Zweiter Aufzug.

Dasselbe Zimmer.

Der Regennebel liegt noch immer über der Landschaft.

Pastor Manders und Frau Alving treten aus dem Speisezimmer.

Frau Alving (noch in der Thür). Gesegnete Mahlzeit, Herr Pastor. (Spricht ins Speisezimmer hinein.) Kommst du nicht mit, Oswald?

Oswald (drinnen). Nein, danke; ich will ein wenig ausgehen.

Frau Alving. Ja, thu' das; der Regen hat jetzt nachgelassen. (Schließt die Thür des Speisezimmers, geht zur Vorzimmerthür und ruft:) Regine!

Regine (draußen). Ja, gnädige Frau?

Frau Alving. Geh' hinunter ins Bügelzimmer und hilf mit den Kränzen.

Regine. Sehr wohl, gnädige Frau.

Frau Alving (vergewissert sich, daß Regine geht; schließt dann die Thür).

Pastor Manders. Er kann uns da drinnen doch nicht hören?

Frau Alving. Unmöglich, wenn die Thür geschlossen ist. Ueberdies will er ja spazieren gehen.

Pastor Manders. Ich bin noch ganz betäubt. Ich begreife nicht, wie ich nur einen Bissen von den gesegneten Speisen hinunter bringen konnte.

Frau Alving (sucht ihrer Unruhe Herrin zu werden, auf und ab gehend). Auch ich fasse es nicht. Aber was ist hier zu thun?

Pastor Manders. Ja, was ist zu thun? Ich weiß es meiner Treu nicht; in solchen Dingen bin ich gänzlich unerfahren.

Frau Alving. Ich bin überzeugt, daß bis jetzt wenigstens kein Unglück geschehen ist.

Pastor Manders. Nein, das möge der Himmel verhüten! Aber ein unpassendes Verhältnis ist es trotzdem.

Frau Alving. Das Ganze ist ein loser Einfall Oswalds; davon können Sie überzeugt sein.

Pastor Manders. Ja, wie gesagt, ich verstehe mich auf solche Sachen nicht; aber mich dünkt doch entschieden — —

Frau Alving. Aus dem Hause muß sie auf jeden Fall. Und das sofort. Das wenigstens ist sonnenklar. —

Pastor Manders. Ja, das versteht sich.

Frau Alving. Aber wohin? Wir können es doch nicht verantworten, sie —

Pastor Manders. Wohin? Natürlich nach Hause zu ihrem Vater.

Frau Alving. Zu wem meinen Sie?

Pastor Manders. Zu ihrem — Aber nein, Engstrand ist ja nicht —. Aber, mein Gott, Frau Alving, wie ist dies möglich? Vielleicht irren Sie sich doch!

Frau Alving. Leider irre ich mich in keiner Hinsicht. Johanna mußte mir alles bekennen, — — und Alving konnte nicht läugnen. Es blieb nichts anderes mehr zu thun übrig, als die Sache möglichst zu vertuschen.

Pastor Manders. Ja, das war wohl das einzig Mögliche.

Frau Alving. Das Mädchen mußte sofort den Dienst verlassen und bekam eine ziemlich große Summe, um bis auf Weiteres zu schweigen. Für das Uebrige sorgte sie selbst, als sie in die Stadt kam. Sie erneuerte ihre alte Bekanntschaft mit dem Tischler Engstrand; vermuthlich ließ sie ihn auch verstehen, wie viel Geld sie habe, und weiter erzählte sie ihm irgend etwas von einem Ausländer, der während des Sommers mit seiner Vergnügungsyacht hier gelegen haben sollte. Dann wurden Engstrand und sie in aller Eile getraut. Ja, Sie selbst haben sie ja getraut.

Pastor Manders. Aber wie soll ich mir das alles erklären —? Ich erinnere mich noch heute so deutlich, wie Engstrand zu mir kam, um die Trauung zu bestellen. Er war ganz niedergeschmettert und klagte sich so bitter an wegen des Leichtsinns, dessen er und seine Verlobte sich schuldig gemacht hatten.

Frau Alving. Ja, er mußte ja alle Schuld auf sich nehmen.

Pastor Manders. Aber eine solche Falschheit seinerseits! Und das mir gegenüber! Das hätte ich wahrlich Jacob Engstrand nicht zugetraut. Nun, ich werde ihn ordentlich vornehmen, darauf kann er sich verlassen. — Und dann das Unsittliche in einer solchen Verbindung! Um des Geldes Willen! Wie hoch belief sich die Geldsumme, über die das Mädchen verfügen konnte?

Frau Alving. Es waren 300 Speziesthaler.

Pastor Manders. Aber denken Sie nur, — für lumpige 300 Spezies hinzugehen und sich mit einer Gefallenen trauen zu lassen!

Frau Alving. Was sagen Sie denn von mir, die hinging und sich mit einem gefallenen Manne trauen ließ?

Pastor Manders. Aber Gott soll uns behüten! — Was sagen Sie? — Ein gefallener Mann!

Frau Alving. Glauben Sie vielleicht, daß Alving reiner war, da ich mit ihm an den Altar trat, als Johanna, da sie sich mit Engstrand trauen ließ?

Pastor Manders. Das sind doch aber himmelweit verschiedene Dinge —

Frau Alving. Durchaus nicht so verschieden. Allerdings war ein großer Unterschied im Preise; — lumpige 300 Thaler — und ein ganzes Vermögen!

Pastor Manders. Daß Sie aber so ungleiche Dinge neben einander stellen mögen. Sie hatten sich doch mit Ihrem Herzen und Ihren Angehörigen berathen!

Frau Alving (blickt ihn nicht an). Ich glaubte, Sie hätten errathen, wohin das, was Sie mein Herz nennen, sich damals verirrt hatte.

Pastor Manders (fremd). Hätte ich etwas derartiges errathen, so wäre ich nicht ein täglicher Gast in dem Hause Ihres Mannes gewesen.

Frau Alving. Nun, auf alle Fälle steht es fest, daß ich mich mit mir selbst nicht berieth.

Pastor Manders. Dann aber doch mit Ihren nächsten Verwandten; so wie es vorgeschrieben ist; mit Ihrer Mutter und Ihren beiden Tanten.

Frau Alving. Ja, das ist wahr. Die Drei machten das Rechenexempel für mich. O es ist unglaublich, wie klar sie mir bewiesen, daß es der reine Wahnsinn wäre, einen solchen Antrag auszuschlagen. Wenn meine Mutter jetzt herabsehen und wissen könnte, was aus all der Herrlichkeit geworden ist!

Pastor Manders. Für den Ausgang kann niemand verantwortlich gemacht werden. So viel steht wenigstens fest, daß Ihre Ehe in Uebereinstimmung mit jeder gesetzlichen Ordnung geschlossen wurde.

Frau Alving (am Fenster stehend). Ach ja, die Ordnung und das Gesetz! Manchmal glaube ich beinahe, daß diese beiden alles Unglück hier auf Erden stiften.

Pastor Manders. Frau Alving, jetzt versündigen Sie sich.

Frau Alving. Ja, das mag sein; aber ich ertrage all diese Bande und Rücksichten nicht länger. Ich kann nicht mehr! Ich muß mich zur Freiheit empor arbeiten!

Pastor Manders. Was wollen Sie damit sagen?

