§ 86. Von der Ethikotheologie.

Es ist ein Urtheil, dessen sich selbst der gemeinste Verstand nicht entschlagen kann, wenn er über das Dasein der Dinge in der Welt und die Existenz der Welt selbst nachdenkt: daß nämlich alle die mannigfaltigen 15 Geschöpfe, von wie großer Kunsteinrichtung und wie mannigfaltigem zweckmäßig auf einander bezogenen Zusammenhange sie auch sein mögen, ja selbst das Ganze so vieler Systeme derselben, die wir unrichtiger Weise Welten nennen, zu nichts da sein würden, wenn es in ihnen nicht Menschen (vernünftige Wesen überhaupt) gäbe; d. i. daß ohne den Menschen 20 die ganze Schöpfung eine bloße Wüste, umsonst und ohne Endzweck sein würde. Es ist aber auch nicht das Erkenntnißvermögen desselben (theoretische Vernunft), in Beziehung auf welches das Dasein alles Übrigen in der Welt allererst seinen Werth bekommt, etwa damit irgend Jemand da sei, welcher die Welt betrachten könne. Denn wenn diese Betrachtung 25 der Welt ihm doch nichts als Dinge ohne Endzweck vorstellig machte, so 411 kann daraus, daß sie erkannt wird, dem Dasein derselben kein Werth erwachsen; und man muß schon einen Endzweck derselben voraussetzen, in Beziehung auf welchen die Weltbetrachtung selbst einen Werth habe. Auch ist es nicht das Gefühl der Lust und der Summe derselben, in Beziehung 30 auf welches wir einen Endzweck der Schöpfung als gegeben denken, d. i. nicht das Wohlsein, der Genuß (er sei körperlich oder geistig), mit einem Worte die Glückseligkeit, wornach wir jenen absoluten Werth schätzen. Denn: daß, wenn der Mensch da ist, er diese ihm selbst zur Endabsicht macht, giebt keinen Begriff, wozu er dann überhaupt da sei, und welchen 35 Werth er dann selbst habe, um ihm seine Existenz angenehm zu machen. Er muß also schon als Endzweck der Schöpfung vorausgesetzt werden, um einen Vernunftgrund zu haben, warum die Natur zu seiner Glückseligkeit zusammen stimmen müsse, wenn sie als ein absolutes Ganze nach Principien der Zwecke betrachtet wird. — Also ist es nur das Begehrungsvermögen: aber nicht dasjenige, was ihn von der Natur (durch sinnliche Antriebe) 5 abhängig macht, nicht das, in Ansehung dessen der Werth seines Daseins auf dem, was er empfängt und genießt, beruht: sondern der Werth, welchen er allein sich selbst geben kann, und welcher in dem besteht, was er thut, wie und nach welchen Principien er nicht als Naturglied, sondern in der Freiheit seines Begehrungsvermögens handelt; d. h. ein 10 412 guter Wille ist dasjenige, wodurch sein Dasein allein einen absoluten Werth und in Beziehung auf welches das Dasein der Welt einen Endzweck haben kann.

Auch stimmt damit das gemeinste Urtheil der gesunden Menschenvernunft vollkommen zusammen: nämlich daß der Mensch nur als moralisches 15 Wesen ein Endzweck der Schöpfung sein könne, wenn man die Beurtheilung nur auf diese Frage leitet und veranlaßt sie zu versuchen. Was hilfts, wird man sagen, daß dieser Mensch so viel Talent hat, daß er damit sogar sehr thätig ist und dadurch einen nützlichen Einfluß auf das gemeine Wesen ausübt und also in Verhältniß sowohl auf seine Glücksumstände, 20 als auch auf Anderer Nutzen einen großen Werth hat, wenn er keinen guten Willen besitzt? Er ist ein verachtungswürdiges Object, wenn man ihn nach seinem Innern betrachtet; und wenn die Schöpfung nicht überall ohne Endzweck sein soll, so muß er, der als Mensch auch dazu gehört, doch als böser Mensch in einer Welt unter moralischen Gesetzen diesen 25 gemäß seines subjectiven Zwecks (der Glückseligkeit) verlustig gehen, als der einzigen Bedingung, unter der seine Existenz mit dem Endzwecke zusammen bestehen kann.

Wenn wir nun in der Welt Zweckanordnungen antreffen und, wie es die Vernunft unvermeidlich fordert, die Zwecke, die es nur bedingt sind, 30 einem unbedingten obersten, d. i. einem Endzwecke, unterordnen: so sieht man erstlich leicht, daß alsdann nicht von einem Zwecke der Natur (innerhalb 413 derselben), sofern sie existirt, sondern dem Zwecke ihrer Existenz mit allen ihren Einrichtungen, mithin von dem letzten Zwecke der Schöpfung die Rede ist und in diesem auch eigentlich von der obersten Bedingung, 35 unter der allein ein Endzweck (d. i. der Bestimmungsgrund eines höchsten Verstandes zu Hervorbringung der Weltwesen) Statt finden kann.

