KAPITEL V. Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae

Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit einem Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan gesprengt. Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien gelandet und dort schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war nicht mehr moeglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in Sizilien; die roemische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste durch den Sturm zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den syrakusanischen aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich versucht, Lilybaeon zu ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den kuerzeren gezogen. Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den italischen Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach Afrika ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die brettische Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines geeigneten Landungsplatzes an der afrikanischen Kueste war ihm der Sommer vergangen, und so traf der Befehl des Senats, so schleunig wie moeglich zur Verteidigung der Heimat zurueckzukehren, Heer und Flotte noch in Lilybaeon.

Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal verweilten, war man hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefasst. Zwar stand dort ein roemisches Heer infolge der unter den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen Armee ausgebrochenen Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen Zwingburgen Placentia und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und namentlich die Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten schon im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die Boier zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen. Die schon auf dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, ploetzlich ueberfallen, fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor Lucius Manlius, der in Ariminum den Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig mit seiner einzigen Legion herbei, um die blockierten Kolonisten zu entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb ihm nach starkem Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel festzusetzen und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer und Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer den Augenblick daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der einerseits, insofern er Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, Hannibals Plan wesentlich gefoerdert hatte, war anderseits die Ursache, dass er das Potal nicht bis auf die Festungen voellig unbesetzt fand. Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte Legionen keine 20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum zu halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren Bedrohung man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul Publius Scipio ohne sein Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und vielleicht selbst damals wenig beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen allein an den Alpen scheitern werde. Also stand in der entscheidenden Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal ein roemischer Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden im oberen Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, der das Kommando im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, dem die schwierige Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend geringeren, namentlich an Reiterei sehr schwachen Heer das Vordringen der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die ueberall sich regende keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei Placentia, ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind entgegen, waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts marschierte, um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen dem Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, die mit dem leichten Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung vorgegangen war, auf die zu gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front der Reiter aufgestellt war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei aus und waehrend diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die leichte numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des feindlichen Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die Flanken und den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war sehr betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was er als Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke des Feindes, begriff den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee sich in der Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss sich, unter den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysiert hatte. Waehrend Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch entworfenen und sicher ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit verlassene rechte Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab, wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, da der obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem nicht verwehrt werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer Schiffbruecke uebersetzte und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat. Dies hatte in der Ebene vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die Meuterei einer keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs neue ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In dieser starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von Clastidium (Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche Armee abschnitt, nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe genoetigt, sein Lager dem roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio genommene Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen durch die Cenomanen die Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich unmittelbar dem Feinde anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen Heer, das mittlerweile von Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten durch das insurgierte Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen und mit der Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand, um den Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den Flussuebergang und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder sein Vorruecken einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die laestigen Winterquartiere auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war es nicht minder unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte und dessen Amtsjahr in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versaeumte nichts, ihn zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen keltischen Doerfer wurden grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht sich entspann, gestattete Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. Bald darauf, an einem rauhen regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten Truppen herumgeplaenkelt mit der leichten Reiterei der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die Roemer ihr nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand sich auf dem von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht geordneten Armee gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros der Armee schleunigst ueber den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und durchnaesst kamen die Roemer an und eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; die Reiter wie immer auf den Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden Seiten die Vorhut bildeten, begannen das Gefecht; allein die roemischen hatten fast schon gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den Fluegeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und die weit zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts ueberfluegelten. Aber das roemische Fussvolk bewies sich seines Namens wert; es focht zu Anfang der Schlacht mit der entschiedensten Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie, und selbst als die Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen Kavallerie und den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das roemische Fussvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum Weichen war es nicht zu bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der Fuehrung von Mago, Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem Ruecken der roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen Zentrums wurden durch diesen Angriff aufgeloest und zersprengt. Das erste Treffen, 10000 Mann stark, durchbrach, sich eng zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte mitten durch die Feinde sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen Infanterie, namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese tapfere Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige Masse ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten, von den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht; nur ein Teil der Reiterei und einige Abteilungen des Fussvolks vermochten den Fluss durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten, und erreichten von da gleichfalls Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem roemischen Soldaten mehr Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind eine schwerere Anklage gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig Urteilende nicht vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen sich einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg teuer zu stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die keltischen Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge des rauhen und nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen einzigen.

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^1 Polybios’ Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar. Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den Po lag, und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend das roemische Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl bestritten worden, aber nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so mussten allerdings die roemischen Soldaten, ebensogut um Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die Trebia passieren. Allein bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die aufgeloesten Teile der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps sich den Weg bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia bewerkstelligt, nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung angelangt war; es kann sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die erste Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, Militaer wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt, dass es in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken.

Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische Lager auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden, dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch Inschriften festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).

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Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte. Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre Zufuhren auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Konsul Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in der rauben Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte, bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher Versuch auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch Angriffe auf den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische Positionen den Feind zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den gallischen Aufstand zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 Berittene sollen von den Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben.

Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und nicht mit Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch keineswegs als ernstlich gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die nach Sardinien, Sizilien und Tarent, und den Verstaerkungen, die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden neuen Konsuln Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als noetig war, um die vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die Reiterei wurde verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich deshalb an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum endigte; jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier zogen sie die Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, wieder an sich und erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um in der Defensive die Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive uebergehend, in das Potal hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal hatte keineswegs die Absicht, das Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser vielleicht, als die Roemer selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie entschieden er der Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht an der Trebia; er wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von dem zaehen roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der stolzen Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim nur unsichere und unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in Italien zunaechst nur auf das schwankende und latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und der glaenzende Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel des Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu fuehren, die Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen Erfolgen, sondern von den politischen, von der allmaehlichen Lockerung und der endlichen Sprengung der italischen Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu werfen hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins Gewicht fiel, wenn er seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen deroutierte, und er verloren war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel war das von der richtigen Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich einsah, dass er jedesmal die Generale ueberwand und nicht die Stadt, und nach jeder neuen Schlacht die Roemer den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er den roemischen Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich nie hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine bewundertsten Schlachten.

Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn nicht bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess und den Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten - dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die Haende fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens stark uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den Befreiten der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher. In der Tat bracher, da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie es die Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang ward in moeglichst westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde, ohne grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen zwischen dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die Fruehlingsregen so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den das zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die Truppen litten unsaeglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter dem karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte laut und waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die karthagische Reiterei unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht unmoeglich gemacht haette. Die Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen haufenweise; andere Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal selbst verlor infolge einer Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege gangbar wuerden, um sie zu sperren. Nachdem die roemische Defensivstellung somit umgangen war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um die Bergpaesse zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, bis das zweite, nun bei Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer herankam. Indes er selber urteilte anders. Er war ein politischer Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht des Senats zu beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen Schlendrian fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte, berauscht zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso sehr von dem bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit der fixen Idee behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige Soldaten oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und seinen Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius Flaminius an die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein schnelles Ende zu bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat verschafft, und solche Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von unbewaffneten Beutelustigen in sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der Versicherung nuechterner Geschichtschreiber die der Legionarier ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete Hannibal seinen Plan. Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm vorbei und liess durch die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen und die Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter den Augen des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen des Feindes, dass er ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue, vor der Ankunft seines Kollegen etwas zu unternehmen, mussten einen solchen Mann bestimmen, sein strategisches Genie zu entwickeln und dem unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion zu erteilen. Nie ist ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul dem Marsch des Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche Chianatal gegen Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei steilen Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der Trasimenische See schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten Truppen und die Reiterei stellten zu beiden Seiten verdeckt sich auf. Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen in den unbesetzten Pass; der dichte Morgennebel verbarg ihnen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des roemischen Zuges sich dein Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur Schlacht; zugleich schloss die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den Eingang des Passes und auf den Raendern rechts und links zeigten die verziehenden Nebel ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern nur eine Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von den Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen Heersaeule, 6000 Mann zu Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch und bewiesen wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein abgeschnitten und ohne Kunde von dem uebrigen Heer, marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am folgenden Tag auf einem Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen Reiterkorps umzingelt und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach, von Hannibal verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000 Roemer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht genug, so ward gleich nach der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des ariminensischen Heeres unter Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam nachrueckend, vorlaeufig seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem phoenikischen Heer umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz Etrurien war verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken ab und ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern instand zu setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein Reserveheer gebildet ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die Waffen gerufen und die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden konnte, instand gesetzt.

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^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1) niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung war schon in dieser Zeit in Rom sehr arg.

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Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf Rom; auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine Armee mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten und vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es geschah wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde in seinem Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend und der schoenen Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange unterbrochenen Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war, brach er auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das suedliche Italien hinein.

Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der Infanterie sich jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter Musse zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu machen, den unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen gegenueberzustellen. Allein seine Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft nun anfangen werde, sich zu lockern, erfuellte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten, kam es hierbei am wenigsten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in militaerischer Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert. Allein eine Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige italische Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen, ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator Quintus Fabius zog die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen, und als Hannibal an der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi marschierte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und des Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die Spitze der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen, um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange das roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht schwer halten werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen Spionen in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, das als die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen Staedten und die einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck des roemischen Regiments schwerer als irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknuepft, die den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen liessen: allein diese Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend schlug er die Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses ganzen Zuges der karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte seine Soldaten zu der traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand zuzusehen, wie die numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen pluenderten und in der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen. Endlich eroeffnete er der erbitterten roemischen Armee die sehnlich herbeigewuenschte Gelegenheit, an den Feind zu kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden Hoehen mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000 Mann auf der am Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein Hannibal hiess seine Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der Strasse sich erhoben, erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit angezuendeten Reisbuendeln auf den Hoernern vortreiben, so dass es schien, als zoege dort die karthagische Armee in naechtlicher Weile bei Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die die Strasse sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse ueberfluessig waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der dadurch freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab, ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und mit starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte und zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in nordoestlicher Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die Landschaften der Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne Widerstand durchzogen und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller Kasse wieder in der Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem weiten Marsch hatte er taetigen Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen gefunden. Wohl erkennend, dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, begann er die schwierige Operation, den Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der Feinde einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von Luceria, ward ein verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres taeglich zum Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend Hannibal mit dem Rest Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu decken. Der Reiterfuehrer Marcus Minucius, der im roemischen Lager in Abwesenheit des Diktators den Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit geeignet, um naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im larinatischen Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte, sich bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen, die begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es war, sich roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es doch ein seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete, unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien ungehindert zu verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten Massstab sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden, und der Versuch seines Nachfolgers, ihn nachzuahmen, war bei Casilinum auf eine Weise gescheitert, die den staedtischen Spottvoegeln reichlichen Stoff gab. Es war bewundernswert, dass die italischen Gemeinden nicht wankten, als ihnen Hannibal die Ueberlegenheit der Phoeniker, die Nichtigkeit der roemischen Hilfe so fuehlbar dartat; allein wie lange konnte man ihnen zumuten, die zwiefache Kriegslast zu ertragen und sich unter den Augen der roemischen Truppen und ihrer eigenen Kontingente auspluendern zu lassen? Endlich, was das roemische Heer anlangte, so konnte man nicht sagen, dass es den Feldherrn zu dieser Kriegfuehrung noetigte; es bestand seinem Kerne nach aus den tuechtigen Legionen von Ariminum und daneben aus einberufener, groesstenteils ebenfalls dienstgewohnter Landwehr, und weit entfernt, durch die letzten Niederlagen entmutigt zu sein, war es erbittert ueber die wenig ehrenvolle Aufgabe, die sein Feldherr, “Hannibals Lakai”, ihm zuwies, und verlangte mit lauter Stimme, gegen den Feind gefuehrt zu werden. Es kam zu den heftigsten Auftritten in den Buergerversammlungen gegen den eigensinnigen alten Mann; seine politischen Gegner, an ihrer Spitze der gewesene Praetor Gaius Terentius Varro, bemaechtigten sich des Haders - wobei man nicht vergessen darf, dass der Diktator tatsaechlich vom Senat ernannt ward, und dies Amt galt als das Palladium der konservativen Partei - und setzten im Verein mit den unmutigen Soldaten und den Besitzern der gepluenderten Gueter den verfassungs- und sinnwidrigen Volksbeschluss durch: die Diktatur, die dazu bestimmt war, in Zeiten der Gefahr die Uebelstaende des geteilten Oberbefehls zu beseitigen, in gleicher Weise wie dem Quintus Fabius auch dessen bisherigem Unterfeldherrn Marcus Minucius zu erteilen ^3. So wurde die roemische Armee, nachdem ihre gefaehrliche Spaltung in zwei abgesonderte Korps eben erst zweckmaessig beseitigt worden war, nicht bloss wiederum geteilt, sondern auch an die Spitze der beiden Haelften Fuehrer gestellt, welche offenkundig geradezu entgegengesetzte Kriegsplaene befolgten. Quintus Fabius blieb natuerlich mehr als je bei seinem methodischen Nichtstun; Marcus Minucius, genoetigt, seinen Diktatortitel auf dem Schlachtfelde zu rechtfertigen, griff uebereilt und mit geringen Streitkraeften an und waere vernichtet worden, wenn nicht hier sein Kollege durch das rechtzeitige Erscheinen eines frischen Korps groesseres Unglueck abgewandt haette. Diese letzte Wendung der Dinge gab dem System des passiven Widerstandes gewissermassen Recht. Allein in der Tat hatte Hannibal in diesem Feldzug vollstaendig erreicht, was mit den Waffen erreicht werden konnte: nicht eine einzige wesentliche Operation hatten weder der stuermische noch der bedaechtige Gegner ihm vereitelt, und seine Verproviantierung war, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, doch im wesentlichen so vollstaendig gelungen, dass dem Heer in dem Lager bei Gerunium der Winter ohne Beschwerde vorueberging. Nicht der Zauderer hat Rom gerettet, sondern das feste Gefuege seiner Eidgenossenschaft und vielleicht nicht minder der Nationalhass der Okzidentalen gegen den phoenikischen Mann.