Frau Alving (trommelt gegen die Fensterscheiben). Ich hätte Alvings Leben niemals verheimlichen sollen. Aber damals wagte ich nicht anders zu handeln, — auch um meiner selbst willen nicht. So feige war ich.

Pastor Manders. Feige?

Frau Alving. Hätten die Leute etwas erfahren, so würden sie gesagt haben: Armer Mann, es ist ja begreiflich, daß er ausschweifend lebt, er, der eine Frau hat, die ihm davon läuft.

Pastor Manders. Solche Worte hätten auch eine gewisse Berechtigung gehabt.

Frau Alving (blickt ihn fest an). Wenn ich wäre, was ich sein sollte, so würde ich Oswald vornehmen und ihm sagen: Hör', mein Kind, dein Vater war ein gesunkener Mensch —

Pastor Manders. Aber du barmherziger Gott — —

Frau Alving. — — und dann würde ich ihm alles erzählen, was ich Ihnen gesagt habe, — haarklein!

Pastor Manders. Frau Alving, ich bin beinahe empört über Sie!

Frau Alving. Das weiß ich. Das weiß ich ja! Ich selbst empöre mich gegen den Gedanken. (Verläßt das Fenster.) So feige bin ich!

Pastor Manders. Und Sie nennen es feige, wenn Sie auch noch fernerhin Ihre Pflicht und Schuldigkeit thun. Haben Sie vergessen, daß ein Kind Vater und Mutter ehren soll?

Frau Alving. Nehmen wir die Sache nicht so allgemein. Fragen wir hingegen: soll Oswald Alving den Kammerherrn Alving ehren und lieben?

Pastor Manders. Ist denn keine Stimme in Ihrem Mutterherzen, die Ihnen verbietet, die Ideale Ihres Sohnes zu zertrümmern?

Frau Alving. Und was wird dann aus der Wahrheit?

Pastor Manders. Und was wird aus den Idealen?

Frau Alving. Ach — Ideale, Ideale! Wenn ich nur nicht so feige wäre, wie ich bin!

Pastor Manders. Verwerfen Sie die Ideale nicht, Frau Alving, — denn das rächt sich bitter. Und besonders bei Oswald. Oswald hat leider nicht so viele Ideale. Aber so viel habe ich doch schon bemerkt, daß sein Vater ihm ein Ideal ist.

Frau Alving. Darin haben Sie Recht.

Pastor Manders. Und diese Vorstellungen haben Sie ja selbst durch Ihre Briefe in ihm geweckt und genährt.

Frau Alving. Ja; Pflichten und Rücksichten zwangen mich dazu. Deshalb log ich jahraus, jahrein meinem Jungen gegenüber. Ah! wie feig, — wie feig bin ich gewesen!

Pastor Manders. Es hat eine glückliche Illusion bei Ihrem Sohne befestigt, Frau Alving, — und das dürfen Sie wahrlich nicht unterschätzen.

Frau Alving. Hm! — wer weiß, ob das sich jetzt als gut erweist. Aber irgend welche Gemeinschaft mit Regine dulde ich unter keinen Umständen. Er soll nicht hingehen und das arme Mädchen unglücklich machen.

Pastor Manders. Nein; du großer Gott, das wäre ja entsetzlich!

Frau Alving. Wenn ich nur wüßte, ob er es ehrlich meint, und ob es zu seinem Glücke führen würde — —

Pastor Manders. Wie? Und was dann?

Frau Alving. Aber dazu würde es nicht führen; denn Regine ist leider nicht derartig veranlagt.

Pastor Manders. Nun, was dann? Was meinen Sie?

Frau Alving. Wenn ich nicht so gottsjämmerlich feige wäre, wie ich es bin, so würde ich zu ihm sagen: »verheirathe dich mit ihr, oder richtet euch ein, wie ihr wollt; aber nur keinen Betrug!«

Pastor Manders. Aber du barmherziger —! Eine gesetzmäßige Ehe dann! Etwas so Entsetzliches —! Etwas so Unerhörtes!

Frau Alving. Ja. Sagen Sie unerhört? Die Hand aufs Herz, Pastor Manders; glauben Sie nicht, daß es da draußen im ganzen Lande umher viele Ehepaare giebt, die eben so nahe verwandt sind?

Pastor Manders. Ich verstehe Sie durchaus gar nicht!

Frau Alving. O, Sie verstehen mich sehr wohl.

Pastor Manders. Nun, — Sie denken sich den möglichen Fall, daß —. Ja, leider ist das Familienleben nicht immer so rein, wie es sein sollte. Aber das, worauf Sie abzielen, sind doch immer nur Dinge, die man nicht wissen kann, — wenigstens nicht mit Bestimmtheit. Hier hingegen —; daß Sie, die Mutter, zugeben wollen, daß Ihr —!

Frau Alving. Aber ich will es ja nicht. Ich will es um keinen Preis der Welt; das ist's ja grade was ich sage.

Pastor Manders. Aber nur deshalb nicht, weil Sie feig sind, wie Sie sich ausdrücken. Wenn Sie also nicht feig wären —! Du mein Schöpfer! — eine so empörende Verbindung!

Frau Alving. Ja, man sagt, daß wir alle miteinander aus solchen Verbindungen stammen. Und wer ist es, der es derartig auf dieser Welt eingerichtet hat, Pastor Manders?

Pastor Manders. Solche Fragen erörtere ich nicht mit Ihnen, Frau Alving; dazu haben Sie durchaus nicht den rechten Sinn. Daß Sie aber zu sagen wagen, es sei nur Feigheit Ihrerseits — —!

Frau Alving. Jetzt sollen Sie hören, wie ich es meine! Ich bin furchtsam und scheu, weil in mir etwas von diesem Gespensterartigen steckt, das ich niemals so recht los werden kann.

Pastor Manders. Wie nannten Sie es?

Frau Alving. Gespensterartig. Als ich Regine und Oswald da drinnen hörte, war mir's, als sähe ich Gespenster vor mir. Aber ich glaube beinahe, Pastor Manders, wir alle sind Gespenster. Es ist nicht allein das, was wir von Vater und Mutter geerbt haben, das in uns umgeht. Es sind allerhand alte, todte Ansichten und aller mögliche alte Glaube und dergleichen. Es lebt nicht in uns; aber es steckt in uns und wir können es nicht los werden. Wenn ich nur eine Zeitung in die Hand nehme, um daraus zu lesen, so ist's mir schon, als sähe ich die Gespenster zwischen den Zeilen umher schleichen. Im ganzen Lande müssen Gespenster leben. Mir ist's, als müßten sie so dicht sein, wie der Sand am Meer. Und dann sind wir alle mit einander ja so gottsjämmerlich lichtscheu.

Pastor Manders. Aha! Da haben wir also die Ausbeute Ihrer Lectüre. Schöne Früchte in der That! O, diese abscheulichen, aufrührerischen, freigeistigen Schriften!

Frau Alving. Sie irren, lieber Pastor. Sie selbst sind der Mann, der mich zum Denken geführt hat, und dafür danke ich Ihnen!

Pastor Manders. Ich!

Frau Alving. Ja; als Sie mich in das hinein zwängten, was Sie Pflicht und Schuldigkeit nannten; als Sie das als recht und wahr lobpriesen, wogegen meine ganze Seele sich als etwas Widerliches empörte. Da war es, daß ich Ihre Lehren an meinem eigenen Saum prüfen wollte. Nur einen einzigen, kleinen Stich gedachte ich aufzuziehen; aber als ich den gelöst hatte, riß das Ganze auf. — Und da sah ich, daß alles nur Maschinennähterei sei!

