Erster Abschnitt Modernes und Merkwürdiges in der Vergangenheit

Wer kann was Dummes, wer was Kluges denken,

Das nicht die Vorwelt schon gedacht?

Goethe, Faust, I. Teil, 2. Akt

Die Richtigkeit dieser Worte des Mephistopheles wird wohl kaum jemand ernstlich bestreiten wollen, und es hieße Eulen nach Athen tragen, durch Sammlung moderner Ideen aus der Vorzeit eine gar nicht bestrittene These zu beweisen. Etwas anderes ist es auch, was wir hier versuchen, etwas viel Einfacheres, aber auch etwas viel weniger Bekanntes: wir wollen zeigen, daß eine nicht geringe Zahl von Erfindungen, Entdeckungen, technischen Errungenschaften und Einrichtungen, die wir für gewöhnlich als Neuerwerbungen der Gegenwart betrachten, auf deren Besitz wir uns vielleicht sogar viel einbilden, schon ein respektables Alter aufzuweisen haben. Andrerseits werden wir einiges finden, was wir nicht erwartet hätten. In zwangloser Anordnung sei eine Reihe solcher Fakten aufgezählt:

Einer der ältesten bekannten Tunnel scheint der des Königs Hiskia von Jerusalem aus dem siebenten vorchristlichen Jahrhundert zu sein. Dieser heute noch erhaltene Siloah-Tunnel ist von beiden Seiten her in den Stein gegraben. Zwar hielt der Kanal die gerade Linie nicht ein, erreichte vielmehr statt einer Länge der Luftlinie von 335 m eine solche von 535 m, aber die Wagerechte wurde erstaunlich gut gewahrt, denn der gesamte Höhenunterschied beträgt nur 30 cm. Annähernd in der Mitte trafen sich die von beiden Seiten vordringenden Steinhauer[1]. Gar aus der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends ist der große Tunnel in Gezer in Palästina mit einer Wölbung wie die Londoner Untergrundbahn. Er stieg 94 Fuß unter den gewachsenen Felsen.

So neu der Gedanke der Schienen uns erscheinen mag, er ist es keineswegs. Man hatte sie bereits im Altertum, und zwar – der jetzigen ausschließlich auf Eisen- und Straßenbahnen sich beschränkenden Anwendung gegenüber fast ein Vorzug – vielfach auf stark befahrenen öffentlichen Straßen. Man stellte diese Geleise durch Einschnitte in den Boden her. Solche gab es z. B. an den Toren von Athen, auf dem Wege, der direkt vom Piräus nach der Agora führte, sogar die römische Alpenstraße in den Dauphiné-Alpen zeigt deutliche Spuren! Desgleichen Straßen im Hauran̄, wie mir ein Reisender mitteilte. Die Ähnlichkeit dieser in den steinigen Boden eingegrabenen Geleise mit unseren Schienen wird noch vervollständigt durch die Anlage von richtigen Ausweichkurven, die, im gehörigen Abstand angelegt, das Kreuzen zweier Wagen auf dem einzigen Geleise gestatteten. Die Spurweite war in Griechenland, bzw. in allen unter griechischem Einfluß stehenden Ländern wohl überall ganz gleich, auf der in Frankreich entdeckten römischen Straße betrug die Entfernung der Einschnitte voneinander genau 1,44 m, also etwa soviel, wie bei unseren Vollbahnen[2]!

Quellensucher, ob mit oder ohne Wünschelrute, gab es ebenfalls bereits im Altertum, und zwar in zunftmäßigen Verbänden. Einzelne dieser Leute begleiteten sogar die Heere, um im Notfalle durch sofortige Bohrungen Trinkwasser zu beschaffen. Im heutigen Algier haben sich die Spuren zahlreicher Brunnen gefunden, die nunmehr von den Franzosen wieder instand gesetzt wurden. Ihnen war es zu danken, daß in der Wüste Oasen sich bildeten, die mit dem Verfall der Brunnen im Jahrtausend der Barbarei wieder dem glühenden Sande weichen mußten. Nachweislich haben die Römer im ungünstigen Terrain der afrikanischen Wüste gegen 200 m tiefe Bohrungen mit größtem Erfolge angestellt. Dabei ist es uns völlig rätselhaft, sowohl wie sie die Stelle der unterirdischen Wasseradern erkannten, als auch wie sie die technischen Mittel besaßen, die Bohrungen durchzuführen.

In neuerer Zeit war als Quellenfinder der französische Abbé Paramelle am erfolgreichsten. Er hat seine Erfahrungen in einem Werke, betitelt: „L’art de découvrir les sources“, niedergelegt. In den 64 Jahren seines Lebens hat er 10275 Quellenangaben gemacht, von denen 9000 zur Ausführung gekommen sind[3].

Der Blitzableiter wurde von den alten Ägyptern um 1300 v. Chr., wenn auch noch in primitiver Form, vorausgeahnt. Zur Ableitung des Blitzes wurden nämlich von Ramses III. in Medinet Abu – und zweifellos auch anderwärts und wohl auch schon vor ihm – die Spitzen der an den Stadttoren errichteten hohen Masten vergoldet.

