Lines 2177-2315: Rother, called Dietrich, woos the willing princess.

Am Fenster stand die Prinzessin,

Bald kam der junge Held

Über den Hof gegangen.

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Da ward er wohl empfangen

Von zweien Rittern ehrlich.

Dann ging der Recke Dietrich,

Wo die Kemenate offen stand;

Darein ging der wohlgestalte Held.

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Den hiess die junge Prinzessin

Selber wilkommen sein

Und sagte, was er da bitte,

Das würde sie gerne tun

Nach ihrer beider Ehre.

2190

“Ich habe dich gern, o Herr,

Wegen deiner Tüchtigkeit gesehn;

Aus anderm Grund ist’s nicht geschehn.

Diese niedlichen Schuhe,

Die sollst du mir anziehen.”

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“Sehr gerne,” sprach Dietrich,

“Da du es von mir verlangst.”

Der Herr setzte sich ihr zu Füssen,

Sehr schön war sein Gebaren.

Auf sein Bein setzte sie den Fuss,

2200

Nie wurde Frau besser geschuht.

Da sprach der listige Mann:

“Nun sage mir, schöne Herrin,

Bescheid auf deine Treue,

Wie du eine Christin bist,—

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Es warb um dich mancher Mann,—

Hing’ es von deinem Willen ab,

Welcher unter ihnen allen

Hat dir am besten gefallen?”

“Das sag’ ich dir,” sprach die Dame,

2210

“In allem Ernst und in Treue,

O Herr, auf meiner Seele,

Wie ich getaufte Christin bin:

Kämen aus allen Landen

Die teuren Weigande

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Mit einander zusammen,

Da wäre kein Mann darunter,

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Der dein Genoss sein könnte.

Das nehm’ ich auf meine Treue,

Dass nie eine Mutter gebar

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Ein Kind so liebenswürdig,

Dass es mit Fug, Dietrich,

Neben dir stehen könnte.

Du bist ein ausgezeichneter Mann.

Sollte ich aber die Wahl haben,

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Nähme ich den Helden gut und kühn,

Dessen Boten her ins Land kamen

Und jetzt wahrlich liegen

In meines Vaters Kerker.

Er heisst mit Namen Rother

2230

Und sitzt im Westen übers Meer.

Ich will immer Magd bleiben,

Bekomm’ ich nicht den Helden schön.”

Als Dietrich das vernahm,

Da sprach der listige Mann:

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“Willst du Rother minnen,

Den will ich dir bald bringen.

Es lebt keiner auf Erden,

Der mir mehr Gutes getan hätte;

Des soll er noch geniessen.

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Ehe ihn der Hochmut meisterte,

Half er mir oft in der Not;

Wir genossen fröhlich das Land

Und lebten glücklich zusammen.

Der gute Held war mir stets gnädig,

2245

Wie wohl er mich jetzt vertrieben.”

“In Treue,” sprach die Prinzessin,

“Ich verstehe deine Rede;

Ist der Rother dir so lieb,

Hat er dich nicht vertrieben.

2250

Von wannen du fährst, kühner Held,

Bist du als Bote her gesandt.

Dir sind des Königs Mannen lieb.

Nun verhehle es mit Worten nicht;

Was mir heute gesagt wird,

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Das wird immer wohl verschwiegen

Bis an den jüngsten Tag.”

Der Herr sprach zu der Dame:

“Jetzt überlass’ ich meine Sache

Der Gnade Gottes und der deinen;

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Es stehen ja deine Füsse

In König Rothers Schosse.”

Die Dame erschrak sehr;

Sie zog den Fuss weg

Und sprach zu Dietrich

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Sehr bescheidentlich:

“Nie ward ich so ungezogen;

Mein Übermut hat mich betrogen,

Dass ich meinen Fuss

Setzte auf deinen Schoss.

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Und bist du der grosse Rother,

Kannst du, König, nimmermehr

Einen besseren Ruhm gewinnen.

Der ausserordentlichen Dinge

Bist du ein listiger Meister.

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Welches Geschlechts du auch seist,

Mein Herz war unglücklich;

Und hätte dich Gott hergesandt,

Das wäre mir inniglich lieb.

Ich mag doch nicht glauben,

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Dass du mir Unwahres sprichst.

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Und wär’s dann aller Welt leid,

Ich räumte sicherlich

Zusammen mit dir das Reich.

So bleibt es aber ungetan.

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Doch lebt kein Mann so schön,

Den ich vorziehen würde,

Wärest du der König Rother.”

Darauf sprach Dietrich

(Sein Sinn war sehr listig):

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“Nun hab’ ich keine Freunde

Als die armen Herren,

Die in dem Kerker sind.

Könnten mich diese sehen,

Hättest du an ihnen den Beweis,

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Dass ich dir Wahres gesprochen.”

“In Treue,” sprach die Prinzessin,

“Dir werd’ ich beim Vater mein

Irgendwie erwirken,

Dass ich sie herauskriege.

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Aber er wird sie keinem geben,

Er hafte denn mit seinem Leben,

Dass niemand entkomme,

Bis alle zurückgebracht

In den Kerker würden,

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Wo sie in der Not waren.”

Drauf antwortete Dietrich:

“Ich will es auf mich nehmen

Vor Constantin, dem reichen,

Und morgen sicherlich

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Werde ich zu Hofe gehn.”

Die Jungfrau so schön

Küsste den Herrn.

Da schied er mit Ehren

Aus der Kemenate.

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