Pastor Manders (leise, erschüttert). Sollte das der Gewinn aus dem schwersten Kampf meines Lebens gewesen sein?

Frau Alving. Nennen Sie es lieber Ihre traurigste Niederlage!

Pastor Manders. Es war der größte Sieg meines Lebens, Helene; der Sieg über mich selbst.

Frau Alving. Es war ein Verbrechen gegen uns beide.

Pastor Manders. Daß ich Ihnen gebot und sagte: »Weib, geh' heim zu deinem angetrauten Gatten,« als Sie wie im Wahnsinn zu mir kamen und riefen: »hier bin ich, nimm mich!« War das ein Verbrechen?

Frau Alving. In meinen Augen, ja!

Pastor Manders. Wir verstehen einander nicht.

Frau Alving. Wenigstens jetzt nicht mehr.

Pastor Manders. Niemals, — niemals, nicht einmal in meinen geheimsten Gedanken habe ich anders an Sie gedacht, als an die Gattin meines Freundes.

Frau Alving. Glauben Sie selbst das?

Pastor Manders. Helene —!

Frau Alving. Man verliert sich selbst so leicht aus dem Gedächtnis!

Pastor Manders. Ich nicht. Ich bin derselbe, der ich immer war.

Frau Alving (schlägt einen andern Ton an). Ja, ja, ja; — sprechen wir nicht mehr von alten Zeiten. Jetzt sitzen Sie bis über die Ohren in Commissionen und Aemtern; und ich gehe hier umher und kämpfe mit sichtbaren und unsichtbaren Gespenstern.

Pastor Manders. Die sichtbaren will ich Ihnen bannen helfen. Nach allem, was ich mit Schrecken heute von Ihnen vernommen habe, kann ich es nicht vor meinem Gewissen verantworten, ein junges, argloses Mädchen in Ihrem Hause zu lassen.

Frau Alving. Halten Sie es nicht für das Beste, wenn wir sie versorgen könnten? Ich meine — durch eine gute Heirath.

Pastor Manders. Ohne Zweifel. Das scheint mir in jeder Beziehung wünschenswerth für sie. Regine ist ja jetzt in dem Alter, wo —: ja, ich verstehe mich nicht recht darauf, aber —

Frau Alving. Regine war schon frühzeitig erwachsen.

Pastor Manders. Ja, nicht wahr? Mir ist, als wäre sie in körperlicher Beziehung schon auffallend stark entwickelt gewesen, als ich sie für die Confirmation vorbereitete. Aber vorläufig muß sie auf jeden Fall nach Hause gehen, unter die Aufsicht ihres Vaters —. Nein, aber Engstrand ist ja nicht — —. Daß er — daß er auf solche Weise mir die Wahrheit verheimlichen konnte! (Starkes Klopfen an der Thür des Vorzimmers.)

Frau Alving. Wer kann das nur sein? Herein!

Engstrand (in Sonntagskleidern, in der Thür). Ich bitte unterthänigst um Entschuldigung, aber —

Pastor Manders. Aha! Hm —

Frau Alving. Sind Sie es, Engstrand?

Engstrand. Es war keine von den Dienstmädchen zu sehen, und da nahm ich mir selbst die Freiheit, ein wenig anzuklopfen.

Frau Alving. Nun ja, ja. Kommen Sie nur herein. Wollen Sie mit mir sprechen?

Engstrand (tritt ein). Nein, ich danke unterthänigst. Ich möchte gern mit dem Herrn Pastor ein kleines Wort reden.

Pastor Manders (geht auf und ab). Hm! Mit mir wollen Sie sprechen? Das wollten Sie?

Engstrand. Ja, ich möchte gern — —

Pastor Manders (bleibt vor ihm stehen). Nun, darf ich fragen, was Sie möchten?

Engstrand. Ja, es war nämlich das, Herr Pastor, daß wir da unten klariren. Vielen Dank, gnädige Frau. — Und nun sind wir mit allem fertig; und da scheint es mir, daß es so schön und passend wäre, wenn wir, die wir während der ganzen Zeit so ehrlich mit einander gearbeitet haben — wenn wir heute Abend mit einer kleinen Andacht schlössen.

Pastor Manders. Eine Andacht? Unten im Asyl?

Engstrand. Ja, aber wenn es dem Herrn Pastor nicht passend scheint, so —

Pastor Manders. O gewiß scheint es mir das, aber — hm —

Engstrand. Ich habe oft selbst des Abends dort unten eine Andacht gehalten — — —

Frau Alving. Wirklich?

Engstrand. Ja, von Zeit zu Zeit. Was man so eine kleine Erbauung nennt. Aber ich bin ja ein geringer, gemeiner Mann und habe nicht die richtige Gabe, — Gott bessere mich — und so dachte ich, weil doch Herr Pastor Manders grade hier draußen ist, so —

Pastor Manders. Ja, sehen Sie, Tischler Engstrand, ich muß erst eine Frage an Sie richten. Sind Sie in der rechten Stimmung für eine solche Versammlung? Fühlen Sie Ihr Gewissen frei und leicht?

Engstrand. Ach, Gott helfe uns, Herr Pastor, es ist wohl nicht der Mühe werth, über das Gewissen zu reden.

Pastor Manders. Ja, grade werden wir darüber reden. Was haben Sie mir also zu antworten?

Engstrand. Ja, das Gewissen — damit kann es zuweilen schlecht bestellt sein.

Pastor Manders. Das sehen Sie also wenigstens ein! Aber wollen Sie mir jetzt ohne Umschweif sagen, — wie hängt das mit Regine zusammen?

Frau Alving (heftig). Pastor Manders!

Pastor Manders (beruhigend). Lassen Sie mich nur —

Engstrand. Mit Regine! Jesus, wie Sie mich erschrecken! (Sieht Frau Alving an.) Es ist doch wohl nichts mit Regine geschehen?

Pastor Manders. Das wollen wir hoffen. Aber ich meine, wie hängt die Sache mit Ihnen und Regine zusammen? Sie gelten für Ihren Vater. Nun?

Engstrand (unsicher). Ja — hm — Herr Pastor, Sie wissen ja die Geschichte mit mir und der seligen Johanna.

Pastor Manders. Jetzt keine Verdrehung der Wahrheit mehr. Ihre verstorbene Frau hat Frau Alving den wahren Sachverhalt mitgetheilt, bevor sie aus dem Dienst ging.

Engstrand. Nun, da soll doch gleich —! Hat sie das wirklich gethan?

Pastor Manders. Sie sind also entlarvt, Engstrand.

Engstrand. Und sie, die so heilig geschworen und geflucht — —

Pastor Manders. Fluchte sie!

Engstrand. Nein, sie schwor nur, aber so innig aufrichtig.

Pastor Manders. Und während all dieser Jahre haben Sie die Wahrheit vor mir verheimlicht. Verheimlicht vor mir, der Ihnen in einem und allem so unbedingt getraut hat.

Engstrand. Ja, leider that ich das.

Pastor Manders. Habe ich das um Sie verdient, Engstrand? Bin ich nicht stets bereit gewesen, Ihnen mit Rath und That an die Hand zu gehen, so weit es in meiner Macht stand? Antworten Sie! War es nicht so?

Engstrand. Es wäre mir gar manches Mal schlecht ergangen, wenn ich Pastor Manders nicht gehabt hätte.