Die griechischen und römischen Priester scheinen die Kunst besessen zu haben, Blitze vom Himmel herabzulocken – wobei sie allerdings bisweilen wie Tullus Hostilius (Livius I, 31, 8) erschlagen wurden. Sie richteten zu diesem Zwecke metallbeschlagene Stangen auf, wohl weil sie beobachtet hatten, daß Metalle vom Blitz bevorzugt wurden. Allerdings fehlte noch die metallene Ableitung in das wasserhaltige Erdreich[4].

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Daß die Reisegeschwindigkeit im Altertum gar nicht so gering war, mag aus folgenden Notizen hervorgehen: Mit der Staatspost legte man die 150 geographischen Meilen von Antiochia bis Konstantinopel in sechs Tagen zurück, also pro Tag etwa 190 km. Cäsar reiste von Rom bis an die Rhone in nicht vollen acht Tagen, machte also 150 km pro Tag, was mit Recht, in Berücksichtigung der großen Entfernung, für sehr schnell galt. Geradezu verblüffend schnell ritt der Kurier, der die Nachricht von der Ermordung des Maximin – natürlich auf gewechselten Pferden – in knapp vier Tagen von Aquileja nach Rom brachte. Er legte also mindestens 200 km pro Tag zurück, eine Leistung, die jeder Kavallerist erstaunlich hoch finden wird, da sie weit die Durchschnittsleistungen unserer allerdings mit einem Pferde bestrittenen Ritte um den Kaiserpreis übertrifft. Aber selbst wenn er im Wagen gefahren sein sollte, was nach der Notiz möglich ist, könnte er mit den hervorragendsten sportlichen Leistungen der Gegenwart erfolgreich konkurrieren. Brauchte doch die Distanzfahrt im Sommer 1908 von Berlin nach München – etwa 700 km – vier Tage, also bedeutend mehr Zeit auf die Einheit des Weges.

Die Kuriere, die die Nachricht vom Aufstand in Belgien, im tiefen Winter des Jahres 69 n. Chr., nach Rom brachten, legten neun Tage lang je etwa 240 km zurück! Hierbei ist aber zweifellos an Relais zu denken. Die schnellste bekannte Reise ist die des Tiberius zum erkrankten Drusus von Pavia nach Germanien. Durch das Land der eben besiegten Chatten ritt er mit nur einem Begleiter – natürlich mit Pferdewechsel – in 24 Stunden etwa 290 km!!! Das ist natürlich nur möglich, wenn er weite Strecken galoppierte und rücksichtslos die Pferde tot ritt. Trotzdem bietet die Sportgeschichte des letzten Jahrhunderts dazu kein Analogon. Im Durchschnitt legte der im Wagen fahrende Reisende täglich zur Römerzeit auf weite Entfernungen etwa 60–73 km zurück[4], während der frühmittelalterliche Tagesmarsch nur 20–30 km betrug[5].

Im Jahre 1188 brauchte ein am 17. März mit einer päpstlichen Bulle von Rom abgehender Bote 25 Tage, bis er am 15. April in Canterbury eintraf[6].

In römischer Zeit galt eine Seereise von fünf Tagen von Ostia bis Taraco in Spanien für schnell. Eine in umgekehrter Richtung in weniger als vier Tagen gemachte bezeichnet der ältere Plinius als eine der schnellsten je vorgekommenen. Cervantes nannte schon eine 12tägige Fahrt von Neapel nach Barcelona eine glückliche[7].

Richard Löwenherz brauchte von Marseille bis Messina vom 16. August 1190 bis zum 23. September, also sehr lange. Er schiffte sich am 9. Oktober 1192 in Akka ein und gelangte am 11. November nach Korfu; das war die normale Geschwindigkeit im Mittelalter, – also bedeutend geringer als zur Römerzeit[8].

Viel schneller ging natürlich die Nachrichtenübermittlung durch Brieftauben. Die Griechen und Römer, ebenso wie die Araber bedienten sich bereits dieser Post, und zwar in besonders ausgedehntem Maße die letzteren, die von Bagdad bis Aleppo sowie längs der kleinasiatischen Küste bis Alexandrien Brieftauben benutzten. Gelegentlich wurden auch Schwalben zum gleichen Zwecke verwandt (Plinius nat. hist. X, 71)[9]. Polybios erzählt (CX, 42 ff.) sogar von der Feuertelegraphie der Griechen, die lange vor ihm Aeschylos (Agamemnon 268 ff.) schon kannte. Doch handelt es sich um vorher verabredete Mitteilungen.

Vom Verkehr zur Römerzeit gibt die Tatsache eine Vorstellung, daß fast in jeder größeren Villa oder Ortschaft der Schweiz Austernschalen gefunden wurden. Zu Avenches fand man auch Reste von Datteln und Oliven. Die Tongefäße von Lugdunum (Lyon) finden sich in ganz Gallien, England, Oberitalien, dem Alpengebiet bis Tirol und Ungarn, und zwar überall mit demselben Fabrikstempel bezeichnet[10].

Die alten Römer bauten bereits Seeschiffe mit einem Raumgehalt von 2670 Tonnen[11].

