KAPITEL I. Änderung der Verfassung. Beschränkung der Magistratsgewalt.

Der strenge Begriff der Einheit und Allgewalt der Gemeinde in allen Gemeindeangelegenheiten, dieser Schwerpunkt der italischen Verfassungen, legte in die Haende des einzigen, auf Lebenszeit ernannten Vorstehers eine furchtbare Gewalt, die wohl der Landesfeind empfand, aber nicht minder schwer der Buerger. Missbrauch und Druck konnte nicht ausbleiben, und hiervon die notwendige Folge waren Bestrebungen, jene Gewalt zu mindern. Aber das ist das Grossartige in diesen roemischen Reformversuchen und Revolutionen, dass man nie unternimmt, weder die Gemeinde als solche zu beschraenken noch auch nur sie entsprechender Organe zu berauben, dass nie die sogenannten natuerlichen Rechte des einzelnen gegen die Gemeinde geltend gemacht werden, sondern dass der ganze Sturm sich richtet gegen die Form der Gemeindevertretung. Nicht Begrenzung der Staats-, sondern Begrenzung der Beamtenmacht ist der Ruf der roemischen Fortschrittspartei von den Zeiten der Tarquinier bis auf die der Gracchen; und auch dabei vergisst man nie, dass das Volk nicht regieren, sondern regiert werden soll.

Dieser Kampf bewegt sich innerhalb der Buergerschaft. Ihm zur Seite entwickelt sich eine andere Bewegung: der Ruf der Nichtbuerger um politische Gleichberechtigung. Dahin gehoeren die Agitationen der Plebejer, der Latiner, der Italiker, der Freigelassenen, welche alle, mochten sie Buerger genannt werden, wie die Plebejer und die Freigelassenen, oder nicht, wie die Latiner und die Italiker, politische Gleichheit entbehrten und begehrten.

Ein dritter Gegensatz ist noch allgemeinerer Art: der der Vermoegenden und der Armen, insbesondere der aus dem Besitz gedraengten oder in demselben gefaehrdeten Besitzer. Die rechtlichen und politischen Verhaeltnisse Roms veranlassten die Entstehung zahlreicher Bauernwirtschaften teils kleiner Eigentuemer, die von der Gnade des Kapital-, teils kleiner Zeitpaechter, die von der Gnade des Grundherrn abhingen, und beraubten vielfach einzelne wie ganze Gemeinden des Grundbesitzes, ohne die persoenliche Freiheit anzugreifen. Dadurch ward das ackerbauende Proletariat schon so frueh maechtig, dass es wesentlich in die Schicksale der Gemeinde eingreifen konnte. Das staedtische Proletariat gewann erst in weit spaeterer Zeit politische Bedeutung.

In diesen Gegensaetzen bewegte sich die innere Geschichte Roms und vermutlich nicht minder die uns gaenzlich verlorene der uebrigen italischen Gemeinden. Die politische Bewegung innerhalb der vollberechtigten Buergerschaft, der Krieg der Ausgeschlossenen und der Ausschliessenden, die sozialen Konflikte der Besitzenden und der Besitzlosen, so mannigfaltig sie sich durchkreuzen und ineinanderschlingen und oft seltsame Allianzen herbeifuehren, sind dennoch wesentlich und von Grund aus verschieden.

Da die Servianische Reform, welche den Insassen in militaerischer Hinsicht dem Buerger gleichstellte, mehr aus administrativen Ruecksichten als aus einer politischen Parteitendenz hervorgegangen zu sein scheint, so darf als der erste dieser Gegensaetze, der zu inneren Krisen und Verfassungsaenderungen fuehrte, derjenige betrachtet werden, der auf die Beschraenkung der Magistratur hinarbeitet. Der frueheste Erfolg dieser aeltesten roemischen Opposition besteht in der Abschaffung der Lebenslaenglichkeit der Gemeindevorsteherschaft, das heisst in der Abschaffung des Koenigtums. Wie notwendig diese in der natuerlichen Entwicklung der Dinge lag, dafuer ist der schlagendste Beweis, dass dieselbe Verfassungsaenderung in dem ganzen Kreise der italisch-griechischen Welt in analoger Weise vor sich gegangen ist. Nicht bloss in Rom, sondern gerade ebenso bei den uebrigen Latinern sowie bei den Sabellern, Etruskern und Apulern, ueberhaupt in saemtlichen italischen Gemeinden finden wir, wie in den griechischen, in spaeterer Zeit die alten lebenslaenglichen durch Jahresherrscher ersetzt. Fuer den lucanischen Gau ist es bezeugt, dass er im Frieden sich demokratisch regierte und nur fuer den Krieg die Magistrate einen Koenig, das heisst einen dem roemischen Diktator aehnlichen Beamten bestellten; die sabellischen Stadtgemeinden, zum Beispiel die von Capua und Pompeii, gehorchten gleichfalls spaeterhin einem jaehrlich wechselnden “Gemeindebesorger” (medix tuticus), und aehnliche Institutionen moegen wir auch bei den uebrigen Volks- und Stadtgemeinden Italiens voraussetzen. Es bedarf hiernach keiner Erklaerung, aus welchen Gruenden in Rom die Konsuln an die Stelle der Koenige getreten sind; der Organismus der alten griechischen und italischen Politie entwickelt vielmehr die Beschraenkung der lebenslaenglichen Gemeindevorstandschaft auf eine kuerzere, meistenteils jaehrige Frist mit einer gewissen Naturnotwendigkeit aus sich selber. So einfach indes die Ursache dieser Veraenderung ist, so mannigfaltig konnten die Anlaesse sein; man mochte nach dem Tode des lebenslaenglichen Herrn beschliessen keinen solchen wieder zu erwaehlen, wie nach Romulus’ Tode der roemische Senat versucht haben soll; oder der Herr mochte freiwillig abdanken, was angeblich Koenig Servius Tullius beabsichtigt hat; oder das Volk mochte gegen einen tyrannischen Regenten aufstehen und ihn vertreiben, wie dies das Ende des roemischen Koenigtums war. Denn mag die Geschichte der Vertreibung des letzten Tarquinius, “des Uebermuetigen”, auch noch so sehr in Anekdoten ein- und zur Novelle ausgesponnen sein, so ist doch an den Grundzuegen nicht zu zweifeln. Dass der Koenig es unterliess den Senat zu befragen und zu ergaenzen, dass er Todesurteile und Konfiskationen ohne Zuziehung von Ratmaennern aussprach, dass er in seinen Speichern ungeheure Kornvorraete aufhaeufte und den Buergern Kriegsarbeit und Handdienste ueber die Gebuehr ansann, bezeichnet die Ueberlieferung in glaublicher Weise als die Ursachen der Empoerung; von der Erbitterung des Volkes zeugt das foermliche Geloebnis, das dasselbe Mann fuer Mann fuer sich und seine Nachkommen ablegte, fortan keinen Koenig mehr zu dulden, und der blinde Hass, der seitdem an den Namen des Koenigs sich anknuepfte, vor allem aber die Verfuegung, dass der “Opferkoenig”, den man kreieren zu muessen glaubte, damit nicht die Goetter den gewohnten Vermittler vermissten, kein weiteres Amt solle bekleiden koennen und also dieser zwar der erste, aber auch der ohnmaechtigste Mann im roemischen Gemeindewesen ward. Mit dem letzten Koenig wurde sein ganzes Geschlecht verbannt - ein Beweis, welche Geschlossenheit damals noch die gentilizischen Verbindungen hatten. Die Tarquinier siedelten darauf ueber nach Caere, vielleicht ihrer alten Heimat, wo ihr Geschlechtsgrab kuerzlich aufgedeckt worden ist. An die Stelle aber des einen lebenslaenglichen traten zwei jaehrige Herrscher an die Spitze der roemischen Gemeinde.

