Kapitel 1

Jahrhunderte lang wurde in einer Kapelle der Kirche St. Maria Maggiore zu Florenz eine Darstellung der Himmelfahrt Mariä verwahrt, deren Entwurf man Sandro Botticelli dankt. In diesem anscheinend frommen Bilde hatte die heilige Inquisition ketzerische Greuel entdeckt und entzog es durch einen Vorhang den Blicken der Gläubigen. Botticelli war nämlich in der Auffassung der Engel einer verdammungswürdigen Meinung des Origines gefolgt, der da behauptet hatte, die Seelen jener Engel, die bei Lucifers Empörung neutral geblieben, seien in menschliche Körper gebannt und solcher Weise von Gott noch einmal versucht worden. Eigentlich hätte eine gestrenge Inquisition sämtliche Bilder von Botticellis Hand verdecken, [2] verhüllen und verbrennen sollen; denn stets kann vor ihnen der nämliche Tadel laut werden, allüberall gewahren wir Menschen mit engelhaften Seelen …

Ich bin der Sonne ausgesetztes Kind,

Das heim verlangt …

So liest man in den schmerzlichen Blicken botticellesker Menschen, das künden ihre adligen Gesten, mehr noch ihre Körper, die nichts vom Geiste der Schwere haben und wie Musik dünken. Die christlichen Heiligen und die heidnischen Grazien schreiten fremd durch dieses Thal der Thränen und bangen in frierender Sehnsucht nach einer verlorenen Sonnenheimat.

Man muss sehr weit zurückdenken, um die Erscheinung Botticellis innerhalb der Florentiner Kultur als eine historische Notwendigkeit zu empfinden. Das ganze Mittelalter hindurch tobten bis zum Beginn des Quattrocento wüste Parteikämpfe in den Gassen der Arnostadt. Die Häuser, gewaltig und zinnenbewehrt, wandelten sich oft genug in Festungen und ihre Inwohner liessen dem Schwert keine Zeit, Rost anzusetzen. Noch heute reckt, ein Wahrzeichen jener Tage, der Turm des Palazzo Vecchio sein Haupt über die[3] Dächer, als wollte er Ausschau halten nach einem Feinde; selbst die Chroniken des Trecento scheinen nicht mit der Feder, sondern mit dem Schwert geschrieben und ihre Sätze klingen zuweilen wie drohendes Panzergerassel. »Freiheit«, lautete das grosse Losungswort der Zeit; es enthielt alles, was die Florentiner auf Erden forderten; die Schönheit blieb dem Jenseits vorbehalten. Nur wenige jedoch waren so gelehrt, dass Bücher ihnen eine greifbare Vorstellung von himmlischer Seligkeit vermitteln konnten; darum sollte die Kunst durch goldschwere Gemälde den »uomini grossi, che non sanno lettera« das wahre Leben im farbigen Abglanz zeigen. Natürlich mussten dabei Anlehen bei den Gebilden dieser Erde gemacht werden, aber von einem Nachahmen der Sinnenwelt um ihrer selbst willen war nie die Rede.

