Fünfter Brief.

Frankfurt a. M., den 2. Junius 1848.

An welchen Fäden hängen die Schicksale der Reiche!! Ohne den 18. März, sagt mir Herr v. L., wäre der König von Preußen ohne Zweifel zum Kaiser von Deutschland erhoben worden. Damals hätte Österreich aber wohl schwerlich eingewilligt; und hätte sich Preußen dadurch nicht in unzählige Händel verwickelt und (wie schon jetzt) Undank und Schmähung, statt des Dankes erfahren? Niemals sind die Deutschen ihrem Kaiser sehr unterthan gewesen, und auch heutiges Tages sehe ich dazu noch keine Neigung, obwohl die Nothwendigkeit einer einigen Leitung täglich mehr heraustritt.

Täglich ziehen die Wolken neuer Verfassungsentwürfe am Horizonte auf, und verwandeln ihre Umrisse auf die mannigfachste Weise. Laßt Euch die Zeit nicht lang werden, heut einmal mit mir diese fata morgana anzuschauen.

Gestern hat mir Herr v. L. seinen „Beitrag zu einer künftigen deutschen Reichsverfassung“ übergeben, aus welchem ich Folgendes entnehme. Die Gesammtregierung soll bestehen aus einem hohen Rathe (Oesterreich, Preußen, und ein Dritter aus allen Bundesgliedern auf Lebenszeit vom Parlamente zu erwählender Fürst) und aus zwei völlig gleichberechtigten und mit derselben Stimmenzahl versehenen Volkskammern. Die eine Kammer wird halb aus ländlichen, halb aus städtischen Bewohnern gewählt (wie, ist nicht gesagt); die andere dagegen zu ¼ aus ordentlichen und außerordentlichen Universitätsprofessoren, ¼ aus Sachwaltern, ¼ aus Geistlichen, ¼ aus Kaufleuten und Fabrikanten. (Grundbesitzer sind hier nicht wieder erwähnt.) Bei Meinungsverschiedenheiten beider Kammern entscheidet die aus der vereinigten Abstimmung sich ergebende Mehrzahl. Zu Zeiten des Krieges, oder sonstiger Gefahr, geht die ganze verfassungsmäßige Gewalt des Bundes, mittelst Wahl des deutschen Parlamentes, auf einen der drei, den hohen Rath bildenden Fürsten über, der dann persönlich in Frankfurt residiren muß. — Ueber die allgemeinen Rechte und Einrichtungen im Ganzen das Bekannte. — Ich habe nicht Zeit, mehr mitzutheilen, oder das Mitgetheilte zu beurtheilen, da ich auf die wichtigeren baierischen Vorschläge übergehen will.

Diese lauten im Wesentlichen: Der Zweck des neuen deutschen Bundesstaates ist die Vertheidigung und Vertretung Deutschlands als politischer Einheit nach Außen, und die Einigung Deutschlands in seinen gemeinsamen Interessen und Rechten nach Innen. Die Hauptorgane für Erreichung dieser Zwecke sind: 1) der Reichstag mit einem Direktorium an der Spitze. 2) Das in zwei Kammern getheilte Parlament. (Ueber die allgemeinen Volksrechte, nationale Einrichtungen und Maßregeln finden sich keine erheblichen Abweichungen von dem fast überall Gewünschten. Nachdruck wird indeß auch gelegt auf die gemeinsame Errichtung einer Flotte, das Auswanderungswesen, die Verbürgung der einzelnen Verfassungen und eine selbstständige Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten.) — Durch die allgemeinen Einrichtungen des Gesammtbundes soll das eigenthümliche Recht und die nothwendige Selbstregierung der einzelnen Staaten- und Volksstämme nicht erstickt und verwischt werden. Deshalb sollen diese ihre Vertretung und ihre Gewalt in den Centralorganen des deutschen Bundesstaates finden. (Aehnlicherweise habe ich immer dafür gesprochen, daß sich die Mannigfaltigkeit der Einheit zugesellen müsse, wie in Nordamerika; nicht unbedingte Centralisation wie in Frankreich.) Das Direktorium ist der Ausdruck und Repräsentant der Einheit der deutschen Fürsten und Völker gegen Außen, und der Vertreter und Förderer der Einigung der deutschen gemeinsamen Interessen und Rechte nach Innen. Es ernennt die Mitglieder des Ministeriums und sämmtlicher Centralbehörden aus der Candidatenliste der einzelnen Regierungen. Es eröffnet und schließt, vertagt, beruft das deutsche Parlament nach zu erlassenden Vorschriften. Das Direktorium wird nicht erwählt, es ist nicht erblich, oder stets einer bestimmten Regierung angehörig; sondern es wechselt entweder nach einem festen Cyclus der Regierungen von Nord-, Ost- und Süddeutschland, oder drei Hauptstaaten Deutschlands nehmen gleichzeitig daran Theil. (Der Cyclus unter Vielen ist schwer zu ordnen, und schwerlich wären alle übrigen Staaten damit zufrieden, wenn Baiern allein, ohne Wahl, neben Österreich und Preußen einträte.) — Die eine Kammer des Parlamentes bildet sich aus den unmittelbaren Wahlen des deutschen Volkes, die andere aus denen der deutschen Ständekammern, oder vielmehr aus der ersten Ständekammer und den ihr analogen Bestandtheilen.