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^3 Die Inschrift des von dem neuen Diktator wegen seines Sieges bei Gerunium dem Hercules Sieger errichteten Weihgeschenkes: Hercolei sacrom M. Minuci(us) C. f. dictator vovit ist im Jahre 1862 in Rom bei S. Lorenzo aufgefunden worden.

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Trotz aller Unfaelle stand der roemische Stolz nicht minder aufrecht als die roemische Symmachie. Die Geschenke, welche der Koenig Hieron von Syrakus und die griechischen Staedte in Italien fuer den naechsten Feldzug anboten - die letzteren traf der Krieg minder schwer als die uebrigen italischen Bundesgenossen Roms, da sie nicht zum Landheer stellten -, wurden mit Dank abgelehnt; den illyrischen Haeuptlingen zeigte man an, dass sie nicht saeumen moechten mit Entrichtung des Tributs; ja man beschickte den Koenig von Makedonien abermals um die Auslieferung des Demetrios von Pharos. Die Majoritaet des Senats war trotz der Quasilegitimation, welche die letzten Ereignisse dem Zaudersystem des Fabius gegeben hatten, doch fest entschlossen, von dieser den Staat zwar langsam, aber sicher zugrunde richtenden Kriegfuehrung abzugehen; wenn der Volksdiktator mit seiner energischeren Kriegfuehrung gescheitert war, so schob man, und nicht mit Unrecht, die Ursache darauf, dass man eine halbe Massregel getroffen und ihm zu wenig Truppen gegeben habe. Diesen Fehler beschloss man zu vermeiden und ein Heer aufzustellen, wie Rom noch keines ausgesandt hatte: acht Legionen, jede um ein Fuenftel ueber die Normalzahl verstaerkt, und die entsprechende Anzahl Bundesgenossen, genug, um den nicht halb so starken Gegner zu erdruecken. Ausserdem ward eine Legion unter dem Praetor Lucius Postumius nach dem Potal bestimmt, um womoeglich die in Hannibals Heer dienenden Kelten nach der Heimat zurueckzuziehen. Diese Beschluesse waren verstaendig; es kam nur darauf an, auch ueber den Oberbefehl angemessen zu bestimmen. Das starre Auftreten des Quintus Fabius und die daran sich anspinnenden demagogischen Hetzereien hatten die Diktatur und ueberhaupt den Senat unpopulaerer gemacht als je; im Volke ging, wohl nicht ohne Schuld seiner Fuehrer, die toerichte Rede, dass der Senat den Krieg absichtlich in die Laenge ziehe. Da also an die Ernennung eines Diktators nicht zu denken war, versuchte der Senat die Wahl der Konsuln angemessen zu leiten, was indes den Verdacht und den Eigensinn erst recht rege machte. Mit Muehe brachte der Senat den einen seiner Kandidaten durch, den Lucius Aemilius Paullus, der im Jahre 535 (219) den Illyrischen Krieg verstaendig gefuehrt hatte; die ungeheure Majoritaet der Buerger gab ihm zum Kollegen den Kandidaten der Volkspartei Gaius Terentius Varro, einen unfaehigen Mann, der nur durch seine verbissene Opposition gegen den Senat und namentlich als Haupturheber der Wahl des Marcus Minucius zum Mitdiktator bekannt war, und den nichts der Menge empfahl als seine niedrige Geburt und seine rohe Unverschaemtheit.

