11.

Die Weisheit Zarathustras ist nicht nach dem Sinne der „modernen Gebildeten“. Sie möchten alle Menschen einander gleich machen. Wenn alle nur nach einem Ziele streben, sagen sie, dann ist Zufriedenheit und Glück auf Erden. Der Mensch soll zurückhalten, so fordern sie, seine besondern persönlichen Wünsche und nur der Allgemeinheit, dem gemeinsamen Glücke dienen. Friede und Ruhe wird dann auf der Erde herrschen. Wenn jeder die gleichen Bedürfnisse hat, dann stört keiner die Kreise des andern. Nicht sich und seine individuellen Ziele soll der Einzelne im Auge haben, sondern nach der einmal bestimmten Schablone sollen alle leben. Verschwinden soll alles einzelne Leben, und Glieder der gemeinsamen Weltordnung sollen alle werden.

„Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich, wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus.

„‚Ehemals war alle Welt irre‘ — sagen die Feinsten und blinzeln.

„Man ist klug und weiß alles, was geschehen ist: so hat man kein Ende zu spotten. Man zankt sich noch, aber man versöhnt sich bald, sonst verdirbt es den Magen.“

Zarathustra ist zu lange Einsiedler gewesen, um solcher Weisheit zu huldigen. Er hat die eigenartigen Töne gehört, die aus dem Innern der Persönlichkeit erklingen, wenn der Mensch abseits steht von dem Lärm des Marktes, wo einer nur die Worte des andern nachspricht. Und er möchte es den Menschen in die Ohren rufen: höret auf die Stimmen, die nur in jedem Einzelnen von euch erklingen. Denn die nur sind naturgemäß, die nur sagen jedem, was er vermag. Ein Feind des Lebens, des reichen, vollen Lebens, ist derjenige, welcher diese Stimmen ungehört verhallen läßt und auf das gemeinsame Geschrei der Menschen hört. Zu den Freunden der Gleichheit aller Menschen will Zarathustra nicht sprechen. Sie könnten ihn nur mißverstehen. Denn sie würden glauben, daß sein Übermensch jenes ideale Musterbild sei, dem alle gleich werden sollen. Aber Zarathustra will den Menschen keine Vorschriften darüber machen, wie sie sein sollen; er will nur jeden Einzelnen auf sich selbst verweisen und ihm sagen: überlasse dich dir selbst, folge nur dir allein, stelle dich über Tugend, Weisheit und Erkenntnis. Zu solchen, die sich suchen wollen, spricht Zarathustra; nicht einer Menge, die ein gemeinsames Ziel sucht, sondern solchen Gefährten, gelten seine Worte, die gleich ihm einen eigenen Weg gehen. Sie allein verstehen ihn, denn sie wissen, daß er nicht sagen will: seht, dies ist der Übermensch, werdet wie er, sondern: seht, ich habe mich gesucht; so bin ich, wie ich es euch lehre; geht hin und sucht euch ebenso, dann habt ihr den Übermenschen.

„Den Einsiedlern werde ich mein Lied singen und den Zweisiedlern; und wer noch Ohren hat für Unerhörtes, dem will ich sein Herz schwer machen mit meinem Glücke.“

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