Am Fenster stand die Prinzessin,
Bald kam der junge Held
Über den Hof gegangen.
2180
Da ward er wohl empfangen
Von zweien Rittern ehrlich.
Dann ging der Recke Dietrich,
Wo die Kemenate offen stand;
Darein ging der wohlgestalte Held.
2185
Den hiess die junge Prinzessin
Selber wilkommen sein
Und sagte, was er da bitte,
Das würde sie gerne tun
Nach ihrer beider Ehre.
2190
“Ich habe dich gern, o Herr,
Wegen deiner Tüchtigkeit gesehn;
Aus anderm Grund ist’s nicht geschehn.
Diese niedlichen Schuhe,
Die sollst du mir anziehen.”
2195
“Sehr gerne,” sprach Dietrich,
“Da du es von mir verlangst.”
Der Herr setzte sich ihr zu Füssen,
Sehr schön war sein Gebaren.
Auf sein Bein setzte sie den Fuss,
2200
Nie wurde Frau besser geschuht.
Da sprach der listige Mann:
“Nun sage mir, schöne Herrin,
Bescheid auf deine Treue,
Wie du eine Christin bist,—
2205
Es warb um dich mancher Mann,—
Hing’ es von deinem Willen ab,
Welcher unter ihnen allen
Hat dir am besten gefallen?”
“Das sag’ ich dir,” sprach die Dame,
2210
“In allem Ernst und in Treue,
O Herr, auf meiner Seele,
Wie ich getaufte Christin bin:
Kämen aus allen Landen
Die teuren Weigande
2215
Mit einander zusammen,
Da wäre kein Mann darunter,
51
Der dein Genoss sein könnte.
Das nehm’ ich auf meine Treue,
Dass nie eine Mutter gebar
2220
Ein Kind so liebenswürdig,
Dass es mit Fug, Dietrich,
Neben dir stehen könnte.
Du bist ein ausgezeichneter Mann.
Sollte ich aber die Wahl haben,
2225
Nähme ich den Helden gut und kühn,
Dessen Boten her ins Land kamen
Und jetzt wahrlich liegen
In meines Vaters Kerker.
Er heisst mit Namen Rother
2230
Und sitzt im Westen übers Meer.
Ich will immer Magd bleiben,
Bekomm’ ich nicht den Helden schön.”
Als Dietrich das vernahm,
Da sprach der listige Mann:
2235
“Willst du Rother minnen,
Den will ich dir bald bringen.
Es lebt keiner auf Erden,
Der mir mehr Gutes getan hätte;
Des soll er noch geniessen.
2240
Ehe ihn der Hochmut meisterte,
Half er mir oft in der Not;
Wir genossen fröhlich das Land
Und lebten glücklich zusammen.
Der gute Held war mir stets gnädig,
2245
Wie wohl er mich jetzt vertrieben.”
“In Treue,” sprach die Prinzessin,
“Ich verstehe deine Rede;
Ist der Rother dir so lieb,
Hat er dich nicht vertrieben.
2250
Von wannen du fährst, kühner Held,
Bist du als Bote her gesandt.
Dir sind des Königs Mannen lieb.
Nun verhehle es mit Worten nicht;
Was mir heute gesagt wird,
2255
Das wird immer wohl verschwiegen
Bis an den jüngsten Tag.”
Der Herr sprach zu der Dame:
“Jetzt überlass’ ich meine Sache
Der Gnade Gottes und der deinen;
2260
Es stehen ja deine Füsse
In König Rothers Schosse.”
Die Dame erschrak sehr;
Sie zog den Fuss weg
Und sprach zu Dietrich
2265
Sehr bescheidentlich:
“Nie ward ich so ungezogen;
Mein Übermut hat mich betrogen,
Dass ich meinen Fuss
Setzte auf deinen Schoss.
2270
Und bist du der grosse Rother,
Kannst du, König, nimmermehr
Einen besseren Ruhm gewinnen.
Der ausserordentlichen Dinge
Bist du ein listiger Meister.
2275
Welches Geschlechts du auch seist,
Mein Herz war unglücklich;
Und hätte dich Gott hergesandt,
Das wäre mir inniglich lieb.
Ich mag doch nicht glauben,
2280
Dass du mir Unwahres sprichst.
52
Und wär’s dann aller Welt leid,
Ich räumte sicherlich
Zusammen mit dir das Reich.
So bleibt es aber ungetan.
2285
Doch lebt kein Mann so schön,
Den ich vorziehen würde,
Wärest du der König Rother.”
Darauf sprach Dietrich
(Sein Sinn war sehr listig):
2290
“Nun hab’ ich keine Freunde
Als die armen Herren,
Die in dem Kerker sind.
Könnten mich diese sehen,
Hättest du an ihnen den Beweis,
2295
Dass ich dir Wahres gesprochen.”
“In Treue,” sprach die Prinzessin,
“Dir werd’ ich beim Vater mein
Irgendwie erwirken,
Dass ich sie herauskriege.
2300
Aber er wird sie keinem geben,
Er hafte denn mit seinem Leben,
Dass niemand entkomme,
Bis alle zurückgebracht
In den Kerker würden,
2305
Wo sie in der Not waren.”
Drauf antwortete Dietrich:
“Ich will es auf mich nehmen
Vor Constantin, dem reichen,
Und morgen sicherlich
2310
Werde ich zu Hofe gehn.”
Die Jungfrau so schön
Küsste den Herrn.
Da schied er mit Ehren
Aus der Kemenate.