Der Inseltraum.

Eine langhin gewölbte, sanfte Welle hob meinen Kahn mit dem gerundeten Bug auf das Gestein. Ein schiffbrüchiger Träumer verliess die Ruderbank und dehnte die Arme dem stummen Lande entgegen. Mein purpurner Mantel war mürbe geworden und warf von den Hüften abwärts weiche demütige Falten. Meine Arme und mein Hals waren von Rudern und Fasten mager geworden, mein Haar war lang gewachsen und bog sich in dichter Fülle in den Nacken. In dem dunkelgrünen, stillen Gewässer der Bucht lag mein Spiegelbild gebreitet, und ich sah, dass auf der langen Fahrt alles an mir anders geworden war, brauner, schlanker und biegsamer. Auf meinen Wangen hatten grausame Stunden Denkmale ihrer Gefahren und Niederlagen und Überwindungen geschaffen. Alle Morgen ohne Sonne, an denen ich mit wunden Gliedern an mein Fahrzeug geklammert hing, alle Stürme, die mir die Abgründe des Meeres zeigten, hatten sich mir in Ecken und Furchen mit tiefer Schrift auf Wangen und Hals geschrieben.

Aber meine Augen standen klar in weiten Höhlen, mit wachsamen Kinderblicken. Sie hatten viele Nächte durchwacht und nach den ewigen Sternen gesucht und die farbigen Nächte des Meeres aufmerksam durchdrungen nach aufsteigenden Segeln oder Gestaden. Sie hatten viele Tage lang keinen Staub gesehen und selten nur mit lächelnder Sehnsucht von ferne das Grün vorübergleitender Wälder und den Rauch aus fernen, verborgenen Städten gestreift. Nun lachten sie hell und gross mich aus dem glatten Spiegel an. Und nun tranken sie den lange entbehrten Anblick der weissen Steine, der bräunlichen Erde, der Gräser und Gebüsche. Ich sah die Luft um die Gebüsche wie einen feinen, weisslichen Rand, denn ich war lange der Luft entwöhnt, welche über Erde und Grünem ist. Meine Nüstern sogen mit scheuer Lust den vollen, zärtlichen Duft der Wiese und des nackten Bodens, und mein Fuss trat stark und schonend zugleich auf das köstliche Gut des festen Erdreiches.

Ein Wind kam lässig vom Lande zu mir geflogen. Er trug einen Geruch von Waldkraut und einen leisen Duft aus entfernten Gärten. Da reckte ich in süsser Wonne ihm beide Arme weit entgegen und fühlte mit Lust seinen weichen Hauch meinen Fingern und Händen entlang und an meinen Schläfen hin gleiten, die der schneidenden Seewinde gewohnt waren.

Ich zog mein graues Boot auf den Sand und strich mit der Rechten über die harte Wölbung des Bordes, die von meinen klammernden Händen geglättet war. Darauf wandelte ich landeinwärts bis zu dem hohen Gebüsche, das dicht und ringförmig wie eine Mauer stand und sich weiter erstreckte, als meine Blicke reichten. Ich ging der grünen Hecke entlang und freute mich des warmen, bläulichen Schattens, der von grüngoldenen Lichtern durchwirkt war. Mein Gang führte über eine Wiese mit weichen Gräsern, welche allmählich höher wurden und mit seidenen Blüten meine Kniee berührten. Die grasige Fläche lag im hellen Sonnenlicht, nur der Rand, den ich entlang schritt, war von den hohen Büschen mit einem gleichmässigen Schattenbande gesäumt.

Indem ich weiter schritt und eine linde Müdigkeit meine Kniee leicht befing, that sich zu meiner Linken ein schmaler Eingang, einem Thore ähnlich, in die Gebüsche auf. Ich erblickte ein grünes Dunkel, von einem Muschelpfad durchschnitten, und im Hintergrunde ragende Baumkronen. Der Eingang aber war durch eine künstlich gewundene Blumenkette verboten. Ich stand eine Weile, und meine Augen badeten sich in dem zarten Dämmer und erfreuten sich an der Stufenfolge sanfter Farben. Denn von der lichtgrünen Hecke bis zu den halbsichtbaren Geheimnissen des innersten Haines zerfloss das Grün in tausend Schatten; das Auge folgte begierig dem mählich vertieften Dunkel bis zu den entferntesten, braunen Waldfarben und kehrte mit neuer Lust zu dem gelblichen Licht der besonnten Wiese zurück.

Ich löste die Blumenkette in fröhlichem Übermut von den rundköpfigen Pfeilern, dass der Eingang offen lag, und schlang das rot und weisse Gewinde um Hals und Hüften, so dass ich wie zu einem Sommerfeste geziert war. Darauf ging ich behutsamen Schrittes dem halben Dunkel entgegen. Ich fand ein genaues Kreisrund aus dem Dickicht geschnitten, mit dichten Wänden von jungen Stämmen und Büschen, und auch der schmale Pfad war künstlich durch das wilde Gehölz gehauen. Durch die Wipfel überhängender Bäume sank ein braun und grünes Licht. In dem runden Aushau war die Erde mit hellem Sande bestreut, und zwei schmale, halbrunde Sitzbänke aus Marmor standen einander gegenüber. Eine tiefe Waldstille lag darauf. Ich wandte mich und folgte dem Pfad, der in die Tiefe des Haines führte. Mein Haupt ward von dem ungewöhnten Dufte schwer und ich hörte das Klingen meines raschen Blutes.