Allmählich verstummte der Lärm des Streitens und der Friede zog in Florenz ein. Das Auge des Bürgers war von keiner zornigen Leidenschaft mehr verdunkelt, heiter und willig haftete es an den Herrlichkeiten dieser Erde. Das neue Empfinden forderte eine neue Kunst; das schöne Diesseits wollte man nunmehr im[4] Bilde schauen, den Menschen und die Dinge um ihn. Künstler standen auf, die, geführt von Donatello und Masaccio, die Herrschaft über alle Ausdrucksmittel der Kunst sich zu eigen machten, dem Bereich des Darstellbaren neue Stoffgebiete angliederten. Jenen Grossen, deren Gebilde noch den ganzen finsteren Reckentrotz des Trecento atmeten, folgten Jüngere, die bereits ernten durften, wo ihre Vorgänger gesäet. Das Irdische war der Kunst gewonnen und sie erzählten in frohen Gemälden von den Reizen dieses Neulandes: Fra Filippo Lippis Fresko vom Gastmahl des Herodes im Dome zu Prato vereint alles, was Lust am Dasein bedeutet. Musik ertönt in lichterfüllten Hallen, Jünglinge gewahren wir in festlicher Kleidung und ahnen durchs flatternde Gewand die Linien schlanker Mädchenkörper. »Weise Männer« erklärten dies Zeitalter, dem Cosimo de' Medici den Namen gab, »für das beste, das Florenz je zu teil geworden,« aber seiner zweiten Generation gehörten bereits unweise Menschen an, die keine Lust mehr am Dasein, die Wirklichkeit schaal und hässlich fanden, nach einer mehr vergeistigten Existenz verlangten, seltene und feinere Sensationen forderten.[5] Der erste Künstler nun, der anfangs nur leise und scheu, später immer leidenschaftlicher sein Nein zur Sinnenwelt sagte und ein Bild zum formgewordenen schmerzlichen Schönheitstraum gestaltete, war Sandro Botticelli. Von seinem Vater hatte er die aristokratische Natur nicht geerbt; denn der alte Mariano Filipepi betrieb das ehrsame Handwerk eines Lohgerbers und ärgerte sich wohl genugsam über seinen jungen Sandro. Dem gefiel das Lernen schlecht; in der Werkstatt eines Goldschmiedes hielt er auch nicht lange aus; da brachte der Alte den Knaben, der inzwischen – man weiss nicht, warum – den Beinamen Botticelli empfangen hatte, zu Fra Filippo, dem lustigen Maler-Mönch. Aber die genussfrohe Art des Meisters blieb Sandro zeitlebens fremd; er bewunderte die Kompositionen des Frate, mit seinen robust-gesunden Typen konnte er sich jedoch nicht befreunden. Nach Anmut und graziler Eleganz ging Botticellis Streben und gerade diese Eigenschaften liessen Fra Filippos Menschen vermissen; darum wählte sich Botticelli schon früh Antonio Pollaiuolo und Andrea del Verrocchio zu Vorbildern. In Antonio Pollaiuolos Werken gefielen[6] ihm die plastischen scharfen Formen, die bestimmte sichere Art der Linienführung und die Freude am feingliedrigen Jünglingskörper. Bei Verrocchio schätzte er den Sinn für alles Zierliche und Gleissende, der trotzdem niemals in Spielerei und Kleinkrämerei ausartete. Auch den rundlichen Gesichtstypus, dem man in Botticellis Frühwerken begegnet, die vorspringenden starkgewölbten Stirnen seiner ersten Madonnen, ihre hochgezogenen Brauen und schweren Lider, all solche Einzelheiten setzt man heute gern auf Rechnung verrocchiesker Einflüsse. Aber mögen einem auch bisweilen vor Sandros ersten Bildern die Namen Filippo Lippi, Antonio Pollaiuolo und Andrea del Verrocchio einfallen, so enthalten jene Werke noch immer genug von Botticellis Eigenart und gerade dies bedingt ihren Zauber.