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Im Altertum gab es auch eine Tageszeitung in den durch Cäsar 59 v. Chr. in Rom begründeten Acta diurna oder Acta urbis. In diesen wurden amtlich Nachrichten öffentlichen und privaten Charakters zusammengestellt und veröffentlicht, allerdings nicht vervielfältigt. Ja, sogar Korrespondenten gab es, die gegen Bezahlung von Rom Tagesneuigkeiten in die Provinz schickten.

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Vegetarianer gab es ebenfalls schon im alten Rom. Seneca und Plutarch gehörten nachweisbarlich zu ihnen, und letzterer hat sogar mit allen Künsten der Dialektik seine Lebensweise verteidigt bzw. die der Fleischesser angegriffen (Moralia „de carnium esu“).

Ebenso sind Antialkoholiker- und Temperenzlervereine bereits im Altertume bekannt. Schon ein Ramses II. (ca. 1350 v. Chr.) hat eine Antialkoholliga gegen die Trunkenboldigkeit der alten Ägypter gegründet, wie im Jahre 1902 aus Malereien und Inschriften in der France Médicale nachgewiesen wurde. Allerdings trieb man es auch toll, und die Ägypterinnen des neuen Reiches – von den Männern ganz zu schweigen – fanden so wenig Anstößiges an der Trunkenheit, daß sich sogar Damen in dem Augenblick des Übelwerdens an der Wand ihres Grabes verewigen ließen. Dazu sei bemerkt, daß bereits das alte Reich vier verschiedene Biersorten und mindestens sechs Weinsorten, darunter weißen, roten, schwarzen und nördlichen unterschied und wohl auch ein Palmbranntwein bekannt war[12].

Radikalen Erfolg mit seiner Antialkoholpropaganda hatte ein gewisser Decaeneus kurze Zeit vor Strabon. Während die Geten bisher dem Bacchus im Übermaße geopfert hatten, gewannen seine Brandreden auf sie so großen Einfluß, daß sie nach und nach alle Weinstöcke im Lande freiwillig ausrotteten und fortan ohne Wein lebten (Strabo VII, 3, 11 und Jordanis 11).

Bekanntlich werden heute noch in einigen Staaten des freien Amerika alkoholische Getränke nur in Apotheken auf Grund von ärztlichen Rezepten, die zu bekommen allerdings nicht allzu schwer ist, verabreicht. Als ob erzwungene Abstinenz eine geringere Barbarei als Völlerei wäre!

Die Elektrizität wurde, wie Scribonius Largus (11) und Dioscorides beweisen, schon im Altertum zu Heilzwecken angewandt, wenn auch noch in recht primitiver Weise. Bei langwierigen Kopfschmerzen legte man nämlich den Zitterrochen auf, bis an der behandelten Stelle Taubheit entstand. Genügte ein Fisch nicht, dann wurde die Prozedur wiederholt.

Behandlung durch Massage kannte bereits Hippokrates um 400 v. Chr., und zwar noch nicht einmal als Erster. Bekanntlich ist sie nach verschiedenen Ansätzen 1575, 1650 und 1853 erst wieder durch den holländischen Arzt Mezger in die offizielle Medizin eingeführt worden[13].

Ebenso wurde eine Art Kneippkur angewandt, und zwar von Asclepiades von Prusa, einem Arzt, der im 1. vorchristlichen Jahrhundert in Rom großen Zulauf hatte. Er war ein Feind vielen Medikamentierens, ließ seine Patienten fasten, verordnete Bewegung und Massage und verschrieb Kaltwassergüsse, wie sein Kollege in Wörishofen. Ferner verordnete er Regenbäder und Waten im Sande mit nassen Füßen. Antonius Musa hat 23 v. Chr. den Augustus mit dieser Therapie geheilt.

Auch Vivisektionen zu wissenschaftlichen Zwecken kommen im Altertum vor, und zwar außer an Tieren auch an Verbrechern, zuerst – nach Celsus (Prooemium ed. Daremberg p. 4, Zeile 37 ff.) und Tertullian (de anima 10) durch Herophilus, den der Kirchenvater Arzt, oder besser „Fleischhacker“ nennt. Leichensektionen kommen (nach Plinius hist. nat. XIX, 86) erst unter den alexandrinischen Ärzten auf, während Aristoteles wohl aus religiösen Gründen noch davor zurückschreckte. Das ganze frühe Mittelalter hindurch war die Leichenöffnung – auch bei den sonst so aufgeklärten Arabern – verpönt. Mondino de Liucei (ca. 1275–1326) hat seit anderthalb Jahrtausenden als Erster wieder menschliche Kadaver seziert. Seit dem 15. Jahrhundert aber war erst der Bann gebrochen und Anatomie ein ordnungsmäßiges Lehrfach auf den Universitäten[14].

Während der Star noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts durch Versenkung der aus der Pupille geschobenen Linse in den Glaskörperraum geheilt wurde, ist die Operation, d. h. die Entfernung nach außen durch Eingriff bereits dem 4000 Jahre alten Papyrus Ebers bekannt und wurde, wie Antyllus bezeugt, in der Antike geübt, um wie so vieles im Mittelalter in Vergessenheit zu geraten.