Den weiteren baierischen Erklärungen zu den Grundzügen der Verfassung entnehme ich Folgendes: In dem ersten Nationalparlamente ist den Regierungen der deutschen Staaten ihr nothwendiger Antheil an der zukünftigen Constituirung Deutschlands nicht zugesichert. (Sehr wahr! Die Versammlung schwärmt für ihre Allmacht und Souverainetät; so daß, wenn der Inhalt ihrer Beschlüsse nicht gemäßigt ausfällt, Widerspruch der einzelnen Staaten schwerlich ausbleiben wird.) Deshalb mögen alle Regierungen ihre Gesinnungen und Grundsätze durch Bevollmächtigte in Frankfurt darlegen, um zu gemeinsamen, annehmbaren Beschlüssen zu gelangen, und den Regierungen, wie den Volksstimmen ihre nothwendige Lebensfähigkeit neben den Organen des Centralstaates zu sichern. Sonst wird eine Despotie erschaffen, welche die Fürsten und Völker Deutschlands, in dem Keime ihrer Macht, ihrer freien Bewegung und ihres innersten Lebens vernichtet. (Es ist sehr natürlich, nach so bösem Zerfallen Deutschlands in einer mächtigen Centralmacht die beste, ja einzige Hülfe zu sehen. Der wahre Staatsmann muß aber die Verhältnisse nicht blos nach dem letzten Augenblicke beurtheilen, sondern von dem leicht eintretenden Zuviel zurückhalten, und das Unmögliche vom Möglichen unterscheiden.)

Der Entwurf der 17 (fährt Baiern fort) verdient den bestimmtesten Tadel; er bringt so umwälzende Vorschläge, daß (würden sie auch nur von einer Minorität der deutschen Staaten und Völker angenommen) dennoch eine totale Revolution aller bestehenden Verhältnisse, eine totale Verwirrung, ja in der jetzigen aufgeregten Zeit leicht der Bürgerkrieg die Folge derselben sein könnte. — Insbesondere wird eine vollkommene Despotie eines, noch nicht existirenden erblichen Kaisers, eine Vernichtung aller bestehenden constitutionellen Rechte und Freiheiten der einzelnen Volksstämme, eine Richtigkeitserklärung gegen alle constitutionelle Fürsten Deutschlands vorgezeichnet. Ein Wahlkaiserthum ist eine Thorheit, ein erbliches eine Unmöglichkeit. Man schafft kein Kaiserthum, ebensowenig wie eine Republik, mit einigen Federstrichen, oder doctrinairen Phrasen. — Alle Restaurationen vergangener und verrosteter Zeiten tragen den Keim des Todes in sich. — Die nationale Einheit kann nur das Ergebniß freier und wahrhafter Einigung aller verschiedenen Interessen, Gegensätze und Rechte sein. Auf der Grundlage der neu errungenen und alten Freiheiten, wie Rechte, auf der Grundlage unserer bestehenden constitutionellen Staatsformen allein, kann das neue Gebäude des deutschen Bundesstaates auferbauet werden. Diese müssen das Fundament des Gebäudes bleiben; sie müssen den Völkern, wie den Fürsten garantirt werden. — Nicht dem Machtgebote, nicht dem insinuirenden Willen einer Großmacht, unterwirft sich ohne Despotie und Zwang, der freie Wille der deutschen Stämme und Fürsten. (Ihr seht, wie Recht ich hatte, früher schon Bedenken zu erheben und vorauszusetzen, gegen den Beschluß über das unbedingte Voranstellen hiesiger Beschlüsse; mit wie großem Rechte ich mich gegen den Vinckeschen Vorschlag erklärte.)

