7.

Hat man mich verstanden? - Was mich abgrenzt, was mich bei Seite stellt gegen den ganzen Rest der Menschheit, das ist, die christliche Moral entdeckt zu haben. Deshalb war ich eines Worts bedürftig, das den Sinn einer Herausforderung an Jedermann enthält. Hier nicht eher die Augen aufgemacht zu haben gilt mir als die grösste Unsauberkeit, die die Menschheit auf dem Gewissen hat, als Instinkt gewordner Selbstbetrug, als grundsätzlicher Wille, jedes Geschehen, jede Ursächlichkeit, jede Wirklichkeit nicht zu sehen, als Falschmünzerei in psychologicis bis zum Verbrechen. Die Blindheit vor dem Christenthum ist das Verbrechen par excellence - das Verbrechen am Leben… Die Jahrtausende, die Völker, die Ersten und die Letzten, die Philosophen und die alten Weiber - fünf, sechs Augenblicke der Geschichte abgerechnet, mich als siebenten - in diesem Punkte sind sie alle einander würdig. Der Christ war bisher das "moralische Wesen", ein. Curiosum ohne Gleichen - und, als "moralisches Wesen", absürder, verlogner, eitler, leichtfertiger, sich selber nachtheiliger als auch der grösste Verächter der Menschheit es sich träumen lassen könnte. Die christliche Moral - die bösartigste Form des Willens zur Lüge, die eigentliche Circe der Menschheit: Das, was sie verdorben hat. Es ist nicht der Irrthum als Irrthum, was Mich bei diesem Anblick entsetzt, nicht der Jahrtausende lange Mangel an "gutem Willen", an Zucht, an Anstand, an Tapferkeit im Geistigen, der sich in seinem Sieg verräth: - es ist der Mangel an Natur, es ist der vollkommen schauerliche Thatbestand, dass die Widernatur selbst als Moral die höchsten Ehren empfieng und als Gesetz, als kategorischer Imperativ, über der Menschheit hängen blieb!… In diesem Maasse sich vergreifen, nicht als Einzelner, nicht als Volk, sondern als Menschheit!… Dass man die allerersten Instinkte des Leben[s] verachten lehrte; dass man eine "Seele", einen "Geist" erlog, um den Leib zu Schanden zu machen; dass man in der Voraussetzung des Lebens, in der Geschlechtlichkeit, etwas Unreines empfinden lehrt; dass man in der tiefsten Nothwendigkeit zum Gedeihen, in der strengen Selbstsucht (- das Wort schon ist verleumderisch! -) das böse Princip sucht; dass man umgekehrt in dem typischen Abzeichen des Niedergangs und der Instinkt-Widersprüchlichkeit, im "Selbstlosen", im Verlust an Schwergewicht, in der "Entpersönlichung" und "Nächstenliebe" (- Nächstensucht!) den höheren Werth, was sage ich! den Werth an sich sieht!… Wie! wäre die Menschheit selber in décadence? war sie es immer? - Was feststeht, ist, dass ihr nur Décadence-Werthe als oberste Werthe gelehrt worden sind. Die Entselbstungs-Moral ist die Niedergangs-Moral par excellence, die Thatsache "ich gehe zu Grunde", in den Imperativ übersetzt: "ihr sollt alle zu Grunde gehn" - und nicht nur in den Imperativ!… Diese einzige Moral, die bisher gelehrt worden ist, die Entselbstungs-Moral, verräth einen Willen zum Ende, sie verneint im untersten Grunde das Leben. - Hier bliebe die Möglichkeit offen, dass nicht die Menschheit in Entartung sei, sondern nur jene parasitische Art Mensch, die des Priesters, die mit der Moral sich zu ihren Werth-Bestimmern emporgelogen hat, - die in der christlichen Moral ihr Mittel zur Macht errieth… Und in der That, das ist meine Einsicht: die Lehrer, die Führer der Menschheit, Theologen insgesammt, waren insgesammt auch décadents: daher die Umwerthung aller Werthe ins Lebensfeindliche, daher die Moral… Definition der Moral: Moral - die Idiosynkrasie von décadents, mit der Hinterabsicht, sich am Leben zu rächen - und mit Erfolg. Ich lege Werth auf diese Definition. -

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