Als ich einige Zeit gegangen war, wuchs die Schwere meiner Kniee, und ich ersehnte einen Ort zu ruhen. Indem bog sich mein Weg und wurde breiter, und die auf beiden Seiten schnell zurücktretenden Waldwände gönnten den Anblick eines lichten Raumes, welcher sich weit ausdehnte und wie ein Garten anzusehen war. Viele breite und schmale Wege, oft von Gebüsch gesäumt, schlangen sich um Rasenflächen und um Beete, in welchen Rosen und andere vielfarbige Blumen in Pracht und Fülle wohlgepflegt und ohne braune Blätter standen. In der Mitte des ebenen Gartens erblickte ich edle Gruppen alter Bäume, hinter denen ein Bau, Palast oder Tempel, aus Marmor in dämmerndem Weiss sich zeigte.

Eine niedrige Bank, von grossen Cypressen ganz beschattet, zog mich an. Ich setzte mich in den weichen Rasen und lehnte das Haupt mit darunter gekreuzten Armen gegen den steinernen Sitz, wie ich zuweilen in stillen Nächten an meiner Ruderbank gelegen hatte. Ich schaute hoch über mir den weiten Himmel in wunderbarer Bläue und wenig kleine, blanke Flaumwölklein ruhig stehend, dann schloss ich die Augen und ergötzte mich an dem roten Schimmer, der mir durch die Lider drang. Darauf neigte der Gott des Schlafes sich über mich und löste mir wohlthätig die müden Glieder.

Meine Seele hob die Schwingen im Traum; die Bilder von gestern und ehegestern erwachten zu neuer Schrecknis oder Trauer. Das Meer umdrängte mein Fahrzeug mit peitschenden Wassern und der Himmel zürnte in Unwettern. Und gewaltiger als der Himmel lag die lautlose, lang ersehnte, schwer zu tragende Einsamkeit über mir. Und dahinter das Land, aus dem ich mich gerissen, mit geräuschvollen Städten. Ein müdes Echo, ein halbverlorener Duft, ein halbvergessenes Jugendlied — so war in Schmutz und Geräusch ein Schimmer von Schönheit und Kunst gegossen. Wie oftmals sah ich dort ihr scheues Licht in ängstlichen Reflexen, und zitterte mit ihr, und litt mit ihr! Ferner noch mit altmodisch lichten Himmeln lagen die Frühlinge meiner Kindheit und rührten mit zärtlichem Dufte an mein Herz.

Auf leisen Fittichen flog mein Traum über die verschlungenen Pfade meines Lebens zurück bis zu den ersten Sonnenaufgängen, und schwebte lang in verflogener Schwermut über den ersten Bergen, die ich erstieg, und über dem Haus meines Vaters.

 

Die Sonne war über die Ränder der Cypressenwand gestiegen und traf meine schlummernden Augen mit heissem Lichte. Ich hob das Haupt und erwachte zum neuen Anblick des tiefen Himmels und des grünen Gartenlandes.

Helle Stimmen klangen in mein Ohr und ich hörte, dass es Menschenstimmen waren, welche in übermütigen Rufen ihre Lust kundgaben. Es war aber in diesen Stimmen ein reiner, meertiefer, metallener Grund, den ich nie bei Menschen vernommen hatte und welcher an den unberührten ersten Fall einer frischen Quelle erinnerte, so ohne Wissen von Unrat und so voll von Lust am Leben und an der eigenen Schönheit. Es war darin der starke und süsse Ton, den wir mit unbeschreiblicher Beklemmung zu hören vermeinen, so oft unsre Seele mit den Menschengeschlechtern der alten, goldenen Zeitalter traurige Unterredungen pflegt.

Indem ich vorsichtig die breiten Fächer der Zweige teilte, erblickte ich eine Schaar junger Frauen mit schlanken Leibern um einen vergoldeten Ball bemüht. Sie waren in zwei Lager geteilt und führten einen anmutigen Krieg um den Besitz des blanken Zierats, den ein lachendes Mädchen immer von neuem über ihre Häupter hin empor warf. Sie trugen helle, weite Gewänder und die Haare zumeist in einfache Knoten gebündelt. Ich sah die reinen Linien der Hälse und Nacken, wenn sie sich bückten oder mit ganz zurückgelegten Häuptern nach dem Fall des Spielzeuges spähten. Ich sah die zarten Grübchenformen der Knöchel, über denen sich goldene oder weisse Sandalenbänder kreuzten. Ich sah die bewegten schlanken Leiber, beim Laufen vorgebeugt, und die schönen, leicht geröteten Arme, die sich häufig aus den weichen Falten der Oberkleider reckten.

Plötzlich vernahm ich ein Wipfelzittern über mir, und der goldene Ball fiel neben mich weich in den Rasen. Ich nahm ihn auf, und mein Herz begann mit hastigen Schlägen zu pochen wie Einem, der einer grossen Gefahr oder einem grossen Glücke unvermutet ins Auge sieht. Die Spielerinnen eilten schon meinem Versteck entgegen.

