an, jedoch sie sprach nicht.

"Wo ist Maria?" fragt ich, doch sie sprach nicht.

Griff leise meine Hand und führte mich

Durch viele lange, leuchtende Gemächer,

Wo Prunk und Pracht und Totenstille herrschte,

Und führt' mich endlich in ein dämmernd Zimmer

Und zeigt', mit abgewandtem Angesicht,

Nach der Gestalt, die auf dem Sofa saß.

"Sind Sie Maria?" fragt ich. Innerlich

Erstaunt ich selber ob der Festigkeit,

Womit ich sprach. Und steinern und metallos

Scholl eine Stimm: "So nennen mich die Leute."

Ein schneidend Weh durchfröstelte mich da,

Denn jener hohle, kalte Ton war doch

Die einst so süße Stimme von Maria!

Und jenes Weib im fahlen Lilakleid,

Nachlässig angezogen, Busen schlotternd,

Die Augen gläsern starr, die Wangenmuskeln

Des weißen Angesichtes lederschlaff —

Ach, jenes Weib war doch die einst so schöne,

Die blühend holde liebliche Maria!

"Sie waren lang auf Reisen!" sprach sie laut,

Mit kalt unheimlicher Vertraulichkeit,

"Sie schaun nicht mehr so schmachtend, liebster Freund,

Sie sind gesund, und pralle Lend und Wade

Bezeugt Solidität." Ein süßlich Lächeln

Umzitterte den gelblich blassen Mund.

In der Verwirrung sprachs aus mir hervor:

"Man sagte mir. Sie haben sich vermählt?"

"Ach ja!" sprach sie gleichgültig laut und lachend,

"Hab einen Stock von Holz, der überzogen

Mit Leder ist, Gemahl sich nennt; doch Holz

Ist Holz!" Und klanglos widrig lachte sie,

Daß kalte Angst durch meine Seele rann,

Und Zweifel mich ergriff: — sind das die keuschen,

Die blumenkeuschen Lippen von Maria?

Sie aber hob sich in die Höh, nahm rasch

Vom Stuhl den Kaschemir, warf ihn

Um ihren Hals, hing sich an meinen Arm,

Zog mich von hinnen, durch die offne Haustür,

Und zog mich fort durch Feld und Busch und Au.

Die glühend rote Sonnenscheibe schwebte

Schon niedrig, und ihr Purpur überstrahlte

Die Bäume und die Blumen und den Strom,

Der in der Ferne majestätisch floß.

"Sehn Sie das große goldne Auge schwimmen

Im blauen Wasser?" rief Maria hastig.

"Still, armes Wesen!" sprach ich, und ich schaute

Im Dämmerlicht ein märchenhaftes Weben.

Es stiegen Nebelbilder aus den Feldern,

Umschlangen sich mit weißen, weichen Armen;

Die Veilchen sahn sich zärtlich an, sehnsüchtig

Zusammenbeugten sich die Lilienkelche;

Aus allen Rosen glühten Wollustgluten;

Die Nelken wollten sich im Hauch entzünden;

In selgen Düften schwelgten alle Blumen,

Und alle weinten stille Wonnetränen,

Und alle jauchzten: Liebe! Liebe! Liebe!

Die Schmetterlinge flatterten, die hellen

Goldkäfer summten feine Elfenliedchen,

Die Abendwinde flüsterten, es rauschten

Die Eichen, schmelzend sang die Nachtigall —

Und zwischen all dem Flüstern, Rauschen, Singen

Schwatzte mit blechern klanglos kalter Stimme

Das welke Weib, das mir am Arme hing:

"Ich kenn Ihr nächtlich Treiben auf dem Schloß;

Der lange Schatten ist ein guter Tropf,

Er nickt und winkt zu allem, was man will;

Der Blaurock ist ein Engel; doch der Rote,

Mit blankem Schwert, ist Ihnen spinnefeind."

Und noch viel buntre, wunderliche Reden

Schwatzt' sie in einem fort, und setzte sich,

Ermüdet, mit mir nieder auf die Moosbank,

Die unterm alten Eichenbaume steht.

Da saßen wir beisammen, still und traurig,

Und sahn uns an, und wurden immer traurger.

Die Eiche säuselte wie Sterbeseufzer,

Tiefschmerzlich sang die Nachtigall herab.

