Beschluß.

 

Diether schwieg eine Weile, als er mit Erzählen zu Ende war, und auch die beiden jungen Gesellen, die ihm zugehört hatten, wagten nicht, das Wort zu nehmen.

»Das ist nun die Aventiure, die Ihr zu hören begehrtet«, sagte der Alte dann und stund auf vom Steinsitz unter der Halle, als wollt’ er hineingehen der Pforte zu.

Es war zum dritten Male in der Pfingstwoche, daß der Abend die Drei um den Steinbrunnen versammelt hatte am Kreuzgang, der im Viereck den Friedhof der Abtei umgibt, und für den Erzähler wie für seine zuhörenden Schüler blieb die abendliche Stille ungestört; denn nur sanft rieselte das Wasser und nur leise rauschten zuweilen die Blüthengebüsche über den Grüften.

Heut hatten sie länger draußen verzogen denn sonst, und als Diether sich anschickte, zu gehen, sah er schon den Silberglanz des Mondenlichts auf dem Dach der Kirche flimmern und in den Garten herabgleiten, wo er die Wipfel eines dichtbelaubten Flieders mit sonderlicher Helle bestrahlte. 276

Der Alte blieb stehen und richtete dahin seinen Blick.

»Wie heint die Blüthen leuchten!« sprach er vor sich und schritt durch das Gras langsam der Stelle zu.

Nun stund er dicht am überhangenden Gezweig, der würdige Meister, ihm zur Seite gesellt die Jünglinge.

Da zog eine Wolke wie ein goldumsäumter Schleier über des Mondes leuchtend Angesicht, und ein behendes Dunkel flog von ihr her über das Dach der Kirche und beschattete Garten und Kreuzgang.

»Sie ist sogleich vorüber!« sagte Diether und blickte hinauf.

Als der Glanz wiederkehrte, sahen die Drei zu ihren Füßen einen Grabstein, von weißen Blüthen ganz überdeckt.

Der Alte bückte sich bedächtig und strich sie leise mit der Hand zur Seite. Da ward, eingegraben auf dem moosigen Steine, eine Lilie sichtbar und eine Inschrift. Die Augen der Jünglinge hatten sie bald entziffert.

»Irmela virgo«, lasen sie.

Der Alte sprach’s nicht nach; doch wandte er seinen Blick nicht weg von den halbverwischten Zeichen.

»Laßt uns gehen«, sagte er dann. »Der Thau fällt kühl und die Nacht ist bald herum.« –

Den Grabstein aber und seine Inschrift findest Du in Maulbronn noch heutigen Tages. –

 

 

Gebauer-Schwetschke’sche Buchdruckerei, Halle a. S.

 

 

 

Anmerkungen zur Transkription:

Die Originalschreibweise und kleinere Inkonsistenzen in der Formatierung wurden prinzipiell beibehalten.

Auflistung aller gegenüber dem Originaltext vorgenommenen Korrekturen:

S. 61: Urthel --> Urtheil S. 65: vorauf --> voraus S. 108: den Krug, (Komma ergänzt) S. 124: zwischem --> zwischen S. 139: »Nimmer soll dies Kind, das Deine Blutthat mit den Kainsmal des Brudermordes gezeichnet hat ... --> mit dem Kainsmal S. 171: ihr folgten Dienerinnnen --> ihr folgten Dienerinnen S. 193: (denn sie waren mir rucklings gebunden) --> rücklings S. 228: verschwad --> verschwand S. 231: Komma nach 'guter Baum' ergänzt S. 231: Komma nach 'sommerlichen' entfernt S. 233: wollte sein brauchen (Nach 'sein' fehlt Wort) S. 236: Als ich diese Worte hörte, überkam ich eine Freude, --> überkam mich eine Freude S. 270: geschickt. es vermochte nicht --> geschickt. Es vermochte nicht S. 272: solvitur in cinerem.« Anführungszeichen ergänzt. Das Wort Herr wird im Originaltext einheitlich HErr geschrieben (wenn es sich auf Gott bezieht). Ae, Oe und Ue wurden jeweils durch Ä, Ö und Ü ersetzt.

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