Die Art, wie der Siebzehner Entwurf eine erste Kammer bilden will, ist untauglich: sie wäre nur ein Zwischending zwischen Schatten und Wirklichkeit, das man eher mit Bedauern, als mit Achtung betrachten könnte. Die Fürsten selbst werden durch Regierungsgeschäfte zu Hause festgehalten; es wird also wieder in solchem Oberhause, der endlose Weg der Instruktionen und der todte Weg der Mandate, wie auch der deutschen Reichstage eingeschlagen, welche dann nur das wiederholen und wiederkäuen, was bereits als Ansicht der Regierungen ausgesprochen ist. Der Reichstag oder Senat besteht aus dem Inbegriffe aller Regierungsbevollmächtigten, und das Nationalparlament bildet den Inbegriff der Volksvertretung und ihrer Rechte. Von dem Reichstage und beziehungsweise von dem Direktorium, empfängt das Ministerium seine Instruktionen über die dem Parlamente vorzulegenden Gesetzentwürfe. Der Reichstag vermittelt die Verbindung der Centralregierung mit den Regierungen der einzelnen Staaten. Er übt das Recht der Sanktion aller Gesetze nach Stimmenmehrheit aus, und stellt in der Gesammtheit der Bevollmächtigten einzelner Staaten, als Vollmachtsträger derselben, mit dem Direktorium, die Collektivsouverainetät des deutschen Bundes dar.

So viel, und für Ungeduldige wohl zu viel, aus den baierischen Vorschlägen. Sie weichen in den wichtigsten Punkten von denen der Siebzehner ab. Das Kaiserthum verworfen, die erste Kammer ganz anders gestaltet, ein Reichstag oder Senat der Bevollmächtigten, mit größerem Gewichte für die einzelnen Staaten aufgestellt, deren eigenthümlichen Rechte vertheidigt u. s. w. Es wäre sehr wünschenswerth, man hätte einen ähnlichen preußischen und österreichischen Entwurf; dann ließe sich besser auf eine Verständigung der Hauptstaaten mit der hiesigen Versammlung hinwirken. Am wenigsten deutlich und einleuchtend ist mir im baierischen Entwurfe das Verhältniß des Reichstages oder Senats, der mir etwas schwerfällig und eine Art Bundestag zu sein scheint. Denn auf einen bloßen Staatsrath oder privy council ist es doch nicht abgesehen.

Heute (2. Juni) erzählte mir Somaruga viel von Wien, wo die Auflösung viel größer und die Anarchie viel ärger ist, als bei uns. Das Ministerium hat nichts von der Flucht des Kaisers gewußt, und man sieht darin allerdings das Werk einer rückläufigen Partei. Für Wien sind die Aussichten noch viel schlimmer, als für Berlin. — Den Grafen D. machte ich darauf aufmerksam: wie übel es sei, daß Ausschuß und Versammlung nichts Sicheres und Amtliches über den Stand des Krieges und der Unterhandlungen in Schleswig wisse, während alle Heftigen auf schnelle und gewiß übereilte Beschlüsse drängen. Dasselbe gilt von der hiesigen Errichtung einer Centralregierung mit oder ohne Theilnahme der bisherigen Regierungen. Beide Sachen kommen in diesen Tagen gewiß zur Sprache, ohne daß man den Gang und Ausgang der Berathung mit Sicherheit voraussehen kann. Wir segeln in unbekannten Gewässern ohne Compaß.

Nachdem ich vorgestern aus der Abendversammlung hinweggegangen war, hat man mir die Ehre angethan, vorzuschlagen: meinen Vortrag, als ein sogenanntes Programm, anzuerkennen. Da ich indessen nicht zur Hand war, es aufzusetzen, hat man den, ohne Zweifel weit bessern Vorschlag angenommen, gar kein allgemeines, bindendes Symbol aufzustellen, sondern sich allmälig immer weiter und weiter zu verständigen. — Das war für einen Tag (2. Junius), ein langer Bericht. Möget Ihr ihn nicht zu langweilig finden.

Den 3. Junius.