Ein Vorläufer Harveys, der im Jahre 1619 den Blutkreislauf entdeckte, war schon Erasistratos von Keos, um 300 v. Chr. Leibarzt des Königs Seleucos I. Ebenso ist Galen, bis auf die Venenklappen, der Entdeckung des berühmten Engländers sehr nahe gekommen. Aber auch er hatte Vorläufer in den alten Ägyptern, die bereits eine rudimentäre Kenntnis des Blutkreislaufes besaßen. Beginnende Herzklappenerkrankungen suchten sie, wie die heutigen Ärzte, durch Ruhe zu beseitigen[15].

Sogar eine mit Mandragora(Alraun)wurzel vorgenommene Narkose war den Alten wohl bekannt. Dioskurides behauptet, daß die mit diesem Mittel beim Patienten hervorgerufene Gefühllosigkeit drei bis vier Stunden angehalten habe. Bilsenkraut läßt sich bereits bei Homer als Narkotikum nachweisen. Im 12. und 13. Jahrhundert unserer Zeitrechnung wurde es allgemein zur Schmerzlinderung verwandt und von Guy de Chauliac um 1300 sogar bei Amputationen benützt. Bereits 1460 beschreibt Heinrich von Pflospeundt in seiner „Bündt-Ertzney“ die Inhalationsnarkose vor Operationen mit Mohn (Opium), Bilsenkraut und Alraun[16].

Im Altertum verstand man bereits künstliche Glieder anzufertigen. Schon bei den alten Indern waren Nasen, Ohren und Lippen aus Gips etwas ganz Gewöhnliches, was sich aus der Häufigkeit des strafweisen Abschneidens dieser Körperteile erklärt. Griechische und römische Soldaten, denen im Kriege ein Arm oder Bein abhanden kam, wußten sich Ersatz zu beschaffen. Das Royal College of Surgeons in England besitzt in seinem Museum ein solches in einem Grabe in Capua gefundenes Bein von etwa 300 v. Chr. Es wird im Katalog folgendermaßen beschrieben: „Das künstliche Glied stellt genau die Form des Beines dar; es ist aus Stücken dünner Bronze hergestellt, die mit Bronzenägeln an einem hölzernen Kern befestigt sind. Zwei Eisenstangen, die an ihren freien Enden Löcher haben, sind an dem obersten äußersten Ende der Bronze befestigt...[17]

Auch künstliche Augen und künstliche Zähne kommen damals schon vor. Der erste, der im christlichen Mittelalter die Einsetzung eines künstlichen Auges in die Augenhöhle eines lebenden Menschen beschrieb, war der berühmte französische Chirurg Ambroise Paré. Im Jahre 1561 stellte er ein solches aus emailliertem Gold her, und zwar in den natürlichen Farben. Paré gibt sich aber nicht als Erfinder dieses Verfahrens aus und erklärt noch nicht einmal, daß die Sache neu wäre[18].

Götz von Berlichingens berühmte eiserne Hand, die ihm der Schmied von Olnhausen anfertigte, nachdem er seine Rechte 1504 bei der Belagerung von Landshut eingebüßt hatte, besaß nicht nur eine Vorläuferin in der eines Ritters, der etwa 100 Jahre vor Götz im Rhin ertrank, und dessen Hand man 1834 in Alt-Ruppin nebst Schwert, Sporen usw. im Rhinbett fand, sondern ein wackerer Römer war bereits auf dasselbe Auskunftsmittel verfallen. M. Sergius Silus (d. h. Stülpnase) hieß der verwegene Held, der z. Z. des Zweiten Punischen Krieges seine verlorene Hand durch eine eiserne ersetzte, mit der er Meisterstücke der Tapferkeit vollführte. Plinius, der die Heldentaten dieses kühnen Urgroßvaters des berüchtigten Katilina überliefert (nat. hist. VII, 105 f. und Livius XXXII, 27 ff.), meint, andere seien Sieger über Menschen gewesen, aber Sergius habe selbst das Schicksal überwunden[19].

Von Bazillen als Urhebern der Malaria hatte bereits Varro eine Vorstellung, wenn er (R. r. I, 12) schreibt, daß an sumpfigen Orten kleinwinzige Lebewesen entstehen, die man mit dem Auge nicht wahrnehmen kann und die vermittelst der Luft durch Mund und Nase eindringen und geschwächte Personen infizieren. Erst 1726 kommt der niederländische Arzt Dr. Knott auf den gleichen Gedanken, und zwar spricht er von Kleinwesen als Erregern der Lungenschwindsucht und nimmt ebenfalls an, daß sie eingeatmet werden. Vermutlich seien sie auch die Ursachen anderer Krankheiten und daher als ansteckend zu betrachten. Der Erste, der Bakterien sah, und zwar im menschlichen Speichel, war Leewenhoek 1683[20].