Ich brach durch den Busch und stand wie ein Gespenst vor der hellen Schaar, den Ball in der Rechten hoch empor haltend. Ich warf ihn in die Lüfte, aber sie wichen seinem Falle aus und standen mit erstaunten Augen vor dem Fremden. Da ich näher schritt, teilte sich ihre Menge und liess eine breite Gasse meinem Wandel frei. Aufschauend gewahrte ich eine hohe Frau mir nahe gegenüber stehen, welche die Schönste und die Königin der andern war.

Ich schlug den Blick zum Boden nieder und neigte mich vor ihr. Ein weisses Kleid floss in priesterlichen Falten lang von ihren Knieen, und sie war von einer solchen Reinheit und Würde umgeben, dass plötzlich mein Sinn klein und voll Scham wurde. Alle Irrwege, die ich gegangen war, alle Lästerungen, die ich gethan hatte, und alles Hässliche und Kranke meines unstäten Lebens ward mir schwer bewusst, und aller Glanz und Stolz fiel von mir ab. Ich lag auf den Knieen und beugte mein Haupt in Scham und Demut, da sie ihre reine Stimme erhob. Ihre Stimme war voller und prächtiger als die Stimmen der übrigen Frauen, und hatte einen fürstlich hohen Ton, vor dem meine Scheu erschrak. „Was suchst du hier, mein Freund, und wie hast du den Weg zu uns gefunden?“

Ich schaute auf und sah grosse Augen ernst auf mich gesenkt. „Den Weg zu dir fand ich durch hundert einsame Tage und Nächte auf dem feindlichen Meer, durch hundert Ängste und bange Nachtwachen. Mein Arm ist hager geworden von der Mühsal der Fahrt, und meine Hände sind wund geworden. Ich trage einen Purpur, der aus deinem Lande ist und von dir mir in die Wiege ist gelegt worden. Aber meine Hände sind befleckt und meine Augen voll Ekels geworden, ich bin müde und unwert, den Purpur länger zu tragen, der für frohe Hände und selige Augen bestimmt ist. Und bin gekommen, ihn zurückzugeben.“

„So wenig gilt dir der königliche Schmuck?“ fragte die Königin und heftete wieder unbeweglich den ernsten Blick auf mich. „Ich kenne dich wohl, du Müder. Ich bin über deinem Leben gewesen, ich habe deiner Kindersehnsucht von blauen Bergen und deiner Knabenfrömmigkeit von Göttern erzählt. Ich zeigte manches Mal deiner Ahnung die Bilder und Gleichnisse der Schönheit. Warst du es nicht, der die Tempel, in welchen ich dich beten lehrte, zerstört und der die Gärten der Liebe, deren Pforte ich dir zeigte, geschändet hat? Warst du es nicht, der die Lieder, die ich dich singen lehrte, in Gassenlieder verkehrte und der die Becher der Freude, die ich dir reichte, zur Trunkenheit missbrauchte?“

„Ich war es. Ich ging in der Irre, so oft du mir ferne warst. Ich habe oft die Arme verlangend nach dir gebreitet und habe nach dir gerufen und alles Ehrwürdige meiner frühesten Jugend beschworen, aber du erhörtest mich nicht, und das Leben rollte tot an mir vorüber. Da verzweifelte mein Herz und fluchte seinen Göttern und sank von allen Höhen. Ich bin nun müde des Fallens und Wiederaufstehens — nimm dein Geschenk wieder, leg’ es auf härtere Schultern, und lass mich werden, wie andre sind!“

Die Königin schaute zur Seite. Ich wagte einen schnellen Blick auf ihr Gesicht, das mir eigen vertraut erschien, und sah den Schatten eines Lächelns darauf. „Mich wundert“, sagte sie, „dass solcher Kleinmut den beschwerlichen Weg zu unsrer Insel gefunden hat.“

„Nicht Kleinmut, meine Königin! Mich trieb der Ekel vom Leben, mich stiess der Dunst der Städte und die geräuschvolle Lust ihrer Tempel von sich, auf der Fahrt wuchs noch täglich mein Verlangen nach deinem Anblick. Arbeit und Gefahr hat mich herb gemacht, die Einsamkeit befreite mein Auge von den Dünsten des verlassenen Lebens. Und da ich dein Land mit sanften Höhen aus blaueren Meeren langsam erstehen sah, da lernte mein verjüngtes Herz einen neuen, fröhlichen Stolz. Als ich deinen Boden betrat, reckte ich Beterarme nach seinen Wundern aus, ich ging durch deinen Wald als ein Wiedergeborener. Wahrlich, fester zog ich den Purpur um meine Schultern und mein Gang war nicht der Gang eines Büssers. Hinter jenem Dickicht lag ich im Grase gestreckt und belauschte das Spiel deiner Frauen, und mein Herz schlug tiefe Schläge. Aber mein Auge ertrug deinen Anblick nicht; alles was unwert und krank an mir ist, übermannte mich vor deiner Reinheit.“