Waehrend diese Vorbereitungen zu dem naechsten Feldzug in Rom getroffen wurden, hatte der Krieg bereits in Apulien wieder begonnen. Sowie die Jahreszeit es gestattete, die Winterquartiere zu verlassen, brach Hannibal, wie immer den Krieg bestimmend und die Offensive fuer sich nehmend, von Gerunium in der Richtung nach Sueden auf, ueberschritt an Luceria vorbeimarschierend den Aufidus und nahm das Kastell von Cannae (zwischen Canosa und Barletta), das die canusinische Ebene beherrschte und den Roemern bis dahin als Hauptmagazin gedient hatte. Die roemische Armee, welche, nachdem Fabius in der Mitte des Herbstes verfassungsmaessig seine Diktatur niedergelegt hatte, jetzt von Gnaeus Servilius und Marcus Regulus zuerst als Konsuln; dann als Prokonsuln kommandiert wurde, hatte den empfindlichen Verlust nicht abzuwenden gewusst; aus militaerischen wie aus politischen Ruecksichten ward es immer notwendiger, den Fortschritten Hannibals durch eine Feldschlacht zu begegnen. Mit diesem bestimmten Auftrag des Senats trafen denn auch die beiden neuen Oberbefehlshaber Paullus und Varro im Anfang des Sommers 538 (216) in Apulien ein. Mit den vier neuen Legionen und dem entsprechenden Kontingent der Italiker, die sie heranfuehrten, stieg die roemische Armee auf 80000 Mann zu Fuss, halb Buerger, halb Bundesgenossen, und 6000 Reiter, wovon ein Drittel Buerger, zwei Drittel Bundesgenossen waren; wogegen Hannibals Armee zwar 10000 Reiter, aber nur etwa 40000 Mann zu Fuss zaehlte. Hannibal wuenschte nichts mehr als eine Schlacht, nicht bloss aus den allgemeinen, frueher eroerterten Gruenden, sondern auch besonders deshalb, weil das weite apulische Blachfeld ihm gestattete, die ganze Ueberlegenheit seiner Reiterei zu entwickeln und weil die Verpflegung seiner zahlreichen Armee, hart an dem doppelt so starken und auf eine Reihe von Festungen gestuetzten Feind, trotz seiner ueberlegenen Reiterei sehr bald ungemein schwierig zu werden drohte. Auch die Fuehrer der roemischen Streitmacht waren, wie gesagt, im allgemeinen entschlossen zu schlagen und naeherten in dieser Absicht sich dem Feinde; allein die einsichtigeren unter ihnen erkannten Hannibals Lage und beabsichtigten daher, zunaechst zu warten und nur nahe am Feinde sich aufzustellen, um ihn zum Abzug und zur Annahme der Schlacht auf einem ihm minder guenstigen Terrain zu noetigen. Hannibal lagerte bei Cannae am rechten Ufer des Aufidus. Paullus schlug sein Lager an beiden Ufern des Flusses auf, so dass die Hauptmacht am linken Ufer zu stehen kam, ein starkes Korps aber am rechten unmittelbar dem Feind gegenueber Stellung nahm, um ihm die Zufuhren zu erschweren, vielleicht auch Cannae zu bedrohen. Hannibal, dem alles daran lag, bald zum Schlagen zu kommen, ueberschritt mit dem Gros seiner Truppen den Strom und bot auf dem linken Ufer die Schlacht an, die Paullus nicht annahm. Allein dem demokratischen Konsul missfiel dergleichen militaerische Pedanterie; es war so viel davon geredet worden, dass man ausziehe, nicht um Posten zu stehen, sondern um die Schwerter zu gebrauchen; er befahl, auf den Feind zu gehen, wo und wie man ihn eben fand. Nach der alten toerichterweise beibehaltenen Sitte wechselte die entscheidende Stimme im Kriegsrat zwischen dem Oberfeldherren Tag um Tag; man musste also am folgenden Tage sich fuegen und dem Helden von der Gasse seinen Willen tun. Auf dem linken Ufer, wo das weite Blachfeld der ueberlegenen Reiterei des Feindes vollen Spielraum bot, wollte allerdings auch er nicht schlagen; aber er beschloss, die gesamten roemischen Streitkraefte auf dem rechten zu vereinigen und hier, zwischen den karthagischen Lager und Cannae Stellung nehmend und dieses ernstlich bedrohend, die Schlacht anzubieten. Eine Abteilung von 10000 Mann blieb in dem roemischen Hauptlager zurueck mit dem Auftrag, das karthagische waehrend des Gefechts wegzunehmen und damit dem feindlichen Heere den Rueckzug ueber den Fluss abzuschneiden; das Gros der roemischen Armee ueberschritt mit dem grauenden Morgen des 2. August nach dem unberichtigten, etwa im Juni nach dem richtigen Kalender, den in dieser Jahreszeit seichten und die Bewegungen der Truppen nicht wesentlich hindernden Fluss und stellte bei dem kleineren roemischen Lager westlich von Cannae sich in Linie auf. Die karthagische Armee folgte und ueberschritt gleichfalls den Strom, an den der rechte roemische wie der linke karthagische Fluegel sich lehnten. Die roemische Reiterei stand auf den Fluegeln, die schwaechere der Buergerwehr auf dem rechten am Fluss, gefuehrt von Paullus, die staerkere bundesgenoessische auf dem linken gegen die Ebene, gefuehrt von Varro. Im Mitteltreffen stand das Fussvolk in ungewoehnlich tiefen Gliedern unter dem Befehl des Konsuls des Vorjahrs, Gnaeus Servilius. Diesem gegenueber ordnete Hannibal sein Fussvolk in halbmondfoermiger Stellung, so dass die keltischen und iberischen Truppen in ihrer nationalen Ruestung die vorgeschobene Mitte, die roemisch geruesteten Libyer auf beiden Seiten die zurueckgenommenen Fluegel bildeten. An der Flussseite stellte die gesamte schwere Reiterei unter Hasdrubal sich auf, an der Seite nach der Ebene hinaus die leichten numidischen Reiter. Nach kurzem Vorpostengefecht der leichten Truppen war bald die ganze Linie im Gefecht. Wo die leichte Reiterei der Karthager gegen Varros schwere Kavallerie focht, zog das Gefecht unter stetigen Chargen der Numidier ohne Entscheidung sich hin. Dagegen im Mitteltreffen warfen die Legionen die ihnen zuerst begegnenden spanischen und gallischen Truppen vollstaendig; eilig draengten die Sieger nach und verfolgten ihren Vorteil. Allein mittlerweile hatte auf dem rechten Fluegel das Glueck sich gegen die Roemer gewandt. Hannibal hatte den linken Reiterfluegel der Feinde bloss beschaeftigen lassen, um Hasdrubal mit der ganzen regulaeren Reiterei gegen den schwaecheren rechten zu verwenden und diesen zuerst zu werfen. Nach tapferer Gegenwehr wichen die roemischen Reiter und was nicht niedergehauen ward, wurde den Fluss hinaufgejagt und in die Ebene versprengt; verwundert ritt Paullus zu dem Mitteltreffen, das Schicksal der Legionen zu wenden oder doch zu teilen. Diese hatten, um den Sieg ueber die vorgeschobene feindliche Infanterie besser zu verfolgen, ihre Frontstellung in eine Angriffskolonne verwandelt, die keilfoermig eindrang in das feindliche Zentrum. In dieser Stellung wurden sie von dem rechts und links einschwenkenden libyschen Fussvolk von beiden Seiten heftig angegriffen und ein Teil von ihnen gezwungen, Halt zu machen, um gegen die Flankenangriffe sich zu verteidigen, wodurch das Vorruecken ins Stocken kam und die ohnehin schon uebermaessig dicht gereihte Infanteriemasse nun gar nicht mehr Raum fand, sich zu entwickeln. Inzwischen hatte Hasdrubal, nachdem er mit dem Fluegel des Paullus fertig war, seine Reiter aufs neue gesammelt und geordnet und sie hinter dem feindlichen Mitteltreffen weg gegen den Fluegel des Varro gefuehrt. Dessen italische Reiterei, schon mit den Numidiern hinreichend beschaeftigt, stob vor dem doppelten Angriff schnell auseinander. Hasdrubal, die Verfolgung der Fluechtigen den Numidiern ueberlassend, ordnete zum drittenmal seine Schwadronen, um sie dem roemischen Fussvolk in den Ruecken zu fuehren. Dieser letzte Stoss entschied. Flucht war nicht moeglich und Quartier ward nicht gegeben; es ist vielleicht nie ein Heer von dieser Groesse so vollstaendig und mit so geringem Verlust des Gegners auf dem Schlachtfeld selbst vernichtet worden wie das roemische bei Cannae. Hannibal hatte nicht ganz 6000 Mann eingebuesst, wovon zwei Drittel auf die Kelten kamen, die der erste Stoss der Legionen traf. Dagegen von den 76000 Roemern, die in der Schlachtlinie gestanden hatten, deckten 70000 das Feld, darunter der Konsul Lucius Paullus, der Altkonsul Gnaeus Servilius, zwei Drittel der Stabsoffiziere, achtzig Maenner senatorischen Ranges. Nur den Konsul Marcus Varro rettete sein rascher Entschluss und sein gutes Pferd nach Venusia, und er ertrug es zu leben. Auch die Besatzung des roemischen Lagers, 10000 Mann stark, ward groesstenteils kriegsgefangen; nur einige tausend Mann, teils aus diesen Truppen, teils aus der Linie, entkamen nach Canusium. Ja als sollte in diesem Jahre durchaus mit Rom ein Ende gemacht werden, fiel noch vor Ablauf desselben die nach Gallien gesandte Legion in einen Hinterhalt und wurde mit ihrem Feldherrn Lucius Postumius, dem fuer das naechste Jahr ernannten Konsul, von den Galliern gaenzlich vernichtet.