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Die Taxameterdroschke wird bereits im 9. Kapitel des 10. Buches von Vitruvius „de architectura“ beschrieben. Es waren das Wagen, die an ihren Achsen Stunden- und Meilenzeiger hatten, indem nämlich jedesmal, wenn eine Meile zurückgelegt war, ein Steinchen mit hörbarem Tone in ein im Innern des Wagenbodens untergestelltes Bronzegefäß fiel. Zählte man die Steine, dann wußte man auch, wie viele Meilen man zurückgelegt hatte. Daß solche natürlich sehr teuren Wagen auch im Gebrauch waren, steht fest. Im Nachlaß des verschwenderischen Commodus befanden sich einige, die Pertinax mit anderen Kostbarkeiten versteigern ließ. Aber sogar Automobile besaß Commodus. Anders wenigstens ist die von Julius Capitolinus im 8. Kapitel der Biographie des Pertinax gegebene Beschreibung nicht zu verstehen. Er spricht von vorspannlosen Wagen von neuartiger Konstruktion, deren Räder sich mit Hilfe eines sinnreichen Mechanismus und eines verwickelten Räderwerkes von selbst um ihre Achse drehten. Die Sitze waren so angebracht, daß sie dem Wagenführer Schutz vor den Sonnenstrahlen boten. Auch ließen sie sich so drehen, daß der Reisende auf der Fahrt stets Rückenwind hatte.

Auch ein Araber kam auf diesen Gedanken. Im arabischen genealogischen Werke Lubâb (zitiert von Wüstenfeld, Genealogische Tabellen der arabischen Stämme und Familien, Register p. 377) ist ein Araber er = Rabî ibn Zijâd erwähnt, der vor 656 starb. Er trug den Beinamen „Fâris el-Arrâde“, d. h. der Maschinenreiter, weil er eine Maschine erfunden hatte, auf der er fahren konnte, als ob er auf einem Kamel säße. (Nach einer Notiz des Herrn Hauptmann E. v. Zambaur in Wiener-Neustadt.) Im Mittelalter spricht zuerst der geniale Roger Bacon (1214–1294) im 13. Jahrhundert einen ähnlichen Gedanken aus, doch dürfte es sich nur um einen Schlitten mit Segeln gehandelt haben. Interessant aber ist die weitere Notiz: „Man kann ferner Instrumente zum Fliegen machen, so daß ein in der Mitte sitzender Mann eine Kurbel dreht, durch die besondere Flügel nach Art der Vögel die Luft treffen“[21]. Also ein Vorläufer der Gebrüder Wright! Allerdings erging es ihm schlechter wie diesen, denn die Kirche ließ ihn als „Zauberer“ lange Jahre im Kerker schmachten!

Von Automaten, in deren Konstruktion das Altertum so außerordentlich erfindungsreich war, interessiert uns im Zeitalter der Luftschiffahrt besonders eine hölzerne Taube des Archytas von Tarent, die tatsächlich imstande war, auf kürzere Strecken in der Luft umher zu fliegen. Wenn die Taube nach beendetem Fluge sich auf die Erde niedergelassen hatte, konnte sie sich allerdings nicht wieder erheben. (Vgl. Gellius X, 12.) Demetrius von Phaleron hatte eine kriechende Schnecke, in Olympia aber war ein flügelschlagender eherner Adler (Pausanias VI, 20, 12).

Sogar Warenautomaten kannte das Altertum. Heron von Alexandrien im 2. Jahrhundert v. Chr. (vgl. die Ausgabe von W. Schmidt, Leipzig 1899–1901 mit Illustrationen) erzählt außer von vielen anderen auch von Weihwasserautomaten, die in den Tempeln aufgestellt waren und aus denen Wasser floß, wenn man eine Drachme oder einen Obolus hineinwarf.

Besonders merkwürdig ist der Automat, den nach Erzählung der byzantinischen Chronographen der oströmische Kaiser Theophilus (829–842), durch die Schriften des genialen Heron angeregt, sich anfertigen ließ. Er ließ nämlich zu beiden Seiten seines Thrones zwei Löwen aus reinem Golde anbringen. So oft der Kaiser nun auf dem Throne Platz nahm, erhoben sie sich mittels einer mechanischen Vorrichtung, brüllten und legten sich dann wieder nieder.

Der Gedanke des Taucherbootes begegnet uns bereits zur Zeit der Kreuzzüge. Es war allerdings sehr primitiv. Im Gedichte Salomon und Morolf (Vers 174 und 342, Voigt) heißt es nämlich: „Môrolf im bereiten hiez Ein schiffelîn von ledere Er ûf daz mere stiez. Daz was mit beche wol berant; Zwei venster (glase fenster) gâben im daz liecht: Alsô meistert ez sîn hant.“ „An ir aller angesicht Senkt er sich nider ûf den grunt. Ein rôre in daz schiffelîn ging, Dâ mit Môrolf den âtem ving. Daz het er gewirket dar an Mit eime starken ledere Môrolf der listige man. Ein snuore die lag oben dar an, Daz der dugenthafte man Daz rôre nit liez brechen abe. Er barg sich zuo dem grunde Volleclîchen vierzehen tage[22].“ Ob ein ähnliches Fahrzeug in der Wirklichkeit existierte, sei dahingestellt. Keinesfalls war es ein behaglicher Aufenthalt. Die Abbildung eines Unterseebootes bzw. einer Taucherglocke aus dem 14. Jahrhundert befindet sich im cod. germ. 5 der Münchner Hof- und Staatsbibliothek.

