52.

Im jüdischen "alten Testament", dem Buche von der göttlichen Gerechtigkeit, giebt es Menschen, Dinge und Reden in einem so grossen Stile, dass das griechische und indische Schriftenthum ihm nichts zur Seite zu stellen hat. Man steht mit Schrecken und Ehrfurcht vor diesen ungeheuren Überbleibseln dessen, was der Mensch einstmals war, und wird dabei über das alte Asien und sein vorgeschobenes Halbinselchen Europa, das durchaus gegen Asien den "Fortschritt des Menschen" bedeuten möchte, seine traurigen Gedanken haben. Freilich: wer selbst nur ein dünnes zahmes Hausthier ist und nur Hausthier-Bedürfnisse kennt (gleich unsren Gebildeten von heute, die Christen des "gebildeten" Christenthums hinzugenommen -), der hat unter jenen Ruinen weder sich zu verwundern, noch gar sich zu betrüben - der Geschmack am alten Testament ist ein Prüfstein in Hinsicht auf "Gross" und "Klein" -: vielleicht, dass er das neue Testament, das Buch von der Gnade, immer noch eher nach seinem Herzen findet (in ihm ist viel von dem rechten zärtlichen dumpfen Betbrüder- und Kleinen-Seelen-Geruch). Dieses neue Testament, eine Art Rokoko des Geschmacks in jedem Betrachte, mit dem alten Testament zu Einem Buche zusammengeleimt zu haben, als "Bibel", als "das Buch an sich": das ist vielleicht die grösste Verwegenheit und "Sünde wider den Geist", welche das litterarische Europa auf dem Gewissen hat.

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