Frankfurt a. M., den 8. Julius 1848.
S. ein Ungar, von Paris kommend, erzählte, wie man daselbst allgemein von der Regierung strenge Maßregeln wider die Unordnung fordere. — Ungarn und benachbarte Slaven hätten seit Jahrhunderten friedlich nebeneinander gewohnt. Der ganz neue Zwist habe einen doppelten Grund: 1) Ränke und heimliche Umtriebe der Russen. 2) Bascule, Schaukelsystem des gestürzten österreichischen Ministeriums, welches den mächtiger auftretenden Ungarn gesucht habe, Slaven entgegenzustellen. Hoffentlich sei der jetzige Zustand ein vorübergehender. Erzherzog Stephan werde in Ungarn sehr geehrt und geliebt. — Ein starkes Ungarn sei durchaus nothwendig gegen die immer mehr hervortretenden Übergriffe der Russen; auch würden die siebenbürger Deutschen durch einen engern Anschluß an Ungarn besser wegkommen, als wenn sie von der Mehrzahl von Slaven und Walachen abhängig würden.
Gestern habe ich mir zur Gemüthsergötzung Bulwer’s Pelham aus der Lesebibliothek geholt; ergötze mich aber nicht daran und fühle mich außer Stande das Buch buchstäblich zu lesen. Geschicklichkeit der Auffassung und Darstellung — aber welcher Personen und Gegenstände. Die entschlossenen Teufelskerle und kräftigen Liederjans in Fielding’s Romanen interessiren, und strecken doch ab und zu die Hand aus nach poetischen Lebenselementen; aber Hr. Pelham ist ein inhaltsloser, kenntnißloser, gedankenloser, gemüthloser, blasirter Fat und Dandy. Sagt man: das soll er ja eben sein, so ist er dann wenigstens kein Gegenstand, oder keine Person für ein Kunstwerk. Oder kommt das Beste etwa hinten auf den letzten Seiten, zu denen ich wohl nicht vordringen werde? Die erbärmlichste, beleckte, mit Schminkpflästerchen belegte Frivolität des oberflächlichen Lebens; was soll ich mich in diese elendeste Gesellschaft begeben? Lieber lege ich mich entschlossen zu den Schweinen und rufe: mir ist so kannibalisch wohl u. s. w. Auch die unerschöpfliche Liederlichkeit des Chevalier Faublas ist noch anziehender; — aber freilich nicht, wenn er Prügel bekommt, oder in der Noth moralisch wird und ruft: o ma tendre Sophie! Moralische Schwanzperücken, die man Büchern der Art anhängt, wachsen damit nie zusammen und Feigenblätter helfen nicht gegen die Sünde. Zierereien, erstes Häufchen.
Pelham erinnerte mich an die Sybille der Gräfin Hahn. Beide lieben nicht, sie lieben vielleicht nichts; aber welch ein Unterschied. Jener ist und bleibt innerlichst und für jeden Boden eine taube Nuß; diese ist mir anziehender als ein ganzes Schock Mädchen und Frauen, welche singen: bei Männern welche Liebe fühlen! Die Meisten bringen es dabei nicht über eine physische, oder moralische Nothdurft hinaus; die Noth werden sie dabei nie los. Der Diamant brennt auch; aber ich kann ihn nicht mit einem Schwefelhölzchen, oder Lappenzunder entzünden. Das erfährt Sybille. Lessing sagt: das Streben nach Wahrheit stehe ihm höher als die Wahrheit. Alles ächte Leben beruht auf jener steten Thätigkeit, ununterbrochenen Bewegung. Die Erde wirbelt seit der Erschaffung und kommt nie an; ist ihr Streben, ihre Thätigkeit deshalb nichts? Welcher Mensch kann sagen: er sei am Ziele angelangt? Das sagt der Faule, oder der Erschöpfte. Beides ist freilich sehr menschlich und natürlich! — Übrigens widerrufe ich Alles, was ich gegen Pelham gesagt habe; schon um des vollgewichtigen Einwandes halber: Sie haben das Buch nicht durchgelesen!