Pastor Manders. Und jetzt danken Sie mir's auf diese Weise. Bringen mich dazu, Unwahrheiten ins Kirchenbuch einzutragen und vorenthalten mir dann Jahre hindurch die Aufklärungen, welche Sie mir und der Wahrheit schuldig waren. Ihre Handlungsweise ist ganz unverantwortlich gewesen, Engstrand; und von heute an ist es mit uns beiden aus!

Engstrand (seufzend). Ja, so wird es wohl sein müssen!

Pastor Manders. Wie wollten Sie sich denn auch rechtfertigen?

Engstrand. Hätte sie denn hingehen sollen und die Schande noch größer machen, indem sie darüber klatschte? Herr Pastor, stellen Sie sich nur vor, daß Sie in derselben Verfassung wären, wie die selige Johanna —

Pastor Manders. Ich!?

Engstrand. Jesus ja, ich meine ja nicht accurat so. Ich meine nur, wenn Sie, Herr Pastor, etwas hätten, wovor Sie sich in den Augen der Menschen zu schämen hätten, wie man so sagt. Wir Mannsleute sollten ein armes Weib nicht zu strenge beurtheilen, Herr Pastor.

Pastor Manders. Aber das thue ich ja gar nicht. Gegen Sie richte ich meine Vorwürfe.

Engstrand. Darf ich vielleicht eine klein winzige Frage thun, Herr Pastor?

Pastor Manders. Meinetwegen, fragen Sie.

Engstrand. Ist es nicht gut und recht, wenn ein Mann eine Gefallene aufrichtet?

Pastor Manders. Selbstverständlich, ja.

Engstrand. Und muß ein Mann sein aufrichtig gegebenes Wort nicht halten?

Pastor Manders. Gewiß muß er das; aber —

Engstrand. Damals, als Johanna ins Unglück gekommen war durch jenen Engländer — oder vielleicht war es auch ein Amerikaner oder ein Rußländer, wie man sie nennt, — damals kam sie in die Stadt. Die Arme! Ein oder zwei Mal hatte sie mich schon verschmäht; denn sie sah ja nur auf das, was schön war; und ich hatte diesen Schaden hier am Bein. Ja, Herr Pastor, Sie erinnern sich ja, ich hatte mich auf einen Tanzboden gewagt, wo seefahrende Leute, wie man so sagt, mit Rausch und Trunkenheit umgingen. Und als ich sie nun ermahnen wollte, ein neues Leben zu beginnen —

Frau Alving (drüben am Fenster). Hm —!

Pastor Manders. Ja, ich weiß, Engstrand. Die rohen Menschen warfen Sie die Treppe hinunter. Die Begebenheit haben Sie mir schon öfter erzählt. Sie tragen Ihr Gebrechen in Ehren.

Engstrand. Ich brüste mich nicht damit, Herr Pastor. Aber das war's, was ich erzählen wollte. Sie kam damals zu mir und vertraute mir ihr Unglück unter Thränen und Zähneklappern an. Ich muß sagen, Herr Pastor, es that mir so in der Seele weh, das mit anzuhören.

Pastor Manders. Wirklich, Engstrand? Nun, und weiter?

Engstrand. Ja, da sagte ich zu ihr: Der Amerikaner streift auf dem Weltmeer umher. Und du, Johanna, sagte ich, du hast einen Sündenfall begangen und bist ein verlorenes Geschöpf. Aber Jacob Engstrand, sagte ich, der steht auf zwei reellen Beinen — ja, das meinte ich so ungefähr wie ein Gleichnis, Herr Pastor.

Pastor Manders. Ich verstehe schon, nur weiter.

Engstrand. Ja, so richtete ich sie auf und heirathete sie ehrlich, damit die Leute nicht erfahren sollten, wie sie sich mit den Ausländern verirrt hatte.

Pastor Manders. Das war schön gehandelt von Ihnen. Ich kann nur nicht billigen, daß Sie sich dazu bequemten, Geld anzunehmen und —

Engstrand. Geld? Ich? Nicht einen Heller.

Pastor Manders (fragend zu Frau Alving gewendet). Aber —!

Engstrand. Ach ja, — warten Sie nur; jetzt fällt mir's ein. Johanna hatte ein paar Schillinge. Aber davon wollte ich nichts wissen: Pfui, sagte ich, Mammon! Sündensold! das elende Gold — oder vielleicht war es auch Papiergeld — — das werfen wir dem Amerikaner wieder ins Gesicht, sagte ich. Aber er war fort und verschwunden über das wilde Meer, Herr Pastor.

Pastor Manders. War er das, mein guter Engstrand?

Engstrand. Ja wohl. Und dann wurden Johanna und ich darüber einig, daß das Kind für das Geld erzogen werden sollte; das geschah auch; und ich kann für jeden einzigen Schilling Rechenschaft ablegen.

Pastor Manders. Aber das verändert die Sache ja ganz bedeutend.

Engstrand. So hängt die Geschichte zusammen, Herr Pastor. Und ich darf wohl sagen, daß ich für Regine ein aufrichtiger Vater gewesen bin, — so weit meine Kräfte reichten — denn ich bin leider nur ein schwacher Mensch.

Pastor Manders. Nun, nun, mein lieber Engstrand — —

Engstrand. Aber das darf ich wohl sagen, daß ich das Kind in der Furcht erzogen und in Liebe mit der seligen Johanna gelebt und Hauszucht gehalten habe, wie es geschrieben steht. Aber das konnte mir doch niemals einfallen, zu Pastor Manders hinauf zu gehen und mich zu brüsten und ihm zu sagen, daß ich auch einmal im Leben ein gutes Werk gethan habe. Nein, wenn Jacob Engstrand so etwas passirt, so schweigt er hübsch still. Leider kommt so etwas nicht oft vor. Und wenn ich zum Herrn Pastor hinauf komme, so habe ich immer so viel zu sprechen von dem, was schwach und elend ist. Denn ich sage, was ich neulich schon sagte, — das Gewissen kann einen dann und wann gewaltig plagen.

Pastor Manders. Geben Sie mir die Hand, Jacob Engstrand.

Engstrand. Jesus, Herr Pastor!

Pastor Manders. Keine Ausflüchte. (Drückt seine Hand.) So ist's recht!

Engstrand. Und wenn ich den Herrn Pastor schön um Verzeihung bitten dürfte —

Pastor Manders. Sie? Nein, umgekehrt; ich habe Sie um Verzeihung zu bitten — —

Engstrand. Nein! Gott behüte!

Pastor Manders. Ja, wahrhaftig. Und ich thue es von ganzem Herzen. Verzeihen Sie, daß ich Sie so verkennen konnte. Und Gott gebe, daß ich Ihnen bald einen Beweis meines Vertrauens und meines Wohlwollens geben könnte —

Engstrand. Möchten Sie das thun, Herr Pastor?

Pastor Manders. Mit dem allergrößten Vergnügen —

Engstrand. Nun, dazu wäre gleich eine Gelegenheit. Mit dem gesegneten Gelde, das ich mir hier draußen erspart habe, denke ich in der Stadt so eine Art von Seemanns-Heim zu gründen.

Frau Alving. Das wollen Sie?

Engstrand. Ja, es sollte so eine Art Asyl werden. Die Versuchungen sind so mannigfaltig für den Seemann, der auf dem Festlande wandelt. Aber bei mir, in solchem Hause, wäre er wie unter Aufsicht eines Vaters, dächte ich.

