§ 82. Von dem teleologischen System in den äußern Verhältnissen organisirter Wesen.

Unter der äußern Zweckmäßigkeit verstehe ich diejenige, da ein Ding der Natur einem andern als Mittel zum Zwecke dient. Nun können Dinge, 5 die keine innere Zweckmäßigkeit haben, oder zu ihrer Möglichkeit voraussetzen, z. B. Erden, Luft, Wasser u. s. w., gleichwohl äußerlich, d. i. im Verhältniß auf andere Wesen, sehr zweckmäßig sein; aber diese müssen 380 jederzeit organisirte Wesen, d. i. Naturzwecke, sein, denn sonst könnten jene auch nicht als Mittel beurtheilt werden. So können Wasser, Luft 10 und Erden nicht als Mittel zu Anhäufung von Gebirgen angesehen werden, weil diese an sich gar nichts enthalten, was einen Grund ihrer Möglichkeit nach Zwecken erforderte, worauf in Beziehung also ihre Ursache niemals unter dem Prädicate eines Mittels (das dazu nützte) vorgestellt werden kann. 15

Die äußere Zweckmäßigkeit ist ein ganz anderer Begriff, als der Begriff der inneren, welche mit der Möglichkeit eines Gegenstandes, unangesehen ob seine Wirklichkeit selbst Zweck sei oder nicht, verbunden ist. Man kann von einem organisirten Wesen noch fragen: Wozu ist es da? aber nicht leicht von Dingen, an denen man bloß die Wirkung vom Mechanism 20 der Natur erkennt. Denn in jenen stellen wir uns schon eine Causalität nach Zwecken zu ihrer inneren Möglichkeit, einen schaffenden Verstand, vor und beziehen dieses thätige Vermögen auf den Bestimmungsgrund desselben, die Absicht. Es giebt nur eine einzige äußere Zweckmäßigkeit, die mit der innern der Organisation zusammenhängt 25 und, ohne daß die Frage sein darf, zu welchem Ende dieses so organisirte Wesen eben habe existiren müssen, dennoch im äußeren Verhältniß eines Mittels zum Zwecke dient. Dieses ist die Organisation beiderlei Geschlechts 381 in Beziehung auf einander zur Fortpflanzung ihrer Art; denn hier kann man immer noch eben so wie bei einem Individuum fragen: 30 Warum mußte ein solches Paar existiren? Die Antwort ist: Dieses hier macht allererst ein organisirendes Ganze aus, obzwar nicht ein organisirtes in einem einzigen Körper.

Wenn man nun fragt, wozu ein Ding da ist, so ist die Antwort entweder: Sein Dasein und seine Erzeugung hat gar keine Beziehung auf 35 eine nach Absichten wirkende Ursache, und alsdann versteht man immer einen Ursprung derselben aus dem Mechanism der Natur; oder: Es ist irgend ein absichtlicher Grund seines Daseins (als eines zufälligen Naturwesens), und diesen Gedanken kann man schwerlich von dem Begriffe eines organisirten Dinges trennen: weil, da wir einmal seiner innern Möglichkeit eine Causalität der Endursachen und eine Idee, die dieser 5 zum Grunde liegt, unterlegen müssen, wir auch die Existenz dieses Productes nicht anders denn als Zweck denken können. Denn die vorgestellte Wirkung, deren Vorstellung zugleich der Bestimmungsgrund der verständigen wirkenden Ursache zu ihrer Hervorbringung ist, heißt Zweck. In diesem Falle also kann man entweder sagen: Der Zweck der Existenz eines 10 solchen Naturwesens ist in ihm selbst, d. i. es ist nicht bloß Zweck, sondern auch Endzweck; oder: Dieser ist außer ihm in anderen Naturwesen, d. i. es existirt zweckmäßig nicht als Endzweck, sondern nothwendig zugleich 382 als Mittel.

Wenn wir aber die ganze Natur durchgehen, so finden wir in ihr als 15 Natur kein Wesen, welches auf den Vorzug, Endzweck der Schöpfung zu sein, Anspruch machen könnte; und man kann sogar a priori beweisen: daß dasjenige, was etwa noch für die Natur ein letzter Zweck sein könnte, nach allen erdenklichen Bestimmungen und Eigenschaften, womit man es ausrüsten möchte, doch als Naturding niemals ein Endzweck 20 sein könne.