Quos deus vult perdere dementat: wen Gott verderben will, den verblendet er! Während Österreich anarchisch in kleine Stücke zerfällt, sagte mir gestern ein österreichischer Abgeordneter: die einzige Rettung Deutschlands sei ein Krieg mit Rußland, wozu Österreich 300,000 Mann stellen werde. Ihr könnt denken, was ich ihm antwortete. — Ebenso verblendet sind unsere Stammbrüder, die Dänen und Schweden, welche mit Rußland ein Schutz- und Trutzbündniß schließen, wie einst die Fürsten des Rheinbundes mit Napoleon. Doch zwang hier die Übermacht, während dort alle Staatsklugheit in Leidenschaft zu Grunde geht. — Heute wird ein neues Nothgeschrei der Schleswiger in der Versammlung erhoben, und ihr Gesuch wohl an den neuen völkerrechtlichen Ausschuß gewiesen werden, wo ich wahrscheinlich das wiederholen muß, was ich schon gestern Abend im Hirschgraben aussprach. Die dasige Gesellschaft hat keinen rechten Fortgang, theils weil man sie als äußerste Rechte bezeichnet, theils wohl, weil man daselbst nicht ißt, trinkt und raucht.

Neben diesen Ergötzlichkeiten geht die Rederei im Weidenbusche ununterbrochen her, wo unter Anderem A. R. vorgestern Abend gesagt hat (à la Marat), man müsse viele Tausend Köpfe abschlagen! Doch ist er darauf aufmerksam gemacht worden, daß der seinige zuerst mit an die Reihe kommen dürfte. — Ich habe mich schon in Berlin an sogenannter Beredtsamkeit dergestalt übernommen, daß ich hier hinter manchem Vielfraß zurückbleiben will und muß; — aber eben deshalb von Einigen wohl für einen untauglichen Abgeordneten gehalten werde. Auf meine Anregung wollen sich jedoch die Herren im Hirschgraben statt um ½9 um 7 Uhr versammeln, was meine Theilnahme hoffentlich erleichtert; — sofern nicht die stets lebendige Erinnerung an das Heupferd und den Heuwagen, störend dazwischentritt. Wiederum hat das Heupferd in seiner Theilnahme und seiner tröstenden Hoffnung auf nützliche Einwirkung, keineswegs so ganz Unrecht. Wo bliebe Begeisterung, Thätigkeit, Arbeitslust, Freundschaft, Liebe, wenn man immer die Goldwage zur Hand hätte, und sich immer zu leicht und unbedeutend fände!!

Als nicht politisches Zwischenspiel, erzähle ich, daß ich Goethe’s und Jacobi’s Briefe theils durchblättert, theils mit großer Theilnahme gelesen habe. Die süßliche Überschwänglichkeit des letzten, weicht oft sehr ab von der heutigen Briefkochkunst; wer weiß aber, welches Gewürz oder Nichtgewürz unserer Tage, den Nachkommen ebenfalls nicht recht schmecken wird! Da ich mit Goethe sage (S. 261): „Ich für mich kann, bei den mannigfaltigen Richtungen meines Lebens, nicht an einer Denkweise genug haben“; so verständige ich mich nach meiner Natur mit beiden Männern, ohne deshalb in Jeglichem mit ihnen übereinzustimmen. So nicht mit Goethe, wenn er (S. 162) behauptet: „Geschichte sei das undankbarste und gefährlichste Fach.“ — Und nicht mit Jacobi, welcher (245) fordert: „man solle Platon, oder Spinoza allein anhangen, ihn allein für den Geist der Wahrheit halten.“ — Ich habe mich in beide vertieft, mit Begeisterung hineingedacht, durch beide erhoben und glücklich gefühlt. Die Welt ist reicher als das allein seligmachende Credo irgend einer philosophischen, oder theologischen Schule; und die Wahrheit ist nicht das Monopol einer einzelnen Geistesrichtung.