Pastor Manders. Was sagen Sie dazu, Frau Alving?

Engstrand. Es ist nicht viel, womit ich beginnen kann, Gott bessere es; aber wenn irgend ein Wohlthäter mir nur die Hand reichte, so — —

Pastor Manders. Ja, überlegen wir die Sache näher. Ihr Vorhaben sagt mir ganz außerordentlich zu. — Aber jetzt gehen Sie nur hinunter und machen Sie alles in Ordnung, zünden Sie Licht an, damit es ein wenig feierlich aussieht. Dann werden wir eine schöne Erbauungsstunde mit einander halten, mein lieber Engstrand; denn jetzt glaube ich wirklich, daß Sie in der rechten Stimmung sind.

Engstrand. Mir scheint es auch so, ja. Und nun leben Sie wohl, Frau Alving, ich danke Ihnen für alles. Behüten Sie mir die Regine auch gut. (Trocknet eine Thräne.) Johanna's Kind — hm, es ist wunderlich damit — aber es ist grade als ob sie mir fest ans Herz gewachsen wäre. Ja, ja, es ist so! (Er grüßt und geht durch das Vorzimmer ab.)

Pastor Manders. Nun, was sagen Sie jetzt von dem Manne, Frau Alving? Das war eine andere Erklärung, die wir da gehört haben.

Frau Alving. Ja, das war es allerdings!

Pastor Manders. Da sehen Sie nun wieder, wie sehr wir uns hüten müssen, einen Menschen zu verdammen. Freilich ist es dann wiederum auch eine große Freude, einzusehen, daß man einen Irrthum begangen hat. Oder was meinen Sie dazu?

Frau Alving. Ich meine, daß Sie ein großes Kind sind und bleiben werden, Manders.

Pastor Manders. Ich?

Frau Alving (legt ihre beiden Hände auf seine Schultern). Und ich meine weiter, daß ich Lust hätte, meine beiden Arme um Ihren Hals zu schlingen.

Pastor Manders (zieht sich hastig zurück). Nein, nein, Gott behüte uns! — solche Gelüste —

Frau Alving (lächelnd). Ach! Sie fürchten sich sogar vor mir!

Pastor Manders (am Tische stehend). Sie haben zuweilen eine so übertriebene Art und Weise, sich auszudrücken. — Doch jetzt will ich erst die Documente sammeln und sie in meine Tasche legen. (Thut es.) Das wäre also geschehen. Und nun leben Sie inzwischen wohl. Passen Sie auf, wenn Oswald zurück kommt. Ich komme später wieder zu Ihnen. (Nimmt seinen Hut und geht durch die Vorzimmerthür ab.)

Frau Alving (seufzt tief auf, blickt einen Augenblick zum Fenster hinaus, räumt ein wenig im Zimmer auf und will dann in das Speisezimmer gehen, bleibt aber mit einem unterdrückten Aufschrei in der Thür stehen). Oswald! Du sitzest noch bei Tische!

Oswald (im Speisezimmer). Ich rauche nur meine Cigarre zu Ende.

Frau Alving. Wolltest du nicht einen kleinen Spaziergang machen?

Oswald. In solchem Wetter? (Ein Glas klirrt. Frau Alving läßt die Thür offen stehen und setzt sich mit ihrem Strickzeug auf das Sopha am Fenster.)

Oswald (von drinnen). War es nicht Pastor Manders, der eben fort ging?

Frau Alving. Ja, er ist zum Asyl hinunter gegangen.

Oswald. Hm! (Glas und Karaffe klirren wieder.)

Frau Alving (mit bekümmerter Miene). Lieber Oswald, du solltest mit dem Liqueur vorsichtig sein. Er ist sehr stark.

Oswald. Er ist gut bei so feuchtem Wetter.

Frau Alving. Willst du nicht lieber zu mir herein kommen?

Oswald. Da drinnen darf ich ja nicht rauchen.

Frau Alving. Du weißt doch, daß du eine Cigarre rauchen darfst!

Oswald. Ja, ja, dann komme ich. Nur noch einen kleinen Tropfen. — Gleich! (Er tritt mit seiner Cigarre ins Zimmer und schließt die Thür hinter sich. — Kurze Pause.)

Oswald. Wohin ist der Pastor gegangen?

Frau Alving. Ich sagte dir ja schon, hinunter ins Asyl.

Oswald. Ach ja, das ist wahr.

Frau Alving. Du solltest nicht so lange bei Tische sitzen, Oswald.

Oswald (mit der Cigarre auf dem Rücken). Aber Mutter, ich fühle mich so gemüthlich dabei. (Streichelt sie.) Denk' nur, — was ist das doch für mich, der jetzt heimgekehrt ist, an Mutters Tisch zu sitzen, in Mutters Zimmer — und Mutters gute Speisen zu essen.

Frau Alving. Mein lieber, lieber Junge!

Oswald (ein wenig ungeduldig, geht rauchend auf und ab). Und was soll ich hier sonst auch beginnen? Ich habe nichts zu thun —

Frau Alving. Schaffe dir etwas zu thun — —

Oswald. Bei diesem düstern Wetter? Den ganzen Tag keinen Sonnenstrahl? (Auf und ab gehend.) Ach ja, das — nicht arbeiten zu können —!

Frau Alving. Vielleicht war es doch nicht wohl überlegt von dir, heim zu kommen.

Oswald. Doch, Mutter; es mußte sein.

Frau Alving. Ja, denn zehn Mal lieber will ich das Glück entbehren, dich zu Hause zu haben, als daß du —

Oswald (bleibt am Tisch stehen). Aber sag' mir doch, Mutter, ist es wirklich ein so großes Glück für dich, mich hier zu haben?

Frau Alving. Ob es ein Glück für mich ist!

Oswald (zerknittert eine Zeitung). Mir ist's, als müsse es dir gleichgiltig sein, ob ich lebe oder nicht.

Frau Alving. Und du hast das Herz, deiner Mutter das zu sagen?

Oswald. Du hast ja früher so gut ohne mich leben können.

Frau Alving. Ja; ich habe ohne dich gelebt; — es ist wahr. (Pause. Die Dämmerung beginnt langsam sich herab zu senken. Oswald geht auf und nieder. Er hat die Cigarre fortgelegt.)

Oswald (bleibt vor Frau Alving stehen). Mutter, darf ich mich neben dich auf das Sopha setzen?

Frau Alving (macht ihm Platz). Ja, komm mein lieber Junge.

Oswald (setzt sich). Ich muß dir etwas sagen, Mutter.

Frau Alving (gespannt). Nun?

Oswald (starrt vor sich hin). Ich kann es nicht länger ertragen.

Frau Alving. Was! Was ist es?

Oswald (wie zuvor). Ich habe nicht den Muth gehabt, es dir zu schreiben; und seitdem ich wieder daheim bin — — —

Frau Alving (erfaßt seinen Arm). Oswald! Was ist es!

Oswald. Sowohl gestern wie heute habe ich versucht, die Gedanken von mir zu weisen, — mich los zu machen. Aber es geht nicht.

Frau Alving (erhebt sich). Jetzt mußt du offen reden, Oswald!

Oswald (zieht sie wieder auf das Sopha herab). Bleib, Mutter, und ich will versuchen, es dir zu sagen. — Ich habe über Müdigkeit nach der Reise geklagt —

Frau Alving. Nun ja. Und was weiter?