Doch rote Lichter drangen durch die Blätter,

Umflimmerten Marias weißes Antlitz

Und lockten Glut aus ihren starren Augen,

Und mit der alten, süßen Stimme sprach sie:

"Wie wußtest du, daß ich so elend bin?

Ich las es jüngst in deinen wilden Liedern."

Eiskalt durchzogs mir da die Brust, mir grauste

Ob meinem eignen Wahnsinn, der die Zukunft

Geschaut, es zuckte dunkel durch mein Hirn,

Und vor Entsetzen bin ich aufgewacht.

Donna Clara

In dem abendlichen Garten

Wandelt des Alkaden Tochter;

Pauken- und Trommetenjubel

Klingt herunter von dem Schlosse.

"Lästig werden mir die Tänze

Und die süßen Schmeichelworte,

Und die Ritter, die so zierlich

Mich vergleichen mit der Sonne.

"Überlästig wird mir alles,

Seit ich sah, beim Strahl des Mondes,

Jenen Ritter, dessen Laute

Nächtens mich ans Fenster lockte.

"Wie er stand so schlank und mutig,

Und die Augen leuchtend schossen

Aus dem edelblassen Antlitz,

Glich er wahrlich Sankt Georgen."

Also dachte Donna Clara,

Und sie schaute auf den Boden;

Wie sie aufblickt, steht der schöne,

Unbekannte Ritter vor ihr.

Händedrückend, liebeflüsternd

Wandeln sie umher im Mondschein,

Und der Zephir schmeichelt freundlich,

Märchenartig grüßen Rosen.

Märchenartig grüßen Rosen,

Und sie glühn wie Liebesboten. —

Aber sage mir, Geliebte,

Warum du so plötzlich rot wirst?

"Mücken stachen mich. Geliebter,

Und die Mücken sind, im Sommer,

Mir so tief verhaßt, als wärens

Langenasge Judenrotten."

Laß die Mücken und die Juden,

Spricht der Ritter, freundlich kosend.

Von den Mandelbäumen fallen

Tausend weiße Blütenflocken.

Tausend weiße Blütenflocken

Haben ihren Duft ergossen. —

Aber sage mir, Geliebte,

Ist dein Herz mir ganz gewogen?

"Ja, ich liebe dich, Geliebter,

Bei dem Heiland sei's geschworen,

Den die gottverfluchten Juden

Boshaft tückisch einst ermordet."

Laß den Heiland und die Juden,

Spricht der Ritter, freundlich kosend.

In der Ferne schwanken traumhaft

Weiße Lilien, lichtumflossen.

Weiße Lilien, lichtumflossen,

Blicken nach den Sternen droben. —

Aber sage mir. Geliebte,

Hast du auch nicht falsch geschworen?

"Falsch ist nicht in mir, Geliebter,

Wie in meiner Brust kein Tropfen

Blut ist von dem Blut der Mohren

Und des schmutzgen Judenvolkes."

Laß die Mohren und die Juden,

Spricht der Ritter, freundlich kosend;

Und nach einer Myrtenlaube

Führt er die Alkadentochter.

Mit den weichen Liebesnetzen

Hat er heimlich sie umflochten;

Kurze Worte, lange Küsse,

Und die Herzen überflössen.

Wie ein schmelzend süßes Brautlied

Singt die Nachtigall, die holde;

Wie zum Fackeltanze hüpfen

Feuerwürmchen auf dem Boden.

In der Laube wird es stiller,

Und man hört nur, wie verstohlen,

Das Geflüster kluger Myrten

Und der Blumen Atemholen.

Aber Pauken und Trommeten

Schallen plötzlich aus dem Schlosse,

Und erwachend hat sich Clara

Aus des Ritters Arm gezogen.

"Horch! da ruft es mich. Geliebter;

Doch, bevor wir scheiden, sollst du

Nennen deinen lieben Namen,

Den du mir so lang verborgen."

Und der Ritter, heiter lächelnd,

Küßt die Finger seiner Donna,

Küßt die Lippen und die Stirne,

Und er spricht zuletzt die Worte:

Ich, Sennora, Eur Geliebter,

Bin der Sohn des vielbelobten,

Großen, schriftgelehrten Rabbi

Israel von Saragossa.

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