Da wir nun den Menschen nur als moralisches Wesen für den Zweck der Schöpfung anerkennen: so haben wir erstlich einen Grund, wenigstens die Hauptbedingung, die Welt als ein nach Zwecken zusammenhängendes Ganze und als System von Endursachen anzusehen; vornehmlich aber für die nach Beschaffenheit unserer Vernunft uns nothwendige Beziehung 5 der Naturzwecke auf eine verständige Weltursache ein Princip, die Natur und Eigenschaften dieser ersten Ursache als obersten Grundes im Reiche der Zwecke zu denken und so den Begriff derselben zu bestimmen: welches die physische Teleologie nicht vermochte, die nur unbestimmte und eben darum zum theoretischen sowohl als praktischen Gebrauche untaugliche 10 Begriffe von demselben veranlassen konnte.

Aus diesem so bestimmten Princip der Causalität des Urwesens werden wir es nicht bloß als Intelligenz und gesetzgebend für die Natur, sondern auch als gesetzgebendes Oberhaupt in einem moralischen Reiche der Zwecke denken müssen. In Beziehung auf das höchste unter seiner Herrschaft 15 414 allein mögliche Gut, nämlich die Existenz vernünftiger Wesen unter moralischen Gesetzen, werden wir uns dieses Urwesen als allwissend denken: damit selbst das Innerste der Gesinnungen (welches den eigentlichen moralischen Werth der Handlungen vernünftiger Weltwesen ausmacht) ihm nicht verborgen sei; als allmächtig: damit es die ganze Natur 20 diesem höchsten Zwecke angemessen machen könne; als allgütig und zugleich gerecht: weil diese beiden Eigenschaften (vereinigt die Weisheit) die Bedingungen der Causalität einer obersten Ursache der Welt als höchsten Guts unter moralischen Gesetzen ausmachen; und so auch alle noch übrigen transscendentalen Eigenschaften, als Ewigkeit, Allgegenwart 25 u. s. w. (denn Güte und Gerechtigkeit sind moralische Eigenschaften), die in Beziehung auf einen solchen Endzweck vorausgesetzt werden, an demselben denken müssen. — Auf solche Weise ergänzt die moralische Teleologie den Mangel der physischen und gründet allererst eine Theologie: da die letztere, wenn sie nicht unbemerkt aus der ersteren borgte, 30 sondern consequent verfahren sollte, für sich allein nichts als eine Dämonologie, welche keines bestimmten Begriffs fähig ist, begründen könnte.

Aber das Princip der Beziehung der Welt wegen der moralischen Zweckbestimmung gewisser Wesen in derselben auf eine oberste Ursache, 415 als Gottheit, thut dieses nicht bloß dadurch, daß es den physisch-teleologischen 35 Beweisgrund ergänzt und also diesen nothwendig zum Grunde legt; sondern es ist dazu auch für sich hinreichend und treibt die Aufmerksam keit auf die Zwecke der Natur und die Nachforschung der hinter ihren Formen verborgen liegenden unbegreiflich großen Kunst, um den Ideen, die die reine praktische Vernunft herbeischafft, an den Naturzwecken beiläufige Bestätigung zu geben. Denn der Begriff von Weltwesen unter moralischen Gesetzen ist ein Prinzip a priori, wornach sich der Mensch nothwendig 5 beurtheilen muß. Daß ferner, wenn es überall eine absichtlich wirkende und auf einen Zweck gerichtete Weltursache giebt, jenes moralische Verhältniß eben so nothwendig die Bedingung der Möglichkeit einer Schöpfung sein müsse, als das nach physischen Gesetzen (wenn nämlich jene verständige Ursache auch einen Endzweck hat): sieht die Vernunft auch a priori 10 als einen für sie zur teleologischen Beurtheilung der Existenz der Dinge nothwendigen Grundsatz an. Nun kommt es nur darauf an: ob wir irgend einen für die Vernunft (es sei die speculative oder praktische) hinreichenden Grund haben, der nach Zwecken handelnden obersten Ursache einen Endzweck beizulegen. Denn daß alsdann dieser nach der subjectiven 15 Beschaffenheit unserer Vernunft, und selbst wie wir uns auch die Vernunft anderer Wesen nur immer denken mögen, kein anderer als der 416 Mensch unter moralischen Gesetzen sein könne: kann a priori für uns als gewiß gelten; da hingegen die Zwecke der Natur in der physischen Ordnung a priori gar nicht können erkannt, vornehmlich, daß eine 20 Natur ohne solche nicht existiren könne, auf keine Weise kann eingesehen werden.

Anmerkung.