Da ist seine Allegorie der Tapferkeit, jene »Fortezza« der Uffizien, die voreinst mit fünf anderen »Tugenden« Antonio und Piero Pollaiuolos eine Wand im florentiner Handelsgericht schmückte. Die Schöpfungen der beiden Brüder kann man heute ebenfalls in den Uffizien betrachten. Unweiblich ernst und streng, den hieratischen Madonnen der Primitiven vergleichbar,[7] thronen die »Tugenden« der Pollaiuoli in Marmornischen, deren fein ciselierte Ornamentik die geübte Hand des Goldschmieds verrät. Die »Hoffnung« blickt hergebrachter Weise zum Himmel empor, die andern schauen hoheitsvoll und kalt geradeaus ins Weite. Auch der »Fortezza« Sandros bietet eine bunt leuchtende Marmornische den Hintergrund. Aber sie »thront« nicht, sondern sitzt, das Haupt träumend zur Seite geneigt, lässig darin. In den Händen ruht ein Schwert; aber diese Frau, die nichts von einer Virago hat, könnte es niemals dräuend erheben. An die Komposition der Pollaiuoli hielt sich Botticelli, an ihre Typen, selbst an ihre Handform, und malte ein sinnendes Mädchen. Sein Wesen war lyrischer Art. Ein Weib bedeutete ihm mehr, als eine stahlgepanzerte Abstraktion. Und doch liebte er das Schimmern der Waffen; aber nicht, wie Castagno und Uccello, als starke Form einer Lebensbejahung, sondern lediglich vom rein malerischen Standpunkt. Er zuerst empfand das Künstlerbehagen am dunklen Blitzen eines blankpolierten Stahles, und das Leuchten des Metalls verbindet sich hier, beim Ärmel der Fortezza, mit Weiss und Blau[8] zu einer delikaten Harmonie, die man in sämtlichen Bildern der Pollaiuoli vergeblich suchen würde. Alle Welt feiert Sandro als Beherrscher der Linie; aber selten wird darauf hingewiesen, dass Botticelli auch das grösste Farbengenie, das bedeutendste Maltalent des Florentiner Quattrocento gewesen ist. In seinen Gemälden kann man jeden beliebigen Teil, jeden Winkel, jede Ecke auf malerische Qualitäten hin ansehen und wird stets reicheren Genuss dabei finden, als vor den meisten Bildern seiner Zeitgenossen.

Florenz, Uffizien.

FORTEZZA

Was Botticelli in jungen Tagen bereits als Maler vermochte, zeigen noch deutlicher zwei kleine Werke, die aus Bianca Capellos »Studio« in die Uffizien gelangten. Sie schildern zwei Episoden der Judith-Legende: die Heimkehr der jüdischen Heldin aus dem Lager der Assyrier und die Auffindung des toten Holophernes. Vernehmlicher, als in der »Fortezza« äussert sich hier, besonders im ersten Gemälde, das specifisch Botticelleske. Mit dem Grau der Morgendämmerung verbinden sich das Orange und Violett der Gewänder zu einer Farbenstimmung, die kein anderer Florentiner ersinnen konnte; auch hätte keiner die Gestalt der Judith so eigenartig[9] aufgefasst. Sie galt im republikanischen Florenz als ein Symbol der bürgerlichen Freiheit; aber die »liberatix patriae suae«, die Donatellos Bronze verkörpert, ihr düsteres Pathos, ihre Zorngebärde liessen den jungen Botticelli kalt. Wiederum malte er ein träumendes Weib, das wie eine sanftere Schwester der »Fortezza« anmutet. Auch sie hat das blonde Haupt gesenkt und vor den versonnenen Mädchenaugen geistern noch die Schreckensbilder der verflossenen Nacht. Hinter ihr zerreisst Kampfeslärm die Morgenstille. Sie hört und gewahrt es nicht. Weder Furcht, noch Freude beflügeln ihren Schritt. Langsam und zögernd nur wandert sie, mit der Rechten das Schwert, in der Linken den Ölzweig des Friedens haltend, gen Bethulien. Botticelli wusste um den Reiz des Kontrastes. Darum gab er diesem Adelsgeschöpf eine stumpfsinnige Sklavin zur Gefährtin, die auf ihrem Kopfe gleichmütig wie einen Krug Wassers, das Haupt des Holophernes trägt, und ihre unvornehme Art zu laufen hebt sich scharf von Judiths königlichem Schreiten ab. Auch die »Auffindung des Holophernes« birgt manche Züge, die, Wegweisern vergleichbar, auf die Pfade von Botticellis späterer[10] Entwickelung deuten. So lässt seine Angst vor »toten Stellen« sich klar erkennen: jeder einzelne der assyrischen Krieger, die den hauptlosen Leichnam umdrängen, scheint bis ins Mark erschüttert von dem grausigen Anblick; jeder äussert durch Gebärden seine Ergriffenheit und jede Geste offenbart das besondere Wesen des Menschen, der sie vollführt. Diese Tugend wird bei Sandro bisweilen zum Fehler. Über dem Bestreben, das Innenleben jedes Einzelnen möglichst eindringlich zu schildern, verlor er den Blick für die Gesamtwirkung all dieser Mienen und Gebärden. Die Geste des Einen beschränkt die Armfreiheit seines Nächsten; die Köpfe drücken einander, der Raum deucht überfüllt und die Composition verworren.