Dies ist alles, was historisch ueber dies wichtige Ereignis als sicher angesehen werden kann ^1. Dass in einer grossen weitherrschenden Gemeinde, wie die roemische war, die koenigliche Gewalt, namentlich wenn sie durch mehrere Generationen bei demselben Geschlechte gewesen, widerstandsfaehiger und der Kampf also lebhafter war als in den kleineren Staaten, ist begreiflich; aber auf eine Einmischung auswaertiger Staaten in denselben deutet keine sichere Spur. Der grosse Krieg mit Etrurien, der uebrigens wohl nur durch chronologische Verwirrung in den roemischen Jahrbuechern so nahe an die Vertreibung der Tarquinier gerueckt ist, kann nicht als eine Intervention Etruriens zu Gunsten eines in Rom beeintraechtigten Landsmannes angesehen werden, aus dem sehr zureichenden Grunde, dass die Etrusker trotz des vollstaendigen Sieges doch weder das roemische Koenigtum wiederhergestellt noch auch nur die Tarquinier zurueckgefuehrt haben.

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^1 Die bekannte Fabel richtet groesstenteils sich selbst; zum guten Teil ist sie aus Beinamenerklaerung (Brutus, Poplicola, Scaevola) herausgesponnen. Aber sogar die scheinbar geschichtlichen Bestandteile derselben zeigen bei genauerer Erwaegung sich als erfunden. Dahin gehoert, dass Brutus Reiterhauptmann (tribunus celerum) gewesen und als solcher den Volksschluss ueber die Vertreibung der Tarquinier beantragt haben soll; denn es ist nach der roemischen Verfassung ganz unmoeglich, dass ein blosser Offizier das Recht gehabt habe, die Kurien zu berufen. Offenbar ist diese ganze Angabe zum Zweck der Herstellung eines Rechtsbodens fuer die roemische Republik ersonnen, und recht schlecht ersonnen, indem dabei der tribunus celerum mit dem ganz verschiedenen magister equitum verwechselt und dann das dem letzteren kraft seines praetorischen Ranges zustehende Recht, die Zenturien zu berufen, auf die Kurienversammlung bezogen ward.

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Sind wir ueber den historischen Zusammenhang dieses wichtigen Ereignisses im Dunkeln, so liegt dagegen zum Glueck klar vor, worin die Verfassungsaenderung bestand. Die Koenigsgewalt ward keineswegs abgeschafft, wie schon das beweist, dass in der Vakanz nach wie vor der “Zwischenkoenig” eintrat; es traten nur an die Stelle des einen lebenslaenglichen zwei Jahreskoenige, die sich Feldherren (praetores) oder Richter (iudices) oder auch bloss Kollegen (consules) ^2 nannten. Es sind die Prinzipien der Kollegialitaet und der Annuitaet, die die Republik und das Koenigtum unterscheiden und die hier zuerst uns entgegentreten.

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^2 Consules sind die zusammen Springenden oder Tanzenden, wie praesul der Vorspringen exul der Ausspringer (ο εκπεσών), insula der Einsprung, zunaechst der ins Meer gefallene Felsblock.

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Dasjenige der Kollegialitaet, dem der dritte spaeterhin gangbarste Name der Jahreskoenige entlehnt war, erscheint hier in einer ganz eigentuemlichen Gestalt. Nicht den beiden Beamten zusammen ward die hoechste Macht uebertragen, sondern es hatte und uebte sie jeder Konsul fuer sich so voll und ganz, wie der Koenig sie gehabt und geuebt hatte. Es geht dies so weit, dass von den beiden Kollegen nicht etwa der eine die Rechtspflege, der andere den Heerbefehl uebernahm, sondern sie ebenso gleichzeitig in der Stadt Recht sprachen wie zusammen zum Heere abgingen; im Falle der Kollision entschied ein nach Monaten oder Tagen bemessener Turnus. Allerdings konnte daneben, wenigstens im militaerischen Oberbefehl, eine gewisse Kompetenzteilung wohl von Anfang an stattfinden, beispielsweise der eine Konsul gegen die Aequer, der andere gegen die Volsker ausruecken; aber sie hatte in keiner Weise bindende Kraft und jedem der Kollegen stand es rechtlich frei, in den Amtskreis des andern zu jeder Zeit ueberzugreifen. Wo also die hoechste Gewalt der hoechsten Gewalt entgegentrat und der eine Kollege das verbot, was der andere befahl, hoben die konsularischen Machtworte einander auf. Diese eigentuemlich wenn nicht roemische, so doch latinische Institution konkurrierender hoechster Gewalt, die im roemischen Gemeinwesen sich im ganzen genommen praktisch bewaehrt hat, zu der es aber schwer sein wird, in einem andern groesseren Staat eine Parallele zu finden, ist offenbar hervorgegangen aus dem Bestreben, die koenigliche Macht in rechtlich ungeschmaelerter Fuelle festzuhalten und darum das Koenigsamt nicht etwa zu teilen oder von einem Individuum auf ein Kollegium zu uebertragen, sondern lediglich es zu verdoppeln und damit, wo es noetig war, es durch sich selber zu vernichten.

Fuer die Befristung gab das aeltere fuenftaegige Zwischenkoenigtum einen rechtlichen Anhalt. Die ordentlichen Gemeindevorsteher wurden verpflichtet, nicht laenger als ein Jahr, von dem Tage ihres Amtsantritts an gerechnet ^3, im Amte zu bleiben und hoerten, wie der Interrex mit Ablauf der fuenf Tage, so mit Ablauf des Jahres vor. Rechts wegen auf, Beamte zu sein. Durch diese Befristung des hoechsten Amtes ging die tatsaechliche Unverantwortlichkeit des Koenigs fuer den Konsul verloren. Zwar hatte auch der Koenig von jeher in dem roemischen Gemeinwesen unter, nicht ueber dem Gesetz gestanden; allein da nach roemischer Auffassung der hoechste Richter nicht bei sich selbst belangt werden durfte, hatte er wohl ein Verbrechen begehen koennen, aber ein Gericht und eine Strafe gab es fuer ihn nicht. Den Konsul dagegen schuetzte, wenn er Mord oder Landesverrat beging, sein Amt auch, aber nur, solange es waehrte; nach seinem Ruecktritt unterlag er dem gewoehnlichen Strafgericht wie jeder andere Buerger.

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^3 Der Antrittstag fiel mit dem Jahresanfang (1. Maerz) nicht zusammen und war ueberhaupt nicht fest. Nach diesem richtete sich der Ruecktrittstag, ausgenommen, wenn ein Konsul ausdruecklich anstatt eines ausgefallenen gewaehlt war (consul suffectus), wo er in die Rechte und also auch in die Frist des Ausgefallenen eintrat. Doch sind diese Ersatzkonsuln in aelterer Zeit nur vorgekommen, wenn bloss der eine der Konsuln weggefallen war; Kollegien von Ersatzkonsuln begegnen erst in der spaeteren Republik. Regelmaessig bestand also das Amtsjahr eines Konsuls aus den ungleichen Haelften zweier buergerlicher Jahre.

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Zu diesen hauptsaechlichen und prinzipiellen Aenderungen kamen andere untergeordnete und mehr aeusserliche, aber doch auch teilweise tief eingreifende Beschraenkungen hinzu. Das Recht des Koenigs, seine Aecker durch Buergerfronden zu bestellen, und das besondere Schutzverhaeltnis, in welchem die Insassenschaft zu dem Koenig gestanden haben muss, fielen mit der Lebenslaenglichkeit des Amtes von selber.