„Steh auf!“ sagte sie nun mit einem gütig tiefen Ton, „und dränge mich nicht um eine Antwort. Sei mein Gast und versuche noch einmal, unter meiner Herrschaft zu leben!“ Ich erhob mich mit unsicherem Blick. Die Schönste aber nahm meine linke Hand und führte mich zu den wartenden Frauen. „Begrüsse meine Freundinnen“, sagte sie, „und sieh, ob nicht eine dir bekannt ist.“ Da geschah meinem Auge etwas Seltsames, indem ich mit einem freien Grusse unter die schönen Gestalten trat. Überall sahen bekannte Augen mich an, ich fand Bewegungen und Blicke, die ich zu andern Zeiten schon gesehen hatte, und wunderte mich, dass ich die Schönen nicht mit Namen zu nennen vermochte. Allmählich erkannte ich einige, und bald merkte ich wohl, dass alle schönen Frauen, die ich gekannt und bewundert hatte, hier versammelt waren. Eine jede aber war nur kenntlich durch eben die besonderen Seltenheiten, durch welche sie für mein Auge irgend einmal reizend, verschieden von den andern und schöner als die andern, hervorgetreten war. Alle Augenblicke meines Lebens, welche durch den Anblick der Frauenschönheit wertvoll und liebenswert geworden waren, lebten hier unvergänglich in herrlichen und vollkommenen Bildern. Von diesen Frauen konnte keine den übrigen vorgezogen oder nachgesetzt werden, nur die einzige Königin vereinigte auf eine wunderbare Art die vielfachen besonderen Schönheiten in ihrem vollkommenen Wuchse und in der Bildung ihres Angesichts, dessen Würde und Lieblichkeit ich über alle Bilder und Lobpreisungen erhaben fand. Ihre Augen aber, wenn sie die meinigen ruhig und freundlich trafen, riefen in mir den Frühling meiner ersten Liebe mit aller verlorenen und beweinten scheuen Wonne wach.

 

Die Nacht zog ihren schwarzen Kreis enger um die Gärten; sie kam rasch und herrisch wie die Nächte des Südens. Nach einander versanken Hügel, Wald und Gebüsche, bis auch die nahestehenden schnell und lautlos sich verhüllten und plötzlich in das Reich der Geheimnisse verschwanden.

Ich sass zu Füssen der Königin in dem weiten Halbrund einer offenen Halle. Die schweren Säulen hoben sich rein und ruhig, Wächtern gleich, von der matthellen Himmelsferne ab. Zwei rote Feuer brannten am Eingang in steinernen Becken, über uns hing eine silberne, vierflammige Ampel. Von drei Seiten kam die schwere Nachtluft herein und führte den Duft des wohlriechenden Öles in langsamen Wogen davon. Das Meer, dessen Geräusch am Tage nicht bis in den Palast und die Gärten reichte, sang gedämpft in grossen Rhythmen. Der Gesang der Frauen war kaum verstummt und in der Luft lag noch ein feiner Nachhall festlicher Melodien. Mir wurde eine kleine fünfsaitige Laute gebracht, die Augen der Wartenden hingen an meinem Munde. Ich schloss die Augen und sog den Duft der Nacht und fühlte ihr lindes Wehen in meinem Haar. Mein Herz war voll wehen Glückes und meine Stimme zitterte, als ich zu singen begann. Mein Finger rührte an die feinen Saiten — ich hatte lange Zeit nimmer gesungen, der Takt und Tonfall der Verse stieg mir neu und berückend zu Haupt.

Ich sang von einem vergangenen Sommer, da zum ersten Mal mein Knabenauge an der Gestalt und dem Gange eines jungen Weibes hing. Und sang von den späten Abenden, da der Lindenduft schwoll und da ich mein wehes Verlangen mit wilden Schlägen über den schwarzen Weiher ruderte, da ich die Bänke und Wege und Treppen besuchte und alle Stätten, an denen ich die schlanke Wohlgestalt des Tages aus banger Ferne erblickt hatte. Von den Tagen, da meine Liebe mich auf heissem Pferde in langen Ritten umhertrieb. Ich gedachte der in Fülle erblühten Rosenhecken und pries die schattigen Gänge, welche der Duft des Jasmin erfüllte.

Von den Frauen lächelten manche, und manche sahen mich aus grossen Augen ernsthaft an. Als ich den Blick nach der Allerschönsten wandte, sah ich breite, bläuliche Lider über ihren Augen geschlossen und sah einen holden Mund und feine Wangen in sanften Frühlingsfarben, und eine blanke Stirn von krausem Blondhaar fröhlich verschattet. Ich erblickte das Bild meiner ersten Liebe, schön und verzaubert von Erinnerung und Heimweh, wie es manchmal in Lieblingsträumen mir erschien. Mein Herz war erregt und schwer von Liedern und Sehnsüchten einer andern Zeit. Ich berührte die Hand der Königin. „Erinnerst du dich, Lieblichste?“

Sie lächelte und schlug die Augen auf. „Sag’, bist du nicht glücklicher als Andere gewesen?“ Ich nickte leise mit dem Haupt und konnte mein Auge nicht von den Lippen wenden, die Elisens Lippen waren.