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Die berühmte Schnurrbartbinde „Es ist erreicht“ hat ihre Vorläufer schon um 1600 gehabt. Im 15. Kapitel des 4. Buches schreibt Cervantes in seinem Don Quichote: „Er stellte sich im Bett auf, eine spitze Mütze auf dem Kopfe, den Knebelbart in Banden, damit er nicht schlaff würde und nieder fiele“.

Daß die geschnürte Taille mit Decolleté bereits im 2. vorchristlichen Jahrtausend in Kreta getragen wurde, dürfte manche Dame interessieren. Das reizende 34 cm hohe dort gefundene Figürchen der Schlangengöttin zeigt ein solches Kostüm, das mit unserer Frauenmode verblüffende Ähnlichkeit besitzt. Der über und über gefältelte Rock einer andern Figur ist ebenfalls ganz mit eleganten Volants besetzt, dazu trägt sie ein enges Mieder, eine im Bogen ausgeschnittene Korsage und stark ausgebogene, wohl wattierte Hüften. Der Rock ist deutlich glockenförmig. Besonders von rückwärts könnte man diese Figuren leicht für Modedamen unserer Zeit ansehen[23].

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Die Kugelgestalt der Erde lehrten bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert Anaximander und Pythagoras, und mit besonderem Nachdruck wies etwa 350 v. Chr. Eudoxos auf dieselbe hin, Archimedes aber suchte einen aprioristischen Beweis dafür zu erbringen. Der Kalif Al Manûm ließ den Umfang der Kugel auf 24000 engl. Meilen, die Länge eines Grades bis auf 500 m genau berechnen[24].

Um 270 v. Chr. hat der alexandrinische Mathematiker und Astronom Aristarchos von Samos den Stillstand der Sonne und die Bewegung der Erde um die Sonne gelehrt. Seleucus aus Seleucia hat bereits um 150 v. Chr. eine unendliche Ausdehnung der Welt angenommen und das sonnenzentrische System geradezu als Lehre aufgestellt.

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Die athenische Landwirtschaft der griechischen Blütezeit kannte weder die Sense, noch den Flegel: man schnitt das Getreide in halber Höhe mit der Sichel und drosch, indem man die Körner durch Pferde und Maultiere aus den Ähren treten ließ. Auch die Egge war unbekannt; man mußte den Samen mit der Schaufel unter die Erde bringen. Auch die Dreifelderwirtschaft kannten die Griechen zu keiner Zeit. Ebenso fehlte ein brauchbares Feuerzeug, so daß das Herdfeuer nie ausgehen durfte. Geschah es aber doch, dann mußte die Hausfrau es mit der Lampe von der Nachbarin wieder ins Haus tragen[25].

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Zur römischen Kaiserzeit kamen in Gallien bereits Glasfenster vor[26].

Damals konnte in Rom jedermann einen Auslaß aus der allgemeinen Wasserleitung in seinem Hause haben, ebenso in Antiochia und Alexandrien. Sogar nächtliche Straßenbeleuchtung war vorhanden[27].

Während im alten Rom die Prügelstrafe selbst bei Stabsoffizieren noch zulässig war, wird in der humanen Gegenwart der größte Rohling, der Baumpflanzungen und Blumenbeete aus Übermut zerstört, den Frauen die Zöpfe abschneidet und die Kleider mit Kot beschmiert, lediglich einige Zeit auf Staatskosten verpflegt[28].

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Das Scheck- und Girowesen bestand bereits im Altertum (Cicero epist. ad Att. XI, 24, XII, 24, 27, XV, 15), ja, Wechsel wurden bereits bei den Babyloniern verwandt. Ebenso ist die Hypothek eine bereits im 6. vorchristlichen Jahrhundert bestehende Einrichtung[29].

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Anarchisten gab es auch schon im Altertum, und zwar in Palästina, das in dieser Hinsicht durch fast anderthalb Jahrtausende die Welt in Atem hielt. Flavius Josephus erzählt von den Sicariern oder Dolchbrüdern, die in der 2. Hälfte des 1. nachchristlichen Jahrhunderts die Propaganda der Tat in größtem Stile betrieben, und zwar nicht etwa als Räuber, sondern – wie in der Gegenwart – als politische Mordgesellschaft.

Ihre höchste Blüte erlebte die anarchistische Gesellschaft der Assasinen zur Zeit der Kreuzzüge im gelobten Lande. Sie gingen hervor aus der mohammedanischen ketzerischen Sekte der Ismaeliten und lehrten den reinen Nihilismus, d. h., daß alles gleichgültig und daher auch alles erlaubt sei. Ums Jahr 1100 war ihr gewaltiger Führer Hasan-i-Sabbah, der Alte vom Berge, der vom Schlosse Alamut aus durch Meuchelmord und Gewalttaten seine Gegner im Zaume hielt. Trotz ihrer sittlichen Grundsätze waren diese Assasinen – wie noch heute die Anarchisten – ihren Führern blind ergeben, und zwar in solchem Grade, daß sich auf einen Wink des Führers hin die Wachen vom Turm herabstürzten, nur um ihren Gehorsam zu zeigen, oder daß eine Mutter in Verzweiflung geriet, wenn ihr Sohn von einer gelungenen Mordexkursion zurückkehrte, statt für seinen Glauben zu sterben. Ihr Wirken lebt noch heute im Abendlande fort: assassino und assassin, von Haschischin, dem Rauchen des berauschenden Hanfes abgeleitet, heißt Mörder[30].

