Dreiundsechzigster Brief.

Paris, den 16. September 1848.

Ich füge meinem gestrigen eiligen Schreiben heute noch einige einzelne Bemerkungen hinzu.

1) Hr. General Cavaignac bemerkte tadelnd, daß Mehre in Deutschland den Grundsatz der Nationalität übertrieben und von Erwerbung des Elsaß und Lothringens sprächen, wozu die eine und untheilbare Republik Frankreich niemals die Hand bieten, sondern sich ernstlich widersetzen werde. — Ich erwiderte: es sei nicht zu hindern, daß Einzelne derlei Reden führten, politisch hätten sie gar keine Bedeutung. Jener Grundsatz der Nationalität werde thöricht, sobald man ihn unbedingt in Deutschland, Frankreich, Österreich oder Italien zur Anwendung bringen wolle.

2) Hr. Minister Bastide sagte: er wolle gern mit mir über Italien sprechen, um so mehr, da ich schon wisse, wie gemäßigt die Absichten Frankreichs wären. Das Gespräch ward hier unterbrochen; ich sehe aber voraus, daß die Rede nächstens auf denselben Gegenstand kommen wird. Mit Bezug auf Hrn. Bastide’s frühere Äußerungen und meine persönliche Überzeugung bemerke ich Folgendes:

a) Dem Wunsche Deutschlands, an den Verhandlungen über Italien friedliebenden Antheil zu nehmen, wird man hier schwerlich etwas in den Weg legen.

b) Frankreich wird sich wahrscheinlich hinsichtlich der Gränzen und der Souverainetät nachgiebiger zeigen, sobald nur (nach Lamartine’s Worten) ernstlich wahrhaft nationale Einrichtungen von Österreich bewilligt und eingeführt werden.

c) Die Zerwürfnisse und das bald feige, bald leidenschaftliche, anarchische Treiben der Italiener machen hier den unangenehmsten Eindruck, und wenn dasselbe noch lange ohne Besserung fortdauert, wird man ihrer so überdrüßig werden, wie der Polen. Sagte doch schon Hr. B— wie soll man einem Volke helfen, das gar nicht versteht sich selbst zu helfen.

Wenn man in Frankfurt zu der Begeisterung nicht politische Klugheit und Mäßigung gesellt, wird die Versammlung in der europäischen Völkerfamilie bald ganz vereinzelt dastehen und nicht das Heil, sondern die Zerwürfniß Deutschlands herbeiführen. — So sprechen nicht blos die französischen, sondern auch die englischen Machthaber.

Ich will meinem gestrigen Briefe — — über meine Audienz beim Hrn. General Cavaignac heute noch Einiges zusetzen.

Hr. von Andrian schreibt mir in Bezug auf das ähnliche Ereigniß Folgendes aus London: „Lord Palmerston stellte mich der Königin vor, der Oberceremonienmeister begleitete mich bis an den Wagen und Alles erfolgte mit großer Würde und Feierlichkeit.“ —

Mich wollte Hr. Minister Bastide abholen. Da er aber bereits den ganzen Morgen bei Hrn. General Cavaignac beschäftigt war, bat er mich allein zu fahren, und das geschah dann nicht (wie ehemals) mit großem Gefolge und vielen sechsspännigen Wagen, sondern mit einem Zweispänner (sonst genügt mir ein Einspänner) und einem Bedienten, den ich (um 2 Fliegen mit einer Klappe zu schlagen) auch zu meinem Geheimen Sekretair und Kanzellisten erhoben habe.

Auf meinen Wunsch, Hrn. Bastide noch vor der Audienz zu sprechen, damit er meine Anrede an Hrn. General Cavaignac prüfe, kam er im Überrock und eine Cigarre rauchend, sodaß ich mit weißer Halsbinde und schönem Jabot fast wie ein allzu geputzter Pfau aussah. Jene Vernachlässigung des Äußern sagt übrigens meiner bequemen Natur sehr zu; sie wird durch offenes, ungezwungenes, vertrauensvolles Benehmen in eine höhere Region gehoben, und ich kann mir kaum einen Minister denken, mit dem angenehmer zu verhandeln wäre, als mit Hrn. Bastide. Wenn Andere anders urtheilen, so liegt dies an ihnen selbst; ihre veralteten, oberflächlichen, wahrheitslosen diplomatischen Kunststücke sind ihm zuwider, und machen ihn verdrießlich und wortkarg, was er gegen mich nie gewesen ist.

Ich erwartete, Hr. General Cavaignac werde mich doch mit einiger Feierlichkeit empfangen und ich ihm gegenüberstehend meinen Spruch herdeklamiren müssen. — Keineswegs, in Papieren kramend, sagte er: bon jour Mr. de Raumer, asseyez Vous. — Das geschah dann auch, und mein Spruch war (wie Ihr leset) für diesen Conversationston viel zu feierlich. Er ging indeß etwas abgeändert schnell vorüber, und das Gespräch ward nun zwischen dreien (Hr. Bastide saß am Tische neben mir) in ganz natürlicher einfacher Weise fortgeführt. — So war ich an diesem Tage (ganz gegen meine sonstige Natur) der Feierlichste und Aufgebauschteste. Doch kann ich mir darüber keine Vorwürfe machen: denn nach so zahllosen précédents, durfte ich Karnikel nicht in allzugeringem Volkstone beginnen. — Ähnliches könnten andere Gesandten erzählen über den Wegfall aller Feierlichkeiten.