Oswald. Aber das ist es nicht; — keine gewöhnliche Müdigkeit —

Frau Alving (will aufspringen). Du bist doch nicht krank, Oswald?

Oswald (zieht sie wieder auf das Sopha). Bleib, Mutter. Nimm es nur ruhig. Ich bin ja auch nicht wirklich krank; nicht das, was man gewöhnlich krank nennt. (Schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.) Mutter, ich bin geistig gebrochen, — vernichtet, — ich kann niemals wieder arbeiten! (Verbirgt das Gesicht in den Händen, wirft sich in den Schoos der Mutter, und bricht in lautes Weinen aus.)

Frau Alving (bleich und zitternd). Oswald! Sieh mich an! Nein, nein, das ist nicht wahr.

Oswald (blickt verzweifelt zu ihr auf). Niemals wieder arbeiten können! Niemals! — niemals! Lebendig todt sein! Mutter, kannst du dir etwas so Entsetzliches vorstellen?

Frau Alving. Mein unglücklicher Sohn! Wie ist dies Furchtbare über dich gekommen?

Oswald (richtet sich wieder empor). Ja, das ist's ja grade, was mir unmöglich ist zu fassen und zu begreifen. Ich habe niemals ein stürmisches Leben geführt. In keiner Beziehung. Das darfst du nicht von mir glauben, Mutter! Das habe ich nie gethan!

Frau Alving. Das glaube ich auch nicht, Oswald.

Oswald. Und trotzdem ist dies über mich gekommen! Dieses entsetzliche Unglück!

Frau Alving. Aber es wird wieder besser werden, mein lieber, gesegneter Junge. Es ist nichts als Ueberanstrengung. Das kannst du glauben.

Oswald (schwermüthig). Das glaubte ich anfangs auch; aber — es ist nicht der Fall.

Frau Alving. Erzähle mir alles von Anfang bis zu Ende.

Oswald. Das will ich auch.

Frau Alving. Wann hast du es zuerst bemerkt?

Oswald. Gleich nachdem ich das letzte Mal zu Hause war und nach Paris zurückkam. Da bekam ich die heftigsten Kopfschmerzen — meistens im Hinterkopf, wie es mir schien. Es war als würde mir ein enger Eisenring um Nacken und Kopf geschraubt.

Frau Alving. Und dann?

Oswald. Anfangs glaubte ich, es sei nichts Anderes, als der gewöhnliche Kopfschmerz, der mich in meiner Jugend so sehr gequält.

Frau Alving. Ja, ja —

Oswald. Aber dem war nicht so; das merkte ich bald. Ich konnte nicht mehr arbeiten. Ich wollte ein neues, großes Bild beginnen; aber es war, als hätten alle Kräfte mich verlassen; ich war wie gelähmt; ich konnte mich nicht mehr zu festen Vorstellungen sammeln; mir schwindelte, — alles ging im Kreise. Ah, es war ein entsetzlicher Zustand! Schließlich ließ ich den Arzt holen, — und von ihm erfuhr ich die Wahrheit.

Frau Alving. Wie meinst du das?

Oswald. Er war einer der größten Aerzte dort unten. Ich mußte ihm erzählen, was ich empfand; und dann begann er, mir eine Menge Fragen zu stellen, die mir scheinbar gar nicht zur Sache gehörig schienen; ich begriff nicht wo hinaus der Mann wollte — —

Frau Alving. Nun?

Oswald. Und schließlich sagte er dann: schon seit Ihrer Geburt haben Sie diese wurmstichige Stelle; — ja, er gebrauchte grade den Ausdruck »vermoulu«.

Frau Alving (gespannt). Was meinte er damit?

Oswald. Auch ich verstand ihn anfangs nicht und bat ihn um eine nähere Erklärung. Und da sagte der alte Cyniker — (Ballt die Faust.) — Ah —!

Frau Alving. Was sagte er?

Oswald. Er sagte: Die Sünden der Väter werden an den Kindern heimgesucht.

Frau Alving (erhebt sich langsam). Die Sünden der Väter —!

Oswald. Ich hätte ihn beinahe zu Boden geschlagen —

Frau Alving (geht durch das Zimmer). Die Sünden der Väter —

Oswald (lächelt schwermüthig). Ja, was sagst du dazu? Ich versicherte ihn selbstverständlich, daß von solchen Dingen gar nicht die Rede sein könne. Aber meinst du, daß er mir glaubte? Nein; er blieb bei seiner Meinung; und erst, als ich deine Briefe hervor nahm und ihm all jene Stellen übersetzte, die vom Vater handelten —

Frau Alving. Da —?

Oswald. Ja, da mußte er einräumen, daß er auf falscher Fährte; — und dann erfuhr ich die Wahrheit. Die unfaßbare Wahrheit! Ich hätte mich fern halten sollen von diesem jubelnden, glückseligen Jugendleben mit den Kameraden. Es sei für meine Kräfte zu stürmisch gewesen. Selbstverschuldet, also!

Frau Alving. Oswald! Nein, nein! Glaub' das nicht!

Oswald. Es sei keine andere Erklärung möglich, sagte er. Das ist das Entsetzliche. Unheilbar vernichtet für das ganze Leben — — durch meine eigene Unbesonnenheit. — All das Schöne, das Große, das ich auf dieser Welt geschaffen haben würde, — nicht einmal daran denken dürfen, — nicht daran denken können! — Ach, könnte ich das Leben von neuem beginnen, — alles, alles ungeschehen machen! (Wirft sich aufs Sopha, verbirgt das Gesicht.)

Frau Alving (ringt die Hände, geht schweigend aber sichtbar kämpfend auf und ab).

Oswald (nach einer Pause aufblickend und auf den Ellenbogen gestützt liegen bleibend). Wenn es wenigstens ererbt gewesen wäre, — etwas, das ich nicht selbst verschuldet. Aber dieses! Sein eignes Glück, — seine Gesundheit, — alles auf der Welt, — seine Zukunft — sein Leben auf so schmähliche, gedankenlose, leichtsinnige Weise vergeudet zu haben —! Fürchterlich!

Frau Alving. Nein, nein, mein lieber, theurer Sohn; das ist unmöglich! (Beugt sich über ihn.) Es steht nicht so verzweifelt mit dir wie du glaubst.

Oswald. O, du weißt nicht — (Springt auf.) Und dann, Mutter, daß ich dir all diesen Kummer bereiten muß! Wie manches Mal habe ich doch gewünscht und gehofft, daß du mich nicht so innig lieben möchtest!

Frau Alving. Ich! Oswald, mein einziger Sohn! Das Einzige, was ich auf der Welt besitze; das Einzige, woran meine Seele hängt.

Oswald (ergreift ihre beiden Hände und küßt sie). Ja, ja, ich sehe es wohl. Wenn ich hier bei dir daheim bin, so sehe ich es. Und das ist grade das Schwerste für mich. — Aber nun weißt du es. Laß uns heute nicht mehr darüber sprechen. Ich darf niemals lange daran denken. (Auf und ab gehend.) Schaffe mir etwas zu trinken, Mutter!

Frau Alving. Trinken? Was willst du jetzt trinken?

Oswald. Ach, irgend etwas. — Du hast ja kalten Punsch im Hause.

Frau Alving. Ja; — aber mein lieber Oswald —

Oswald. Widersprich mir nicht, Mutter. Sei gut! Ich muß etwas haben, um all diese nagenden Gedanken hinunter zu spülen. (Geht ins Blumenzimmer.) Und dann — — wie dunkel es hier ist!