Hatte ferner im Kriminalprozess sowie bei Bussen und Leibesstrafen bisher dem Koenig nicht bloss Untersuchung und Entscheidung der Sache zugestanden, sondern auch die Entscheidung darueber, ob der Verurteilte den Gnadenweg betreten duerfe oder nicht, so bestimmte jetzt das Valerische Gesetz (Jahr 245 Roms 500), dass der Konsul der Provokation des Verurteilten stattgeben muesse, wenn auf Todes- oder Leibesstrafe nicht nach Kriegsrecht erkannt war; was durch ein spaeteres Gesetz (unbestimmter Zeit, aber vor dem Jahre 303 451 erlassen) auf schwere Vermoegensbussen ausgedehnt ward. Zum Zeichen dessen legten die konsularischen Liktoren, wo der Konsul als Richter, nicht als Feldherr auftrat, die Beile ab, die sie bisher kraft des ihrem Herrn zustehenden Blutbannes gefuehrt hatten. Indes drohte dem Beamten, der der Provokation nicht ihren Lauf liess, das Gesetz nichts anderes als die Infamie, die nach damaligen Verhaeltnissen im wesentlichen nichts war als ein sittlicher Makel und hoechstens zur Folge hatte, dass das Zeugnis des Ehrlosen nicht mehr galt. Auch hier liegt dieselbe Anschauung zu Grunde, dass es rechtlich unmoeglich ist, die alte Koenigsgewalt zu schmaelern und die infolge der Revolution dem Inhaber der hoechsten Gemeindegewalt gesetzten Schranken streng genommen nur einen tatsaechlichen und sittlichen Wert haben. Wenn also der Konsul innerhalb der alten koeniglichen Kompetenz handelt, so kann er damit wohl ein Unrecht, aber kein Verbrechen begehen und unterliegt also deswegen dem Strafrichter nicht.

Eine in der Tendenz aehnliche Beschraenkung fand statt in der Zivilgerichtsbarkeit; denn wahrscheinlich wurde den Konsuln gleich mit ihrem Eintritt das Recht genommen, einen Rechtshandel unter Privaten nach ihrem Ermessen zu entscheiden.

Die Umgestaltung des Kriminal- wie des Zivilprozesses stand in Verbindung mit einer allgemeinen Anordnung hinsichtlich der Uebertragung der Amtsgewalt auf Stellvertreter oder Nachfolger. Hatte dem Koenig die Ernennung von Stellvertretern unbeschraenkt frei, aber nie fuer ihn ein Zwang dazu bestanden, so haben die Konsuln das Recht der Gewaltuebertragung in wesentlich anderer Weise geuebt. Zwar die Regel, dass wenn der hoechste Beamte die Stadt verliess, er fuer die Rechtspflege daselbst einen Vogt zu bestellen habe, blieb auch fuer die Konsuln in Kraft, und nicht einmal die Kollegialitaet ward auf die Stellvertretung erstreckt, vielmehr diese Bestellung demjenigen Konsul auferlegt, welcher zuletzt die Stadt verliess. Aber das Mandierungsrecht fuer die Zeit, wo die Konsuln in der Stadt verweilten, wurde wahrscheinlich gleich bei der Einfuehrung dieses Amtes dadurch beschraenkt, dass dem Konsul das Mandieren fuer bestimmte Faelle vorgeschrieben, fuer alle Faelle dagegen, wo dies nicht geschehen war, untersagt ward. Nach diesem Grundsatz ward, wie gesagt, das gesamte Gerichtswesen geordnet. Der Konsul konnte allerdings die Kriminalgerichtsbarkeit auch im Kapitalprozess in der Weise ausueben, dass er seinen Spruch der Gemeinde vorlegte und diese ihn dann bestaetigte oder verwarf; aber er hat dies Recht, soviel wir sehen, nie geuebt, vielleicht bald nicht mehr ueben duerfen und vielleicht nur da ein Kriminalurteil gefaellt, wo aus irgendeinem Grunde die Berufung an die Gemeinde ausgeschlossen war. Man vermied den unmittelbaren Konflikt zwischen dem hoechsten Gemeindebeamten und der Gemeinde selbst und ordnete den Kriminalprozess vielmehr in der Weise, dass das hoechste Gemeindeamt nur der Idee nach kompetent blieb, aber immer handelte durch notwendige, wenn auch von ihm bestellte Vertreter. Es sind dies die beiden nicht staendigen Urteilsprecher fuer Empoerung und Hochverrat (duoviri perduellionis) und die zwei staendigen Mordspuerer, die quaestores parricidii. Aehnliches mag vielleicht in der Koenigszeit da vorgekommen sein, wo der Koenig sich in solchen Prozessen vertreten liess; aber die Staendigkeit der letzteren Institution und das in beiden durchgefuehrte Kollegialitaetsprinzip gehoeren auf jeden Fall der Republik an. Die letztere Einrichtung ist auch insofern von grosser Wichtigkeit geworden, als damit zum erstenmal neben die zwei staendigen Oberbeamten zwei Gehilfen traten, die jeder Oberbeamte bei seinem Amtsantritt ernannte und die folgerecht auch bei seinem Ruecktritt mit ihm abtraten, deren Stellung also wie das Oberamt selbst nach den Prinzipien der Staendigkeit, der Kollegialitaet und der Annuitaet geordnet war. Es ist das zwar noch nicht die niedere Magistratur selbst, wenigstens nicht in dem Sinne, den die Republik mit der magistratischen Stellung verbindet, insofern die Kommissarien nicht aus der Wahl der Gemeinde hervorgehen; wohl aber ist dies der Ausgangspunkt der spaeter so mannigfaltig entwickelten Institution der Unterbeamten geworden.

In aehnlichem Sinne wurde die Entscheidung im Zivilprozess dem Oberamt entzogen, indem das Recht des Koenigs, einen einzelnen Prozess zur Entscheidung einem Stellvertreter zu uebertragen, umgewandelt ward in die Pflicht des Konsuls, nach Feststellung der Parteilegitimation und des Gegenstandes der Klage dieselbe zur Erledigung an einen von ihm auszuwaehlenden und von ihm zu instruierenden Privatmann zu verweisen.

In gleicher Weise wurde den Konsuln die wichtige Verwaltung des Staatsschatzes und des Staatsarchivs zwar gelassen, aber doch wahrscheinlich sofort, mindestens sehr frueh, ihnen dabei staendige Gehilfen und zwar eben jene Quaestoren zugeordnet, welche ihnen freilich in dieser Taetigkeit unbedingt zu gehorchen hatten, ohne deren Vorwissen und Mitwirkung aber doch die Konsuln nicht handeln konnten. Wo dagegen solche Vorschriften nicht bestanden, musste der Gemeindevorstand in der Hauptstadt persoenlich eingreifen; wie denn zum Beispiel bei der Einleitung des Prozesses er sich unter keinen Umstaenden vertreten lassen kann.

Diese zwiefache Fesselung des konsularischen Mandierungsrechts bestand fuer das staedtische Regiment, zunaechst fuer die Rechtspflege und die Kassenverwaltung. Als Oberfeldherr behielt der Konsul dagegen das Uebertragungsrecht aller oder einzelner ihm obliegender Geschaefte. Diese verschiedene Behandlung der buergerlichen und der militaerischen Gewaltuebertragung ist die Ursache geworden, weshalb innerhalb des eigentlichen roemischen Gemeinderegiments durchaus keine stellvertretende Amtsgewalt (pro magistratu) moeglich ist und rein staedtische Beamte nie durch Nichtbeamte ersetzt, die militaerischen Stellvertreter aber (pro consule, pro praetore, pro quaestore) von aller Taetigkeit innerhalb der eigentlichen Gemeinde ausgeschlossen werden.