In der heutigen Sitzung kam ein Widerspruch mehrer Polen zur Sprache, welche nicht im Reichstag erscheinen wollten. Er ward zuvörderst an den völkerrechtlichen Ausschuß gewiesen. Für die Frage über die Bildung einer hiesigen Centralgewalt, beschloß man einen neuen Ausschuß zu wählen. — Als in der dritten Abtheilung, zu der ich gehöre, Einer zum Ausschuß über die Bildung der Centralgewalt gewählt werden sollte, meldeten sich mehre Bewerber. Man verlangte: sie möchten sich über ihre Ansicht der Sache erklären, bei welcher Gelegenheit ein Oberst von Mayeren aus Wien verständig und gemäßigt sprach. Drauf manch Gerede hin und her, zu dem ich um so mehr schwieg, da ich (schon einem beschwerlichen Ausschusse zugesellt) mich nicht thöricht der Gefahr aussetzen wollte, mit neuen Arbeiten übermäßig belästigt zu werden. Doch wäre ich beinahe in diese Gefahr unabsichtlich hineingestürzt. Als nämlich ein mir unbekannter Mann, jene Bildung der Centralgewalt allein der Versammlung in Frankfurt zuweisen wollte, ohne irgend eine Rücksprache mit den Regierungen; als er auf die, aller Freiheit noch immer höchst gefährlichen Umtriebe der Fürsten schalt, oder schimpfte u. dgl., so bat ich (die Geduld ging mir aus) ums Wort und sprach lebhaft: daß man nicht immer auf Zwist, auf unbedingtes Befehlen und Gehorchen hinarbeiten müsse, sondern auf Versöhnung und Verständigung zwischen dem hiesigen Reichstage und allen Regierungen; deren Bevollmächtigte möge man hören, ehe man übereilt beschließe und dann vielleicht lauten Widerspruch finde. Von den behaupteten ganz neuen und verdammlichen Umtrieben der Fürsten sei mir nichts bekannt, oder nichts erwiesen; oder wenn Einzelne noch etwa die Sachen rückwärts schieben wollten, sei dies in diesem Augenblicke kein Gegenstand ernster Furcht. So würde hoffentlich der Verstand und gesunde Sinn der Deutschen ebenfalls des ultraradikalen Geschreis Herr werden. Unsere Aufgabe sei nicht Händel zu suchen, sondern für die Einheit und Mannigfaltigkeit Deutschlands gleichmäßig zu sorgen u. s. w.

Meine Worte fanden vielen Anklang und verschafften mir viele Stimmen, doch ward Mayeren (mir willkommen) gewählt.

Ich habe ein eigenes Schicksal: meine erste Quasirede war gegen ein Mitglied der äußersten Rechten, gegen Hrn. v. Vincke gerichtet; die zweite gegen ein Mitglied der äußersten Linken, gegen — wie ich nachher erfuhr — Hrn. Schlöffel!!

Vergleiche ich die hiesigen Verhandlungen, Alles zu Allem gerechnet, mit den Berlinern, so mögen Sorgen und Hoffnungen gleich groß sein; doch hält Gagern als ein tüchtiger Präsident die Sachen besser zusammen, allmälig wird das Unwichtige kürzer behandelt und immer nachdrücklicher auf die Hauptsachen hingewiesen. Auch lernt man hier mehr interessante Personen kennen, und die Berathungen verbreiten sich über die mannigfachsten und wichtigsten Gegenstände. So reut es mich, trotz der Kehrseiten, der Einsamkeit und der Sehnsucht nach Hause, doch nicht, daß ich hieher gegangen und nicht in die berliner Versammlung eingetreten bin; — so fern Agatho- oder Kakodämon mich nicht ganz in den Ruhestand versetzt. Noch ist meine Wahlangelegenheit indeß nicht zur Sprache gekommen.

Den 4. Junius.

Meine freundliche Wirthin hatte mich gestern Abend zu einem Damenthee eingeladen, den ich gern besucht hätte; aber ich mußte pflichtmäßig in den völkerrechtlichen Ausschuß wandern, um über „Schleswig-Holstein meerumschlungen,“ ein Paar Stunden lang, zu rathschlagen und zu politisiren. Zuvörderst ergab sich, daß, leider, Ausschuß und Versammlung über die kriegerische und diplomatische Lage amtlich gar nicht gehörig unterrichtet waren, mithin (bei aufgeregten Leidenschaften) in der größten Gefahr schwebten, etwas Unpassendes, Übertriebenes und Verletzendes zu beschließen. Es fehlt unglücklicherweise an einem Organ, einer Behörde, durch welche sich die Regierungen mit der Versammlung verständigen; denn der hinsterbende, unbeliebte Bundestag reicht dazu nicht hin, und die einzelnen Gesandten lassen ebenfalls nichts von sich hören. Mein Vorschlag: zu fragen und über die Lage der Dinge Belehrung und Auskunft einzuholen, erregte das Bedenken: es werde eine ablehnende Antwort Mißvergnügen erregen, und eine inhaltsvolle wahrscheinlich die, ihrer Allmacht frohe, Versammlung noch tiefer und gefährlicher in die Sache hineinlocken und verwickeln.