Frau Alving (zieht einen Glockenzug rechts).

Oswald. Dieses ununterbrochene Regenwetter obendrein. Woche auf Woche kann es anhalten; — ganze Monate. Niemals einen Sonnenstrahl zu sehen! Ich kann mich nicht erinnern, hier in der Heimat jemals Sonnenschein gesehen zu haben.

Frau Alving. Oswald —! Du denkst daran, von mir zu reisen!

Oswald. Hm — (Athmet schwer.) Ich denke an gar nichts. Kann an nichts denken! (Leise.) Das gebe ich auf.

Regine (aus dem Speisezimmer). Haben Sie geläutet, gnädige Frau?

Frau Alving. Ja, bring' uns die Lampe.

Regine. Sofort. Sie ist schon angezündet. (Ab.)

Frau Alving (geht zu Oswald). Oswald, verheimliche mir nichts.

Oswald. Das thue ich ja nicht, Mutter. (Geht an den Tisch.) Ich denke, ich habe dir schon genug gesagt.

Regine (bringt die Lampe und stellt sie auf den Tisch).

Frau Alving. Hör', Regine, du könntest uns eine halbe Flasche Champagner bringen.

Regine. Sehr wohl, gnädige Frau. (Geht wieder hinaus.)

Oswald (nimmt Frau Alvings Kopf in beide Hände). So ist's recht. Ich wußte wohl, daß Mutter ihren Jungen nicht verdursten lassen würde.

Frau Alving. Du mein armer, lieber Oswald; wie sollte ich dir noch irgend etwas verweigern können?

Oswald (lebhaft). Ist das wahr, Mutter? Meinst du das wirklich?

Frau Alving. Wie? Was?

Oswald. Daß du mir nichts verweigern kannst?

Frau Alving. Aber lieber Oswald — —

Oswald. Stille! —

Regine (bringt auf einer Platte eine halbe Flasche Champagner und zwei Gläser, die sie auf den Tisch stellt). Soll ich aufmachen —?

Oswald. Nein danke, das thue ich selbst. (Regine geht wieder hinaus.)

Frau Alving (setzt sich an den Tisch). Was war es, — das ich dir nicht verweigern sollte?

Oswald (mit dem Oeffnen der Flasche beschäftigt). Zuerst ein Glas — oder zwei. (Der Pfropfen springt, schenkt in das eine Glas und will auch in das zweite schenken.)

Frau Alving (hält die Hand drüber). Danke — für mich nicht.

Oswald. Nun, dann für mich! (Er leert das Glas, füllt es aufs neue und leert es wieder; dann setzt er sich an den Tisch.)

Frau Alving (erwartungsvoll). Nun?

Oswald (ohne sie anzublicken). Hör' mich an. Mir war's, als seien du und Pastor Manders so — hm, so schweigsam während des Mittagessens gewesen.

Frau Alving. Hast du das bemerkt?

Oswald. Ja. Hm — (Nach einer kurzen Pause.) — Sag' mir, — was denkst du von Regine?

Frau Alving. Was ich denke?

Oswald. Ja. Ist sie nicht herrlich?

Frau Alving. Lieber Oswald, du kennst sie nicht so genau wie ich.

Oswald. Nun?

Frau Alving. Regine ist leider zu lange bei ihrem Vater daheim geblieben. Ich hätte sie früher zu mir nehmen sollen.

Oswald. Ja, aber ist sie nicht herrlich anzusehen, Mutter? (Füllt sein Glas.)

Frau Alving. Regine hat viele und große Fehler —

Oswald. Nun ja; was thut das? (Trinkt wieder.)

Frau Alving. Aber ich halte trotzdem viel von ihr; und ich habe die Verantwortlichkeit für sie übernommen. Um keinen Preis der Welt möchte ich, daß ihr etwas geschähe.

Oswald (springt auf). Mutter! Regine ist meine einzige Rettung!

Frau Alving (erhebt sich). Was meinst du damit?

Oswald. Ich kann all diese Seelenqual nicht länger allein tragen.

Frau Alving. Hast du nicht deine Mutter, die sie dir mit trägt?

Oswald. Ja, das hoffte ich; und deshalb kehrte ich heim zu dir. Aber es geht nicht auf diese Weise. Ich sehe es ein, es geht nicht. Ich kann das Leben hier nicht ertragen!

Frau Alving. Oswald!

Oswald. Ich muß ein anderes Leben führen, Mutter. Und deshalb muß ich fort von dir. Ich will nicht, daß du es mit ansiehst.

Frau Alving. Mein unglücklicher Sohn! Aber Oswald, so lange du so krank bist wie jetzt —

Oswald. Wenn es nur die Krankheit allein wäre, so würde ich bei dir bleiben, Mutter. Denn du bist die treuste Freundin.

Frau Alving. Ja, nicht wahr, Oswald? Bin ich das nicht?

Oswald (geht unruhig umher). Aber es sind diese Qualen, — die Reue, — — und dann die furchtbare, tödtliche Angst. O — diese entsetzliche Angst!

Frau Alving (geht ihm nach). Angst? — Welche Angst? Was meinst du?

Oswald. Ach, frag' mich nicht weiter. Ich weiß es nicht. Ich kann es dir nicht beschreiben.

Frau Alving (nach rechts, zieht den Glockenzug).

Oswald. Was willst du thun?

Frau Alving. Ich will, daß mein Junge lustig sein soll; das will ich. Er soll hier nicht umher gehen und grübeln. (Zu Regine, die in die Thür tritt.) Mehr Champagner! Eine ganze Flasche. (Regine geht.)

Oswald. Mutter!

Frau Alving. Glaubst du vielleicht, daß wir hier draußen auf dem Lande nicht auch zu leben verstehen?

Oswald. Ist sie nicht prächtig anzusehen? Wie sie gewachsen ist! Und so kerngesund!

Frau Alving (setzt sich an den Tisch). Setz dich, Oswald, und laß uns ruhig sprechen.

Oswald (setzt sich). Du weißt wohl nicht, Mutter, daß ich an Regine ein Unrecht wieder gut zu machen habe.

Frau Alving. Du!

Oswald. Oder eine kleine Unbedachtsamkeit — wie du es nun nennen willst. Uebrigens sehr unschuldig. Als ich das letzte Mal zu Hause war —

Frau Alving. Nun?

Oswald. — da fragte sie mich so oft nach Paris, und ich erzählte ihr dies und jenes von dort. So erinnere ich mich, daß ich sie eines Tages fragte, ob sie nicht auch Lust habe, hin zu kommen. —

Frau Alving. Und weiter?

Oswald. Ich sah, daß sie feuerroth wurde, und dann sagte sie: ja, dazu hätte ich wahrhaftig Lust. — Ja, ja, antwortete ich, dazu kann wohl Rath werden, — oder etwas Aehnliches.

Frau Alving. Was dann?

Oswald. Ich hatte das Ganze natürlich vergessen; als ich sie aber vorgestern fragte, ob sie froh sei, daß ich jetzt so lange zu Hause bleiben würde —

Frau Alving. Da?

Oswald. — da sah sie mich so seltsam an und fragte dann: was wird jetzt aber aus meiner Reise nach Paris?

Frau Alving. Ihre Reise!

Oswald. Und so erfuhr ich denn, daß sie die Sache ernst genommen hatte, daß sie während der ganzen Zeit an mich gedacht und angefangen hatte, französisch zu lernen.

