Wenn man die Philosophie, sofern sie Principien der Vernunfterkenntniß der Dinge (nicht bloß wie die Logik Principien der Form des 5 Denkens überhaupt ohne Unterschied der Objecte) durch Begriffe enthält, wie gewöhnlich in die theoretische und praktische eintheilt: so verfährt man ganz recht. Aber alsdann müssen auch die Begriffe, welche den Principien dieser Vernunfterkenntniß ihr Object anweisen, specifisch verschieden sein, weil sie sonst zu keiner Eintheilung berechtigen würden, welche 10 jederzeit eine Entgegensetzung der Principien der zu den verschiedenen Theilen einer Wissenschaft gehörigen Vernunfterkenntniß voraussetzt.
Es sind aber nur zweierlei Begriffe, welche eben so viel verschiedene Principien der Möglichkeit ihrer Gegenstände zulassen: nämlich die Naturbegriffe und der Freiheitsbegriff. Da nun die ersteren ein 15 theoretisches Erkenntniß nach Principien a priori möglich machen, der XII zweite aber in Ansehung derselben nur ein negatives Princip (der bloßen Entgegensetzung) schon in seinem Begriffe bei sich führt, dagegen für die Willensbestimmung erweiternde Grundsätze, welche darum praktisch heißen, errichtet: so wird die Philosophie in zwei den Principien nach 20 ganz verschiedene Theile, in die theoretische als Naturphilosophie und die praktische als Moralphilosophie (denn so wird die praktische Gesetzgebung der Vernunft nach dem Freiheitsbegriffe genannt), mit Recht eingetheilt. Es hat aber bisher ein großer Mißbrauch mit diesen Ausdrücken zur Eintheilung der verschiedenen Principien und mit ihnen auch 25 der Philosophie geherrscht: indem man das Praktische nach Naturbegriffen mit dem Praktischen nach dem Freiheitsbegriffe für einerlei nahm und so unter denselben Benennungen einer theoretischen und praktischen Philosophie eine Eintheilung machte, durch welche (da beide Theile einerlei Principien haben konnten) in der That nichts eingetheilt war.
Der Wille, als Begehrungsvermögen, ist nämlich eine von den mancherlei Naturursachen in der Welt, nämlich diejenige, welche nach Begriffen 5 wirkt; und Alles, was als durch einen Willen möglich (oder nothwendig) vorgestellt wird, heißt praktisch-möglich (oder nothwendig): zum Unterschiede von der physischen Möglichkeit oder Nothwendigkeit einer Wirkung, wozu die Ursache nicht durch Begriffe (sondern wie bei der leblosen XIII Materie durch Mechanism und bei Thieren durch Instinct) zur 10 Causalität bestimmt wird. — Hier wird nun in Ansehung des Praktischen unbestimmt gelassen: ob der Begriff, der der Causalität des Willens die Regel giebt, ein Naturbegriff, oder ein Freiheitsbegriff sei.
Der letztere Unterschied aber ist wesentlich. Denn ist der die Causalität bestimmende Begriff ein Naturbegriff, so sind die Principien technisch-praktisch; 15 ist er aber ein Freiheitsbegriff, so sind diese moralisch-praktisch: und weil es in der Eintheilung einer Vernunftwissenschaft gänzlich auf diejenige Verschiedenheit der Gegenstände ankommt, deren Erkenntniß verschiedener Principien bedarf, so werden die ersteren zur theoretischen Philosophie (als Naturlehre) gehören, die andern aber ganz 20 allein den zweiten Theil, nämlich (als Sittenlehre) die praktische Philosophie, ausmachen.
Alle technisch-praktische Regeln (d. i. die der Kunst und Geschicklichkeit überhaupt, oder auch der Klugheit, als einer Geschicklichkeit auf Menschen und ihren Willen Einfluß zu haben), so fern ihre Principien 25 auf Begriffen beruhen, müssen nur als Corollarien zur theoretischen Philosophie gezählt werden. Denn sie betreffen nur die Möglichkeit der Dinge nach Naturbegriffen, wozu nicht allein die Mittel, die in der Natur dazu anzutreffen sind, sondern selbst der Wille (als Begehrungs-, mithin als Naturvermögen) gehört, sofern er durch Triebfedern der Natur jenen Regeln 30 XIV gemäß bestimmt werden kann. Doch heißen dergleichen praktische Regeln nicht Gesetze (etwa so wie physische), sondern nur Vorschriften: und zwar darum, weil der Wille nicht bloß unter dem Naturbegriffe, sondern auch unter dem Freiheitsbegriffe steht, in Beziehung auf welchen die Principien desselben Gesetze heißen und mit ihren Folgerungen den zweiten 35 Theil der Philosophie, nämlich den praktischen, allein ausmachen.
So wenig also die Auflösung der Probleme der reinen Geometrie zu einem besonderen Theile derselben gehört, oder die Feldmeßkunst den Namen einer praktischen Geometrie zum Unterschiede von der reinen als ein zweiter Theil der Geometrie überhaupt verdient: so und noch weniger darf die mechanische oder chemische Kunst der Experimente oder der Beobachtungen für einen praktischen Theil der Naturlehre, endlich die Haus-, 5 Land-, Staatswirthschaft, die Kunst des Umganges, die Vorschrift der Diätetik, selbst nicht die allgemeine Glückseligkeitslehre, sogar nicht einmal die Bezähmung der Neigungen und Bändigung der Affecten zum Behuf der letzteren zur praktischen Philosophie gezählt werden, oder die letzteren wohl gar den zweiten Theil der Philosophie überhaupt ausmachen; 10 weil sie insgesammt nur Regeln der Geschicklichkeit, die mithin nur technisch-praktisch sind, enthalten, um eine Wirkung hervorzubringen, die nach Naturbegriffen der Ursachen und Wirkungen möglich ist, welche, da sie zur theoretischen Philosophie gehören, jenen Vorschriften als bloßen XV Corollarien aus derselben (der Naturwissenschaft) unterworfen sind und 15 also keine Stelle in einer besonderen Philosophie, die praktische genannt, verlangen können. Dagegen machen die moralisch-praktischen Vorschriften, die sich gänzlich auf dem Freiheitsbegriffe mit völliger Ausschließung der Bestimmungsgründe des Willens aus der Natur gründen, eine ganz besondere Art von Vorschriften aus: welche auch gleich den Regeln, welchen 20 die Natur gehorcht, schlechthin Gesetze heißen, aber nicht wie diese auf sinnlichen Bedingungen, sondern auf einem übersinnlichen Princip beruhen und neben dem theoretischen Theile der Philosophie für sich ganz allein einen anderen Theil unter dem Namen der praktischen Philosophie fordern. 25
Man sieht hieraus, daß ein Inbegriff praktischer Vorschriften, welche die Philosophie giebt, nicht einen besonderen, dem theoretischen zur Seite gesetzten Theil derselben darum ausmache, weil sie praktisch sind; denn das könnten sie sein, wenn ihre Principien gleich gänzlich aus der theoretischen Erkenntniß der Natur hergenommen wären (als technisch-praktische 30 Regeln); sondern, weil und wenn ihr Princip gar nicht vom Naturbegriffe, der jederzeit sinnlich bedingt ist, entlehnt ist, mithin auf dem Übersinnlichen, welches der Freiheitsbegriff allein durch formale Gesetze kennbar macht, beruht, und sie also moralisch-praktisch, d. i. nicht bloß XVI Vorschriften und Regeln in dieser oder jener Absicht, sondern ohne vorhergehende 35 Bezugnehmung auf Zwecke und Absichten Gesetze sind.