XIII. The Arnstein Hymn To The Virgin

A Marienleich dating from the end of the 12th century, during which the type was much cultivated. The manuscript, from the convent of St. Mary at Arnstein on the Lahn, contains 325 short lines in couplets (beginning and end missing), of which lines 78-261 are given below.

Hätt’ ich tausend Munde,

Ich könnte nie berichten

80

In vollem Mass das Wunder,

Das von dir geschrieben ist.

Alle Zungen vermögen nicht

Zu sagen noch zu singen,

Fraue, deiner Ehren

85

Noch deines Lobes volles Mass.

Der ganze Himmelshof

Singet dein Lob:

Es preisen dich die Cherubim,

Es ehren dich die Seraphim.

90

All das grosse Heer

Der heiligen Engel,

Die vor Gottes Antlitz

Stehen seit dem Anfang,

Propheten und Apostel

95

Und alle Gottes Heilige

Freun sich immer dein,

Königliche Jungfrau.

Wohl müssen sie dich ehren:

Du bist die Mutter ihres Herrn,

100

Der da Himmel und Erde

Im Anfang werden hiess;

Der mit einem Worte

Die ganze Welt erschuf,

Dem alles ist untertan,

105

Dem nichts kann widerstehn,

Dem alle Kraft weichet,

Dem nichts gleichet,

Den ehret und fürchtet

All diese Welt.

39 110

Es wäre mir lang zu sagen,

Wie hehr du bist im Himmel:

Niemand hat davon Kunde

Als die Seligen, die da sind.

Des einen bin ich von dir gewiss:

115

Dass, Fraue, du so geehret bist

Wegen deiner grossen Güte,

Wegen deiner Demut

Wegen deiner Reinheit,

Wegen deiner grossen Milde.

120

Deshalb ruf’ ich dich an;

Fraue, nun erhöre mich;

Allerheiligstes Weib,

Vernimm mich sündiges Weib!

All mein Herze

125

Fleht zu dir ernstlich,

Mir gnädig zu sein,

Bei deinem Sohne zu helfen,

Dass er in seiner Güte

Meine Missetaten

130

Vergesse gänzlich

Und mir gnädig sei.

Leider, meine Schwachheit

Hat mich oft verleitet,

Dass ich durch meine Schuld

135

Verwirkte seine Huld.

Fraue, das macht mir bange;

Deswegen fürchte ich,

Dass er seine Gnade

Von mir kehren werde.

140

Deshalb fleh’ ich zu dir.

Nun muss es an dir liegen,

Mir, Jungfrau milde,

Zu seiner Huld zu helfen.

Hilf mir zu wahrer Reue,

145

Dass ich meine Sünden

Möge beweinen

Mit innigen Tränen.

Hilf mir kräftiglich,

Dass ich die Höllenstrafe

150

Nimmer erleide;

Dass ich auch vermeide

Hinfort alle Dinge,

Die wider Gottes Huld sind.

Und geruhe mich zu stärken

155

In allen guten Werken,

Dass ich verbringe mein Leben

Wie die heiligen Weiber,

Die uns aller Tugenden

Ein Vorbild gegeben:

160

Sara, die demütige,

Anna, die geduldige,

Esther, die milde,

Judith, die verständige,

Und die andern Frauen,

165

Die in der Furcht Gottes

Sich hier so betrugen,

Dass sie Gott wohl behagten.

Auch ich nach deiner Güte,

Nach deiner Demut,

170

Möchte mein Leben gestalten:

Dazu hilf mir, heiliges Weib!

In deine Hand begebe ich

Mich und all mein Leben.

Dir überlass’ ich all meine Not,

175

Dass du hilfsbereit seiest,

In was für Drangsalen

Ich dich immer anrufe.

Fraue, deinen Händen

Sei mein Ende befohlen!

180

Und geruhe mich zu weisen

Und mich zu erlösen

Aus der grossen Not,

Wenn der leide Tod

An mir soll scheiden

185

Den Leib von der Seele.

40

In jener grossen Angst

Komm du mir zum Troste!

Und hilf, dass meine Seele

Werde zu Teile

190

Des lieben Gottes Engeln,

Nicht den leiden Teufeln;

Dass sie mich dahin bringen,

Wo ich soll finden

Die ewige Freude,

195

Die im Himmel haben

Die hochseligen Gotteskinder,

Die dazu erwählt sind;

Dass ich dort schaue

Unsern lieben Herrn,

200

Unsern Schöpfer,

Unsern Heiland,

Der uns aus nichts erschuf,

Der uns auch kaufte

Mit seines Sohnes Blut

205

Von dem ewigen Tode.

Wer soll mir dazu helfen,

Wer soll mich so läutern,

Dass ich es würdig wäre?

Das sollst du, Jesus, mein Herr.

210

Gib mir, Herr, deinen Geist,

Da du selbst wohl weisst

All meine Krankheit

Und all meine Unwissenheit;

Auf dass ich schauen dürfe

215

Mit meinen Augen

Dein unverlöschlich Licht:

Das versage du mir nicht!

Es ist das ewige Leben,

Das ich, armes Weib,

220

Mit deiner Hilfe suche:

Das lass mich, Herre, finden!

Darum sei mein Bote zu dir

Deine eigne Mutter:

O, wie selig bin ich dann,

225

Nimmt sie sich meiner an!

Maria, Gottes Traute,

Maria, Trost der Armen,

Maria, stella maris,

Zuflucht des Sünders,

230

Burg des Himmels,

Born des Paradieses!

Der uns die Gnad’ entfloss,

Die uns Elenden erschloss

Das rechte Vaterland;

235

Nun gib uns, Fraue, deine Hand,

Weise uns den Ausweg

Aus jener grossen Tiefe:

Das ist des Teufels Gewalt.

Darein uns hat gebracht

240

Eva, unsere Mutter;

Jetzt fliehen wir alle zu dir.

Wir weinen und seufzen

Zu deinen lieben Füssen.

Lass dich nun erbarmen

245

Der Not, die wir Armen

In diesem engen Tale

Mannigfach erdulden!

Stella maris, bist du genannt

Nach dem Stern, der an das Land

250

Das müde Schiff geleitet,

Wo es die Ruh’ erwartet.

Geleite uns an Jesum,

Deinen guten Sohn,

Der uns begnaden soll.

255

In ihm sollen wir ruhen,

Er soll uns erlösen

Von allen unsern Nöten,

Von allen schweren Sünden:

Das sind des Meeres Wellen,

260

Die uns nun, ach, umschwellen.

Nun hilf uns, heilige Jungfrau!

41

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