9.

Wenn Nietzsche sich in einen geistigen Kampf einläßt, so will er nicht fremde Meinungen als solche widerlegen, sondern er thut es, weil diese Meinungen auf schädliche, naturwidrige Instinkte hinweisen, die er bekämpfen will. Er hat dabei eine ähnliche Absicht, wie sie jemand hat, der eine schädliche Naturwirkung bekämpft oder ein gefährliches Naturwesen vertilgt. Er baut nicht auf die „überzeugende“ Kraft der Wahrheit, sondern darauf, daß er den Gegner besiegen wird, wenn dieser die ungesunden, schädlichen Instinkte, er aber die gesunden, lebenfördernden hat. Er sucht nach keiner weiteren Rechtfertigung eines solchen Kampfes, wenn seine Instinkte die des Gegners als schädlich empfinden. Er glaubt nicht als Vertreter irgend einer Idee kämpfen zu müssen, sondern er kämpft, weil ihn seine Instinkte dazu treiben. Zwar ist das bei keinem geistigen Kampfe anders, aber gewöhnlich sind sich die Kämpfer der wirklichen Triebfedern ebensowenig bewußt, wie die Philosophen sich ihres „Willens zur Macht“ oder die Anhänger der sittlichen Weltordnung der natürlichen Ursachen ihrer sittlichen Ideale. Sie glauben, daß lediglich Meinung gegen Meinung kämpft, und verhüllen ihre wirklichen Motive durch Begriffsmäntel. Sie nennen auch die Instinkte des Gegners nicht, die ihnen unsympathisch sind, ja diese kommen ihnen vielleicht gar nicht zum Bewußtsein. Kurz, die Kräfte, die eigentlich feindlich gegen einander gerichtet sind, treten gar nicht offen hervor. Nietzsche nennt rücksichtslos die Instinkte des Gegners, die ihm zuwider sind, und er nennt auch die Instinkte, die er ihnen entgegensetzt. Wer dies Cynismus nennen will, der mag es thun. Er soll aber nur nicht übersehen, daß es in aller menschlichen Thätigkeit niemals etwas anderes als solchen Cynismus gegeben hat, und daß alle idealistischen Wahngewebe von diesem Cynismus gewebt sind.

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