Wenn man das Gewächsreich ansieht, so könnte man anfänglich durch die unermeßliche Fruchtbarkeit, durch welche es sich beinahe über jeden Boden verbreitet, auf den Gedanken gebracht werden, es für ein bloßes Product des Mechanisms der Natur, welchen sie in den Bildungen 25 des Mineralreichs zeigt, zu halten. Eine nähere Kenntniß aber der unbeschreiblich weisen Organisation in demselben läßt uns an diesem Gedanken nicht haften, sondern veranlaßt die Frage: Wozu sind diese Geschöpfe da? Wenn man sich antwortet: Für das Thierreich, welches dadurch genährt wird, damit es sich in so mannigfaltigen Gattungen über 30 die Erde habe verbreiten können, so kommt die Frage wieder: Wozu sind denn diese pflanzen-verzehrenden Thiere da? Die Antwort würde etwa sein: Für die Raubthiere, die sich nur von dem nähren können, was Leben 383 hat. Endlich ist die Frage: Wozu sind diese sammt den vorigen Naturreichen gut? Für den Menschen zu dem mannigfaltigen Gebrauche, den 35 ihn sein Verstand von allen jenen Geschöpfen machen lehrt; und er ist der letzte Zweck der Schöpfung hier auf Erden, weil er das einzige Wesen auf derselben ist, welches sich einen Begriff von Zwecken machen und aus einem Aggregat von zweckmäßig gebildeten Dingen durch seine Vernunft ein System der Zwecke machen kann.

Man könnte auch mit dem Ritter Linné den dem Scheine nach umgekehrten Weg gehen und sagen: Die gewächsfressenden Thiere sind da, 5 um den üppigen Wuchs des Pflanzenreichs, wodurch viele Species derselben erstickt werden würden, zu mäßigen; die Raubthiere, um der Gefräßigkeit jener Gränzen zu setzen; endlich der Mensch, damit, indem er diese verfolgt und vermindert, ein gewisses Gleichgewicht unter den hervorbringenden und den zerstörenden Kräften der Natur gestiftet werde. 10 Und so würde der Mensch, so sehr er auch in gewisser Beziehung als Zweck gewürdigt sein möchte, doch in anderer wiederum nur den Rang eines Mittels haben.

Wenn man sich eine objective Zweckmäßigkeit in der Mannigfaltigkeit der Gattungen der Erdgeschöpfe und ihrem äußern Verhältnisse zu 15 einander; als zweckmäßig construirter Wesen, zum Princip macht: so ist es der Vernunft gemäß, sich in diesem Verhältnisse wiederum eine gewisse 384 Organisation und ein System aller Naturreiche nach Endursachen zu denken. Allein hier scheint die Erfahrung der Vernunftmaxime laut zu widersprechen, vornehmlich was einen letzten Zweck der Natur betrifft, der doch 20 zu der Möglichkeit eines solchen Systems erforderlich ist, und den wir nirgend anders als im Menschen setzen können: da vielmehr in Ansehung dieses, als einer der vielen Thiergattungen, die Natur so wenig von den zerstörenden als erzeugenden Kräften die mindeste Ausnahme gemacht hat, alles einem Mechanism derselben ohne einen Zweck zu unterwerfen. 25

