3.

Die Vergeistigung der Sinnlichkeit heisst Liebe: sie ist ein grosser Triumph über das Christenthum. Ein andrer Triumph ist unsre Vergeistigung der Feindschaft. Sie besteht darin, dass man tief den Werth begreift, den es hat, Feinde zu haben: kurz, dass man umgekehrt thut und schliesst als man ehedem that und schloss. Die Kirche wollte zu allen Zeiten die Vernichtung ihrer Feinde: wir, wir Immoralisten und Antichristen, sehen unsern Vortheil darin, dass die Kirche besteht… Auch im Politischen ist die Feindschaft jetzt geistiger geworden, - viel klüger, viel nachdenklicher, viel schonender. Fast jede Partei begreift ihr Selbsterhaltungs-Interesse darin, dass die Gegenpartei nicht von Kräften kommt; dasselbe gilt von der grossen Politik. Eine neue Schöpfung zumal, etwa das neue Reich, hat Feinde nöthiger als Freunde: im Gegensatz erst fühlt es sich nothwendig, im Gegensatz wird es erst nothwendig… Nicht anders verhalten wir uns gegen den "inneren Feind": auch da haben wir die Feindschaft vergeistigt, auch da haben wir ihren Werth begriffen. Man ist nur fruchtbar um den Preis, an Gegensätzen reich zu sein; man bleibt nur jung unter der Voraussetzung, dass die Seele nicht sich streckt, nicht nach Frieden begehrt… Nichts ist uns fremder geworden als jene Wünschbarkeit von Ehedem, die vom "Frieden der Seele", die christliche Wünschbarkeit; Nichts macht uns weniger Neid als die Moral-Kuh und das fette Glück des guten Gewissens. Man hat auf das grosse Leben verzichtet, wenn man auf den Krieg verzichtet… In vielen Fällen freilich ist der "Frieden der Seele" bloss ein Missverständniss, - etwas Anderes, das sich nur nicht ehrlicher zu benennen weiss. Ohne Umschweif und Vorurtheil ein paar Fälle. "Frieden der Seele" kann zum Beispiel die sanfte Ausstrahlung einer reichen Animalität in's Moralische (oder Religiöse) sein. Oder der Anfang der Müdigkeit, der erste Schatten, den der Abend, jede Art Abend wirft. Oder ein Zeichen davon, dass die Luft feucht ist, dass Südwinde herankommen. Oder die Dankbarkeit wider Wissen für eine glückliche Verdauung ("Menschenliebe" mitunter genannt). Oder das Stille-werden des Genesenden, dem alle Dinge neu schmecken und der wartet… Oder der Zustand, der einer starken Befriedigung unsrer herrschenden Leidenschaft folgt, das Wohlgefühl einer seltnen Sattheit. Oder die Altersschwäche unsres Willens, unsrer Begehrungen, unsrer Laster. Oder die Faulheit, von der Eitelkeit überredet, sich moralisch aufzuputzen. Oder der Eintritt einer Gewissheit, selbst furchtbaren Gewissheit, nach einer langen Spannung und Marterung durch die Ungewissheit. Oder der Ausdruck der Reife und Meisterschaft mitten im Thun, Schaffen, Wirken, Wollen, das ruhige Athmen, die erreichte "Freiheit des Willens"… Götzen-Dämmerung: wer weiss? vielleicht auch nur eine Art "Frieden der Seele"…

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