„Bist du auch dankbar gewesen?“ Da ward ich traurig und musste das Haupt wieder senken. Sie winkte einer der Frauen, welche aus dem mit reicher Kunst aus Silber getriebenen Mischkrug eine leichte Schale mit süssem Weine füllte. Sie nahm das zierliche Gefäss und bot es mir freundlich hin. „Du bedarfst nun der Ruhe. Trinke und lege dich schlafen. Meine Gastfreundschaft wird deinen Schlummer beschützen.“

Ich trank und reichte der Gütigen dankbar meine Hand. Die schöne Dienerin öffnete mir im Innern des geräumigen Palastes ein Gemach, entzündete eine hängende Ampel und verliess mich. Das Gemach war von mässiger Grösse, mit hohen Fensteröffnungen. In der Mitte war ein niedriges und einfaches Lager bereitet. Ich legte mich nieder und sah die Wände entlang in der Höhe des Estrichs einen schmalen Fries gezogen, darauf in halberhabener Arbeit die Tugenden Weisheit, Mässigkeit, Gerechtigkeit und Tapferkeit der Schönheit dienten und Opfer brachten. Die sanften und edlen Formen dieser Bilder breiteten ihre Ruhe und Einfalt auf meinen erregten Sinn und begleiteten ihn als schwebende Traumbilder in den Schlaf.

Als ich am frühen Morgen stark und fröhlich erwachte, sah ich über mich ein helles Angesicht geneigt, das ganz von langen, mattfarbenen Haaren umkränzt war. Mein Herz erkannte das schöne Bild und begrüsste die Wartende mit dem Namen, den sie trug, als noch ihr leiser Schritt stundenlang neben mir durch Hain und Wiesen ging. „Frau Gertrud!“

„Komm mit,“ rief sie bittend, „wir wollen die Wege aufsuchen, die wir sonst gegangen sind.“ Hinter dem Palast und diesen weit überragend war ein Hain alter Platanen, welche in Paare und Gruppen verteilt wie Freunde standen. Frau Gertrud ging neben mir auf dem gewundenen Fusswege. Der Weg aber und der Hain waren vollkommen dem Weg und Hain ähnlich, in denen wir vor Zeiten zu lustwandeln geliebt hatten. Mein Herz war weich und hörte Winde und Vogelrufe mit leiser Wehmut klingen. Durch denselben Rasen war mein Fuss einst geschritten, dieselben Winde und Vogelrufe waren einst in mein Ohr gekommen, und ich wusste kaum: war das gestern, oder war’s vor vielen vergessenen Jahren.

„Kennst du ihn?“ fragte Frau Gertrud und legte ihre Hand an den gefleckten Stamm einer Platane, die wir damals, weil sie die älteste und höchste war, den „Vater“ genannt hatten. Ich nickte still. „Und kennst du noch dieses Grün und Gelb, und diese Wege und Gebüsche?“ Mir war wohl und müde zu Sinn. Ich nickte still.

„Dein Spätsommertraum!“ sagte sie. „Dein Liebling! Die Lieder, die du von ihm gedichtet hast, die Tage, an denen du Heimweh nach ihm hattest, die Nächte, da er Dich auf breiten Flügeln besuchte, deine eigene Erinnerung und Sehnsucht ist es, welche dich umgiebt.“

Ich legte Frau Gertruds schmale Hand in meine Hand und fand wie vormals ein Wohlgefallen an ihrer adligen Form und Weisse, an den blass gezogenen Adern und an dem Hellrot der zarten Finger. „Weisst du noch“, fragte Frau Gertrud, „jenen ersten Mittag unter den überhängenden Zweigen der Syringen?“

„Ich weiss noch. Ich weiss auch alles noch, was damals war. Wie du mein Trost und Ratgeber warst und an die ferne Mutter mich erinnertest. Ich war krank und verirrt gewesen, da wecktest du, was noch fromm und ehrfürchtig in mir war. Du lehrtest mich wieder die verlorene Schönheit suchen und jung werden, wenn ich sie in herrlichen Augenblicken erschaute.“

„Einmal, mein Freund, wolltest du von mir und deinem Glücke ein Lied erschaffen. Weisst du noch? Deine Tage und Nächte waren des werdenden Liedes voll, und mit fleissiger Liebe suchtest du nach allem, was selten und kostbar ist, nach Lichtern und Tönen, die noch kein Künstler fand, nach Liebesworten und Worten der Ehrfurcht, die noch kein Dichter sagte. Siehe um dich! Hier liegt in ungehoffter Vollendung dein ganzes Lied. Bäume und Büsche in edlen Gruppen, goldene und braune Lichter, Gesänge auserwählter Waldvögel. Und auch mich siehe an! Was noch klein und zufällig und künstlich an mir war, das ist von mir genommen. Was du hier siehst, das alles ist schöner als alle Wirklichkeit, und wirklicher als alle Wirklichkeit. Erlausche jeden leisen Tonfall des Windes, trinke mit ungetrübten Augen die vielerlei Farben des Laubes, sorge, dass dies alles dein eigen werde! In der Ferne wirst du des Nachts erwachen und wirst mit Qualen jeden Laut und jeden Schatten vermissen, dessen dein inneres Auge nicht mehr mächtig ist. Dann aber wird auf hundert Wegen dein Lied dir entgegenkommen, die Wonnen deiner ersten Gesänge werden dich heimsuchen, Fremdes wird mit Fremdem sich verbinden, dein Werk wird wachsen und an Leben zunehmen, bis es in einer stillen Stunde die Werkstätte verlässt und vollendet, rein und wohllaut vor Dir steht.“

Frau Gertrud schwieg und legte wieder ihre Hand in meine Hand. Das Rauschen entfernter Wasserkünste klang kühl und freundlich zu uns her. Über das Himmelsrund, welches von den Platanenwipfeln eingeschlossen war, glitt ohne Flügelregen langsam hoch oben ein grosser Vogel.

