Vorrede III zur ersten Auflage, 1790.

Man kann das Vermögen der Erkenntniß aus Principien a priori die reine Vernunft und die Untersuchung der Möglichkeit und Gränzen derselben überhaupt die Kritik der reinen Vernunft nennen: ob man gleich 5 unter diesem Vermögen nur die Vernunft in ihrem theoretischen Gebrauche versteht, wie es auch in dem ersten Werke unter jener Benennung geschehen ist, ohne noch ihr Vermögen als praktische Vernunft nach ihren besonderen Principien in Untersuchung ziehen zu wollen. Jene geht alsdann bloß auf unser Vermögen, Dinge a priori zu erkennen, und beschäftigt 10 sich also nur mit dem Erkenntnißvermögen mit Ausschließung des Gefühls der Lust und Unlust und des Begehrungsvermögens; und unter den Erkenntnißvermögen mit dem Verstande nach seinen Principien a priori mit Ausschließung der Urtheilskraft und der Vernunft (als IV zum theoretischen Erkenntniß gleichfalls gehöriger Vermögen), weil es sich 15 in dem Fortgange findet, daß kein anderes Erkenntnißvermögen als der Verstand constitutive Erkenntnißprincipien a priori an die Hand geben kann. Die Kritik also, welche sie insgesammt nach dem Antheile, den jedes der anderen an dem baaren Besitz der Erkenntniß aus eigener Wurzel zu haben vorgeben möchte, sichtet, läßt nichts übrig, als was der Verstand 20 a priori als Gesetz für die Natur, als den Inbegriff von Erscheinungen (deren Form eben sowohl a priori gegeben ist), vorschreibt; verweiset aber alle andere reine Begriffe unter die Ideen, die für unser theoretisches Erkenntnißvermögen überschwenglich, dabei aber doch nicht etwa unnütz oder entbehrlich sind, sondern als regulative Principien dienen: theils die besorglichen 25 Anmaßungen des Verstandes, als ob er (indem er a priori die Bedingungen der Möglichkeit aller Dinge, die er erkennen kann, anzugeben vermag) dadurch auch die Möglichkeit aller Dinge überhaupt in diesen Gränzen beschlossen habe, zurück zu halten, theils um ihn selbst in der Betrachtung der Natur nach einem Princip der Vollständigkeit, wiewohl V er sie nie erreichen kann, zu leiten und dadurch die Endabsicht alles Erkenntnisses zu befördern. 5

Es war also eigentlich der Verstand, der sein eigenes Gebiet und zwar im Erkenntnißvermögen hat, sofern er constitutive Erkenntnißprincipien a priori enthält, welcher durch die im Allgemeinen so benannte Kritik der reinen Vernunft gegen alle übrige Competenten in sicheren alleinigen Besitz gesetzt werden sollte. Eben so ist der Vernunft, welche 10 nirgend als lediglich in Ansehung des Begehrungsvermögens constitutive Principien a priori enthält, in der Kritik der praktischen Vernunft ihr Besitz angewiesen worden.

Ob nun die Urtheilskraft, die in der Ordnung unserer Erkenntnißvermögen zwischen dem Verstande und der Vernunft ein Mittelglied 15 ausmacht, auch für sich Principien a priori habe; ob diese constitutiv oder bloß regulativ sind (und also kein eigenes Gebiet beweisen), und ob sie dem Gefühle der Lust und Unlust, als dem Mittelgliede zwischen dem Erkenntnißvermögen und Begehrungsvermögen, (eben so wie der Verstand dem ersteren, die Vernunft aber dem letzteren a priori Gesetze vorschreiben) 20 VI a priori die Regel gebe: das ist es, womit sich gegenwärtige Kritik der Urtheilskraft beschäftigt.

Eine Kritik der reinen Vernunft, d. i. unseres Vermögens nach Principien a priori zu urtheilen, würde unvollständig sein, wenn die der Urtheilskraft, welche für sich als Erkenntnißvermögen darauf auch Anspruch 25 macht, nicht als ein besonderer Theil derselben abgehandelt würde; obgleich ihre Principien in einem System der reinen Philosophie keinen besonderen Theil zwischen der theoretischen und praktischen ausmachen dürfen, sondern im Nothfalle jedem von beiden gelegentlich angeschlossen werden können. Denn wenn ein solches System unter dem allgemeinen Namen 30 der Metaphysik einmal zu Stande kommen soll (welches ganz vollständig zu bewerkstelligen, möglich und für den Gebrauch der Vernunft in aller Beziehung höchst wichtig ist): so muß die Kritik den Boden zu diesem Gebäude vorher so tief, als die erste Grundlage des Vermögens von der Erfahrung unabhängiger Principien liegt, erforscht haben, damit 35 es nicht an irgend einem Theile sinke, welches den Einsturz des Ganzen unvermeidlich nach sich ziehen würde.