Dieser beispiellose Erfolg schien nun endlich die grosse politische Kombination zu reifen, um derentwillen Hannibal nach Italien gegangen war. Er hatte seinen Plan wohl zunaechst auf sein Heer gebaut; allein in richtiger Erkenntnis der ihm entgegenstehenden Macht sollte dies in seinem Sinn nur die Vorhut sein, mit der die Kraefte des Westens und Ostens allmaehlich sich vereinigen wuerden, um der stolzen Stadt den Untergang zu bereiten. Zwar diejenige Unterstuetzung, die die gesichertste schien, die Nachsendungen von Spanien her, hatte das kuehne und feste Auftreten des dorthin gesandten roemischen Feldherrn Gnaeus Scipio ihm vereitelt. Nach Hannibals Uebergang ueber die Rhone war dieser nach Emporiae gesegelt und hatte sich zuerst der Kueste zwischen den Pyrenaeen und dem Ebro, dann nach Besiegung des Hanno auch des Binnenlandes bemaechtigt (536 218). Er hatte im folgenden Jahr (537 217) die karthagische Flotte an der Ebromuendung voellig geschlagen, hatte, nachdem sein Bruder Publius, der tapfere Verteidiger des Potals, mit Verstaerkung von 8000 Mann zu ihm gestossen war, sogar den Ebro ueberschritten und war vorgedrungen bis gegen Sagunt. Zwar hatte Hasdrubal das Jahr darauf (538 216), nachdem er aus Afrika Verstaerkungen erhalten, den Versuch gemacht, den Befehl seines Bruders gemaess eine Armee ueber die Pyrenaeen zu fuehren; allein die Scipionen verlegten ihm den Uebergang ueber den Ebro und schlugen ihn vollstaendig, etwa um dieselbe Zeit, wo in Italien Hannibal bei Cannae siegte. Die maechtige Voelkerschaft der Keltiberer und zahlreiche andere spanische Staemme hatten den Scipionen sich zugewandt; diese beherrschten das Meer und die Pyrenaeenpaesse und durch die zuverlaessigen Massalioten auch die gallische Kueste. So war von Spanien aus fuer Hannibal jetzt weniger als je Unterstuetzung zu erwarten.