Frau Alving. Deshalb also —

Oswald. Mutter, — als ich in jenem Augenblick das prächtige, schmucke, kernfrische Mädchen vor mir stehen sah — früher hatte ich sie ja gar nicht beachtet — wie sie so vor mir stand, gleichsam mit offenen Armen um mich zu umfangen —

Frau Alving. Oswald!

Oswald. — da ward es mir klar, daß in ihr meine Rettung sei; — denn in ihr ist Lebensfreudigkeit!

Frau Alving (erstaunt). Lebensfreudigkeit? — Kann die Rettung bringen?

Regine (mit einer Champagnerflasche aus dem Speisezimmer). Verzeihen Sie, daß ich so lange blieb, aber ich mußte in den Keller hinunter — (Stellt die Flasche auf den Tisch.)

Oswald. Bring' noch ein Glas.

Regine (sieht ihn verwundert an). Das Glas der gnädigen Frau steht da, Herr Alving.

Oswald. Ja; aber hol' noch eins für dich selbst, Regine.

Regine (zuckt zusammen und wirft einen hastigen, scheuen Seitenblick auf Frau Alving).

Oswald. Nun?

Regine (leise und zögernd). Geschieht es mit dem Willen der gnädigen Frau?

Frau Alving. Hol' das Glas, Regine. (Regine geht ins Speisezimmer.)

Oswald (blickt ihr nach). Hast du bemerkt, wie sie geht? So fest und muthig!

Frau Alving. Das wird nicht geschehen, Oswald.

Oswald. Die Sache ist abgemacht. Das siehst du ja. Es nützt nichts mehr, dagegen zu reden.

Regine (kommt mit einem leeren Glas, das sie in der Hand behält).

Oswald. Setz dich, Regine.

Regine (sieht fragend auf Frau Alving).

Frau Alving. Setz dich nur.

Regine (setzt sich auf einen Stuhl neben der Thür des Speisezimmers und hat noch immer das leere Glas in der Hand).

Frau Alving. Oswald, — was war doch das, was du von der Lebensfreudigkeit sagtest?

Oswald. Ja, die Lebensfreudigkeit, Mutter, — die kennt ihr hier zu Hause wenig. Ich verspüre sie hier niemals.

Frau Alving. Auch nicht, wenn du bei mir bist?

Oswald. Niemals, wenn ich zu Hause bin. — Doch das verstehst du nicht.

Frau Alving. Doch, doch, ich glaube beinahe, daß ich es verstehe — jetzt!

Oswald. Diese — und dann die Arbeitsfreudigkeit. Ja, das ist im Grunde beinahe dasselbe. Aber auch von der wisset ihr hier nichts.

Frau Alving. Darin magst du Recht haben. Oswald, laß mich mehr davon hören.

Oswald. Ja, ich meine nur, daß euch hier gelehrt wird zu glauben, daß die Arbeit ein Fluch und eine Sündenstrafe sei — und daß das Leben ein jämmerliches Etwas, mit dem man je früher, desto besser zu Ende kommt.

Frau Alving. Ein Jammerthal, ja. Und dazu machen wir es auch ehrlich und redlich.

Oswald. Aber von solchen Dingen wollen die Menschen da draußen nichts wissen. Da giebt es niemanden mehr, der noch an solche Lehren glaubt. Da draußen empfindet man das bloße Dasein als etwas so jubelnd Glückseliges. Mutter, hast du nicht bemerkt, daß alles was ich gemalt habe, sich um die Lebensfreudigkeit dreht? Immer und beständig um die Lebensfreudigkeit. Da draußen sind Licht und Sonnenschein und Sonntagsluft — und strahlende, glückliche Menschengesichter. — Deshalb fürchte ich mich, hier bei dir in der Heimat zu bleiben.

Frau Alving. Du fürchtest dich? Was fürchtest du hier bei mir?

Oswald. Ich fürchte, daß alles, was in mir tobt, hier in Unsittlichkeit ausarten könnte.

Frau Alving (blickt ihn fest an). Glaubst du, daß das geschehen würde?

Oswald. Das weiß ich gewiß. Wenn man auch hier zu Hause dasselbe Leben lebt, wie da draußen, — es ist ja doch nicht dasselbe Leben.

Frau Alving (die gespannt gelauscht hat, erhebt sich mit großen, gedankenvollen Augen und sagt): Jetzt sehe ich den Zusammenhang.

Oswald. Was siehst du?

Frau Alving. Jetzt sehe ich ihn zum ersten Mal. Und jetzt darf ich reden.

Oswald (erhebt sich). Mutter, ich verstehe dich nicht.

Regine (die sich ebenfalls erhoben hat). Soll ich vielleicht gehen?

Frau Alving. Nein, bleib. Jetzt kann ich reden. Jetzt, mein Sohn, sollst du alles wissen. Und dann kannst du wählen. Oswald! Regine!

Oswald. Sei still. Der Pastor —

Pastor Manders (tritt durch die Vorzimmerthür ein). So, so! Jetzt haben wir da unten eine herzerweckende Stunde gehabt.

Oswald. Wir auch.

Pastor Manders. Engstrand muß mit seinem Seemannsheim geholfen werden. Regine muß mit ihm ziehen und ihm behilflich sein —

Regine. Nein, danke Herr Pastor.

Pastor Manders (bemerkt sie jetzt erst). Was? — Hier —? und mit einem Glase in der Hand?

Regine (stellt das Glas schnell fort). Pardon —!

Oswald. Regine geht mit mir, Herr Pastor.

Pastor Manders. Geht mit Ihnen!

Oswald. Ja. Als mein Weib, — wenn sie es verlangt.

Pastor Manders. Aber du barmherziger —!

Regine. Es ist nicht meine Schuld, Herr Pastor.

Oswald. Oder sie bleibt hier — wenn ich bleibe.

Regine (unwillkürlich). Hier —?!

Pastor Manders. Frau Alving — Sie versteinern mich!

Frau Alving. Keins von beiden wird geschehen, denn jetzt kann ich offen reden.

Pastor Manders. Aber das werden Sie doch nicht thun! Nein, nein, nein!

Frau Alving. Doch, ich kann und ich will. Und trotzdem werden keine Ideale fallen.

Oswald. Mutter, was ist es, das mir verheimlicht wird!

Regine (horchend). Gnädige Frau! Hören Sie! Draußen schreien die Leute. (Sie geht ins Blumenzimmer und sieht hinaus.)

Oswald (am Fenster links). Was ist los? Woher kommt der Lichtschein?

Regine (schreit). Es brennt im Asyl!

Frau Alving (stürzt ans Fenster). Es brennt!

Pastor Manders. Es brennt? Unmöglich. Ich war ja soeben noch dort unten.

Oswald. Wo ist mein Hut? Nein, ich brauche ihn nicht —. Das Asyl des Vaters —! (Läuft durch die Gartenthür hinaus.)

Frau Alving. Mein Tuch, Regine! Es brennt lichterloh!

Pastor Manders. Entsetzlich! — Frau Alving, das ist das Strafgericht, das über dieses Haus der Verirrung leuchtet!

Frau Alving. Ja, ja, gewiß. Komm, Regine. (Sie und Regine eilen durch das Vorzimmer hinaus.)

Pastor Manders (schlägt die Hände zusammen). Und nichts assecurirt! (Den Vorigen nach.)

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