Man kann aber aus der Natur der Urtheilskraft (deren richtiger Gebrauch VII so nothwendig und allgemein erforderlich ist, daß daher unter dem Namen des gesunden Verstandes kein anderes, als eben dieses Vermögen gemeint wird) leicht abnehmen, daß es mit großen Schwierigkeiten begleitet sein müsse, ein eigentümliches Princip derselben auszufinden (denn 5 irgend eins muß sie a priori in sich enthalten, weil sie sonst nicht, als ein besonderes Erkenntnißvermögen, selbst der gemeinsten Kritik ausgesetzt sein würde), welches gleichwohl nicht aus Begriffen a priori abgeleitet sein muß; denn die gehören dem Verstande an, und die Urtheilskraft geht nur auf die Anwendung derselben. Sie soll also selbst einen Begriff angeben, 10 durch den eigentlich kein Ding erkannt wird, sondern der nur ihr selbst zur Regel dient, aber nicht zu einer objectiven, der sie ihr Urtheil anpassen kann, weil dazu wiederum eine andere Urtheilskraft erforderlich sein würde, um unterscheiden zu können, ob es der Fall der Regel sei oder nicht.

Diese Verlegenheit wegen eines Princips (es sei nun ein subjectives 15 oder objectives) findet sich hauptsächlich in denjenigen Beurtheilungen, die man ästhetisch nennt, die das Schöne und Erhabne der Natur oder der VIII Kunst betreffen. Und gleichwohl ist die kritische Untersuchung eines Princips der Urtheilskraft in denselben das wichtigste Stück einer Kritik dieses Vermögens. Denn ob sie gleich für sich allein zum Erkenntniß der Dinge 20 gar nichts beitragen, so gehören sie doch dem Erkenntnißvermögen allein an und beweisen eine unmittelbare Beziehung dieses Vermögens auf das Gefühl der Lust oder Unlust nach irgend einem Princip a priori, ohne es mit dem, was Bestimmungsgrund des Begehrungsvermögens sein kann, zu vermengen, weil dieses seine Principien a priori in Begriffen der Vernunft 25 hat. — Was aber die logische Beurtheilung der Natur anbelangt, da, wo die Erfahrung eine Gesetzmäßigkeit an Dingen aufstellt, welche zu verstehen oder zu erklären der allgemeine Verstandesbegriff vom Sinnlichen nicht mehr zulangt, und die Urtheilskraft aus sich selbst ein Princip der Beziehung des Naturdinges auf das unerkennbare Übersinnliche 30 nehmen kann, es auch nur in Absicht auf sich selbst zum Erkenntniß der Natur brauchen muß, da kann und muß ein solches Princip a priori zwar zum Erkenntniß der Weltwesen angewandt werden und eröffnet zugleich IX Aussichten, die für die praktische Vernunft vorteilhaft sind: aber es hat keine unmittelbare Beziehung auf das Gefühl der Lust und Unlust, die 35 gerade das Räthselhafte in dem Princip der Urtheilskraft ist, welches eine besondere Abtheilung in der Kritik für dieses Vermögen nothwendig macht, da die logische Beurtheilung nach Begriffen (aus welchen niemals eine unmittelbare Folgerung auf das Gefühl der Lust und Unlust gezogen werden kann) allenfalls dem theoretischen Theile der Philosophie sammt einer kritischen Einschränkung derselben hätte angehängt werden können.

Da die Untersuchung des Geschmacksvermögens, als ästhetischer Urtheilskraft, 5 hier nicht zur Bildung und Cultur des Geschmacks (denn diese wird auch ohne alle solche Nachforschungen, wie bisher, so fernerhin, ihren Gang nehmen), sondern bloß in transscendentaler Absicht angestellt wird: so wird sie, wie ich mir schmeichle, in Ansehung der Mangelhaftigkeit jenes Zwecks auch mit Nachsicht beurtheilt werden. Was aber die letztere Absicht 10 betrifft, so muß sie sich auf die strengste Prüfung gefaßt machen. Aber auch da kann die große Schwierigkeit, ein Problem, welches die Natur so verwickelt hat, aufzulösen, einiger nicht ganz zu vermeidenden Dunkelheit X in der Auflösung desselben, wie ich hoffe, zur Entschuldigung dienen, wenn nur, daß das Princip richtig angegeben worden, klar genug dargethan 15 ist; gesetzt, die Art das Phänomen der Urtheilskraft davon abzuleiten habe nicht alle Deutlichkeit, die man anderwärts, nämlich von einem Erkenntniß nach Begriffen, mit Recht fordern kann, die ich auch im zweiten Theile dieses Werks erreicht zu haben glaube.

Hiemit endige ich also mein ganzes kritisches Geschäft. Ich werde 20 ungesäumt zum doctrinalen schreiten, um wo möglich meinem zunehmenden Alter die dazu noch einigermaßen günstige Zeit noch abzugewinnen. Es versteht sich von selbst, daß für die Urtheilskraft darin kein besonderer Theil sei, weil in Ansehung derselben die Kritik statt der Theorie dient; sondern daß nach der Eintheilung der Philosophie in die theoretische und 25 praktische und der reinen in eben solche Theile die Metaphysik der Natur und die der Sitten jenes Geschäft ausmachen werden.

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