Das Recht, den Nachfolger zu ernennen, hatte der Koenig nicht gehabt, sondern nur der Zwischenkoenig. Der Konsul wurde in dieser Hinsicht dem letzten gleichgestellt; fuer den Fall jedoch, dass er es nicht ausgeuebt hatte, trat nach wie vor der Zwischenkoenig ein, und die notwendige Kontinuitaet des Amtes bestand auch in dem republikanischen Regiment ungeschmaelert fort. Indes wurde das Ernennungsrecht wesentlich eingeschraenkt zu Gunsten der Buergerschaft, indem der Konsul verpflichtet ward, fuer die von ihm bezeichneten Nachfolger die Zustimmung der Gemeinde zu erwirken, weiterhin nur diejenigen zu ernennen, die die Gemeinde ihm bezeichnete. Durch dieses bindende Vorschlagsrecht ging wohl in gewissem Sinne die Ernennung der ordentlichen hoechsten Beamten materiell auf die Gemeinde ueber; doch bestand auch praktisch noch ein sehr bedeutender Unterschied zwischen jenem Vorschlags- und dem foermlichen Ernennungsrecht. Der wahlleitende Konsul war durchaus nicht blosser Wahlvorstand, sondern konnte immer noch, kraft seines alten koeniglichen Rechts, zum Beispiel einzelne Kandidaten zurueckweisen und die auf sie fallenden Stimmen unbeachtet lassen, anfangs auch noch die Wahl auf eine von ihm entworfene Kandidatenliste beschraenken; und was noch wichtiger war, wenn das Konsulkollegium durch den gleich zu erwaehnenden Diktator zu ergaenzen war, wurde bei dieser Ergaenzung die Gemeinde nicht befragt, sondern der Konsul bestellte in dem Fall mit derselben Freiheit den Kollegen, wie einst der Zwischenkoenig den Koenig bestellt hatte.

Die Priesterernennung, die den Koenigen zugestanden hatte, ging nicht ueber auf die Konsuln, sondern es trat dafuer bei den Maennerkollegien die Selbstergaenzung, bei den Vestalinnen und den Einzelpriestern die Ernennung durch das Pontifikalkollegium ein, an welches auch die Ausuebung der gleichsam hausherrlichen Gerichtsbarkeit der Gemeinde ueber die Priesterinnen der Vesta kam. Um diese fueglich nicht anders als von einem einzelnen vorzunehmenden Handlungen vollziehen zu koennen, setzte das Kollegium sich, vermutlich erst um diese Zeit, einen Vorstand, den Pontifex maximus. Diese Abtrennung der sakralen Obergewalt von der buergerlichen, waehrend auf den schon erwaehnten “Opferkoenig” weder die buergerliche noch die sakrale Macht des Koenigtums, sondern lediglich der Titel ueberging, sowie die aus dem sonstigen Charakter des roemischen Priestertums entschieden heraustretende, halb magistratische Stellung des neuen Oberpriesters ist eine der bezeichnendsten und folgenreichsten Eigentuemlichkeiten dieser auf Beschraenkung der Beamtengewalt hauptsaechlich im aristokratischen Interesse hinzielenden Staatsumwaelzung.

Dass auch im aeusseren Auftreten der Konsul weit zurueckstand hinter dem mit Ehrfurcht und Schrecken umgebenen koeniglichen Amte, dass der Koenigsname und die priesterliche Weihe ihm entzogen, seinen Dienern das Beil genommen wurde, ist schon gesagt worden; es kommt hinzu, dass der Konsul statt des koeniglichen Purpurkleides nur durch den Purpursaum seines Obergewandes von dem gewoehnlichen Buerger sich unterschied, und dass, waehrend der Koenig oeffentlich vielleicht regelmaessig im Wagen erschien, der Konsul der allgemeinen Ordnung sich zu fuegen und gleich jedem anderen Buerger innerhalb der Stadt zu Fuss zu gehen gehalten war.

Indes, diese Beschraenkungen der Amtsgewalt kamen im wesentlichen nur zur Anwendung gegen den ordentlichen Gemeindevorstand. Ausserordentlicher Weise trat neben und in gewissem Sinn anstatt der beiden von der Gemeinde gewaehlten Vorsteher ein einziger ein, der Heermeister (magister populi), gewoehnlich bezeichnet als der dictator. Auf die Wahl zum Diktator uebte die Gemeinde keinerlei Einfluss, sondern sie ging lediglich aus dem freien Entschluss eines der zeitigen Konsuln hervor, den weder der Kollege noch eine andere Behoerde hieran hindern konnte; gegen ihn galt die Provokation nur wie gegen den Koenig, wenn er freiwillig ihr wich; sowie er ernannt war, waren alle uebrigen Beamten von Rechts wegen ihm untertan. Dagegen war der Zeit nach die Amtsdauer des Diktators zwiefach begrenzt: einmal insofern er als Amtsgenosse derjenigen Konsuln, deren einer ihn ernannt hatte, nicht ueber deren gesetzliche Amtszeit hinaus im Amte bleiben durfte; sodann war als absolutes Maximum der Amtsdauer dem Diktator eine sechsmonatliche Frist gesetzt. Eine der Diktatur eigentuemliche Einrichtung war ferner, dass der “Heermeister” gehalten war, sich sofort einen “Reitermeister” (magister equitum) zu ernennen, welcher als abhaengiger Gehilfe neben ihm, etwa wie der Quaestor neben dem Konsul, fungierte und mit ihm vom Amte abtrat - eine Einrichtung, die ohne Zweifel damit zusammenhaengt, dass es dem Heermeister, vermutlich als dem Fuehrer des Fussvolkes, verfassungsmaessig untersagt war, zu Pferde zu steigen. Diesen Bestimmungen zufolge ist die Diktatur wohl aufzufassen als eine mit dem Konsulat zugleich entstandene Einrichtung, die den Zweck hatte, insbesondere fuer den Kriegsfall die Nachteile der geteilten Gewalt zeitweilig zu beseitigen und die koenigliche Gewalt voruebergehend wieder ins Leben zu rufen. Denn im Kriege vor allem musste die Gleichberechtigung der Konsuln bedenklich erscheinen und nicht bloss bestimmte Zeugnisse, sondern vor allem die aelteste Benennung des Beamten selbst und seines Gehilfen wie auch die Begrenzung auf die Dauer eines Sommerfeldzugs und der Ausschluss der Provokation sprechen fuer die ueberwiegend militaerische Bestimmung der urspruenglichen Diktatur.

Im ganzen also blieben auch die Konsuln, was die Koenige gewesen waren, oberste Verwalter, Richter und Feldherren, und auch in religioeser Hinsicht war es nicht der Opferkoenig, der nur, damit der Name vorhanden sei, ernannt ward, sondern der Konsul, der fuer die Gemeinde betete und opferte und in ihrem Namen den Willen der Goetter mit Hilfe der Sachverstaendigen erforschte. Fuer den Notfall hielt man sich ueberdies die Moeglichkeit offen, die volle unumschraenkte Koenigsgewalt ohne vorherige Befragung der Gemeinde jeden Augenblick wieder ins Leben zu rufen mit Beseitigung der durch die Kollegialitaet und durch die besonderen Kompetenzminderungen gezogenen Schranken. So wurde die Aufgabe, die koenigliche Autoritaet rechtlich festzuhalten und tatsaechlich zu beschraenken, von den namenlosen Staatsmaennern, deren Werk diese Revolution war, in echt roemischer Weise ebenso scharf wie einfach geloest.

