7.

Irrthum vom freien Willen. - Wir haben heute kein Mitleid mehr mit dem Begriff "freier Wille": wir wissen nur zu gut, was er ist - das anrüchigste Theologen-Kunststück, das es giebt, zum Zweck, die Menschheit in ihrem Sinne "verantwortlich" zu machen, das heisst sie von sich abhängig zu machen… Ich gebe hier nur die Psychologie alles Verantwortlichmachens. - überall, wo Verantwortlichkeiten gesucht werden, pflegt es der Instinkt des Strafen- und Richten-Wollens zu sein, der da sucht. Man hat das Werden seiner Unschuld entkleidet, wenn irgend ein So-und-so Sein auf Wille, auf Absichten, auf Akte der Verantwortlichkeit zurückgeführt wird: die Lehre vom Willen ist wesentlich erfunden zum Zweck der Strafe, das heisst des Schuldig-finden-wollens. Die ganze alte Psychologie, die Willens-Psychiologie hat ihre Voraussetzung darin, dass deren Urheber, die Priester an der Spitze alter Gemeinwesen, sich ein Recht schaffen wollten, Strafen zu verhängen - oder Gott dazu ein Recht schaffen wollten… Die Menschen wurden "frei" gedacht, um gerichtet, um gestraft werden zu können, - um schuldig werden zu können: folglich musste jede Handlung als gewollt, der Ursprung jeder Handlung im Bewusstsein liegend gedacht werden (- womit die grundsätzlichste Falschmünzerei in psychologicis zum Princip der Psychologie selbst gemacht war… ) Heute, wo wir in die umgekehrte Bewegung eingetreten sind, wo wir Immoralisten zumal mit aller Kraft den Schuldbegriff und den Strafbegriff aus der Welt wieder herauszunehmen und Psychologie, Geschichte, Natur, die gesellschaftlichen Institutionen und Sanktionen von ihnen zu reinigen suchen, giebt es in unsern Augen keine radikalere Gegnerschaft als die der Theologen, welche fortfahren, mit dem Begriff der "sittlichen Weltordnung" die Unschuld des Werdens durch "Strafe" und "Schuld" zu durchseuchen. Das Christenthum ist eine Metaphysik des Henkers…

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