Wie eng sich Botticelli damals an den grössten Meister des Nackten in Florenz, an Pollaiuolo, anschloss, zeigen der Leichnam des Holophernes und deutlicher noch seine Einzelfigur des heiligen Sebastian vom Jahre 1473 im Berliner Museum. Einstmals trug dieses Bild sogar Antonio Pollaiuolos Namen. Seltsam genug; denn es ist voll vom Geiste Botticellis. Man denke nur an den Sebastian[11] Pollaiuolos der National-Gallery. Antonio, der Maler-Bildhauer, sah in dem Heiligen nur einen Akt, in den Henkern eine Kombination mehrerer Bewegungsmotive. Für Sandro dagegen handelte es sich in erster Linie um Stimmung: die Schergen haben die Richtstätte bereits verlassen und verlieren sich in der Ferne. Alles ist vorüber. Niemand kümmert sich mehr um den Heiligen, der pfeildurchbohrt an seinen Baum gefesselt blieb. Doch scheint er seiner Schmerzen nicht zu achten. Nur das edelgeschnittene Antlitz mit dem feinen Leidenszug um die Lippen hat er leicht gesenkt. An einen Epheben des Praxiteles wird man eher gemahnt, denn an einen christlichen Märtyrer. Ein paar Schritte hinter dem Heiligen langen die laubleeren Äste eines jungen Baumes wie klagend in die Luft. Einige Cypressen, ödes Gestein und das Meer bilden den Hintergrund des Bildes. Dies alles ergreift durch seine traurige Armut, aber »Botticelli hatte kein inneres Verhältnis zur Natur und behandelte die Landschaft stets als Nebensache«. Dieser Satz gehört zu jenen ewigen Krankheiten der Kunstgeschichte, die sich aus einem Buch ins andere forterben. Kein Wunder:[12] denn im Malerbuch Leonardo da Vincis steht zu lesen … »So sagte unser Botticelli, das Studium der Landschaft sei eitel; wenn man nur einen Schwamm voll verschiedener Farben gegen die Wand werfe, so hinterlasse dieser einen Fleck auf der Mauer, in dem man eine solche Landschaft erblicke … und jener Maler schuf sehr traurige Landschaften« … Ob Sandro diese Worte im Ernst oder aus Freude am Paradoxen gesagt, wer mag dies heute entscheiden? Hält man sich aber nicht an Sätze Leonardos, dagegen an Botticellis Bilder, so erwächst der Schöpfer jener »tristissimi paesi« zum grossen Künstler der Landschaft. Grazien und Göttinnen schreiten über einen Blütenboden, der in tausend Farben leuchtet; Veilchen, Anemonen, das junge Gras, das unterm Windhauch bebt, alles ist mit peinlichster Beobachtung der besonderen Einzelformen jeder Pflanze geschildert. Sandro malt »im dunklen Laub die Goldorangen«, der Duft weisser Lilien und farbiger Rosen weht aus manchen Bildern uns entgegen, und bereits vor vier Jahrhunderten wusste Botticelli um eine Entdeckung der Moderne, die Poesie der Öde, das heilige Grauen der Verlassenheit. Das[13] Meer, bleifarben und reglos, den blaugrauen Himmel, zerklüftete Felsen und den braunen Strand, – solche Symphonien des Schweigens, wie man heute sagt, hat Botticelli öfter komponiert. Es ist etwas Grandioses und Vorweltliches, etwas Keusch-Geheimnisvolles um seine Landschaften; nur Heilige und Götter dürfen darin hausen, nicht die Schar der Staubgeborenen, mit denen man die topographisch aufgefassten Veduten der Baldovinetti und Pollaiuoli oder die Prospekte Ghirlandajos und seiner Schüler bevölkern kann.

Aufnahme Hanfstaengl.

Berlin, Kgl. Gemäldegalerie.

DER HEILIGE SEBASTIAN

[14]

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