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Reliquien von Heiligen wurden bereits im Altertum gesammelt. Man ging im Blödsinn vielleicht nicht so weit, wie das Mittelalter, das ein Stück von der ägyptischen Finsternis und ähnliches vorwies, immerhin wurde nach Pausanias das Ei der Leda in einem Tempel in Sparta, und die falschen(!) Zähne des erymanthischen Ebers im Tempel des Apollo im Lande Opike denen, die nicht alle werden, gezeigt. Eine antike Reliquienliste gibt Fr. Pfister „Der Reliquien-Kult im Altertum“ (Gießen 1909) I. Bd., S. 323 ff.

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Auch eine besoldete Claque besaßen bereits die alten Römer. Nero soll gar 5000 in seinen Diensten gehabt haben. Die Chefs der verschiedenen Claquedivisionen erhielten je 40000 Sestertien Gehalt! (Sueton, Nero XX, Tacitus Ann. XIV, 15, Dio. Cassius LXI, 20)[31].

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Das Monocle oder Lorgnon darf sich gleichfalls eines ehrwürdigen Alters rühmen. Kaiser Nero sah den Gladiatorenkämpfen im Zirkus durch einen Smaragd zu (Plinius nat. hist. XXXVII, 64)[32]. Erst 1730 wird wieder ein Monocle erwähnt, das Keyßler beim englischen Gesandten in Rom, Herrn von Storsch, sieht und wie folgt beschreibt: „Wegen seiner blöden Augen bedient er sich eines Fernglases, so mit einem dünnen Kettchen am Rocke befestiget ist. Die Haut um sein Auge ist also gewöhnet, daß sie sich fest um dieses Glas schließt, und er nicht nöthig hat, solches mit den Händen daran zu halten“.

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Ein jährliches Honorar von etwa 90000 Mark bezog Q. Roscius, ein Zeitgenosse Ciceros, als Schauspieler (Plinius nat. hist. VII, 128, X, 141, XXXV, 163 Sueton. Vesp. 19). Damit dürfte er von den höchstbesoldeten Mimen der Gegenwart kaum übertroffen werden. Im dritten vorchristlichen Jahrhundert bezog der Kitharode Amoibeus in Athen für jedes Auftreten 1 Talent, also 4715 Mark! Die in Korinth gekaufte Flöte des großen Virtuosen Ismenios kostete 7 Talente! (Vgl. Aristeas bei Athenaeus XIV, 623d)[33].

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Im Museum zu Odessa steht ein Stein, der in der alten Griechenstadt Olbia aufgefunden wurde. Er trägt die Inschrift: „Ich künde, daß 282 Klafter weit mit dem Bogen geschossen hat der berühmte Anaxagoras, des Demagoras Sohn –...“ Das war allerdings eine fabelhafte Leistung, denn 500 m sind selbst für einen Gewehrschuß nicht wenig, geschweige für einen Bogenschuß! Allerdings dürfte es sich nur um einen Weitschuß ohne Rücksicht auf ein bestimmtes Ziel gehandelt haben. Daß aber der Stein von einer Schützengilde gesetzt wurde, und zwar auf einer scheibenartigen Tafel, erinnert stark an die modernen Gebräuche.

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Die einzige Steuer, die der in Italien wohnende römische Bürger zu zahlen hatte, war eine Erbschaftssteuer von 5% von allen Erbschaften und Legaten über 20000 Mark mit Ausnahme der von den nächsten Blutsverwandten herrührenden[34].

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Außer in Rom standen in keiner Stadt Italiens im Altertum Soldaten.

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Die Errichtung von Statuen war in der Antike eine so häufige Ehrung, daß in Brescia einmal sogar dem 6jährigen Sohne eines Decurionen eine Reiterstatue aus vergoldeter Bronze errichtet wurde. Allerdings waren Statuen billig, der Ausgezeichnete zahlte sie meist selbst und gab zudem Festivitäten.

Bereits im Jahre 73 n. Chr. wurde ein offizieller Katalog der dem römischen Staate gehörigen Kunstwerke, vielleicht unter Mitwirkung des Plinius, angelegt. Das Bruchstück eines zweisprachigen aus dem 3. Jahrhundert stammenden Museumskatalogs hat sich noch erhalten[35].

Anschlagsäulen für Vergnügungsanzeigen und Reklamezwecke gab es schon in Herculanum. Und zwar waren die Plakate mit Gummiarabicum angeklebt[36].