Von Karthago war bisher zur Unterstuetzung des Feldherrn in Italien so viel geschehen, wie man erwarten konnte: phoenikische Geschwader bedrohten die Kuesten Italiens und der roemischen Inseln und hueteten Afrika vor einer roemischen Landung, und dabei blieb es. Ernstlicheren Beistand verhinderte nicht sowohl die Ungewissheit, wo Hannibal zu finden sei, und der Mangel eines Landeplatzes in Italien, als die langjaehrige Gewohnheit, dass das spanische Heer sich selbst genuege, vor allem aber die grollende Friedenspartei. Hannibal empfand schwer die Folgen dieser unverzeihlichen Untaetigkeit; trotz allen Sparens des Geldes und der mitgebrachten Soldaten wurden seine Kassen allmaehlich leer, der Sold kam in Rueckstand und die Reihen seiner Veteranen fingen an sich zu lichten. Jetzt aber brachte die Siegesbotschaft von Cannae selbst die faktioese Opposition daheim zum Schweigen. Der karthagische Senat beschloss dem Feldherrn betraechtliche Unterstuetzungen an Geld und Mannschaft, teils aus Afrika, teils aus Spanien, unter anderm 4000 numidische Reiter und 40 Elefanten zur Verfuegung zu stellen und in Spanien wie in Italien den Krieg energisch zu betreiben.

Die laengstbesprochene Offensivallianz zwischen Karthago und Makedonien war anfangs durch Antigonos’ ploetzlichen Tod, dann durch seines Nachfolgers Philippos Unentschlossenheit und dessen und seiner hellenischen Bundesgenossen unzeitigen Krieg gegen die Aetoler (534-537 220-217) verzoegert worden. Erst jetzt, nach der Cannensischen Schlacht, fand Demetrios von Pharos Gehoer bei Philippos mit dem Antrag, seine illyrischen Besitzungen an Makedonien abzutreten - sie massten freilich erst den Roemern entrissen werden -, und erst jetzt schloss der Hof von Pella ab mit Karthago. Makedonien uebernahm es, eine Landungsarmee an die italische Ostkueste zu werfen, wogegen ihm die Rueckgabe der roemischen Besitzungen in Epeiros zugesichert ward.

In Sizilien hatte Koenig Hieron zwar waehrend der Friedensjahre, soweit es mit Sicherheit geschehen konnte, eine Neutralitaetspolitik eingehalten, und auch den Karthagern waehrend der gefaehrlichen Krisen nach dem Frieden mit Rom namentlich durch Kornsendungen sich gefaellig erwiesen. Es ist kein Zweifel, dass er den abermaligen Bruch zwischen Karthago und Rom hoechst ungern sah; aber ihn abzuwenden vermochte er nicht, und als er eintrat, hielt er mit wohlberechneter Treue fest an Rom. Allein bald darauf (Herbst 538 216) rief der Tod den alten Mann nach vierundfuenfzigjaehriger Regierung ab. Der Enkel und Nachfolger des klugen Greises, der junge unfaehige Hieronymus, liess sich sogleich mit den karthagischen Diplomaten ein; und da diese keine Schwierigkeit machten, ihm zuerst Sizilien bis an die alte karthagisch-sizilische Grenze, dann sogar, da sein Uebermut stieg, den Besitz der ganzen Insel vertragsmaessig zuzusichern, trat er in Buendnis mit Karthago und liess mit der karthagischen Flotte, die gekommen war, um Syrakus zu bedrohen, die syrakusanische sich vereinigen. Die Lage der roemischen Flotte bei Lilybaeon, die schon mit dem zweiten, bei den aegatischen Inseln postierten karthagischen Geschwader zu tun gehabt hatte, ward auf einmal sehr bedenklich, waehrend zugleich die in Rom zur Einschiffung nach Sizilien bereitstehende Mannschaft infolge der Cannensischen Niederlage fuer andere und dringendere Erfordernisse verwendet werden musste.