 

Andern Tages wachte ich frühe auf, noch ehe die ersten Vögel sangen. In der Nacht war ein schwacher Regen gefallen. Die Erde war noch feucht und duftete herb. An den Blättern hingen klare Wassertropfen. Mit jedem Schritt und Atemzug fühlte ich in mir Jugend und Gesundheit. Die Fernen und der kräftig blaue Himmel hatten ein heiteres und jungfräuliches Ansehen. Nur vor langer Zeit, als ich ein Knabe war und ehe die Ahnung der Liebe und heissblütiger Leidenschaften mich umtrieb, hatte die Erde mir dies genügsam fröhliche Gesicht gezeigt.

Ich schlug einen wenig gepflegten Waldweg ein, der bald gegen die Mitte eines alten Forstes hin mehr und mehr verwilderte. Ein schwerer Wind fuhr über die Kronen alter Eichen, die mit vielfach gekrümmten Ästen über ersticktes Untergehölz hinweg einander umschlangen und gemeinsam als ein einträchtiges Riesengeschlecht nach Raum und Helle sich streckten. Oft fand ich auf den schwarzen Waldboden scharfe Spuren kleiner Hufe gedrückt, den Pfad der Quere schneidend, und einmal meinte ich im Halbdunkel eines nahen Dickichtes den feinen Kopf eines Hirsches sich schlank und königlich erheben und wenden zu sehen. Ich spähte und lauschte und stand manchmal mit verhaltenem Atem lange still, bis meinen oft erregten und getäuschten Sinnen der Wald voll von Erscheinungen und schweigsamen Wundern war. Ein breiter Bach ging brausend über Stein und Moos bergab in ein plötzlich hereintretendes Thal. In den Tiefen seines Bettes, die von Wasserstürzen überwölbt waren, schwammen lautlos und dunkel scheue Forellen und verschwanden wie dunkle Blitze, sobald nur mein Schatten über ihren Schlupfwinkeln hinwegstrich.

Dem fröhlichen Stürmer folgend gelangte ich unversehens in ein wohlbekanntes Thal. An dessen Mündung bog ich um die vortretende Höhe und verliess den Bach, der zur andern Seite strebte und bald nur noch leise zu hören war. Ein junger Buchenstand, langsam sich lichtend, trat endlich ganz zurück und gab ein heimlich anmutendes Bild meinen Blicken frei. Mehrere Hügel streckten in ein breites Wiesenthal bewaldete Ausläufer vor. Vor mir lag in hohen Binsen ein dunkler Weiher, an dem ich als Knabe viele Mittagstunden verweilt hatte. Einzelne Laubbäume mit astlos hagern Stämmen und hohen, spärlichen Kronen spiegelten sich voll in der bräunlichen Fläche. Die ersten Lebensträume waren an diesem Schilfufer über die Tiefe meiner Knabenseele gegangen, sich in der unbewegten Fläche spiegelnd. Die ersten, wunderlich krausen Dichtergedanken hatte diese freundlich ernste Einsamkeit in mir erregt.

Ich beschattete meine Augen mit der Rechten und sog die milden Farben in mich ein, und die Stille, und den Frieden, von dem mir schien, als hätte ich ihn dort an den Lieblingsplätzen einer anderen Zeit zurückgelassen. Die trockenen Spitzen der Halme und Schilfblätter bewegten sich unregelmässig mit einem leblosen Geräusch, welches die Stille noch fühlbarer machte. Am jenseitigen Ufer stieg aus dem warmen, feuchten Boden ein dünner Dampf, der die weiter liegenden Hügel mit dem hellen Himmel zu einer sanften Ferne verband. Und über den nächsten Hügelrücken ragte kurz und spitz der schmale Turm der Klosterkirche. Dort begann auch bald ein reines Geläute. Die langen Töne gingen in milden Wellen über mich hin.

Hinter dem Hügel wusste ich das Kloster stehen, wo ich zuerst über Heute und Morgen denken lernte, wo ich zum erstenmal die herbe Süssigkeit des Wissens kostete und die süsseren Ahnungen verhüllter Schönheit. Dort vernahm mein empfänglicher Sinn alle grossen Namen, die hoch und feierlich über meinen Gedanken standen, die grossen Namen des Perikles, des Sokrates und Phidias, und den grösseren des Homer.

Mein Geist sah die Wölbungen der Säle und die gotischen Fenster der Kreuzgänge deutlich vor sich stehen, und es zog mich stark hinüber, die wehe Lust des Wiedersehens zu kosten. Aber ich blieb; ich fürchtete, mir das innere Bild zu zerstören; ich fürchtete Andere dort gehen zu sehen, wo ich in Träumen heimisch war.

Die Sonne glänzte auf der Spitze des Turmes. Der Hügelrücken stand scharf und ernst zwischen hier und dort, zwischen mir und jenen untergegangenen Dämmerungen. Ich streckte grüssend die Hand aus und war im Innern bewegt. Ein Stück von mir lag dort begraben, und welch eine Fülle unentfalteter Regungen und unerlöster Jugendträume!