Das erste, was in einer Anordnung zu einem zweckmäßigen Ganzen der Naturwesen auf der Erde absichtlich eingerichtet sein müßte, würde wohl ihr Wohnplatz, der Boden und das Element sein, auf und in welchem sie ihr Fortkommen haben sollten. Allein eine genauere Kenntniß der Beschaffenheit dieser Grundlage aller organischen Erzeugung giebt 30 auf keine anderen als ganz unabsichtlich wirkende, ja eher noch verwüstende, als Erzeugung, Ordnung und Zwecke begünstigende Ursachen Anzeige. Land und Meer enthalten nicht allein Denkmäler von alten mächtigen Verwüstungen, die sie und alle Geschöpfe auf und in demselben betroffen haben, in sich; sondern ihr ganzes Bauwerk, die Erdlager des einen und 35 die Gränzen des andern haben gänzlich das Ansehen des Products wilder, allgewaltiger Kräfte einer im chaotischen Zustande arbeitenden Natur. So zweckmäßig auch jetzt die Gestalt, das Bauwerk und der Abhang der 385 Länder für die Aufnahme der Gewässer aus der Luft, für die Quelladern zwischen Erdschichten von mannigfaltiger Art (für mancherlei Producte) und den Lauf der Ströme angeordnet zu sein scheinen mögen: so beweiset doch eine nähere Untersuchung derselben, daß sie bloß als die Wirkung 5 theils feuriger, theils wässeriger Eruptionen, oder auch Empörungen des Oceans zu Stande gekommen sind; sowohl was die erste Erzeugung dieser Gestalt, als vornehmlich die nachmalige Umbildung derselben zugleich mit dem Untergange ihrer ersten organischen Erzeugungen betrifft.[30] Wenn nun der Wohnplatz, der Mutterboden (des Landes) und der Mutterschooß 10 (des Meeres), für alle diese Geschöpfe auf keinen andern als einen gänzlich unabsichtlichen Mechanism seiner Erzeugung Anzeige giebt: wie und 386 mit welchem Recht können wir für diese letztern Producte einen andern Ursprung verlangen und behaupten? Wenn gleich der Mensch, wie die genaueste Prüfung der Überreste jener Naturverwüstungen (nach Camper's 15 Urtheile) zu beweisen scheint, in diesen Revolutionen nicht mit begriffen war: so ist er doch von den übrigen Erdgeschöpfen so abhängig, daß, wenn ein über die anderen allgemeinwaltender Mechanism der Natur eingeräumt wird, er als darunter mit begriffen angesehen werden muß; wenn ihn gleich sein Verstand (großentheils wenigstens) unter ihren Verwüstungen 20 hat retten können.

Dieses Argument scheint aber mehr zu beweisen, als die Absicht enthielt, wozu es aufgestellt war: nämlich nicht bloß, daß der Mensch kein letzter Zweck der Natur und aus dem nämlichen Grunde das Aggregat der organisirten Naturdinge auf der Erde nicht ein System von Zwecken sein 25 könne; sondern daß gar die vorher für Naturzwecke gehaltenen Naturproducte keinen andern Ursprung haben, als den Mechanism der Natur.

Allein in der obigen Auflösung der Antinomie der Principien der mechanischen und der teleologischen Erzeugungsart der organischen Naturwesen haben wir gesehen: daß, da sie in Ansehung der nach ihren besondern Gesetzen (zu deren systematischem Zusammenhange uns aber der Schlüssel fehlt) bildenden Natur bloß Principien der reflectirenden Urtheilskraft 5 387 sind, die nämlich ihren Ursprung nicht an sich bestimmen, sondern nur sagen, daß wir nach der Beschaffenheit unseres Verstandes und unsrer Vernunft ihn in dieser Art Wesen nicht anders als nach Endursachen denken können, die größtmögliche Bestrebung, ja Kühnheit in Versuchen sie mechanisch zu erklären nicht allein erlaubt ist, sondern wir auch 10 durch Vernunft dazu aufgerufen sind, ungeachtet wir wissen, daß wir damit aus subjectiven Gründen der besondern Art und Beschränkung unseres Verstandes (und nicht etwa, weil der Mechanism der Erzeugung einem Ursprunge nach Zwecken an sich widerspräche) niemals auslangen können; und daß endlich in dem übersinnlichen Princip der Natur (sowohl außer 15 uns als in uns) gar wohl die Vereinbarkeit beider Arten sich die Möglichkeit der Natur vorzustellen liegen könne, indem die Vorstellungsart nach Endursachen nur eine subjective Bedingung unseres Vernunftgebrauchs sei, wenn sie die Beurtheilung der Gegenstände nicht bloß als Erscheinungen angestellt wissen will, sondern diese Erscheinungen selbst sammt ihren 20 Principien auf das übersinnliche Substrat zu beziehen verlangt, um gewisse Gesetze der Einheit derselben möglich zu finden, die sie sich nicht anders als durch Zwecke (wovon die Vernunft auch solche hat, die übersinnlich sind) vorstellig machen kann.

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