Was aber vor allem entscheidend war, jetzt endlich begann das Gebaeude der roemischen Eidgenossenschaft aus den Fugen zu weichen, nachdem es die Stoesse zweier schwerer Kriegsjahre unerschuettert ueberstanden hatte. Es traten auf Hannibals Seite Arpi in Apulien und Uzentum in Messapien, zwei alte, durch die roemischen Kolonien Luceria und Brundisium schwer beeintraechtigte Staedte; die saemtlichen Staedte der Brettier - diese zuerst von allen - mit Ausnahme der Peteliner und der Consentiner, die erst belagert werden mussten; die Lucaner groesstenteils; die in die Gegend von Salernum verpflanzten Picenter; die Hirpiner; die Samniten mit Ausnahme der Pentrer; endlich und vornehmlich Capua, die zweite Stadt Italiens, die 30000 Mann zu Fuss und 4000 Berittene ins Feld zu stellen vermochte und deren Uebertritt den der Nachbarstaedte Atella und Calatia entschied. Freilich widersetzte sich die vielfach an das roemische Interesse gefesselte Adelspartei ueberall und namentlich in Capua dem Parteiwechsel sehr ernstlich, und die hartnaeckigen inneren Kaempfe, die hierueber entstanden, minderten nicht wenig den Vorteil, den Hannibal von diesen Uebertritten zog. Er sah sich zum Beispiel genoetigt, in Capua einen der Fuehrer der Adelspartei, den Decius Magius, der noch nach dem Einruecken der Phoeniker hartnaeckig das roemische Buendnis verfocht, festnehmen und nach Karthago abfuehren zu lassen, um so den ihm selbst sehr ungelegenen Beweis zu liefern, was es auf sich habe mit der von dem karthagischen Feldherrn soeben den Kampanern feierlich zugesicherten Freiheit und Souveraenitaet. Dagegen hielten die sueditalischen Griechen fest am roemischen Buendnis, wobei die roemischen Besatzungen freilich auch das Ihrige taten, aber mehr noch der sehr entschiedene Widerwille der Hellenen gegen die Phoeniker selbst und deren neue lucanische und brettische Bundesgenossen, und ihre Anhaenglichkeit an Rom, das jede Gelegenheit, seinen Hellenismus zu betaetigen, eifrig benutzt und gegen die Griechen in Italien eine ungewohnte Milde gezeigt hatte. So widerstanden die kampanischen Griechen, namentlich Neapel, mutig Hannibals eigenem Angriff; dasselbe taten in Grossgriechenland trotz ihrer sehr gefaehrdeten Stellung Rhegion, Thurii, Metapont und Tarent. Kroton und Lokri dagegen wurden von den vereinigten Brettiern und Phoenikern teils erstuermt, teils zur Kapitulation gezwungen und die Krotoniaten nach Lokri gefuehrt, worauf brettische Kolonisten jene wichtige Seestation besetzten. Dass die sueditalischen Latiner, wie Brundisium, Venusia, Paestum, Cosa, Cales, unerschuettert mit Rom hielten, versteht sich von selbst. Waren sie doch die Zwingburgen der Eroberer im fremden Land, angesiedelt auf dem Acker der Umwohner, mit ihren Nachbarn verfehdet; traf es doch sie zunaechst, wenn Hannibal sein Wort wahr machte und jeder italischen Gemeinde die alten Grenzen zurueckgab. In gleicher Weise gilt dies von ganz Mittelitalien, dem. aeltesten Sitz der roemischen Herrschaft, wo latinische Sitte und Sprache schon ueberall vorwog und man sich als Genosse der Herrscher, nicht als Untertan fuehlte. Hannibals Gegner im karthagischen Senat unterliessen nicht, daran zu erinnern, dass nicht ein roemischer Buerger, nicht eine latinische Gemeinde sich Karthago in die Arme geworfen habe. Dieses Grundwerk der roemischen Macht konnte gleich der kyklopischen Mauer nur Stein um Stein zertruemmert werden.