Ein schmaler Brettersteg ragte in den Weiher. Ich beschritt das zitternde Gerüste und beugte mich, wie ich oft gethan, über die Brüstung vor. Mein Spiegelbild lag ruhig im Wasser. Ich suchte Züge an ihm, die mich an das Gesicht erinnerten, welches damals aus derselben Tiefe mich ansah. Dann verliess ich den stillen Ort und wanderte langsam durch die Waldung zurück.

 

Im Garten fand ich die Königin mit ihren Frauen im Kreise sitzend. Eine Schale voll goldgelber, duftender Früchte ging von Hand zu Hand, und jede der Spielerinnen musste ein Wort über die Früchte sagen, ehe sie eine der lockenden verspeisen durfte. Die Schale schwankte eben in dem Händlein einer kleinen Schwarzen, hinter deren Sitz ich gerade ankam, noch von einer Oleanderreihe verborgen. Die Kleine beugte sich über das schöne Gefäss, einen hellen Nacken mit schwarzen Ringelhaaren zeigend, und suchte mit bedächtigen Augen die reifste Frucht. Diese zog sie am Stiel mit zwei Fingern heraus, hob sie bewundernd über sich und näherte sie langsam ihrem lüsternen Munde. „Da derjenige nicht hier ist“, sagte sie lachend, „welchem allein ich die Süsse gönnte, erlaubt mein Neid mir nicht, diese Schönste einer andern zu überlassen.“ Sprach’s und that einen guten Biss in das süsse Fleisch, indem ich eben aus dem Gezweige hervortrat.

Die Frauen, welche mir gegenüber sassen und mich zuerst erblickten, brachen in ein lustiges Gelächter aus, das sich zu beiden Seiten des Kreises, da immer eine Nachbarin der nächsten nach mir deutete, bis zu der vor mir Sitzenden fortsetzte. Diese blickte mit Verwunderung im Kreise umher, noch die Schale in der Linken, lachte mit, ohne zu wissen warum, stand schliesslich auf und drehte sich um, wobei sie erschrocken und schnell errötend mich mit der angebissenen Frucht berührte. Dann aber fasste sie sich eilig, sagte herzhaft „Da!“ und hielt mir den Bissen vor den Mund.

„Erst deinen Spruch!“ ermahnte heiter die Königin. „Diese köstlichste eurer Früchte“, sagte ich schnell, „ist mir eine sichtbare Gunst des Glückes, welche abzuweisen mir verderblich sein würde. Also gönnt sie mir und erlaubt, dass ich meine tapfere Vorkosterin Fortuna nenne. Tibi, Fortuna!“ Der süsse Bissen erfrischte mich bis ins Mark.

Indessen war es Mittag geworden und wir wichen vor der heisseren Sonne in die Halle zurück. Nebst den Früchten wurde Brot und Honig gebracht, Milch in Kannen und Wein in einem steinernen Krug. Wir bedienten einer des andern Hände mit Wasserbecken und sassen fröhlich zu Mahl. Neben mir an sass Fortuna, viel geneckt und mit lächerlichen Kosenamen gerufen, tapfer und plaudernd. Sie schwieg aber und horchte, und ich auch, als eine der Frauen mit halbem Ernst Erzählungen aus meinem Leben vorzutragen begann, von den Meisten oft durch Gelächter und neue Geschichten unterbrochen. Auch die Königin nahm teil.

„Erinnerst du dich noch“, sagte diese zu mir, „an die Geschichte vom Blondel, aus deiner Kinderzeit? Es ist den Dichtern gegeben, dass sie sich mehr als andre Menschen ihres frühesten Lebens erinnern. Wenn du noch weisst, so erzähle uns doch davon.“

Die Begebenheit aus meiner ersten Knabenzeit, an die ich Jahre lang nicht gedacht hatte, stand plötzlich wieder deutlich vor mir, wie eine schüchterne Kindergestalt. Und ich berichtete: „Als ich noch klein und keine sechs Jahre alt war, geschah es irgendwo und wann, dass ich die Geschichte des Liedsängers Blondel zu hören bekam. Ich verstand sie wohl schlecht und vergass sie bald, aber der zarte, freundliche Name Blondel blieb in meinem Gedächtnis und schien mir wunderbar fein und wohltönend, so dass ich ihn mir oft leise vorsagte. Mit diesem Namen genannt zu werden, dünkte mich über alles köstlich und herzerfreuend. Also überredete ich im Spielen bald einen nachbarlichen Kameraden, mich so zu nennen, was mir überaus angenehm und schmeichelnd war. Nun gewöhnte sich das Büblein an meinen Spielnamen, und eines Vormittags kam er vor unser Haus, um mich abzuholen, stellte sich an den Zaun und rief aus vollem Halse gegen die Fenster: „Blondel! Komm herunter, Blondel!“ Mein Vater und die Mutter und Besuche waren im Zimmer, und mein laut ausgerufenes Lieblingsgeheimnis beschämte und empörte mich so sehr, dass ich mich nicht ans Fenster zu gehen getraute und nachher meinem erstaunten Kameraden zornig die Freundschaft aufkündigte, welche freilich bald wieder zusammenwuchs.“

