c) Hürnen Seifrid.

In der Erzählung vom jungen Siegfried, wie sie in der Saga uns entgegentritt, kommen nicht wenig Züge vor, die, im Nibelungenliede fehlend, doch altertümlich sind und, wenn auch verwischt, in dem späten deutschen Liede vom Hürnen Seifrid wieder auftauchen. Dies Gedicht besteht aus zwei ganz lose verbundenen Teilen, deren erster ein kurzer Auszug aus einem verlorenen längern Gedicht ist. Der zweite, größere hebt vollständig von neuem an, als ob nichts vorausginge, und sein Inhalt widerspricht in wesentlichen Dingen dem des ersten. Im ersten Teil ist Siegfried als Sohn des Königs Sigmund aufgewachsen und so ungebärdig, daß man ihn gern ziehen läßt, als er nicht zu Hause bleiben will. Er tritt dann bei einem Schmiede in die Lehre, treibt aber nichts als Unfug; der Schmied schickt ihn deshalb in den Wald, damit ihn ein Drache töte, allein Siegfried überwindet den Drachen und badet sich in seinem Blute, wodurch er eine Hornhaut erwirbt. Die Erzählung ist der in der Thidrikssaga nahe verwandt. Angeschlossen sind (ziemlich zusammenhanglos) Bemerkungen über Herkunft und Bedeutung des Nibelungenhortes. Der zweite Teil erzählt, daß Kriemhilt, die Tochter des in Worms regierenden Königs Gibich, von einem Drachen entführt wird; Siegfried stößt jagend auf die Spur des Drachen, tötet ihn nach hartem Kampfe und erlöst die Jungfrau, die seine Gattin wird. Die Erzählung wird kurz bis auf seinen Tod fortgeführt. Der zweite Teil ist offenbare Neudichtung nach bekannten Motiven; für uns wichtig ist nur, daß (in offenbarem Widerspruche zum ersten Teile) erzählt wird, Siegfried sei ohne Kenntnis seiner Eltern aufgewachsen; in diesem Punkte ist der „Hürnen Seifrid“ altertümlich. — Auffälligerweise gilt Hagen im „Hürnen Seifrid“ als dritter Sohn Gibichs (neben Günther und Gernot); diese Übereinstimmung mit der nordischen Sagenform ist wohl zufällig; man wußte, daß Gibich drei Söhne gehabt hatte, und ersetzte den vergessenen Giselher durch den berühmten Helden.

[S. 66]

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