Das waren die Folgen des Tages von Cannae, an dem die Bluete der Soldaten und Offiziere der Eidgenossenschaft, ein Siebentel der gesamten Zahl der kampffaehigen Italiker zugrunde ging. Es war eine grausame, aber gerechte Strafe der schweren politischen Versuendigungen, die sich nicht etwa bloss einzelne toerichte oder elende Maenner, sondern die roemische Buergerschaft selbst hatte zu Schulden kommen lassen. Die fuer die kleine Landstadt zugeschnittene Verfassung passte der Grossmacht nirgend mehr; es war eben nicht moeglich, ueber die Frage, wer die Heere der Stadt in einem solchen Kriege fuehren solle, Jahr fuer Jahr die Pandorabuechse des Stimmkastens entscheiden zu lassen. Da eine gruendliche Verfassungsrevision, wenn sie ueberhaupt ausfuehrbar war, jetzt wenigstens nicht begonnen werden durfte, so haette zunaechst der einzigen Behoerde, die dazu imstande war, dem Senat die tatsaechliche Oberleitung des Krieges und namentlich die Vergebung und Verlaengerung des Kommandos ueberlassen werden und den Komitien nur die formelle Bestaetigung verbleiben sollen. Die glaenzenden Erfolge der Scipionen auf dem schwierigen spanischen Kriegsschauplatz zeigten, was auf diesem Wege sich erreichen liess. Allein die politische Demagogie, die bereits an dem aristokratischen Grundbau der Verfassung nagte, hatte sich der italischen Kriegfuehrung bemaechtigt; die unvernuenftige Beschuldigung, dass die Vornehmen mit dem auswaertigen Feinde konspirierten, hatte auf das “Volk” Eindruck gemacht. Die Heilande des politischen Koehlerglaubens, die Gaius Flaminius und Gaius Varro, beide “neue Maenner” und Volksfreunde vom reinsten Wasser, waren demnach zur Ausfuehrung ihrer unter dem Beifall der Menge auf dem Markt entwickelten Operationsplaene von eben dieser Menge beauftragt worden, und die Ergebnisse waren die Schlachten am Trasimenischen See und bei Cannae. Dass der Senat, der begreiflicherweise seine Aufgabe jetzt besser fasste, als da er des Regulus halbe Armee aus Afrika zurueckberief, die Leitung der Angelegenheiten fuer sich begehrte und jenem Unwesen sich widersetzte, war pflichtgemaess; allein auch er hatte, als die erste jener beiden Niederlagen ihm fuer den Augenblick das Ruder in die Hand gab, gleichfalls nicht unbefangen von Parteiinteressen gehandelt. So wenig Quintus Fabius mit jenen roemischen Kleonen verglichen werden darf, so hatte doch auch er den Krieg nicht bloss als Militaer gefuehrt, sondern seine starre Defensive vor allem als politischer Gegner des Gaius Flaminius festgehalten und in der Behandlung des Zerwuerfnisses mit seinem Unterfeldherrn getan, was an ihm lag, um in einer Zeit, die Einigkeit forderte, zu erbittern. Die Folge war erstlich, dass das wichtigste Instrument, das eben fuer solche Faelle die Weisheit der Vorfahren dem Senat in die Hand gegeben hatte, die Diktatur ihm unter den Haenden zerbrach; und zweitens mittelbar wenigstens die Cannensische Schlacht. Den jaehen Sturz der roemischen Macht verschuldeten aber weder Quintus Fabius noch Gaius Varro, sondern das Misstrauen zwischen dem Regiment und den Regierten, die Spaltung zwischen Rat und Buergerschaft. Wenn noch Rettung und Wiedererhebung des Staates moeglich war, musste sie daheim beginnen mit Wiederherstellung der Einigkeit und des Vertrauens. Dies begriffen und, was schwerer wiegt, dies getan zu haben, getan mit Unterdrueckung aller an sich gerechten Rekriminationen, ist die herrliche und unvergaengliche Ehre des roemischen Senats. Als Varro - allein von allen Generalen, die in der Schlacht kommandiert hatten - nach Rom zurueckkehrte, und die roemischen Senatoren bis an das Tor ihm entgegengingen und ihm dankten, dass er an der Rettung des Vaterlandes nicht verzweifelt habe, waren dies weder leere Reden, um mit grossen Worten das Unheil zu verhuellen, noch bitterer Spott ueber einen Armseligen; es war der Friedensschluss zwischen dem Regiment und den Regierten. Vor dem Ernst der Zeit und dem Ernst eines solchen Aufrufs verstummte das demagogische Geklatsch; fortan gedachte man in Rom nur, wie man gemeinsam die Not zu wenden vermoege. Quintus Fabius, dessen zaeher Mut in diesem entscheidenden Augenblick dem Staat mehr genuetzt hat als all seine Kriegstaten, und die anderen angesehenen Senatoren gingen dabei in allem voran und gaben den Buergern das Vertrauen auf sich und auf die Zukunft zurueck. Der Senat bewahrte seine feste und strenge Haltung, waehrend die Boten von allen Seiten nach Rom eilten, um die verlorenen Schlachten, den Uebertritt der Bundesgenossen, die Aufhebung von Posten und Magazinen zu berichten, um Verstaerkung zu begehren fuer das Potal und fuer Sizilien, da doch Italien preisgegeben und Rom selbst fast unbesetzt war. Das Zusammenstroemen der Menge an den Toren ward untersagt, die Gaffer und die Weiber in die Haeuser gewiesen, die Trauerzeit um die Gefallenen auf dreissig Tage beschraenkt, damit der Dienst der freudigen Goetter, von dem das Trauergewand ausschloss, nicht allzulange unterbrochen werde - denn so gross war die Zahl der Gefallenen, dass fast in keiner Familie die Totenklage fehlte. Was vom Schlachtfeld sich gerettet hatte, war indes durch zwei tuechtige Kriegstribune, Appius Claudius und Publius Scipio den Sohn, in Canusium gesammelt worden; der letztere verstand es, durch seine stolze Begeisterung und durch die drohend erhobenen Schwerter seiner Getreuen, diejenigen vornehmen jungen Herren auf andere Gedanken zu bringen, die in bequemer Verzweiflung an die Rettung des Vaterlandes ueber das Meer zu entweichen gedachten. Zu ihnen begab sich mit einer Handvoll Leute der Konsul Gaius Varro; allmaehlich fanden sich dort etwa zwei Legionen zusammen, die der Senat zu reorganisieren und zu schimpflichem und unbesoldetem Kriegsdienst zu degradieren befahl. Der unfaehige Feldherr ward unter einem schicklichen Vorwand nach Rom zurueckberufen; der in den gallischen Kriegen erprobte Praetor Marcus Claudius Marcellus, der bestimmt gewesen war, mit der Flotte von Ostia nach Sizilien abzugehen, uebernahm den Oberbefehl. Die aeussersten Kraefte wurden angestrengt, um eine kampffaehige Armee zu organisieren. Die Latiner wurden beschickt um Hilfe in der gemeinschaftlichen Gefahr; Rom selbst ging mit dem Beispiel voran und rief die ganze Mannschaft bis ins Knabenalter unter die Waffen, bewaffnete die Schuldknechte und die Verbrecher, ja stellte sogar achttausend vom Staate angekaufte Sklaven in das Heer ein. Da es an Waffen fehlte, nahm man die alten Beutestuecke aus den Tempeln und setzte Fabriken und Gewerbe ueberall in Taetigkeit. Der Senat ward ergaenzt - nicht, wie aengstliche Patrioten forderten, aus den Latinern, sondern aus den naechstberechtigten roemischen Buergern. Hannibal bot die Loesung der Gefangenen auf Kosten des roemischen Staatsschatzes an; man lehnte sie ab und liess den mit der Abordnung der Gefangenen angelangten karthagischen Boten nicht in die Stadt; es durfte nicht scheinen, als denke der Senat an Frieden. Nicht bloss die Bundesgenossen sollten nicht glauben, dass Rom sich anschicke zu transigieren, sondern es musste auch dem letzten Buerger begreiflich gemacht werden, dass fuer ihn wie fuer alle es keinen Frieden gebe und Rettung nur im Siege sei.

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