Die Gemeinde gewann also durch die Aenderung der Verfassung die wichtigsten Rechte: das Recht, die Gemeindevorsteher jaehrlich zu bezeichnen und ueber Tod und Leben des Buergers in letzter Instanz zu entscheiden. Aber es konnte das unmoeglich die bisherige Gemeinde sein, der tatsaechlich zum Adelstande gewordene Patriziat. Die Kraft des Volkes war bei der “Menge”, welche namhafte und vermoegende Leute bereits in grosser Zahl in sich schloss. Dass diese Menge aus der Gemeindeversammlung ausgeschlossen war, obwohl sie die gemeinen Lasten mittrug, mochte ertragen werden, solange die Gemeindeversammlung selbst im wesentlichen nicht eingriff in den Gang der Staatsmaschine und solange die Koenigsgewalt eben durch ihre hohe und freie Stellung den Buergern nicht viel weniger fuerchterlich blieb als den Insassen und damit in der Nation die Rechtsgleichheit erhielt. Allein als die Gemeinde selbst zu regelmaessigen Wahlen und Entscheidungen berufen, der Vorsteher aber faktisch aus ihrem Herrn zum befristeten Auftragnehmer herabgedrueckt ward, konnte dies Verhaeltnis nicht laenger aufrecht erhalten werden; am wenigsten bei der Neugestaltung des Staates an dem Morgen einer Revolution, die nur durch Zusammenwirken der Patrizier und der Insassen hatte durchgesetzt werden koennen. Eine Erweiterung dieser Gemeinde war unvermeidlich; und sie ist in der umfassendsten Weise erfolgt, indem das gesamte Plebejat, das heisst saemtliche Nichtbuerger, die weder Sklaven noch nach Gastrecht lebende Buerger auswaertiger Gemeinden waren, in die Buergerschaft aufgenommen wurden. Der Kurienversammlung der Altbuerger, die bis dahin rechtlich und tatsaechlich die erste Autoritaet im Staate gewesen war, wurden ihre verfassungsmaessigen Befugnisse fast gaenzlich entzogen: nur in rein formellen oder in den die Geschlechtsverhaeltnisse betreffenden Akten, also hinsichtlich des dem Konsul oder dem Diktator nach Antritt ihres Amtes eben wie frueher dem Koenig zu leistenden Treugeloebnisses und des fuer die Arrogation und das Testament erforderlichen gesetzlichen Dispenses, sollte die Kurienversammlung die bisherige Kompetenz behalten, aber in Zukunft keinen eigentlichen politischen Schluss mehr vollziehen duerfen. Bald wurden sogar die Plebejer zum Stimmrecht auch in den Kurien zugelassen, und es verlor damit die Altbuergerschaft das Recht ueberhaupt, zusammenzutreten und zu beschliessen. Die Kurienordnung wurde insofern gleichsam entwurzelt, als sie auf der Geschlechterordnung beruhte, diese aber in ihrer Reinheit ausschliesslich bei dem Altbuergertum zu finden war. Indern die Plebejer in die Kurien aufgenommen wurden, gestattete man allerdings auch ihnen rechtlich, was frueher nur faktisch bei ihnen vorgekommen sein kann, sich als Familien und Geschlechter zu konstituieren, aber es ist bestimmt ueberliefert und auch an sich sehr begreiflich, dass nur ein Teil der Plebejer zur gentilizischen Konstituierung vorschritt und also die neue Kurienversammlung im Widerspruch mit ihrem urspruenglichen Wesen zahlreiche Mitglieder zaehlte, die keinem Geschlecht angehoerten.

Alle politischen Befugnisse der Gemeindeversammlung, sowohl die Entscheidung auf Provokation in dem Kriminalverfahren, das ja ueberwiegend politischer Prozess war, als die Ernennung der Magistrate und die Annahme oder Verwerfung der Gesetze, wurden auf das versammelte Aufgebot der Waffenpflichtigen uebertragen oder ihm neu erworben, so dass die Zenturien zu den gemeinen Lasten jetzt auch die gemeinen Rechte empfingen. Damit gelangten die in der Servianischen Verfassung gegebenen geringen Anfaenge, wie namentlich das dem Heer ueberwiesene Zustimmungsrecht bei der Erklaerung eines Angriffskrieges, zu einer solchen Entwicklung, dass die Kurien durch die Zenturienversammlung voellig und auf immer verdunkelt wurden und man sich gewoehnte, das souveraene Volk in der letzteren zu erblicken. Debatte fand auch in dieser bloss dann statt, wenn der vorsitzende Beamte freiwillig selbst sprach oder andere sprechen hiess, nur dass bei der Provokation natuerlich beide Teile gehoert werden mussten; die einfache Majoritaet der Zenturien entschied.

Da in der Kurienversammlung die ueberhaupt Stimmberechtigten sich voellig gleichstanden, also nach Aufnahme der saemtlichen Plebejer in die Kurien man bei der ausgebildeten Demokratie angelangt sein wuerde, so ist es begreiflich, dass die politischen Abstimmungen den Kurien entzogen blieben; die Zenturienversammlung legte das Schwergewicht zwar nicht in die Haende der Adligen, aber doch in die der Vermoegenden, und das wichtige Vorstimmrecht, welches oft tatsaechlich entschied, in die der Ritter, das ist der Reichen.

Nicht in gleicher Weise wie die Gemeinde wurde der Senat durch die Reform der Verfassung betroffen. Das bisherige Kollegium der Aeltesten blieb nicht bloss ausschliesslich patrizisch, sondern behauptete auch seine wesentlichen Befugnisse, das Recht, den Zwischenkoenig zu stellen und die von der Gemeinde gefassten Beschluesse als verfassungsmaessige oder verfassungswidrige zu bestaetigen oder zu verwerfen. Ja, diese Befugnisse wurden durch die Reform der Verfassung noch gesteigert, indem fortan auch die Bestellung der Gemeindebeamten wie der Wahl der Gemeinde, so der Bestaetigung oder Verwerfung des patrizischen Senats unterlag - nur bei der Provokation ist seine Bestaetigung, soviel wir wissen, niemals eingeholt worden, da es sich hier um Begnadigung des Schuldigen handelte, und wenn diese von der souveraenen Volksversammlung erteilt war, von einer etwaigen Vernichtung dieses Aktes nicht fueglich die Rede sein konnte.

Indes wenngleich durch die Abschaffung des Koenigtums die verfassungsmaessigen Rechte des patrizischen Senats eher gemehrt als gemindert wurden, so kam doch auch, und zwar der Ueberlieferung zufolge sogleich mit der Abschaffung des Koenigtums, fuer diejenigen Angelegenheiten, die im Senat sonst zur Sprache kamen und die eine freiere Behandlung zuliessen, eine Erweiterung des Senats auf, die auch Plebejer in denselben brachte, und die in ihren Folgen eine vollstaendige Umgestaltung der gesamten Koerperschaft herbeigefuehrt hat. Seit aeltester Zeit hat der Senat nicht allein und nicht vorzugsweise, aber doch auch als Staatsrat fungiert; und wenn es wahrscheinlich schon in der Koenigszeit nicht als verfassungswidrig angesehen ward, dass in diesem Fall auch Nichtsenatoren an der Versammlung teilnahmen, so wurde jetzt die Einrichtung getroffen, dass fuer dergleichen Verhandlungen dem patrizischen Senat (Patres) eine Anzahl nicht patrizischer “Eingeschriebener” (conscripti) beigegeben wurden. Eine Gleichstellung war dies freilich in keiner Weise: die Plebejer im Senat wurden nicht Senatoren, sondern blieben Mitglieder des Ritterstandes, hiessen nicht “Vaeter”, sondern waren nun auch “Eingeschriebenen und hatten kein Recht, auf das Abzeichen der senatorischen Wuerde, den roten Schuh. Sie blieben ferner nicht bloss unbedingt ausgeschlossen von der Ausuebung der dem Senat zustehenden obrigkeitlichen Befugnisse (auctoritas), sondern sie mussten auch da, wo es sich bloss um einen Ratschlag (consilium) handelte, es sich gefallen lassen, der an die Patrizier gerichteten Umfrage schweigend beizuwohnen und nur bei dem Auseinandertreten zur Abmehrung ihre Meinung zu erkennen zu geben, “mit den Fuessen zu stimmen” (pedibus in sententiam ire, pedarii), wie der stolze Adel sagte. Aber dennoch fanden die Plebejer durch die neue Verfassung ihren Weg nicht bloss auf den Markt, sondern auch in das Rathaus, und der erste und schwerste Schritt zur Gleichberechtigung war auch hier getan.

