III. Von der Kritik der Urtheilskraft, als einem Verbindungsmittel der zwei Theile der Philosophie zu einem Ganzen.

Die Kritik der Erkenntnißvermögen in Ansehung dessen, was sie a priori leisten können, hat eigentlich kein Gebiet in Ansehung der Objecte: 20 weil sie keine Doctrin ist, sondern nur, ob und wie nach der Bewandtniß, die es mit unseren Vermögen hat, eine Doctrin durch sie möglich sei, zu untersuchen hat. Ihr Feld erstreckt sich auf alle Anmaßungen derselben, um sie in die Gränzen ihrer Rechtmäßigkeit zu setzen. Was aber nicht in die Eintheilung der Philosophie kommen kann, das kann doch als ein 25 XXI Haupttheil in die Kritik des reinen Erkenntnißvermögens überhaupt kommen, wenn es nämlich Principien enthält, die für sich weder zum theoretischen noch praktischen Gebrauche tauglich sind.

Die Naturbegriffe, welche den Grund zu allem theoretischen Erkenntniß a priori enthalten, beruhten auf der Gesetzgebung des Verstandes. — 30 Der Freiheitsbegriff, der den Grund zu allen sinnlich-unbedingten praktischen Vorschriften a priori enthielt, beruhte auf der Gesetzgebung der Vernunft. Beide Vermögen also haben außer dem, daß sie der logischen Form nach auf Principien, welchen Ursprungs sie auch sein mögen, angewandt werden können, überdem noch jedes seine eigene Gesetzgebung 35 dem Inhalte nach, über die es keine andere (a priori) giebt, und die daher die Eintheilung der Philosophie in die theoretische und praktische rechtfertigt.

Allein in der Familie der oberen Erkenntnißvermögen giebt es doch noch ein Mittelglied zwischen dem Verstande und der Vernunft. Dieses 5 ist die Urtheilskraft, von welcher man Ursache hat nach der Analogie zu vermuthen, daß sie eben sowohl, wenn gleich nicht eine eigene Gesetzgebung, doch ein ihr eigenes Princip nach Gesetzen zu suchen, allenfalls ein bloß subjectives, a priori in sich enthalten dürfte: welches, wenn ihm gleich kein Feld der Gegenstände als sein Gebiet zustände, doch irgend 10 einen Boden haben kann und eine gewisse Beschaffenheit desselben, wofür XXII gerade nur dieses Princip geltend sein möchte.

Hierzu kommt aber noch (nach der Analogie zu urtheilen) ein neuer Grund, die Urtheilskraft mit einer anderen Ordnung unserer Vorstellungskräfte in Verknüpfung zu bringen, welche von noch größerer Wichtigkeit 15 zu sein scheint, als die der Verwandtschaft mit der Familie der Erkenntnißvermögen. Denn alle Seelenvermögen oder Fähigkeiten können auf die drei zurück geführt werden, welche sich nicht ferner aus einem gemeinschaftlichen Grunde ableiten lassen: das Erkenntnißvermögen, das Gefühl der Lust und Unlust und das Begehrungsvermögen [1]. 20 Für das Erkenntnißvermögen ist allein der Verstand gesetzgebend, wenn XXIII jenes (wie es auch geschehen muß, wenn es für sich, ohne Vermischung XXIV mit dem Begehrungsvermögen, betrachtet wird) als Vermögen eines theoretischen Erkenntnisses auf die Natur bezogen wird, in Ansehung deren allein (als Erscheinung) es uns möglich ist, durch Naturbegriffe 5 a priori, welche eigentlich reine Verstandesbegriffe sind, Gesetze zu geben. — Für das Begehrungsvermögen, als ein oberes Vermögen nach dem Freiheitsbegriffe, ist allein die Vernunft (in der allein dieser Begriff Statt hat) a priori gesetzgebend. — Nun ist zwischen dem Erkenntniß- und dem Begehrungsvermögen das Gefühl der Lust, so wie 10 zwischen dem Verstande und der Vernunft die Urtheilskraft enthalten. Es ist also wenigstens vorläufig zu vermuthen, daß die Urtheilskraft eben so wohl für sich ein Princip a priori enthalte und, da mit dem Begehrungsvermögen nothwendig Lust oder Unlust verbunden ist (es sei, daß sie wie beim unteren vor dem Princip desselben vorhergehe, oder wie beim 15 XXV oberen nur aus der Bestimmung desselben durch das moralische Gesetz folge), eben so wohl einen Übergang vom reinen Erkenntnißvermögen, d. i. vom Gebiete der Naturbegriffe, zum Gebiete des Freiheitsbegriffs bewirken werde, als sie im logischen Gebrauche den Übergang vom Verstande zur Vernunft möglich macht. 5

Wenn also gleich die Philosophie nur in zwei Haupttheile, die theoretische und praktische, eingetheilt werden kann; wenn gleich alles, was wir von den eignen Principien der Urtheilskraft zu sagen haben möchten, in ihr zum theoretischen Theile, d. i. dem Vernunfterkenntniß nach Naturbegriffen, gezählt werden müßte: so besteht doch die Kritik der reinen Vernunft, 10 die alles dieses vor der Unternehmung jenes Systems zum Behuf der Möglichkeit desselben ausmachen muß, aus drei Theilen: der Kritik des reinen Verstandes, der reinen Urtheilskraft und der reinen Vernunft, welche Vermögen darum rein genannt werden, weil sie a priori gesetzgebend sind. 15

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