Zwei Sachen wurden vorgetragen: erstens, ein (gemäßigtes) Gesuch der holstein-schleswigschen Abgeordneten ihre Sache nicht aufzugeben, sondern für das zu wirken, was Recht und Ehre verlange. Zweitens, ein jammervoller Hülferuf der Hadersleber, sie, nach Wrangel’s Rückzug, gegen die schreckliche Rach- und Straflust der Dänen zu schützen. Gar viele Punkte kamen nunmehr zur Berathung, z. B. Holstein gehöre gewiß zu Deutschland, und wenn dies in Hinsicht auf Schleswig auch zweifelhaft sei, so gehöre es doch unbedenklich seit Jahrhunderten zu Holstein und könne davon nicht getrennt werden. Die Zerfällung in zwei Theile (Dänen und Deutsche) nach der Volksthümlichkeit, sei unrecht, unerwünscht; das Ganze müsse beisammen bleiben. Wiederum habe England die Frage über das Schicksal des nördlichen Theils von Schleswig, als einen Gegenstand der Unterhandlungen hingestellt, und es würde um so verkehrter sein, sich wider Palmerston’s Vorschläge zu erklären, da Schweden und Rußland nur durch die Rücksicht auf Großbritannien von Gewaltschritten abgehalten würden. Deutschland sei unvorbereitet, aufgelöset, uneinig, ohnmächtig, und könne einen Krieg gegen Rußland um Schleswigs willen um so weniger übernehmen, da die Frage nicht der Art sei, das ganze deutsche Volk in Begeisterung zu versetzen. Insbesondere schwebe Preußen in Bezug auf Rußland in der höchsten Gefahr und dürfe (ohnehin abgeschwächt) sich für Schleswig nicht opfern. Es müsse für sich und zur Erhaltung seines Daseins handeln; es werde keinen Beschluß der frankfurter Versammlung achten, sobald es dadurch in eine Todesgefahr komme, gegen welche papierne Bundesverfügungen um so weniger schützten, da sie schon bei dem dänischen Kriege hinsichtlich der zehnten Heeresabtheilung wenig Gehorsam gefunden hätten. Ebensowenig könne es jemals Posen in die Hände der Polen geben und dadurch den Russen den Weg in das Herz der Monarchie öffnen. Der Gewinn Schleswigs sei ganz unbedeutend, wenn gegenüber die Gefahr eines großen europäischen Krieges und die Möglichkeit hervortrete, Ost- und Westpreußen, ja alles Land bis zur Oder in den Händen der Russen zu sehen. An Rußland sei nur zu verlieren, nichts zu gewinnen, Frankreich aber, trotz scheinbarer augenblicklicher Mäßigung, doch ein gefährlicher, den Rheinlanden nachtrachtender Bundesgenosse. Die Erhaltung und Herstellung des Friedens sei höchster Zweck, und die Frage nach dem schleswiger Rechte, verschwinde vor der höhern Politik und den unläugbaren Forderungen der Staatsklugheit. Dies als Andeutung des Inhalts der Berathungen. Das einstimmige Ergebniß war: der Versammlung zwei Erklärungen über Schleswig und über Hadersleben vorzulegen, welche trösten, die Ehre wahren, und doch so gemäßigt abgefaßt sind, daß sie die Mächte und die Vermittler nicht verletzen, nicht vorlaut und übereilt in die Sachen selbst eingreifen. Hoffentlich nimmt die Versammlung unsere Vorschläge an, ohne leidenschaftliche Erörterungen. Die ganze Berathung im Ausschusse war gemäßigt, verständig, anziehend, erfreulich, und mehrt meine Hoffnungen von seiner nützlichen Wirksamkeit für die Zukunft. — Nächstens kommt die Frage über die Bildung einer hiesigen Centralgewalt zur Sprache, wo die Regierungen (unbegreiflicher- und thörichterweise) wiederum versäumt haben, auf eine verständige und freundliche Weise die Initiative zu ergreifen, wodurch die Herrschlust der Versammlung sich nothwendig und natürlich verdoppelt.

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