Im uebrigen aenderte sich in den den Senat betreffenden Ordnungen nichts Wesentliches. Unter den patrizischen Mitgliedern machte sich bald, namentlich bei der Umfrage, ein Rangunterschied dahin geltend, dass diejenigen, welche zu dem hoechsten Gemeindeamt demnaechst bezeichnet waren oder dasselbe bereits verwaltet hatten, vor den uebrigen in der Liste verzeichnet und bei der Abstimmung gefragt wurden, und die Stellung des ersten von ihnen, des Vormanns des Rates (princeps senatus), wurde bald ein vielbeneideter Ehrenplatz. Der fungierende Konsul dagegen galt als Mitglied des Senats so wenig wie der Koenig und seine eigene Stimme zaehlte darum nicht mit. Die Wahlen in den Rat, sowohl in den engeren patrizischen wie unter die bloss Eingeschriebenen, erfolgten durch die Konsuln eben wie frueher durch die Koenige; nur liegt es in der Sache, dass, wenn der Koenig vielleicht auf die Vertretung der einzelnen Geschlechter im Rat noch einigermassen Ruecksicht genommen hatte, den Plebejern gegenueber, bei denen die Geschlechterordnung nur unvollkommen entwickelt war, diese Erwaegung gaenzlich wegfiel und somit ueberhaupt die Beziehung des Senats zu der Geschlechterordnung mehr und mehr in Abnahme kam. Von einer Beschraenkung der waehlenden Konsuln in der Weise, dass sie nicht ueber eine bestimmte Zahl von Plebejern in den Senat haetten aufnehmen duerfen, ist nichts bekannt; es bedurfte einer solchen Ordnung auch nicht, da die Konsuln ja selbst dem Adel angehoerten. Dagegen ist wahrscheinlich von Haus aus der Konsul seiner ganzen Stellung gemaess bei der Bestellung der Senatoren tatsaechlich weit weniger frei und weit mehr durch Standesmeinung und Observanz gebunden gewesen als der Koenig. Namentlich die Regel, dass die Bekleidung des Konsulats notwendig den Eintritt in den Senat auf Lebenszeit herbeifuehre, wenn, was in dieser Zeit wohl noch vorkam, der Konsul zur Zeit seiner Erwaehlung noch nicht Mitglied desselben war, wird sich wohl sehr frueh gewohnheitsrechtlich festgestellt haben. Ebenso scheint es frueh ueblich geworden zu sein, die Senatorenstellen nicht sofort nach der Erledigung wieder zu besetzen, sondern bei Gelegenheit der Schatzung, also regelmaessig jedes vierte Jahr, die Liste des Senats zu revidieren und zu ergaenzen; worin doch auch eine nicht unwichtige Beschraenkung der mit der Auswahl betrauten Behoerde enthalten war. Die Gesamtzahl der Senatoren blieb wie sie war, und zwar wurden auch die Eingeschriebenen in dieselbe eingerechnet; woraus man wohl auch auf das numerische Zusammenschwinden des Patriziats zu schliessen berechtigt ist ^4.

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^4 Dass die ersten Konsuln 164 Plebejer in den Senat nahmen, ist kaum als geschichtliche Tatsache zu betrachten, sondern eher ein Zeugnis dafuer, dass die spaeteren roemischen Archaeologen nicht mehr als 136 roemische Adelsgeschlechter nachzuweisen vermochten (Roemische Forschungen, Bd. 1, S. 121).

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Es blieb, wie man sieht, in dem roemischen Gemeinwesen selbst bei Umwandlung der Monarchie in die Republik soweit immer moeglich beim alten; soweit eine Staatsumwaelzung ueberhaupt konservativ sein kann, ist diese es gewesen und keines der konstitutiven Elemente des Gemeinwesens durch sie eigentlich ueber den Haufen geworfen worden. Es war das bezeichnend fuer den Charakter der gesamten Bewegung. Die Vertreibung der Tarquinier war nicht, wie die klaeglichen, tief verfaelschten Berichte sie darstellen, das Werk eines von Mitleid und Freiheitsenthusiasmus berauschten Volkes, sondern das Werk zweier grosser, bereits im Ringen begriffener und der stetigen Fortdauer ihres Kampfes klar sich bewusster politischer Parteien, der Altbuerger und der Insassen, welche, wie die englischen Tories und die Whigs im Jahre 1688, durch die gemeinsame Gefahr das Gemeinwesen in die Willkuerregierung eines Herrn sich umwandeln zu sehen, auf einen Augenblick vereinigt wurden, um dann sofort wieder sich zu entzweien. Die Altbuergerschaft konnte ohne die Neubuerger des Koenigtums sich nicht entledigen; aber die Neubuerger waren bei weitem nicht maechtig genug, um jener mit einem Schlag das Heft aus den Haenden zu winden. Solche Transaktionen beschraenken sich notwendigerweise auf das geringste Mass gegenseitiger, durch muehsames Abdingen gewonnener Konzessionen und lassen die Zukunft entscheiden, wie das Schwergewicht der konstitutiven Elemente weiter sich stellen, wie sie ineinandergreifen oder einander entgegenwirken werden. Darum verkennt man die Tragweite der ersten roemischen Revolution durchaus, wenn man in ihr bloss die unmittelbaren Neuerungen, etwa bloss eine Veraenderung in der Dauer der hoechsten Magistratur sieht; die mittelbaren Folgen waren auch hier bei weitem die Hauptsache und wohl gewaltiger, als selbst ihre Urheber sie ahnten.

Dies war die Zeit, wo, um es mit einem Worte zu sagen, die roemische Buergerschaft im spaeteren Sinne des Wortes entstand. Die Plebejer waren bisher Insassen gewesen, welche man wohl zu den Steuern und Lasten mit heranzog, die aber dennoch in den Augen des Gesetzes wesentlich nichts waren als geduldete Fremdlinge und deren Kreis gegen die eigentlichen Auslaender scharf abzustecken kaum noetig scheinen mochte. Jetzt wurden sie als wehrpflichtige Buerger in die Listen eingeschrieben; und wenn sie auch der Rechtsgleichheit noch fern standen, immer noch die Altbuerger zu den dem Rat der Alten verfassungsmaessig zustehenden Autoritaetshandlungen ausschliesslich befugt und zu den buergerlichen Aemtern und Priestertuemern ausschliesslich waehlbar, ja sogar der buergerlichen Nutzungen, zum Beispiel des Anteils an der Gemeinweide, vorzugsweise teilhaft blieben, so war doch der erste und schwerste Schritt zur voelligen Ausgleichung geschehen, seit die Plebejer nicht bloss im Gemeindeaufgebot dienten, sondern auch in der Gemeindeversammlung und im Gemeinderat bei dessen gutachtlicher Befragung stimmten und Haupt und Ruecken auch des aermsten Insassen so gut wie des vornehmsten Altbuergers geschuetzt ward durch das Provokationsrecht.