Setzet einen Menschen in den Augenblicken der Stimmung seines Gemüths zur moralischen Empfindung! Wenn er sich, umgeben von einer 25 schönen Natur, in einem ruhigen, heitern Genusse seines Daseins befindet, so fühlt er in sich ein Bedürfniß, irgend jemand dafür dankbar zu sein. Oder er sehe sich ein andermal in derselben Gemüthsverfassung im Gedränge von Pflichten, denen er nur durch freiwillige Aufopferung Genüge leisten kann und will; so fühlt er in sich ein Bedürfniß, hiemit zugleich 30 etwas Befohlnes ausgerichtet und einem Oberherren gehorcht zu haben. Oder er habe sich etwa unbedachtsamer Weise wider seine Pflicht vergangen, wodurch er doch eben nicht Menschen verantwortlich geworden ist; so werden die strengen Selbstverweise dennoch eine Sprache in ihm führen, als ob sie die Stimme eines Richters wären, dem er darüber 35 Rechenschaft abzulegen hätte. Mit einem Worte: er bedarf einer moralischen Intelligenz, um für den Zweck, wozu er existirt, ein Wesen zu haben, welches diesem gemäß von ihm und der Welt die Ursache sei. Triebfedern hinter diesen Gefühlen herauszukünsteln, ist vergeblich; denn sie hängen unmittelbar mit der reinsten moralischen Gesinnung zusammen, weil 5 Dankbarkeit, Gehorsam und Demüthigung (Unterwerfung unter 417 verdiente Züchtigung) besondere Gemüthsstimmungen zur Pflicht sind, und das zu Erweiterung seiner moralischen Gesinnung geneigte Gemüth hier sich nur einen Gegenstand freiwillig denkt, der nicht in der Welt ist, um wo möglich auch gegen einen solchen seine Pflicht zu beweisen. Es ist also 10 wenigstens möglich und auch der Grund dazu in moralischer Denkungsart gelegen, ein reines moralisches Bedürfniß der Existenz eines Wesens sich vorzustellen, unter welchem entweder unsere Sittlichkeit mehr Stärke oder auch (wenigstens unserer Vorstellung nach) mehr Umfang, nämlich einen neuen Gegenstand für ihre Ausübung, gewinnt; d. i. ein moralisch-gesetzgebendes 15 Wesen außer der Welt ohne alle Rücksicht auf theoretischen Beweis, noch weniger auf selbstsüchtiges Interesse aus reinem moralischen, von allem fremden Einflusse freien (dabei freilich nur subjectiven) Grunde anzunehmen, auf bloße Anpreisung einer für sich allein gesetzgebenden reinen praktischen Vernunft. Und ob gleich eine solche Stimmung des 20 Gemüths selten vorkäme, oder auch nicht lange haftete, sondern flüchtig und ohne dauernde Wirkung, oder auch ohne einiges Nachdenken über den in einem solchen Schattenbilde vorgestellten Gegenstand und ohne Bemühung ihn unter deutliche Begriffe zu bringen vorüberginge: so ist doch der Grund dazu, die moralische Anlage in uns, als subjectives Princip, 25 sich in der Weltbetrachtung mit ihrer Zweckmäßigkeit durch Naturursachen nicht zu begnügen, sondern ihr eine oberste nach moralischen Principien die Natur beherrschende Ursache unterzulegen, unverkennbar. — Wozu noch kommt, daß wir, nach einem allgemeinen höchsten Zwecke zu streben, uns durch das moralische Gesetz gedrungen, uns aber doch und die gesammte 30 Natur ihn zu erreichen unvermögend fühlen; daß wir, nur so fern wir darnach streben, dem Endzwecke einer verständigen Weltursache (wenn 418 es eine solche gäbe) gemäß zu sein urtheilen dürfen; und so ist ein reiner moralischer Grund der praktischen Vernunft vorhanden, diese Ursache (da es ohne Widerspruch geschehen kann) anzunehmen, wo nicht mehr, doch 35 damit wir jene Bestrebung in ihren Wirkungen nicht für ganz eitel anzusehen und dadurch sie ermatten zu lassen Gefahr laufen.

Mit diesem allem soll hier nur so viel gesagt werden: daß die Furcht zwar zuerst Götter (Dämonen), aber die Vernunft vermittelst ihrer moralischen Principien zuerst den Begriff von Gott habe hervorbringen können (auch selbst wenn man in der Teleologie der Natur, wie gemeiniglich, sehr unwissend, oder auch wegen der Schwierigkeit, die einander hierin 5 widersprechenden Erscheinungen durch ein genugsam bewährtes Princip auszugleichen, sehr zweifelhaft war); und daß die innere moralische Zweckbestimmung seines Daseins das ergänzte, was der Naturkenntniß abging, indem sie nämlich anwies, zu dem Endzwecke vom Dasein aller Dinge, wozu das Princip nicht anders als ethisch der Vernunft genugthuend 10 ist, die oberste Ursache mit Eigenschaften, womit sie die ganze Natur jener einzigen Absicht (zu der diese bloß Werkzeug ist) zu unterwerfen vermögend ist, (d. i. als eine Gottheit) zu denken.

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