Den 9. Julius.
Gestern Abend hatten wir eine lange, ziemlich fruchtlose Sitzung im völkerrechtlichen Ausschusse: Über die Noth deutscher Auswanderer in Havre, welche sich ohne Geld und Vorsicht dahin begeben hatten. Gewiß müssen künftig die deutschen Regierungen (oder die Bundesregierung) mehr thun, um die Auswanderer zu belehren, gegen Betrug zu schützen, ihnen eine sichere Aufnahme zu bereiten u. s. w.; wogegen ich erstens nicht glaube, daß jemals durch Auswanderungen die Überbevölkerung hinweggeschafft wird. Es werden (wie Irland zeigt) mehr Kinder neu in die Welt gesetzt, als Erwachsene davongehen. Zweitens: Auswanderungen auf Kosten des Staates zu betreiben, führt nicht zu übersehende Ausgaben herbei und wird eine höchst drückende Armensteuer. Selbst das reiche England hat sich nie darauf einlassen wollen. Drittens ist es sehr irrig, hiebei etwa nur die Kosten der Überfahrt in Rechnung zu stellen; die Kosten der Ansiedlung sind eben so nöthig und viel größer; weshalb die Amerikaner auch untersuchen, ob der Ankömmling Geld mitbringt, bevor sie ihn ans Land lassen.
Wie angeblich kluge Leute doch ganz thörichte Vorschläge machen können, erfuhren wir gestern im Ausschusse. Ein Mann behauptete: Preußen habe bei den Verhandlungen mit Dänemark die Interessen seiner eigenen Unterthanen leichtsinnig, oder pflichtwidrig vernachlässigt, und sei anzuweisen, sogleich Jütland zu besetzen und es zu behalten, bis die Dänen in Alles einwilligten, was man verlange. Auf Machtverhältnisse, auf die Einwirkung Schwedens, Englands und Rußlands, nahm der Mann nicht die geringste Rücksicht; er wollte mit einem frankfurter Maultrompetenstoß alle Hindernisse zu Boden stürzen und den Preußen beibringen, — was sie längst besser wissen.
Was heißt das: ich liebe König und Königin u. s. w., nenne aber das jetzige Preußen nicht mein Vaterland. Es ist keine Kunst, in guten Zeiten ein großes Gehalt zu beziehen, Diners geben und besuchen; wenn sich dies aber ändert, Klaglieder Jeremiä vorzubemmeln. Ein Mann in —s Jahren muß noch Hand anlegen, und je kränker ein Kind ist, desto größer Liebe und Sorgfalt des Vaters und der Mutter. Wie oft hätten die Preußen sonst verzweifeln müssen! Im Dreißigjährigen und Siebenjährigen Kriege, im Jahre 1813 und — jetzt! Dennoch: plus ultra, Vorwärts, Drauf!! — Ruhe, Ordnung und Gesetz wird nicht dadurch im Vaterlande hergestellt, daß man es verläßt. Beamte jener Art haben dem Sturze nicht vorbeugen können, und werden den Aufbau nicht zu Stande bringen. Ruhe, Ordnung und Gesetz geht mir auch über Alles; erst aber muß man Hand anlegen, ehe es erlaubt ist zu sagen: ich wasche meine Hände in Unschuld. — Ich bin freilich nur ein Heupferd, aber ich sitze doch auf dem Wagen, der da fährt, und komme mit vorwärts; wenigstens eher als wenn ich auf einem vertrockneten Grashalm säße und einen und denselben Singsang von Morgen bis zum Abend faullenzend ertönen ließe.
Die Leichtgläubigkeit ist überall gleich groß: bei den berliner Bürgern und den Demoisellen in Offenbach. Zu gestern war hier wieder ein Krawall angesagt, weil man einen Haupträdelsführer verhaftet und nach Mainz geschickt hat. Es blieb jedoch Alles ruhig, vielleicht aus einem löblichen Rechtsgefühle, oder aus Besorgniß vor den muthigen Gegenanstalten.