Eine Folge dieser Verschmelzung der Patrizier und Plebejer zu der neuen gemeinen roemischen Buergerschaft war die Umwandlung der Altbuergerschaft in einen Geschlechtsadel, welcher, seit die Adelschaft auch das Recht verlor, in gemeiner Versammlung zu beschliessen, da die Aufnahme neuer Familien in den Adel durch Gemeindebeschluss noch weniger zulaessig erschien, jeder, sogar der Selbstergaenzung unfaehig war. Unter den Koenigen war dergleichen Abgeschlossenheit dem roemischen Adel fremd und die Aufnahme neuer Geschlechter nicht allzu selten gewesen; jetzt stellte dieses rechte Kennzeichnen des Junkertums sich ein als der sichere Vorbote des bevorstehenden Verlustes seiner politischen Vorrechte und seiner ausschliesslichen Geltung in der Gemeinde. Die Ausschliessung der Plebejer von allen Gemeindeaemtern und Gemeindepriestertuemern, waehrend sie doch zu Offiziers- und Ratsherrenstellen zugelassen wurden, und die mit verkehrter Hartnaeckigkeit festgehaltene rechtliche Unmoeglichkeit einer Ehe zwischen Altbuergern und Plebejern drueckten weiter dem Patriziat von vornherein den Stempel des exklusiven und widersinnig privilegierten Adeltums auf.

Eine zweite Folge der neuen buergerlichen Einigung muss die festere Regulierung des Niederlassungsrechts sowohl den latinischen Eidgenossen als anderen Staaten gegenueber gewesen sein. Weniger des Stimmrechts in den Zenturien wegen, das ja doch nur dem Ansaessigen zukam, als wegen des Provokationsrechts, das dem Plebejer, aber nicht dem eine Zeitlang oder auch dauernd in Rom verweilenden Auslaender gewaehrt werden sollte, wurde es notwendig, die Bedingungen der Erwerbung des plebejischen Rechts genauer zu formulieren und die erweiterte Buergerschaft wiederum gegen die jetzigen Nichtbuerger abzuschliessen. Also geht auf diese Epoche im Sinne und Geiste des Volkes sowohl die Gehaessigkeit des Gegensatzes zwischen Patriziern und Plebejern zurueck wie die scharfe und stolze Abgrenzung der cives Romani gegen die Fremdlinge. Aber jener staedtische Gegensatz war voruebergehender, dieser politische dauernder Art und das Gefuehl der staatlichen Einheit und der beginnenden Grossmacht, das hiermit in die Herzen der Nation gepflanzt ward, expansiv genug, um jene kleinlichen Unterschiede erst zu untergraben und sodann im allmaechtigen Strom mit sich fortzureissen.

Dies war ferner die Zeit, wo Gesetz und Verordnung sich schieden. Begruendet zwar ist der Gegensatz in dem innersten Wesen des roemischen Staates; denn auch die roemische Koenigsgewalt stand unter, nicht ueber dem Landrecht. Allein die tiefe und praktische Ehrfurcht, welche die Roemer wie jedes andere politisch faehige Volk vor dem Prinzip der Autoritaet hegten, erzeugte den merkwuerdigen Satz des roemischen Staats- und Privatrechts, dass jeder nicht auf ein Gesetz gegruendete Befehl des Beamten wenigstens waehrend der Dauer seines Amtes gelte, obwohl er mit diesem wegfiel. Es ist einleuchtend, dass hierbei, solange die Vorsteher auf Lebenszeit ernannt wurden, der Unterschied zwischen Gesetz und Verordnung tatsaechlich fast verschwinden musste und die legislative Taetigkeit der Gemeindeversammlung keine Entwicklung gewinnen konnte. Umgekehrt erhielt sie einen weiten Spielraum, seit die Vorsteher jaehrlich wechselten, und es war jetzt keineswegs ohne praktische Bedeutung, dass, wenn der Konsul bei der Entscheidung eines Prozesses eine rechtliche Nullitaet beging, sein Nachfolger eine neue Instruktion der Sache anordnen konnte.

Dies war endlich die Zeit, wo die buergerliche und die militaerische Gewalt sich voneinander sonderten. Dort herrscht das Gesetz, hier das Beil; dort waren die konstitutionellen Beschraenkungen der Provokation und der regulierten Mandierung massgebend ^5, hier schaltete der Feldherr unumschraenkt wie der Koenig. Es stellte sich fest, dass der Feldherr und das Heer als solche die eigentliche Stadt regelmaessig nicht betreten durften. Dass organische und auf die Dauer wirksame Bestimmungen nur unter der Herrschaft der buergerlichen Gewalt getroffen werden konnte, lag nicht im Buchstaben, aber im Geiste der Verfassung; es kam freilich vor, dass gelegentlich diesem zuwider der Feldherr seine Mannschaft im Lager zur Buergerversammlung berief und rechtlich nichtig war ein solcher Beschluss nicht, allein die Sitte missbilligte dieses Verfahren und es unterblieb bald, als waere es verboten. Der Gegensatz der Quiriten und der Soldaten wurzelte allmaehlich fest und fester in den Gemuetern der Buerger.

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^5 Es mag nicht ueberfluessig sein zu bemerken, dass auch das iudicium legitimum wie das quod imperio continetur auf dem Imperium des instruierenden Beamten beruht und der Unterschied nur darin besteht, dass das Imperium dort von der Lex beschraenkt, hier aber frei ist.

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Indes, um diese Folgesaetze des neuen Republikanismus zu entwickeln, bedurfte es der Zeit; wie lebendig die Nachwelt sie empfand, der Mitwelt mochte die Revolution zunaechst in einem andern Lichte erscheinen. Wohl gewannen die Nichtbuerger dadurch das Buergerrecht und gewann die neue Buergerschaft in der Gemeindeversammlung weitgreifende Befugnisse; aber das Verwerfungsrecht des patrizischen Senats, der gleichsam wie ein Oberhaus jenen Komitien in fester Geschlossenheit gegenueberstand, hob rechtlich die freie Bewegung derselben gerade in den entscheidendsten Dingen auf und war tatsaechlich zwar nicht imstande, den ernstlichen Willen der Gesamtheit zu brechen, aber doch, ihn zu verzoegern und zu verkuemmern. Schien die Adelschaft, indem sie es aufgab, allein die Gemeinde zu sein, nicht allzuviel verloren zu haben, so hatte sie in anderen Beziehungen entschieden gewonnen. Der Koenig war freilich Patrizier wie der Konsul, und das Recht der Senatorenernennung steht diesem wie jenem zu; aber wenn jenen seine Ausnahmestellung ueber Patrizier nicht minder wie ueber Plebejer hinausrueckte und wenn er leicht in den Fall kommen konnte, eben gegen den Adel sich auf die Menge stuetzen zu muessen, so stand der Konsul, Herrscher auf kurze Frist, vorher und nachher aber nichts als einer aus dem Adel, und dem adligen Mitbuerger, welchem er heute befahl, morgen gehorchend, keineswegs ausserhalb seines Standes und musste der Adlige in ihm weit maechtiger sein als der Beamte. Wenn ja dennoch einmal ausnahmsweise ein der Adelsherrschaft abgeneigter Patrizier ans Regiment gerufen ward, so ward seine Amtsgewalt teils durch die vom schroffen Adelsgeiste durchdrungenen Priesterschaften, teils durch den Kollegen gelaehmt und leicht durch die Diktatur suspendiert; und was noch wichtiger war, es fehlte ihm das erste Element der politischen Macht, die Zeit. Der Vorsteher eines Gemeinwesens, welche Machtfuelle immer ihm eingeraeumt werden moege, wird die politische Gewalt nie in die Haende bekommen, wenn er nicht auf laengere Zeit an der Spitze der Geschaefte bleibt; denn die notwendige Bedingung jeder Herrschaft ist ihre Dauer. Folgeweise gewann der lebenslaengliche Gemeinderat, und zwar hauptsaechlich durch seine Befugnis, den Beamten in allen Stuecken zu beraten, also nicht der engere patrizische, sondern der weitere patrizisch-plebejische, den Jahresherrschern gegenueber unvermeidlich einen solchen Einfluss, dass die rechtlichen Verhaeltnisse sich geradezu umkehrten, der Gemeinderat wesentlich die Regierungsgewalt an sich nahm und der bisherige Regent herabsank zu dessen vorsitzendem und ausfuehrendem Praesidenten. Fuer den der Gemeinde zur Annahme oder Verwerfung vorzulegenden Antrag erschien die Vorberatung im Gesamtsenat und dessen Billigung zwar nicht als konstitutionell notwendig, aber als gewohnheitsmaessig geheiligt, und nicht leicht und nicht gern ging man darueber hinweg. Fuer wichtige Staatsvertraege, fuer die Verwaltung und Austeilung des Gemeindelandes, ueberhaupt fuer jeden Akt, dessen Folgen sich ueber das Amtsjahr erstreckten, galt dasselbe, und dem Konsul blieb nichts als die Erledigung der laufenden Geschaefte, die Einleitung der Zivilprozesse und das Kommando im Kriege. Vor allem folgenreich war die Neuerung, dass es weder dem Konsul noch selbst dem sonst unbeschraenkten Diktator gestattet war, den gemeinen Schatz anders als mit und durch den Willen des Rates anzugreifen. Indem der Senat es den Konsuln zur Pflicht machte, die Verwaltung der Gemeindekasse, die der Koenig selbst gefuehrt hatte oder doch hatte fuehren koennen, an zwei staendige Unterbeamte abzugeben, welche zwar von den Konsuln ernannt wurden und ihnen zu gehorchen hatten, aber begreiflicherweise noch weit mehr als die Konsuln selbst vom Senat abhingen, zog er die Leitung des Kassenwesens an sich, und es kann dieses Geldbewilligungsrecht des roemischen Senats wohl in seinen Wirkungen mit dem Steuerbewilligungsrecht in den heutigen konstitutionellen Monarchien zusammengestellt werden.