Die Berathungen über das Recht zur Arbeit haben endlich ihr Ziel in einer vermittelnden Formel erreicht: la République doit, par une assistance fraternelle, assurer l’existence des citoyens nécessiteux. Hiedurch wird die unausführbare, unbedingte Rechtsfrage, meist in eine bedingte Liebesfrage verwandelt, und die Narrheit des Hrn. Louis Blanc muß der Weisheit Jesu Christi Platz machen.

Die Noth der unbeschäftigten und ungeduldigen Arbeiter drängt zur Abführung von Kolonisten nach Algier. Wäre die Unternehmung im Großen nur nicht so kostspielig, und hätten nicht Grillen von Association, Theilung des gemeinsamen Ertrags u. dgl. noch immer täuschenden Einfluß.

Sehr viele Soldaten stehen in und um Paris noch im Zeltlager, was bei einbrechendem Herbstwetter immer unbequemer wird. Noch mehr mißfällt ihnen, daß man die garde mobile besser bezahlt, unter welche Leute aufgenommen wurden, die im Junius zwar großen Muth zeigten, aber theils sehr jung, theils roh, ja selbst, wie man behauptet, Verbrecher sind. Die Soldaten wagt man noch nicht von Paris zu entfernen, und was die garde mobile thun wird, wenn man sie nicht mehr bezahlen kann, oder will, das ist schwer zu sagen. Wenn nur nicht die platzende Bombe einen großen Krieg herbeiführt. Die nächste Gefahr droht dann dem Könige von Sardinien. Die Österreicher hassen ihn aufs Äußerste und nennen ihn falsch, lügenhaft, wortbrüchig; als Sieger würden sie ihn aufs Härteste behandeln. Dringen umgekehrt die Franzosen in sein Land ein, so werden ihn seine Unterthanen wegjagen und eine Republik errichten; diese aber läuft an der französischen Leine, — bis (wie schon so oft) die französische Herrschaft durch irgend einen Umschwung ein Ende nimmt.

Den 16. September Nachmittags.

Ich erfahre so eben aus guter Quelle, daß das frankfurter Verwerfen des dänischen Waffenstillstandes und die dadurch angedrohte neue Unterbrechung des Handels, den ernsten Gedanken hervorgetrieben hat, sogleich einen Congreß von Abgeordneten zu berufen, um sowohl jenen Waffenstillstand aufrecht zu halten, als den Frieden vorzubereiten. Zuerst sollte London, dann (als dies Widerspruch fand) Hamburg zum Sitze des Congresses gewählt werden, und man rechnete auf das Erscheinen der Abgeordneten von England, Frankreich, Rußland, Schweden und Preußen. Da die deutsche Centralgewalt noch nicht von allen diesen Mächten anerkannt sei, werde sie nur officiös vertreten werden können. — So der wesentliche Inhalt der mir zugekommenen Nachrichten.

Den 17. September.

Als ich hier ankam, war Cavaignac’s Ansehen noch im Steigen; jetzt sagt man, es sinke bereits. Weil er und seine Freunde die Pariser retteten, von der Plünderung, von Mord und Brand, fühlten sie sich lebhaft zum Danke verpflichtet; jetzt vergessen Manche schon, welche Gefahr sie bedrohte und wie diese noch fortdauert. Sie denken blos an die Übel, nicht an die Nothwendigkeit des Belagerungszustandes, und jeder Raisonneur hält sich für fähig an Cavaignac’s Stelle zu treten. Man vergißt, welches Unheil jede plötzliche Umgestaltung der Regierung fast immer hat, und daß bei häufigem Wechsel der Personen und Grundsätze, Achtung und Vertrauen entweicht, und nichts wahrhaft Nützliches und Dauerndes zu Stande gebracht wird. Läugnen läßt sich nicht, daß mancher Andere eben so viel als Cavaignac gethan zu haben behauptet und in sofern mindestens gleiche Ansprüche macht, daß Cavaignac nicht auf frühere Thaten so hinweisen kann, wie Bonaparte am 18. Brumaire; allein Schickung, oder Zufall, oder die vollendete Thatsache, haben und behalten ihre große Bedeutung. Die verneinende Kritik, welche, wie in der Literatur, so auch in den öffentlichen Verhältnissen vorherrscht, bringt nichts zu Stande, sondern wirkt verletzend und zerstörend. Was man Begeisterung nennt, hat oft gar keinen positiven, belebenden Ursprung; sie wächst empor aus dem Hasse gegen alles Bestehende, aus Selbstgefälligkeit und Eitelkeit, und ist gar oft versetzt mit einem großen Bestandtheil ganz offenbarer Dummheit.

Oder wie soll man es nennen, wenn die Versammlung in Frankfurt (welche kaum geboren ist und die Kinderkrankheiten noch nicht überstanden hat) schon in der Wiege um sich schlägt, mit ganz Europa Händel anfängt, und so überall Liebe und Vertrauen und Achtung verliert? Politische Klugheit ist (wie ich in meiner Spreu sage) ganz abhanden und in Verruf gekommen, und Jeder, der in die Paulskirche, oder die Singakademie hingefallen ist, hält sich für einen neugebornen Staatsmann; — obwohl er in seinem ganzen Leben noch nicht an die hochwichtigen Aufgaben gedacht hatte, über welche er nunmehr übereilt und anmaßend abspricht und abstimmt.

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