„So war es“, sagte die Königin. „Nun aber, wenn du willst, erzähle uns, wo du dich heute am Morgen aufhieltest. Ich hatte gedacht dir das morgendliche Meer zu zeigen; du aber warst fort, ehe die Sonne schien.“

Ich verspürte früh’ eine Lust zu laufen und geriet in einen tiefen Wald, der mich mit allerlei Schatten und Geheimnissen weiter lockte, bis ein liebliches Wunder vor mich trat. Ich stand vor einem Weiher, dessen Spiegelgewässer meine zartesten Jugendgedanken noch mit allem kostbaren Duft bewahrt hatten. Über einen jenseitigen Hügel blickte der Turm des Klosters, das vor Zeiten mich und meine liebsten Jünglingsträume beherbergt hat.

„Ich weiss,“ sagte die Schönste, „das war deine edelste und ehrfürchtigste Zeit. Damals sah ich dich schwermütige Waldwege thun und knabentraurig in gefallenen Blättern rauschen, und nie bin ich dir näher gewesen, als an jenen Abenden, da du deine Geige an dich nahmst oder das Buch eines verehrten Dichters. Damals sah ich die Schatten der späteren Jahre sich dir nähern und fürchtete für dich, und ahnte wohl, dass du einmal mit einer neuen Jugend und einer neuen Trauer zu mir kommen würdest. Um jener sehnsüchtigen Zeit willen liebte ich dich noch in deinen verlorensten Jahren.“

Während sie dieses sagte, gliederte sich vor meiner Betrachtung wie ein Bild meine ganze Jugend und sah mich traurig mit Augen eines misshandelten Kindes an. Die Königin aber liess eine Geige herbeibringen, beendete das Mahl und bat mich zu spielen. Auch die Frauen bedrängten mich bittend und neckend, und Fortuna reichte mir mit einer gnädigen Bewegung den Bogen. So setzte ich leise an und zog den Bogen mild und probend, bis meine Finger sich wieder in die harten Geigergriffe gewöhnt hatten. Dann legte ich mich mit Lust in das Spiel und strich die leidenschaftlichen Takte einer dunklen Jugendphantasie. Und hernach, da ein langer Blick der schönen Frau Gertrud mich bat, spielte ich ein Notturno von Chopin, jenes schönste, windverwehte, dessen Takte sich wie die Lichter eines mondbeglänzten Meeres bewegen.

 

Ich war mit der Königin auf Waldwegen in ein Gartenschloss in der Nähe des Meerufers gegangen. Dort führte sie mich vor eine hohe, bemalte Wand. „Mein Lieblingsbild“, sagte sie. Mit grosser Kunst war hier ein südländischer Garten gemalt, voll dunkler, tiefschattiger Gebüsche, mit griechischen Bildsäulen und einer springenden Wasserkunst, an deren unterstes Becken eine Leier gelehnt war. „Kennst du den Garten?“

„Nein. Aber die Leier ist Ariosts.“ Sie lächelte. „Ariosto! Hier wandelt er noch zuweilen und sagt mir ein helles Spiel wiegender Oktaven vor, und lässt sich unter Scherzen von mir bekränzen.“

Auf einen leisen Wink der Herrin ward plötzlich die ganze bemalte Wand hinweggerückt. Ein unermesslicher Horizont rundete sich vor uns aus, und zu unsern Füssen lag dunkelgrün der ganze Garten des Bildes. Ein schlanker, dunkler Mann trat langsam aus einem Rondell, bückte sich nach der Leier und ahmte darauf spielend den Silberlaut der Fontäne nach. Darauf schritt er abwärts gegen das dunkelnde Meer und verschwand an der Gartenmauer. Mir ging die ganze Erscheinung vorüber wie ein Verspaar des Orlando, schlank, edelförmig, und schalkhaft wie ein Mädchengelächter. Dann ging ich selber, an der Hand der Königin, an das Meerufer hinab. Die leicht bewegte Fläche der See lag blau und rot und silberschillernd weit hinaus. Auf diesem Farbenspiel ruhten unsre Blicke lang mit fröhlichem Ergötzen. Dann bog die Schönste einiges Zweigwerk auseinander und zeigte eine weisse, schmale Treppe, welche ins Wasser führte. An diese fand ich mein Boot gebunden. Die Königin brach einen Zweig Orangeblüte, warf ihn in das Boot, drängte mich sanft hinab und gab mir die Hand.

„Nun reise gut! Abschiednehmen ist eine Kunst, die niemand zu Ende lernt. Ich weiss, du wirst einmal wieder kommen, bei mir Licht zu schöpfen, und einmal, wenn du keines Ruders mehr bedarfst.“

Mit einem schweren Gurgellaut zerbrach eine Welle an den Stufen und nahm rückflutend mein Boot auf ihren Rücken. Ich breitete beide Arme nach der hellen Gestalt, bis sie mit einem leichten Grüssen seitab in die Wandelgänge Ariostos verschwand. Die Nacht kam schnell und schlug den schweren Mantel der Finsternis um meine Trauer, und blickte herrlich aus tausend tröstenden Augen auf meine langsame Heimfahrt.

Share on Twitter Share on Facebook