Die Folgen ergeben sich von selbst. Die erste und wesentlichste Bedingung jeder Adelsherrschaft ist, dass die Machtfuelle im Staat nicht einem Individuum, sondern einer Korporation zusteht; jetzt hatte eine ueberwiegend adlige Korporation, der Gemeinderat, das Regiment an sich gebracht und war dabei die exekutive Gewalt nicht bloss dem Adel geblieben, sondern auch der regierenden Korporation voellig unterworfen worden. Zwar sassen im Rat eine betraechtliche Anzahl nichtadliger Maenner; aber da sie der Bekleidung von Aemtern, ja sogar der Teilnahme an der Debatte unfaehig, also von jedem praktischen Anteil am Regiment ausgeschlossen waren, spielten sie notwendigerweise auch im Senat eine untergeordnete Rolle und wurden ueberdies durch das oekonomisch wichtige Nutzungsrecht der Gemeinweide in pekuniaerer Abhaengigkeit von der Korporation gehalten. Das allmaehlich sich bildende Recht der patrizischen Konsuln, wenigstens jedes vierte Jahr die Ratsherrenliste zu revidieren und zu modifizieren, so nichtig es vermutlich der Adelschaft gegenueber war, konnte doch sehr wohl in ihrem Interesse gebraucht und der missliebige Plebejer mittels desselben aus dem Senat ferngehalten und sogar wieder ausgeschieden werden.

Es ist darum durchaus wahr, dass die unmittelbare Folge der Revolution die Feststellung der Adelsherrschaft gewesen ist; nur ist es nicht die ganze Wahrheit. Wenn die Mehrzahl der Mitlebenden meinen mochte, dass die Revolution den Plebejern nur eine starrere Despotie gebracht habe, so sehen wir Spaeteren in dieser selbst schon die Knospen der jungen Freiheit. Was die Patrizier gewannen, ging nicht der Gemeinde verloren, sondern der Beamtengewalt; die Gemeinde gewann zwar nur wenige engbeschraenkte Rechte, welche weit minder praktisch und handgreiflich waren als die Errungenschaften des Adels, und welche nicht einer von Tausend zu schaetzen wissen mochte, aber in ihnen lag die Buergschaft der Zukunft. Bisher war politisch die Insassenschaft nichts, die Altbuergerschaft alles gewesen; indem jetzt jene zur Gemeinde ward, war die Altbuergerschaft ueberwunden; denn wieviel auch noch zu der vollen buergerlichen Gleichheit mangeln mochte, es ist die erste Bresche, nicht die Besetzung des letzten Postens, die den Fall der Festung entscheidet. Darum datierte die roemische Gemeinde mit Recht ihre politische Existenz von dem Beginn des Konsulats.

Indes, wenn die republikanische Revolution trotz der durch sie zunaechst begruendeten Junkerherrschaft mit Recht ein Sieg der bisherigen Insassenschaft oder der Plebs genannt werden kann, so trug doch auch in der letzteren Beziehung die Revolution keineswegs den Charakter, den wir heutzutage als den demokratischen zu bezeichnen gewohnt sind. Das rein persoenliche Verdienst ohne Unterstuetzung der Geburt und des Reichtums mochte wohl unter der Koenigsherrschaft leichter als unter derjenigen des Patriziats zu Einfluss und Ansehen gelangen. Damals war der Eintritt in das Patriziat rechtlich keinem verschlossen; jetzt war das hoechste Ziel des plebejischen Ehrgeizes die Aufnahme in den mundtoten Anhang des Senats. Es lag dabei in der Natur der Sache, dass der regierende Herrenstand, soweit er ueberhaupt die Plebejer zuliess, nicht unbedingt den tuechtigsten Maennern, sondern vorzugsweise den Haeuptern der reichen und angesehenen Plebejerfamilien im Senat neben sich zu sitzen gestattete und die also zugelassenen Familien eifersuechtig ueber den Besitz der Ratsherrenstellen wachten. Waehrend also innerhalb der alten Buergerschaft vollstaendige Rechtsgleichheit bestanden hatte, begann die Neubuerger- oder die ehemalige Insassenschaft von Haus aus damit, sich in eine Anzahl bevorrechteter Familien. und eine zurueckgesetzte Menge zu scheiden. Die Gemeindemacht aber kam in Gemaessheit der Zenturienordnung jetzt an diejenige Klasse, welche seit der Servianischen Reform des Heer- und Steuerwesens vorzugsweise die buergerlichen Lasten trug, an die Ansaessigen, und zwar vorzugsweise weder an die grossen Gutsbesitzer noch an die Instenleute, sondern an den mittleren Bauernstand, wobei die Aelteren noch insofern bevorzugt waren, als sie, obgleich minder zahlreich, doch ebensoviel Stimmabteilungen innehatten wie die Jugend. Indem also der Altbuergerschaft und ihrem Geschlechteradel die Axt an die Wurzel und zu einer neuen Buergerschaft der Grund gelegt ward, fiel in dieser das Gewicht auf Grundbesitz und Alter und zeigten sich schon die ersten Ansaetze zu einem neuen, zunaechst auf dem faktischen Ansehen der Familien beruhenden Adel, der kuenftigen Nobilitaet. Der konservative Grundcharakter des roemischen Gemeinwesens konnte sich nicht deutlicher bezeichnen als dadurch, dass die republikanische Staatsumwaelzung zugleich zu der neuen, ebenfalls konservativen und ebenfalls aristokratischen Staatsordnung die ersten Linien zog.

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