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Das Zweikindersystem wird bereits von Hesiod empfohlen, und zwar in der Form, daß das Haus höchstens zwei Söhne besitzen soll. Man erreichte dies durch Kinderaussetzung, was aber bei dem humanen Sinn der Griechen mehr rechtliche als praktische Bedeutung hatte, und durch Förderung des außerehelichen Verkehrs der Geschlechter[37].

Die Römer trugen vielfach einen Phallus als Brosche bzw. Amulett, wie auch die öffentlichen Häuser in Pompeji durch einen großen steinernen Phallus kenntlich gemacht waren. Im Geheimkabinett des Museo Nationale in Neapel befindet sich eine große Sammlung solcher Phalli. Die ägyptischen Prinzessinnen erhielten denselben Gegenstand in Naturgröße aus Stein gefertigt ins Grab mitgegeben, um auch im Jenseits nichts entbehren zu müssen[38].

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Ein Zahlungsmoratorium kennt bereits das Gesetz Hammurabis, das älteste Gesetzbuch der Welt, das etwa anderthalb Jahrtausende in Kraft blieb. Der 48. Paragraph lautet nämlich: „Wenn jemand eine verzinsbare Schuld hat und ein Unwetter sein Feld verwüstet, oder die Ernte vernichtet, oder wegen Wassermangel Getreide auf dem Felde nicht wächst: so soll er in diesem Jahre dem Gläubiger kein Getreide geben, seine Schuldtafel (im Wasser) aufweichen und Zinsen für dieses Jahr nicht zahlen“[39].

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Die Könige der Spartaner, Alexander der Große, Justinian und viele andere wurden in Honig zur letzten Ruhe gebettet. Die konservierende Eigenschaft von Wachs und Honig war bereits den Scythen und Persern bekannt[40].

Dagegen war es im Mittelalter Sitte, die Leiche der verstorbenen Fürstlichkeiten und hohen Personen auszuweiden. Dabei verfuhr man oft unglaublich roh. Matthäus Parisiensis (1135) erzählt von den Prozeduren, denen der Leichnam König Heinrichs I. von England († 1135) durch einen Fleischer unterworfen wurde, folgendes: „Sein Leichnam wurde nach Rouen gebracht und da begrub man seine Eingeweide, sein Gehirn und seine Augen. Der übrige Körper wurde überall mit kleinen Messern geschnitten, mit vielem Salze bestreut, in Rindshäute gehüllt und so, um den üblen Geruch zu vermeiden, eingenäht. Aber letzterer war doch so stark und überwältigend, daß er die Umstehenden krank machte. Darum starb auch der Mann, welcher, durch eine große Belohnung gewonnen, des Toten Haupt, um das stinkende Gehirn herauszunehmen, mit einem Beile gespaltet hatte, obwohl er sich den Kopf mit Leintüchern umwickelt, und hatte schlechte Freude an dem Lohne. Das ist auch der letzte von vielen, die König Heinrich umgebracht hat. Darauf wurde die königliche Leiche nach Caën von den Dienstleuten getragen, und als man sie daselbst in der Kirche, in der sein Vater beerdigt war, aufgestellt hatte, so floß doch, obschon der Körper mit vielem Salze gefüllt, und in viele Häute gepackt war, beständig eine schwarze und gräßliche Flüssigkeit durch die Häute hindurch und wurde in unter die Bahre gestellten Gefäßen von den Dienern, die vor Ekel fast vergingen, aufgefangen und fortgeschüttet“[41].

Die getrennte Bestattung von Weichteilen und Fleisch war durchaus Sitte. So wurden z. B. die Eingeweide Kaiser Heinrichs IV. in Lüttich beigesetzt, seine Leiche aber in Speier[42]. Hier fand auch sein Sohn Heinrich V. die letzte Ruhe, nachdem seine Eingeweide in Utrecht beigesetzt worden waren[43]. Richard Löwenherz verordnete gar, daß sein Leichnam in Fontevrauld, sein Herz in Rouen, seine Eingeweide, Blut und Hirn aber bei Chaluz bestattet werden sollten (Rog. de Hovedene)[44].

Ganz sonderbar war der Brauch, die Leichen der in weiter Ferne Verstorbenen zu zerstückeln und die Stücke so lange in Wasser und Wein zu sieden, bis sich die Knochen vom Fleisch lösten. Während die Gebeine in die Heimat gebracht wurden, fand die Bestattung des Fleisches an Ort und Stelle statt. So wurde z. B. auch Friedrich Barbarossa († 1190) gesotten! (Itin. reg. Ric. I, 24). Landgraf Ludwig IV. von Thüringen († 1227), der Gemahl der heiligen Elisabeth, wurde ebenso behandelt (h. Elis. 3580 ff.), desgleichen, um noch ein Beispiel zu nennen, Ludwig der Heilige von Frankreich († 1270) (Guilelmi de Nangiaco Gesta Philippi regis. Bouquet, Rec. XX, 466)[45].

Übrigens verbot Papst Bonifazius VIII. im Jahre 1299 bei der Strafe der Exkommunikation die Leichen auszuweiden, zu kochen und zu zerstückeln (Nach Heinrich Rebdorf)[46].

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